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Wolfgang Wendlandt: Sprachstörungen im Kindesalter

Rezensiert von Prof. Dr. Christine Huth-Hildebrandt, 23.06.2009

Cover Wolfgang Wendlandt: Sprachstörungen im Kindesalter ISBN 978-3-13-778505-7

Wolfgang Wendlandt: Sprachstörungen im Kindesalter. Materialien zur Früherkennung und Beratung. Georg Thieme Verlag (Stuttgart) 2006. 175 Seiten. ISBN 978-3-13-778505-7. 31,50 EUR. CH: 59,40 sFr.
Unter Mitarbeit von Sandra Niebuhr-Siebert. Mit Sprachbaumposter.

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Thema

Mit diesem Materialien-Band wurde im Jahr 1992 im Thieme Verlag die Reihe „Forum Logopädie“ eröffnet. Der Text basiert auf einem interdisziplinären Konzept und ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Logopäden, Psychologien, Ärzten und Sozialpädagogen. Ziel des Buches ist es, der Entstehung von Sprachstörungen im Kindesalter entgegenzuwirken bzw. frühzeitig zu einer Behebung von Sprachauffälligkeiten beizutragen. Er wird aufgezeigt, wie Sprachstörungen im Kindesalter früh zu erkennen und zu lokalisieren sind, um in der Folge professionell und kompetent beraten zu können. Das Buch wurde nach dem ersten Erscheinen in seiner Grundanlage als so wegweisend angesehen, dass es seither– inhaltlich verfeinert – immer wieder neu aufgelegt und dabei an die aktuellen Forschungsergebnisse im Bereich des Spracherwerbs und der Sprachverarbeitung angepasst und um neue Materialien zu Früherkennung und Beratung erweitert wird.

Inhalt

Störungen des Sprechens und der Sprache – undeutliches und verwaschenes Reden, Unfähigkeit bestimmte Laute zu bilden, sich nicht richtig ausdrücken können – wirken sich negativ auf die gesamte kindliche Entwicklung aus und münden zum Teil in Stottern oder eine völlige Verweigerung von Kommunikation. Von daher ist es notwendig, Auffälligkeiten rechtzeitig zu erkennen, vor allem aber, Entscheidungskriterien zu haben, ob es sich bei dem Erkannten wirklich um eine Störung handelt, um dann frühzeitig Hilfestellungen zur Vorbeugung gegen eine Verfestigung von Sprech- und Sprachauffälligkeiten geben zu können.

Nach einem Überblick zur didaktischen Konzeption des Buches werden Materialien zu Früherkennung und Beratung vorgestellt, die auch für Laien verständlich und gut nachvollziehbar sind. Es geht um die Wissensaufbereitung, wie Kinder überhaupt sprechen lernen, um den Ablauf der Sprachentwicklung, um den Zusammenhang von Hören und Sprechen und um mögliche Störungen und Ursachen dieser Störungen. Wobei Sprachauffälligkeiten von mehrsprachig aufwachsenden Kindern ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Und in der Folge geht es dann natürlich um Sprachförderung. Faszinierend ist in diesem ersten Materialteil, wie einfach und anschaulich komplizierte Vorgänge dargestellt und erklärt werden, aber auch, wie professionell diese Inhalte inhaltlich gestaltet und grafisch aufgearbeitet sind, so dass sie nicht nur zur Wissenserkenntnis nützlich sind, sondern gleichzeitig auch als fertige Einheiten zur Wissensvermittlung genutzt werden können.

Sicherlich ist es dem interdisziplinären Ansatz zu verdanken, dass Sprechen hier als das „Ergebnis einer positiven Gesamtentwicklung“ gesehen wird und der Blick auch auf die Umgebung, den kulturellen Hintergrund, die Lebensumwelt und auf gesellschaftliche Zusammenhänge gerichtet ist, symbolisiert im Sprachentwicklungsbaum, der alle denjenigen, die sich mit Sprachentwicklung befassen, mittlerweile bekannt sein dürfte.

An die umfangreichen Materialen zur Früherkennung schließt sich ein Übungsteil an, der nicht nur exemplarisch und einleuchtend verdeutlicht, welches Ziel mit der Übung erreicht werden soll, sondern – wie der obige Teil zur Wissensvermittlung – ebenfalls als fertige Einheiten vorgestellt wird; jeweils mit einem Teil zur Vorbereitung, zur Durchführung und Dauer und zum Abschluss mit einer Auswertungseinheit. Und wie es sich für ein gut durchdachtes Handbuch gehört, endet der Band mit einer umfangreichen themenspezifischen Literaturauswahl.

