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Sabina Misoch: Online-Kommunikation

Rezensiert von Dr. Stefan Anderssohn, 18.01.2007

Cover Sabina Misoch: Online-Kommunikation ISBN 978-3-8252-2835-4

Sabina Misoch: Online-Kommunikation. UTB (Stuttgart) 2006. 224 Seiten. ISBN 978-3-8252-2835-4. D: 17,90 EUR, A: 18,40 EUR, CH: 31,70 sFr.

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Einführung in das Thema

"The medium is the message" - so lautet zumindest das kolportierte Zitat des Medienwissenschaftlers Marshall McLuhan. Wenn man wie McLuhan diese "Botschaft" als Summe aller Auswirkungen begreift, die ein neues Medium auf Einzelpersonen wie auf Gesellschaften ausübt, mag man seine Behauptung angesichts der rasanten Entwicklung des Internet auch heutzutage noch unbesehen unterstreichen:

  • Interaktiv wachsende Wissensdatenbanken wie Wikipedia,
  • Austausch in Foren und Chats,
  • Korrespondenz via E-Mail,
  • öffentliche Tagebuchaufzeichnungen in so genannten "Blogs",
  • Online-Rollenspiele in "Massive Multiplayer Online Role-Playing Games" und nicht zuletzt
  • die virtuellen Lernumgebungen.

Viele dieser Möglichkeiten, im weltweiten Computernetzwerk zu kommunizieren, sind vielen Menschen mittlerweile vertraut geworden. Dabei ist es erstaunlich, binnen welch kurzer Zeit sich die Internetnutzung ein solch breites Publikum erobert hat.  Mit Blick auf McLuhans Postulat stellt sich daher auch die Frage, wie sich das Medium Internet auf die Kommunikation seiner Nutzer auswirkt. Beziehungsweise, ob die Online-Kommunikation deren Verhalten, ihre Sprache, ihre Beziehungen und das Selbstverständnis verändert oder gar neu definiert.

An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass der medial-technische Teil des Themas "Online-Kommunikation" im Zusammenwirken mit den soziologischen und psychologischen Aspekten ein sehr weitläufiges und vielschichtiges Forschungs- und Praxisfeld ergibt. Nichtsdestotrotz ist es ein sehr interessantes und unbestreitbar wichtiges Thema, in dessen theoretische Grundlagen Sabina Misoch mit ihrem Lehrbuch einführen will.  

Die Autorin

Sabina Misoch ist Medienwissenschaftlerin mit den Forschungsschwerpunkten Medien- und Kommunikationssoziologie und Techniksoziologie. Sie hat unter anderem den Einsatz von Neuen Medien in der Hochschullehre und den Beitrag des Internet zur Identitätskonstruktion erforscht und hierzu Studien verfasst. Zurzeit ist Sabina Misoch Oberassistentin am Soziologischen Seminar der Universität Luzern und mit dem europäischen Forschungsprojekt "Education & Technology" im Schnittbereich von Postgraduiertencurriculum und E-Learning befasst.

Inhalt und Aufbau des Buches

Das Buch ist in sieben Hauptkapitel aufgeteilt, von denen sich die ersten beiden mit den Grundlagen computervermittelter Kommunikation beschäftigen.

  • In Kapitel 1 wird der allgemeine Kommunikationsbegriff umfassend erarbeitet: Neben Sprache und Schrift als Zeichensystemen werden verschiedene Medientypen erläutert. Des Weiteren geht die Autorin ausführlich auf verbale und nonverbale Aspekte der Kommunikation, Gestik und Mimik, ein und ergänzt sie durch die Darstellung der Merkmale verschiedener sozialer Kommunikationsformen (interpersonale, Gruppen- und Massenkommunikation). 
  • Das zweite Kapitel geht nun stärker auf die technischen Aspekte ein: Ausgehend von der Darstellung statistischer Eckdaten zur weltweiten und nationalen Internetnutzung werden die aus Sicht der Autorin relevantesten Internetdienste knapp erläutert: E-Mail, WWW, Chat, Filetransfer, MUDs (Multi-User-Dungeons, dabei handelt es sich um textbasierte Online-Rollenspiele), Newsgroups, Homepages, Weblogs. Stärker auf die kommunikative Relevanz zielen danach die Ausführungen zu den charakteristischen Merkmalen computervermittelter Kommunikation (im Vergleich zur Face-to-Face-Interaktion) und bilden somit einen thematischen Rückbezug zu den Inhalten des ersten Kapitels.

