Frances F. Kaplan: Art Therapy and Social Action
Rezensiert von Prof. Dr. Lisa Niederreiter, 12.06.2007

Frances F. Kaplan: Art Therapy and Social Action.
Jessica Kingsley Publishers
(London N1 9JB) 2006.
272 Seiten.
ISBN 978-1-84310-798-9.
£18.99/US$29.95.
Thema
Das Zusammenbringen und Zusammenwirken von Kunst und Therapie ist mittlerweile allgemein geläufig geworden: Kunsttherapie als Interventionsform bei individuellen Problemlagen und Störungen überwiegend in klinischen und therapeutischen Settings mit Kindern und Jugendlichen wie Erwachsenen. Noch ungewohnter und weniger verbreitet scheint die Kunsttherapie als soziale Interventions- und Aktionsform. Obwohl es auch hierzu u.a. unter dem Stichwort "Kunst im Kontext" immer wieder Projektbeschreibungen und Veröffentlichungen gab und gibt. Das hat sicher mit der Tradition der konzeptuell ohnehin sehr vielfältig agierenden kunsttherapeutischen Landschaft zu tun, die ihre Wirkungszusammenhänge überwiegend individuumzentriert herleitet und ausrichtet.
Die als Wissenschaftlerin und Praktikerin bekannte Herausgeberin des vorliegenden englischsprachigen Bandes Frances Kaplan spricht in diesem Zusammenhang in ihrer Einleitung sogar von einer Art Widerspruch der Begriffe art therapy und social action. Mit diesem Buch unternimmt sie den Versuch, Kunsttherapie und ihre soziale Wirkung wie gesellschaftliche Bedingtheit zusammenzudenken und erste konzeptuelle Ideen hierfür bereitzustellen. Sie macht dabei deutlich, dass viele Vertreter der Kunsttherapie mit ihren Projekten und Aktionen auch früher schon gesellschaftliche Veränderungsprozesse angestrebt oder klassische Settings verlassen haben, bzw. die Kunsttherapie auch die soziokulturelle Bedingtheit von individuellen Problemlagen mitgedacht hat. Nur wurden diese Aspekte teils beiseite gelassen, bzw. nicht benannt und auch nicht systematisiert. Frances Kaplan möchte mit diesem Band erste Grundlagen hierfür legen.
Aufbau und Inhalt
- Kapitel 1 des Buches beinhaltet zwei Beiträge zur Erweiterung der therapeutischen Rolle um die soziale Komponente, wobei Dan Hocoy einen ersten konzeptuellen Rahmen für die Kunsttherapie als soziale Interventionsform legt. Maxine Borowsky stellt dieses Thema eher aus der Perspektive ihrer kunsttherapeutischen Berufsbiographie dar, die gleichzeitig immer die einer Sozialaktivistin war.
- Kapitel 2 zeigt in einer intensiven Weise die beiden Seiten eines gemeinwesenorientierten Maskenprojekts für wohnsitzlose Menschen in Illinois auf. Pat B. Allen beschreibt in ihrem ersten Beitrag die Entwicklung und Durchführung des Projekts und stellt erste Ergebnisse vor, in ihrem zweiten Text dagegen reflektiert sie sehr persönlich, auch durchaus selbstkritisch die eigene persönliche Involviertheit in dieses Projekt und ihre Funktion der Zeugenschaft.
- Teil 3 beinhaltet zwei Ausätze zur Konfliktlösung. Ersterer von der Herausgeberin selbst bietet theoretische Bausteine zum Thema, während Anndy Wiselogle ein methodisch interessant aufgebautes Trainingsprogramm zur Konfliktlösung und Mediation vorstellt und beschreibt.
- Teil 4 versammelt drei sehr unterschiedliche Berichte kunsttherapeutischer Arbeit zu Gewalt und Aggression: Zuerst ist ein Trainingsprogramm für Klienten einer Psychiatrie von Mariam Liebmann aufgeführt, dem dichte Fallbeschreibungen kunsttherapeutischer Arbeit von David E. Gussack folgen, der die Aggressionsproblematik seiner Klienten auf der Basis des symbolischen Interaktionismus angeht. Rachel Citron O«Rourke stellt zuletzt ein an die breite Öffentlichkeit gerichtetes künstlerisches Projekt zu Gewaltproblematik mit Schusswaffen vor.
