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Jutta Jacob, Heino Stöver (Hrsg.): Sucht und Männlichkeiten

Rezensiert von Prof. Dr. Gundula Barsch, 22.11.2006

Cover Jutta Jacob, Heino Stöver (Hrsg.): Sucht und Männlichkeiten ISBN 978-3-531-14849-6

Jutta Jacob, Heino Stöver (Hrsg.): Sucht und Männlichkeiten. Entwicklungen in Theorie und Praxis der Suchtarbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2006. 194 Seiten. ISBN 978-3-531-14849-6. 29,90 EUR.
Reihe: Studien interdisziplinäre Geschlechterforschung, Band 11.

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Thema und Entstehungshintergrund

Nach wie vor beforschen und theoretisieren Männer auch drogenkonsumierende Frauen und modellieren daraus ihr Bild von Weiblichkeiten. Warum also als Frau nicht genauso unbefangen und neugierig auf das unbekannte Wesen, den drogenkonsumierenden Mann, schauen, um Neues oder anderes zu erfahren? Frau Jutta Jacob und der Mann Heino Stöver (die Ansprache "Herr" wirkt in diesem Zusammenhang zu skurril) bieten Männern, aber auch Forscherinnen, Therapeutinnen, Helferinnen und Lebenspartnerinnen Gelegenheit, einen Blick auf theoretische Diskurse und praktische Erfahrungen eines speziellen Zweiges der Männerforschung zu werfen. Sichtbar wird ein Nachdenken, das sich scheinbar noch immer unsicher und zaghaft damit beschäftigt, was das geschlechtsspezifische am Drogenkonsum von Männern ist und welche Konsequenzen sich daraus für Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung von Drogenproblemen ableiten. Mit dem von ihnen vorgelegten Reader präsentieren die Herausgeber wesentliche Beiträge aus Theorie und Praxis, die auf Fachtagungen unter der Überschrift "MannSuchtMännlichkeiten" 2003 und "Von Trunkenbolden und anderen Männern im Rausch" 2004 zusammengetragen wurden. Folgerichtig wird in diesem Buch das Thema nicht systematisch aufbauend abgehandelt, sondern eher aus sehr verschiedenen Blickwinkeln zusammengetragen, was dem bisher wenig Erklärten mehr Verständnis geben kann.

Inhalt

So können interessierte Frauen und Männer zunächst einen interessantem Themenaufriss zu den Zusammenhängen von Mann-Sein/Rausch/Sucht nachlesen (Stöver), der auch den letzten Zweifler davon überzeugt, dass es Sinn macht und höchst ergiebig ist, das Thema Drogenkonsum und Geschlechtszugehörigkeit - hier Mann-Sein - detailliert auszuloten. Vielleicht liegt es ja an den Kinderschuhen, in denen sich die Beschäftigung mit diesem Thema befindet, dass hier mit vielen Unschärfen in der Betrachtungsebene hantiert wird. Immerhin: Drogenkonsum ist nicht immer und folgerichtig Rausch, genauso wenig wie Rausch und Drogenkonsum nicht folgerichtig Sucht sind. Gerade in den Grundlegungen der sich etablierenden Drogenforschung zu Männern wäre es aber höchst wünschenswert, sich zunächst dem "Normalen" und Nicht-Pathologischen zuzuwenden, dem doch augenscheinlich ebenfalls Männerspezifisches anhaftet. Erst vor diesem Hintergrund ließen sich dann die Prozesse verstehen, mit denen sich Männer schließlich in Prozessen verstricken, aus denen heraus sie schließlich eine Abhängigkeitssymptomatik entwickeln.

Es tut gut, als Frau zu lesen, dass es auch für Männer sehr beschwerlich ist, sich mit den in der Gesellschaft kursierenden sehr verschiedenen Männlichkeitsvorstellungen auseinanderzusetzen und irgendwie zu einer für sich persönlich passenden Identität zu finden (Pech). Auch Männer sind dabei immer wieder zu ständigen Auseinandersetzungen getrieben. Sie führen Machtkämpfe um den Anspruch auf Überlegenheit nicht nur gegenüber Frauen, sondern konkurrieren auch untereinander um den eigenen Stellenwert innerhalb verschiedener Männlichkeiten. Aus Perspektive der kritischen Männerforschung wird damit etwas auf den Punkt gebracht, was wohl schon viele Forscherinnen ahnten und deshalb mehr oder weniger scharf der Ausdeutung von Sucht als Ausdruck von Suche widersprachen. Jetzt setzt dazu auch ein Mann (Pech) ein ausdrücklich anderes Deutungsmuster und ist damit natürlich weit authentischer, als es eine Frau, die über Männer spricht, sein kann.

