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Maria S. Rerrich: Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen [..]

Rezensiert von Dr. Elke Schön, 21.02.2007

Cover Maria S. Rerrich: Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen [..] ISBN 978-3-936096-67-5

Maria S. Rerrich: Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten. Hamburger Edition (Hamburg) 2006. 168 Seiten. ISBN 978-3-936096-67-5. 16,00 EUR.

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Einführung in das Thema

Die Alltagsarbeit in privaten Haushalten findet gesellschaftlich unsichtbar und ohne sonderliche Anerkennung statt. Die Zuständigkeit für Alltagsarbeit wird nach wie vor den Frauen zugeschrieben. Diese Hartnäckigkeit im Geschlechterverhältnis erfordert von Frauen Mehrarbeit im Privaten. Berufliche und lebensweltliche Anforderungen in der alltäglichen Lebensführung vereinbaren zu müssen, stellt für sie individuell ein äußerst schwieriges Unterfangen dar. So gibt es eine große Nachfrage nach entlastenden Dienstleistungen. Wer es sich leisten kann, überlässt die häusliche Alltagsarbeit, und hier besonders das Putzen, weniger privilegierten Frauen, die aufgrund ökonomischer Notlagen derart den Unterhalt für sich und ihre Angehörigen verdienen müssen. Diese Praxen haben neue Muster sozialer Ungleichheit und Abhängigkeit zwischen Frauen entstehen lassen.

Nach Schätzungen beschäftigen in Deutschland mehr als 4 Millionen Privathaushalte regelmäßig oder gelegentlich eine Putz- oder Haushaltshilfe. Nur etwa 40.000 dieser häuslich Beschäftigten sind sozialversichert. Es wird angenommen, dass die unsichtbare große Mehrheit der häuslich Beschäftigten Frauen aus aller Welt sind, die als Transmigrantinnen und illegale Migrantinnen in deutschen Haushalten arbeiten.

Dieses Phänomen verweist auf einen engen Zusammenhang von Globalisierungsgeschehen, Geschlecht und sozialer Ungleichheit, der jedoch von Gesellschaft und Politik eher tabuisiert als diskutiert wird. Die Arbeitsbedingungen, Lebenslagen und Lebensführungen der betroffenen Gruppe von Frauen blieben so bislang im Dunkeln.

Anliegen der Autorin

Die Autorin Maria S. Rerrich, die seit über 15 Jahren als Expertin in der Thematik intensive Forschung betreibt, möchte mit ihrer Veröffentlichung vor allem "Arbeit und Leben ausländischer Putzfrauen in Deutschland" sichtbar machen. Es geht ihr dabei nicht um die Aufdeckung spektakulärer Skandalfälle, sondern um das Aufzeigen der unauffälligen - gesellschaftlich gebilligten - Normalfälle. Darüber hinaus ist ihr die (Wieder-)Entfachung eines öffentlichen geschlechterpolitischen Diskurses über den gesellschaftlichen Stellenwert der Gestaltung von Alltagsarbeit wichtig.

Angesprochene Zielgruppen

Die Veröffentlichung richtet sich nicht nur an ein akademisches Lesepublikum. Mit verständlicher Sprache soll ein möglichst breiter Kreis von Lesenden erreicht werden. Die Autorin möchte vor allem "Sehhilfe" geben und "den Blick schärfen" für die Arbeits- und Alltagsbedingungen "cosmobiler" Migrantinnen, die deutsche Wohnungen putzen.

Aufbau

  • In der Einleitung werden beispielhaft unterschiedliche Biografien von "zwei Putzfrauen in Deutschland, die für viele stehen", anonymisiert vorgestellt (Teil I).
  • Es folgen Informationen zur Geschichte der häuslichen Beschäftigung (Teil II) und
  • zu heutigen Strukturen von Haushalten, Wohnungen, ArbeitgeberInnenhaushalten, sowie differenzierende Angaben zu den Putzfrauen (Teil III).
  • Kern der Veröffentlichung sind meines Erachtens die Teile IV bis VIII. Hier thematisiert die Autorin - auch unter Rückgriff auf die einführend vorgestellten 2 Biografien - ihre Ermittlungsergebnisse zu Arbeits- und Alltagsbedingungen, sowie zu Handlungspotenzialen und Lebensführungen der putzenden Frauen im Konkreten und betrachtet:
    • wie Frauen aus aller Welt den Weg in deutsche Haushalte finden (Teil IV);
    • das Alltagsleben dieser Frauen in Deutschland (Teil V);
    • ihre Erfahrungen mit Arbeitgeberinnen / Arbeitgebern (Teil VI);
    • das Leben und Arbeiten in der Schattenwelt der Illegalität (Teil VII);
    • die weltweiten Verknüpfungen von Alltagsabhängigkeiten zwischen Frauen (Teil VIII).
  • Ein Plädoyer für eine Repolitisierung des Privaten schließt unter der Fragestellung "Und ewig so weiter?" die Veröffentlichung ab (Teil IX).
  • Im Anhang finden sich: eine umfangreiche, thematisch gegliederte Auswahlbibliographie; Informationen zu "Haushaltshilfen in der gesetzlichen Unfallversicherung" und eine "Danksagung" der Autorin, aus der sich auch ihre Motivation und ihr persönliches Engagement herauslesen lassen.

