Walter Lorenz: Perspectives on European Social Work. From the birth of the nation state to the impact of globalisation
Rezensiert von Prof. Dr. Ludger Kolhoff, 01.07.2007
Walter Lorenz: Perspectives on European Social Work. From the birth of the nation state to the impact of globalisation. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2006. 199 Seiten. ISBN 978-3-86649-008-6. 16,90 EUR.
Entstehungshintergrund
Walter Lorenz ist Deutscher. Er hat als Sozialarbeiter in London gearbeitet und Sozialarbeit in der Irischen Republik unterrichtet. Zurzeit lehrt er als Professor in Bozen/ Italien. Er bezieht sich in diesem Buch u. a. auf Aufsätze aus den Jahren 1998, 1999 und 2001, die er in verschiedenen Zeitschriften und Sammelbänden publiziert hat.
Thema
Für Walter Lorenz werden Lehre und Praxis in der Sozialen Arbeit zurzeit durch zwei Entwicklungen bestimmt: erstens den Bologna-Prozess, in dessen Kontext eine Koordination der Hochschulausbildungssysteme erfolgt und zweitens die Europäische Dienstleistungsrichtlinie (European Directive on Services in the Internal Market (CEC 2009), in deren Kontext eine Mobilität von Dienstleistungen auch im sozialen und im Gesundheitsbereich propagiert wird und in der Folge nationale und transnationale Dienstleistungsanbieter ihre Qualitätsstandards abstimmen und definieren.
Auf diesem Hintergrund geht es in dem Buch um die Analyse der Bedeutung kultureller Diversität und der sozialen Konstruktion von Identität für soziale Prozesse im Allgemeinen und für Soziale Arbeit im Besonderen.
Aufbau …
Walter Lorenz widmet sich dem Thema in 9 Kapiteln:
- The diversity of social professions in Europe - origins and
significance
- Nation state and social work
- Welfare regimes and the practice of social citizenship
- Minorities and cultural diversity - challenges to the nation state project
- Culture and identity in generic social work practice
- Intercultural communication in social work practice - ethics and politics
- Social pedagogy - a hermeneutic paradigma for social work research and practice
- Digital capitalism and globalisation - challenges for social work in Europe
- Neo-liberal politicies - prospects for social work
… und Inhalt
Das Buch behandelt sechs verschiedene Ebenen:
- Erstens wird aufgezeigt, dass soziale Kohäsion und Integration in der europäischen Gesellschaft auf dem Hintergrund von Gemeinsamkeiten der Mitglieder der Gemeinschaft erfolgt. Diversität, ob kultureller, ethnischer oder anderer Art, ist nach Ansicht von Walter Lorenz entscheidend für die Vitalität einer Gesellschaft. Wenn man sich allerdings einerseits auf Diversität bezieht, so gibt es auf der anderen Seite die Gefahr der Marginalisation und der Exklusion. Der Kommunikationsprozess der interkulturellen Kommunikation muss deshalb für Lorenz durch Regeln und einklagbare Rechte determiniert werden. Die Strukturen können seiner Ansicht nach nur in einem historischen Kontext verstanden werden.
- Die zweite Ebene ist folglich für ihn die historische Entwicklung der sozialen Institutionen.
- Drittens geht es für ihn um politisch-historische und kulturelle Prozesse, die dem sozialen Sektor seinen besonderen Charakter geben. In diesem Kontext gibt es eine Vielfalt von Profilen, Titeln, Ausbildungstraditionen und Tätigkeitsformen im europäischen Raum.
- Die vierte Ebene bezieht sich auf historische Entwicklungslinien im Kontext der Sozialen Arbeit, ihrer Epimistologie und Mythologie.
- 5. Fünftens geht es um das ausgewogene Verhältnis von Ökonomie und Ethik in der Sozialen Arbeit und Forschung und
- sechstens um eine Analyse von Trends in der sozialen Politik in Europa auf dem Hintergrund der Globalisation.
Diskussion
Das Buch lässt mich etwas ratlos zurück. Wenn man sich in die Praxis der Sozialen Arbeit in Europa begibt, so stellt man fest, dass die Probleme und Handlungsansätze ähnlich sind, obwohl sich die Strukturen unterscheiden. Es stellt sich die Frage, ob es zu einer Angleichung dieser Strukturen kommt oder diese Unterschiede bestehen bleiben. Walter Lorenz entwickelt die zwar angekündigten Perspektiven oder Visionen für die europäische Sozialarbeit leider nicht.
Vollkommen ausgeklammert bleibt das Ost-West-Verhältnis. Spätestens im Rahmen der Freizügigkeit der 2004 beigetretenen EU-Mitglieder im Jahre 2011 wird es zu Verschiebungen kommen. Diese sind jetzt schon abzusehen und exemplarisch in Deutschland zu studieren. Es kommt zu einer Entvölkerung ganzer Landesteile, in denen sich dann soziale Probleme ballen (Überalterung, schlecht qualifizierte Männer, die weder auf dem Arbeits- noch auf dem Heiratsmarkt eine Chance haben, da die gut qualifizierten jungen Frauen gegangen sind. Es blieben die Rentner und die schlecht Qualifizierten mit einem überproportionalen Anteil von Männern.) Dieses Phänomen ist beispielsweise im Mecklenburg-Vorpommern zu beobachten. Diskutiert wird eine Renaturierung ganzer Landstriche, ein Rückbau und eine Alimentierung ganzer Regionen. Es stellt sich die Frage, ob ähnliche Entwicklungen auch im Osten Europas zu erwarten sind. Ich hätte an vielen Stellen des Buches gerne ausführlich aus der Praxis gegenargumentiert, aber dies würde den Rahmen einer Rezension sprengen. Derartige praxisbezogene und visionäre Fragestellungen werden nicht aufgeworfen. Stattdessen erfolgt eine Zusammenfassung der soziologischen und politologischen Diskussionen, die durch historische Würfe komplementiert wird. Doch ehrlich gesagt, wen bringen diese Theoriediskurse weiter? Nicht die Praktiker der Sozialen Arbeit und auch nicht die Studierenden. Bestenfalls ist es ein weiteres komplex und fleißig erarbeitetes Puzzlestück in einem akademischen Diskurs.
Fazit
Das Buch ist in englischer Sprache geschrieben und eher an eine europäische Zielgruppe gerichtet. Der Text ist akademisch formuliert und wendet sich hauptsächlich an ein mit akademischen Vorkenntnissen ausgestattetes Publikum.
Rezension von
Prof. Dr. Ludger Kolhoff
Professor für Soziales Management und Leiter des Masterstudiengangs „Sozialmanagement“ an der Fakultät Soziale Arbeit der Ostfalia (Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel). Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialmanagement/Sozialwirtschaft an Hochschulen e. V.
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Zitiervorschlag
Ludger Kolhoff. Rezension vom 01.07.2007 zu:
Walter Lorenz: Perspectives on European Social Work. From the birth of the nation state to the impact of globalisation. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2006.
ISBN 978-3-86649-008-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4267.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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