Die folgenden drei Hauptkapitel widmen sich den Theorien der Online-Kommunikation, wobei die diskutierten Ansätze nach ihren theoretischen Hintergründen in drei Gruppen eingeordnet werden:    

  • Das dritte Kapitel stellt die erste dieser Gruppen, die so genannten "Medien- und kanalbezogenen Theoriemodelle" dar. Damit sind all diejenigen Ansätze gemeint, welche die verschiedenen Übertragungskanäle des Face-to-Face-Austausches als Grundlage haben, anhand derer sich die Online-Kommunikation analysieren lässt. Namentlich gehören dazu die Theorie der Sozialen Präsenz, das Restriktionsmodell, der "Social Cues Filtered Out"-Ansatz, die Media Richness Theory, die Media Synchronicity Theory, die Theorie der elektronischen Nähe und der Digitalisierungsansatz. Diese werden nacheinander in einem Abriss dargestellt und anhand empirischer Belege diskutiert.
  • Ähnlich aufgebaut ist das vierte Kapitel, welches sich mit den so genannten "Medienwahlmodellen" beschäftigt. Diese Gruppe ist durch die Grundannahme gekennzeichnet, dass Medien aufgrund ihrer verschiedenen Eigenschaften für unterschiedliche kommunikative Zwecke eingesetzt werden und sogar Kommunikationskonventionen zu verändern vermögen. Zur Darstellung und knappen Diskussion gelangen die Modelle der rationalen, sozialen, symbolischen, subjektiven und interpersonalen Medienwahl, die nach dem Schema des vorhergehenden Kapitels einzeln dargestellt und diskutiert werden.
  • Mit dem Kapitel 5 geht es um die "Individuumsbezogenen Ansätze", die letzte Großgruppe der Online-Kommunikationstheorien. Deren jeweilige Abrisse nach Art der vorhergehenden beiden Kapitel befassen sich beispielsweise mit den Möglichkeiten des Einzelnen, über die Online-Kommunikation virtuelle Identitäten zu erschaffen oder dort offener über sich selbst zu berichten als in der direkten Kommunikationssituation ("Selbstoffenbarungen im Netz"). Auch die Darstellung der "Social Information Perspective", des "SIDE"-Modells und der Hyperpersonalen Kommunikation lassen Online-Kommunikation gelingender erscheinen als dies die Gruppe der "Medien- und kanalbezogenen Theoriemodelle" möglich erscheinen ließ. 

Die folgenden beiden Kapitel 6 und 7 befassen sich weniger mit Grundlagentheorien im engeren Sinne als mit den Praxisfeldern der Online-Kommunikation: Sozialen Beziehungen und Sprache.

  • Kapitel 6 befasst sich mit sozialen Beziehungen im Internet, wozu die Autorin Freundschaften, Liebesbeziehungen und virtuelle Gruppen, so genannte "Communities", zählt. Insgesamt zeichnet Misoch anhand empirischer Belege ein recht positives Bild von Online-Kontaktmöglichkeiten und fußt hiermit auf der Perspektive der "Individuumsbezogenen Ansätze" aus dem vorhergehenden Kapitel. Insgesamt möchte die Autorin Online-Kommunikation trotz der pessimistischen Voraussagen der "Medien- und kanalbezogenen Theoriemodelle" im sozialen Bereich als Chance verstanden wissen. Bietet doch beispielsweise die sinnlich restringiertere Form des Austausches ein höheres Potential an Projektionen, was z.B. einzelne Studien über Liebesbeziehungen im Internet belegen. Im weiteren Verlauf geht die Autorin auf Online-Communities ein, deren soziologische Merkmale und mögliche Typen sie erläutert. Auch hier fällt das Urteil der Autorin über die Chancen von Online-Communities unterstützt durch empirische Daten sehr optimistisch aus, sieht sie doch in den virtuellen „Sozialräumen“ neue Formen echter Kommunikation vorliegen. 
  • Im Kapitel 7 werden die Auswirkungen medialer Kommunikation auf die Schriftsprache dargestellt. Schriftsprache im Internet, auch bekannt als „Cyberslang“ oder „Netspeak“, wird von Misoch unter dem Ansatz der "Oraliteralität" oder "konzeptionellen Mündlichkeit" analysiert. Damit ist gemeint, dass sich die formalere Schriftsprache mehr der gesprochenen Sprache und Face-to-Face-Kommunikation annähert. Nachdem die Autorin einige Charakteristika des Cyberspeak dargestellt hat, geht sie anschließend auf die Bedeutung der Online-Kommunikation für die weitere Entwicklung der Sprache ein, wobei sie von einem langfristigen deutlichen Einfluss insbesondere auf die Schriftsprache ausgeht.