Inhalt

Maria S. Rerrich greift in ihrer Veröffentlichung - trotz eigenen Unbehagens - auf den Begriff "ausländische Putzfrauen" zurück, weil er in der Alltagssprache so verwendet und verstanden wird. Dass sie uns Befunde über das "Leben und Arbeiten ausländischer Putzfrauen" präsentieren kann, ist ihrem methodischen Vorgehen zu verdanken. Zu diesem gelangte sie schrittweise. In der Veröffentlichung erwähnt sie an mehreren Stellen diesen Prozess. Ich möchte ihn wegen des besonderen Erkenntnisgewinns hier kurz nachvollziehen.

Maria S. Rerrich erarbeitete ihre Momentaufnahme im Rahmen ethnografisch angelegter Feldforschung, zu der sie erst finden musste. Voraus gingen Untersuchungen über familiale Hilfsnetzwerke. Darüber entdeckte sie die Phänomene von weltweiter Mobilität, illegaler Aufenthalte und Schwarzarbeit in privaten Haushalten. Sie führte dann Interviews mit Experten und Expertinnen aus sozialer Arbeit, Politik und Gewerkschaften. Das Vorhaben einer empirischen Untersuchung gab sie auf, weil ihr bewusst wurde, dass illegal Arbeitende, die ständig in Angst vor Entdeckung und Ausweisung leben müssen, kaum bereit zur Auskunft sind und nicht mit standardisierten Methoden befragt werden können. Stattdessen suchte sie Zugang zu den "cosmobilen" putzenden Frauen über informelle Zusammenhänge und begann mit ihnen den Dialog, führte Gespräche, die sie anschließend mit Feldnotizen dokumentierte. Es waren diese Gespräche, sowie teilnehmende Beobachtungen, Recherchen und die Unterstützung des Hamburger Instituts für Sozialforschung während mehrerer Gastaufenthalte, die bahnbrechend wirkten und zu profunden ersten Ergebnissen führen konnten.

Nur mit dieser methodischen Herangehensweise konnte es Maria S. Rerrich auch gelingen, die soziale Gruppe "ausländischer Putzfrauen" als handelnde Subjekte mit eigenem Einschätzungs- und Urteilsvermögen, eigenen Bedürfnissen, Interessen, Potenzialen und Netzwerken sichtbar werden zu lassen. Ihre Aufmerksamkeit gilt den "cosmobilen" Frauen, die in deutschen Privathaushalten gegen Bezahlung putzen, die irgendwie hierher kommen und irgendwie wieder verschwinden, über deren Leben und Überleben wir nichts wissen. In dieser Gruppe gibt es Transmigrantinnen und illegale Migrantinnen, die Rerrich als prototypische Vertreterinnen des Globalisierungsgeschehens ausmacht.

Aus der Fülle der von Maria S. Rerrich präsentierten Befunde möchte ich hier einige mir besonders prägnant erscheinende Erkenntnisse zu Arbeitssituation, Lebenslagen und Lebensführungen cosmobiler Frauen herausgreifen.