- Kapitel 5 ist dem Umgang mit Traumatisierung gewidmet, wobei Annette Shore am Beispiel einer persönlichen traumatischen Erfahrung grundsätzliche Gedanken zu Trauma in seiner globalen politischen Kontextualisiertheit entwickelt. Rachel Lev-Wiesel gibt Einblicke in die künstlerische Arbeit als Antwort auf den beinahe alltäglichen Terrorismus im Nahen Osten.
- Das 6. und letzte Kapitel des Bandes umfasst drei Artikel zu kunsttherapeutisch/künstlerischen Projekten, welche unter dem sehr weit zu interpretierenden "community"-Begriff zusammengefasst werden, und die Verständigung und Integration in einer multikulturellen, pluralen Gesellschaft zum Ziel haben.
Zielgruppen
Dieses Buch stellt eine Bereicherung für praktisch tätige Kunsttherapeuten und fortgeschrittene Studierende der Kunsttherapie zur Erweiterung und/oder Präzisierung ihrer Methodik besonders hinsichtlich ihrer von überwiegend sozialen Problemlagen und oder politischer Verfolgung betroffenen Klientel dar.
Mit zunehmenden gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und deren problematischen Auswirkungen auf das Leben Einzelner und ganzer Gruppen hilft dieser Band, den individuumszentrierten Blick zu öffnen, neue Handlungsfelder zu erschließen und hierfür neue künstlerische/kunsttherapeutische Strategien und Interventionsformen zu entwickeln.
Diskussion
Frances F. Kaplan versammelt in ihrem englischsprachigen Band Art Therapy and Social Action zahlreiche, teils sehr interessant zu lesende Projektbeispiele, Trainingsprogramme und Kunstaktionen zu Themen mit überwiegend politischer/gesellschaftlicher Brisanz oder Provenienz in einem internationalen Kontext. Damit öffnet sie den Blick der mehrheitlich noch subjektorientiert und individuumszentriert agierenden klassischen Kunsttherapie um ihre Bedeutung als soziale Interventions- und Aktionsform. Zum einen erreicht sie dies durch die Vorstellung sehr vielfältiger zielgruppen- und gemeinwesenorientierter Ansätze, Trainingsprogramme und Projekte zu dezidiert gesellschaftlich (politisch) bedingten Problemlagen (Trauma, Wohnsitzlosigkeit, Terrorismus, Aggression, Interkulturalität). Zum anderen geht es um die Benennung und Bewusstmachung der ohnehin bereits existierenden sozialaktivistischen Seite innerhalb der Kunsttherapie. Dazu bieten einige Aufsätze erste konzeptuelle Überlegungen und theoretische Orientierungen.
Fazit
Trotz der insgesamt sehr breitgefächerten, praxisrelevanten und lesenswerten Bandbreite von kunsttherapeutischen Interventionsmöglichkeiten und -formen angesichts sozial(politischer) Problemlagen mit Einzelnen, Gruppen und in Sozialräumen kommt eine theoriegeleitete Begründung und Konzeptualisierung gesellschaftspolitisch orientierter Kunsttherapeutik etwas kurz. Reich sind einzelne Beiträge an biographischen Motivationen, Hintergründen und Betroffenheiten für die soziale Ausrichtung der eigenen kunsttherapeutischen Haltung und Methodik. Das ist durchaus erhellend, lässt jedoch mitunter den Wunsch nach einer allgemeineren systematischen Orientierung und konzeptuellen Perspektivbildung aufkommen, der nur bedingt eingelöst wird.
Rezension von
Prof. Dr. Lisa Niederreiter
Kunst- und Sonderpädagigin, Kunsttherapeutin, Künstlerin
Professorin an der Hochschule Darmstadt, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit
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