Es ist eine Forscherin (Bereswill), die mit dem Fokus auf Autonomiekonflikte junger Männern diesen Gedankengang aufgreift und an Fallbeispielen darstellt, was wir uns unter verschiedenen Männlichkeiten und deren Bezug zu Drogenkonsum vorzustellen haben. Zumindest für Leserinnen eindrucksvoll und überzeugend nachgezeichnet werden die Identitätskonflikte junger Männer und - ein Trost für alle höchst bemühten Mütter - die besondere Rolle, die die zumeist tatsächlich oder emotional abwesenden Väter und männlichen Bezugspersonen dabei haben. In diesen Nachzeichnungen grundsätzlicher Fragen junger Männer wird deutlich, dass es nicht dringlich schwerer Traumata bedarf, um sich in problematischem Drogenkonsum zu verheddern (Schäfer). Vielmehr scheint in der patriarchalische Grundstruktur unserer Gesellschaft grundsätzlich angelegt zu sein, dass Männern das eigene physische, psychische und soziale Wohlbefinden permanent aufs Spiel setzen und sich dabei zusätzlich gefährden, weil sie auch noch auf jedes Sicherungsseil in Form von Sorge um die eigene Gesundheit verzichten. Erschreckend zu verstehen, dass dies Verhaltensstile sind, die sich eben nicht allein in Bezug auf Drogenkonsum, sondern als durchgängiges Muster in allen Bereichen von Gesundheit zeigen (Altgeld).

Mit diesen theoretischen Beiträgen zur Männerdrogenforschung wird ein überzeugendes Muster der Betrachtung von Drogenkonsum und Abhängigkeit angeboten, das sich wohltuend von den modern gewordenen, aber in der Regel monokausalen Erklärungsmodellen der biologischen Suchtforschung abhebt. Aufgeblendet werden die leider oft übersehenen vielfältigen und sehr komplexen sozialen Bezügen, in denen Drogenkonsum entwickelt wird und in die auch mögliche Drogenprobleme zurück wirken. In Anbetracht der einsichtigen und damit höchst überzeugenden Darlegungen fragen sich diesbezüglich naive Leserinnen und Leser wohl eher, wie es überhaupt möglich war, die Wirkungszusammenhänge zwischen Mann-Sein bzw. Männlichkeiten und Drogenkonsum so lange zu übersehen.

Der zweite Teil des Readers räumt der schon existierenden Praxis männerspezifischer Angebote im Drogenhilfesystem Raum ein. Es fällt auf, dass die Mehrheit der Praxisbeiträge eher als Überblicksarbeiten angelegt ist. Diese regen zum Nachdenken an, fordern aber auch viel Phantasie, sich eine direkte praktische Umsetzung der skizzierten Ideen vorzustellen. Vielleicht ist dies aber auch eine folgerichtige Konsequenz angesichts des empirischen Paukenschlag-Befundes "die Sucht ist männlich - die Suchtkrankenhilfe weiblich", zumindest, was die personelle Besetzung der Helferpositionen betrifft (Wulf). Keine Frage, dass diese Situation sowohl bei den vielen Mitarbeiterinnen als auch bei den in Therapie und Behandlung befindlichen Männern Spuren hinterlässt. Diese betreffen nicht nur die Irritationen in der als Beziehungsarbeit angelegten therapeutischen Drogenarbeit, die durch die Konstrukte von Männlichkeit und deren Verhältnis zu Macht, Beziehungen allgemein und Beziehungen zu Frauen im Speziellen hervorgebracht werden (Rudolf). Dazu kommt die Herausforderung, sich in die Psychologie männlichen Suchtverhaltens hineindenken zu können (Vosshagen, Röben). Wieweit diese Ansprüche für Frauen wirklich zumutbar gestellt werden können, diese überhaupt von Frauen einlösbar sind, wird im Nachdenken über eine gute Praxis sehr verschiedenen gesehen. Noch sind die Männer, die dafür argumentieren, dass männerspezifische Angebote sinnvoll, glaubhaft und nachhaltig nur von Männern gestaltet werden können, in der Minderheit (Müller, Salman). Aber auch das mag sich ändern, wenn sich die Drogenarbeit der Genderspezifik konsequenter zuwendet, dabei Männer ihre spezifischen Verletzlichkeiten erkunden, zur Sprache bringen und daraus auch ihre ganz speziellen männerspezifischen Bedürfnisse nach Hilfe und Unterstützung anmelden.

Fazit

Bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass der in der Herausgeberschaft von Jacob und Stöver vorgelegte Reader zu "Sucht und Männlichkeiten" sich als ein guter Einstieg für diejenigen im Drogenbereich tätigen Forscher und Praktiker eignet, die sich bisher noch nicht intensiv mit der Genderthematik, speziell mit männerspezifischen Ansätzen in den Versorgungsangeboten und deren theoretischer Fundierung, beschäftigt haben. Die vorgestellten Beiträge sind nicht nur gut verständlich und leicht zu lesen. Sie ermöglichen zudem, sich schnell eine Übersicht über Ansätze des tastenden Suchens nach Erklärungsmodellen und Schlussfolgerungen für die praktische Arbeit zu erarbeiten. Die von den einzelnen Autoren umfangreich niedergelegten Literaturangaben sind zugleich wertvolle Hinweise auf Grundlagenwerke der Männerforschung und weiterführende Materialien, mit denen das geweckte Interesse an einer weiteren Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen schnell neue Pfade findet.

Rezension von
Prof. Dr. Gundula Barsch
Hochschule Merseburg
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Es gibt 23 Rezensionen von Gundula Barsch.

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Zitiervorschlag
Gundula Barsch. Rezension vom 22.11.2006 zu: Jutta Jacob, Heino Stöver (Hrsg.): Sucht und Männlichkeiten. Entwicklungen in Theorie und Praxis der Suchtarbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2006. ISBN 978-3-531-14849-6. Reihe: Studien interdisziplinäre Geschlechterforschung, Band 11. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4175.php, Datum des Zugriffs 10.10.2024.


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