In einem abschließenden Teil des Buches werden dem Internet entnommene Dokumente mit Netiquette-Regeln für Chats, Newsgruppen, MUDs und E-Mail unkommentiert abgedruckt.

Hieran schließen sich das Literaturverzeichnis und ein vierseitiges Register an. 

Zielgruppe

Das Buch richtet sich vornehmlich an eine wissenschaftlich ausgerichtete Leserschaft, die sich über die konkurrierenden theoretischen Ansätze in der Erforschung der Online-Kommunikation informieren will. Dazu zählen nach meiner Einschätzung vor allem Studierende der Medien- und Kommunikationswissenschaften, der Soziologie, der (Medien-)Pädagogik und der Psychologie.

Vor allem werden diejenigen Leser/innen wohl einen Gewinn aus dem Buch ziehen, die selbst eine (empirische) Untersuchung im Bereich Internet-Kommunikation planen. Sie finden in der Veröffentlichung eine Orientierung und einen Ausgangspunkt zur Vertiefung anhand der originalen Quellen (zum Thema Literaturnachweise: siehe unten).

Diskussion

Wie eingangs erwähnt, ist die Online-Kommunikation ein sehr weitläufiges Themengebiet. Ein Werk, welches sich als Lehrbuch versteht, muss sich einem wissenschaftlichen Anspruch in Detailfragen stellen wie auch der Aktualität und der Breite des Themas gerecht werden. Sabina Misoch hat mit ihrem Buch eine gut strukturierte Synopse der bestehenden Theorieansätze gegeben, anhand derer sich die kommunikative Nutzung des Internet analysieren und erforschen lässt.

Insgesamt ist die Kenntnis dieser Ansätze für eine tiefere Beschäftigung mit dem Medium Internet bereichernd; erklären sie doch, warum Online-Kommunikation so erfolgreich ist und welche Charakteristiken ihre unterschiedlichen Formen aufweisen.

Was die Analyse der von mir so bezeichneten "Praxisfelder" der Online-Kommunikation - "soziale Beziehungen" und "Sprache" - anbetrifft, hätte ich mir gewünscht, dass der Unterschied zur vorherigen Darstellung der Grundlagentheorien erstens deutlicher akzentuiert worden wäre. Außerdem hätte meines Erachtens die Auswahl durch Themen wie "Gemeinsam Lernen und Lehren in virtuellen Umgebungen" und "Spielen in virtuellen Umgebungen", bzw. durch breitere Ausführungen zu Kommunikationsformen in Weblogs ergänzt werden sollen. Zumal die Autorin bereits zum E-Learning geforscht hat, ist es mir nicht erklärlich, warum sie dieses Thema nur am Rande streift. 

Dass einem die einzelnen Theorieansätze beim Lesen mitunter recht ähnlich erscheinen, ist der Autorin nicht anzulasten; man sollte aber die Bereitschaft mitbringen, sich auf ein genaues Studium der Theorien, ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede, einzulassen. Da die Autorin mit vielen Zitaten und Verweisen arbeitet, liest sich die Veröffentlichung im Stile einer wissenschaftlichen Arbeit, der mitunter nur durch unfreiwillige Komik (z.B. durch die Anregung der Autorin, "Weblogs" als 'Gewebe-Logbücher' zu übersetzen, S. 52 - oder durch den Hinweis, eine Theorie stamme aus Jahre 2002a, S. 123) aufgelockert wird.

Weit kritischer zu bewerten sind aber die handwerklichen Mängel des Buchtextes in anderen Detailfragen: Bei einer oberflächlichen Durchsicht fand ich abgesehen von 9 Druckfehlern ab der ersten Textseite 34 Stellen, an denen zitierte, bzw. referierte Werke im Literaturverzeichnis entweder gar nicht vorhanden waren oder mit abweichenden Jahres-, Seitenzahlen oder Autorennamen angegeben wurden. Andernorts wird der prominente Paul Watzlawick gleich zweimal zum "Watzlawik" (S.8, ein Schicksal, welches seine Koautorin ebenfalls ereilt) oder es heißt zum Kommunikationsmodell, dass der Empfänger die Botschaft "enkodiert" (S. 8, richtig wäre: dekodiert).