Diskussion

Der Band beschreibt in gut verständlicher Form die „ungestörte“ Sprachentwicklung und zeigt Ursachen von Störungen, ihre Früherkennung und mögliche Behandlung auf. Einleuchtend ist auf dieser Grundlage der „idealtypischen“ Sprachentwicklung – die an den zugehörigen Lebensmonaten bis zum 40. Lebensmonat abgebildet wird – dass ein gesundes Kind, das mit einer universellen Bereitschaft zur sprachlichen Vielfalt geboren wird, sich im Verlaufe der Primärsozialisation zeitlich auf die Erfassung einer Sprache beschränkt, um im Anschluss seine universelle Bereitschaft zur Mehrsprachigkeit wieder zu öffnen. Diese Art des primären Spracherwerbs – d.h. die zeitliche Begrenzung auf die Erfassung einer Sprache – ist notwendig, um aufgrund der universellen Anlage zu sprachlicher Vielfalt, das reflexive Potenzial zu begründen, mit dem sich auf Grund von persönlicher Erfahrung dann perspektivisch ein Denken und Handeln quer durch Sprachen hindurch freisetzen kann. Erste Sprach-Kontakte haben von daher fundamentale Bedeutung für die Installierung der basalen Sprachverarbeitungsfähigkeit, die das organisierende Instrument zur Lebensgestaltung einer Person ist. Da die Sprache durch die primäre Bezugsperson im Dialog aufgebaut wird – mit grammatischer Strukturbildung, lautlichen Präzisierungen und ihrem Bedeutungsaufbau – und zugleich über den Aufbau der Muttersprache die Anwendung der Sprache im Dialog vermittelt wird, erscheint einleuchtend, dass bis zum Abschluss dieser Phase eine einsprachige Ausrichtung von großer Bedeutung für die gesamte Entwicklung des Kindes ist. Es wird auf Untersuchungen verwiesen, die zeigen, dass Kinder, deren muttersprachliche Entwicklung ungestört ausreifen konnte, für die spätere Beherrschung mehrerer Sprachen gut gerüstet sind.

Nach Durchlesen dieses Bandes kommt man zwingend zu dem Schluss, dass die Muttersprache für Kinder mit Migrationshintergrund kein Hindernis für den Deutschlernprozess ist – wie zum Teil heute noch immer behauptet wird – sondern im Gegenteil eine Voraussetzung für den geglückten Verlauf des Zweitspracherwerbs darstellt. Nach idealtypischem Spracherwerbsprozess würde ein in Deutschland geborenes, zweisprachig aufwachsendes Kind mit Eltern aus einem nichtdeutschen Herkunftsland erst einmal in der Muttersprache sozialisiert. Es würde dann mit 2 Jahren zunehmend häufiger seinen familiären und kulturellen Lebensraum verlassen und sich immer bewusster auf die deutsche Umwelt einstellen. Im Spiel und auf der Strasse oder in den vorschulischen Einrichtungen käme es mit deutschen Kindern in Berührung und erlernte so allmählich die zweite Sprache, die aufgrund der bereits durchlaufenen Entwicklung den Lernprozess in dieser Zweitsprache weitaus rascher verlaufen lässt.

Sprachlernen in Deutschland verläuft heute jedoch aufgrund von Migrationsprozessen und Sprachenvielfalt nicht mehr in dieser schematisierten Eindeutigkeit. Kinder mit Migrationshintergrund werden bereits von Anbeginn an im familialen Umfeld mit mehreren Sprachen konfrontiert. Außerdem existieren aufgrund von soziokulturellen Verschiedenheiten auch unterschiedliche Aneignungsbedingungen.

Oft verläuft der Spracherwerb auch parallel, sozusagen ein Doppelspracherwerb bzw. eine simultan erworbene Zweisprachigkeit. Daher ist es wichtig, sich bei der Beobachtung am jeweiligen Prozess der Sprachvermittlung und -entwicklung zu orientieren und dabei die individuellen und teilgruppenspezifischen Verschiedenartigkeiten zu berücksichtigen, um Sprachauffälligkeiten nicht voreilig als Störungen zu diagnostizieren. Hierzu wäre eine ergänzende Erweiterung für die nächste Auflage wünschenswert.

Fazit

Der Band eignet sich ausgezeichnet zur Frühberatung von Eltern, für fachwissenschaftliche Fortbildungen von Erzieherinnen und Erziehern und für das Lehrpersonal in den ersten Schulklassen. Vom Anspruch her sind die vorliegenden Materialien aber nicht nur für diejenigen Stellen interessant, die sich um die sprachliche Förderung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund bemühen, sondern sie dienen ebenso als ein Leitfaden für Eltern, die sich um die Sprachentwicklung ihrer Kinder bemühen und/oder sorgen. Er sollte nicht nur im Bücherregal derjenigen stehen, die sich mit möglichen Störungen in der Sprachentwicklung befassen, sondern besonders auch diejenigen interessieren, die im Bereich früher Bildung und Erziehung mit einsprachigen und mehrsprachigen Kindern täglich kommunizieren.

Rezension von
Prof. Dr. Christine Huth-Hildebrandt
Fachhochschule Frankfurt am Main, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit

Es gibt 6 Rezensionen von Christine Huth-Hildebrandt.

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ISSN 2190-9245