Sowohl die leicht anachronistische Tendenz der Autorin, in soziologischen Fragen die Aussagen von Wissenschaftlern des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Weber, Tönnies, Sumner) zugrunde zu legen (z.B. S. 153 ff.) als auch beispielsweise die bruchlose Einreihung Cassirers (S.106) in den Kurzabriss zum Symbolischen Interaktionismus hinterlassen bei mir einen oberflächlichen Eindruck. Ich stieß weiterhin fünfmal auf ein "zitiert nach", was den wissenschaftlichen Anspruch des Textes meiner Ansicht nach etwas dämpft.

Manchmal wäre weniger auch einfach mehr: Man muss beispielsweise nicht eine ganze Seite Gesichtsausdrücke sehen (S. 28), um zu verstehen, was Mimik ist oder den Begriff des Mediums aus Sicht aller Fachwissenschaften bis hin zur Parapsychologie durchdekliniert bekommen (S. 17, das gilt nach meinem Geschmack auch für die unkommentiert abgedruckten Internetquellen mit Netiquette-Regeln).

Was die technische Aktualität des Buches betrifft, drängte sich mir bei der Lektüre des zweiten Kapitels das Gefühl einer gewissen Antiquiertheit auf: Ich hätte in einer aktuellen Veröffentlichung zumindest Begriffe wie "Web 2.0" (welches sich ja durch hohe Interaktivität auszeichnet), "Podcast", "Forum", oder "Wiki" erwartet. Bei der Auswahl der dargestellten "klassischen" Internetdienste (Kapitel 2) frage ich mich dann, ob FTP wirklich in die Riege der Kommunikationsdienste aufgenommen werden sollte, zumal er später auch nicht mehr erscheint. Ob Homepages nicht besser als „kommunikative Vorläufer“ von Weblogs unter dem WWW-Dienst dargestellt werden können, sei dahingestellt. Für die E-Mail-Nutzung braucht man jedenfalls nicht unbedingt mehr spezielle PC-Software (S.45). Vielfach ist die Bedienung über das Web per Browser möglich - was die Autorin ja auch kurz zuvor noch anmerkt. Insbesondere aber erachte ich die Darstellung von telnetbasierten MUDs (S.49) stellvertretend für zeitgenössische Online-Spiele als gewagt: Zwar besitzen derartige MUDs nach meiner Kenntnis immer noch ihre Fangemeinde, doch hat auch hier in den letzten beiden Dekaden eine rasante Entwicklung stattgefunden: Etwa hin zu den äußerst populären "Massive Multiplayer Online Roleplaying Games" (MMORPG, z.B. "World of Warcraft"), in denen zwar auch auf Chatbasis kommuniziert wird, aber neben dem extensiven Grafikeinsatz noch weitere Kommunikationsmöglichkeiten wie das "Teamspeak" zum Einsatz kommen.

Weil gerade Online-Spiele aufgrund von tragischen Anlässen immer wieder in die Schlagzeilen geraten, hätte ich deren differenzierte Diskussion unter dem Kommunikationsaspekt für sehr interessant gehalten. Gerade auch angesichts der mehrmals in den Massenmedien erwähnten Behauptung der Spiele-Verfechter, man trainiere durch das gemeinsame Spielen beispielsweise kooperative Fähigkeiten.

Fazit

Sabina Misoch hat eine strukturierte Übersicht über siebzehn verschiedene Theorieansätze zur Erforschung der Online-Kommunikation vorgelegt und die Auswirkungen des Mediums Internet auf die sozialen Beziehungen und die Sprache dargestellt. Das Buch wendet sich in erster Linie an die wissenschaftlich interessierten Leser/innen, die eine erste Einführung suchen. Praktiker/innen sollten von der Lektüre keine schnellen Rezepte erwarten, wie sie die Kommunikativität und Akzeptanz eines Internetangebotes steigern können.   

Trotz des attraktiven Themas und des konzisen Überblicks über die interessanten Theoriemodelle konnte mich das Buch letztlich nicht überzeugen: Die Beschränkung auf nur zwei Praxisfelder der Online-Kommunikation, die Ausblendung aktueller Entwicklungen und vor allem eine Reihe grober handwerklicher Mängel bei der Erstellung des wissenschaftlichen Textes schränken zumindest aus meiner Sicht die Empfehlung des Buches als Lehrbuch ernsthaft ein.

Rezension von
Dr. Stefan Anderssohn
Sonderschullehrer an einer Internatsschule für Körperbehinderte. In der Aus- und Fortbildung tätig.
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Zitiervorschlag
Stefan Anderssohn. Rezension vom 18.01.2007 zu: Sabina Misoch: Online-Kommunikation. UTB (Stuttgart) 2006. ISBN 978-3-8252-2835-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4219.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.


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