Die cosmobilen Frauen, die in deutschen Metropolen (hier: München und Hamburg) in Privathaushalten putzen, kommen in der Mehrheit aus Osteuropa und Latein- und Mittelamerika. Sie verfügen häufig über eine gute Ausbildung, Schlüsselqualifikationen und eine gute körperliche Verfassung, wenn sie in einem deutschen Haushalt zu putzen beginnen. In der Selbsteinschätzung beurteilen die Frauen sich als "stark, optimistisch und belastbar". Sie tragen ihre Arbeitskraft weltweit zu Markte, weil sie sich in den eigenen Gesellschaften in Notlagen befinden. Leben und Arbeiten in der Illegalität scheint oft der einzige - als Übergangsphase oder Sprungbrett gedachte - Ausweg zu sein, um die eigene ökonomische Situation (sowie die der Angehörigen) zu verbessern. Die Frauen zeigen eine ausgeprägte Gegenwartsorientierung, die Rerrich als "Ressource im Sinne eines Selbstschutzes vor einem Übermaß an Problemen" interpretiert. Als biografische Ressourcen bringen sie Fähigkeiten wie Subsistenzorientierung, Dienstleistungstraditionen, große Mobilität und Flexibilität mit. Das veranschaulichen die beiden beispielhaften Biografien von Maria Nowak und Celina Gonzales. In ihrem Alltagsleben in Deutschland, das aufgrund vieler Widrigkeiten ständige kreative Improvisation und Neugestaltung erfordert,  haben die eigenen ethnischen Netzwerke und Milieus größte Bedeutung. Diese Netzwerke müssen sich in Krisensituationen als verlässlich, tragfähig und belastbar erweisen. Dort schaffen die Frauen sich über gemeinsame Eigeninitiative Rahmenbedingungen für ihr Überleben in Deutschland: Frauen finden Aufnahme bei Wohnproblemen und Hilfe im Krankheitsfall, bei der Betreuung eigener Kinder oder beim Beschaffen falscher Papiere. Hier werden untereinander Arbeitsstellen weiter vermittelt, kulturelle Praxen in den Muttersprachen gepflegt und öffentliche Räume - wie etwa Parkanlagen - für eigene Belange umfunktioniert. Die Frauen verstehen es nicht nur ihren eigenen Alltag im Schattenleben Deutschlands zu meistern, sie entwickeln ebenso kreative und mobile Strategien, den Alltag ihrer Kinder oder Angehörigen in den Heimatländern zu managen.

Deutsche Privathaushalte zeigen eine rege Nachfrage nach ausländischen Putzfrauen. Gefordert wird ein flexibler den Zeitstrukturen der Haushalte angepasster Einsatz, räumliche Nähe und Beständigkeit. Das harte Arbeiten in der Illegalität ist für die putzenden Frauen mit gravierenden Risiken verbunden: Ein einziger Putzjob reicht nicht zum Überleben, in der Regel wird in mehreren solcher oder anderer Jobs gleichzeitig gearbeitet. Von den Arbeitgeberinnen fühlen sich die Frauen häufig schlecht behandelt "im Sinne von Gedankenlosigkeit, eigener Bequemlichkeit und Rücksichtslosigkeit". In der Schattenwelt der Schwarzarbeit, die unter "quasifeudalen Bedingungen" statt findet, kommen Regelungen des Arbeitsrechts und der Gesetzgebung (z.B. Kündigungsschutz, Recht auf bezahlten Urlaub, Versicherungspflicht, Recht auf sexuelle Unversehrtheit) nicht zur Geltung und werden missachtet. Nach wenigen Jahren leiden die meisten Frauen bereits an gesundheitlichen Beschwerden, jedoch erhalten sie keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Sie erwerben auch keine Rentenansprüche.

Diskussion und Fazit

Maria S. Rerrich fordert in ihrer politischen Bewertung im wesentlichen auf zwei Ebenen gesellschaftliche und politische Initiative ein:

  1. Im Interesse der cosmobilen Haushaltshilfen sind endlich Arbeits- und Menschenrechte, sowie ein politischer Status zu gewähren. Hier zeigt sich ein dringender politischer Handlungsbedarf. Gegenwärtige Politik hat die Arbeitskraft dieser Frauen im beobachteten Zuschnitt - so Rerrich - billigend (das "dirty little secret") verfügbar gehalten.
  2. Eine Repolitisierung des Privaten - Strukturen der Alltagsarbeit sind gesellschaftlich neu zu verhandeln und zu gestalten. Die Dienstbotenfrage des 21. Jahrhunderts lässt sich nach Rerrich nicht mehr als "reine Frauenfrage" thematisieren. Vielmehr muss die Konfliktlinie, die in dieser Frage "zwischen wohlhabenderen einheimischen Frauen und Männern und Frauen anderer sozialer Schichten und Nationen" besteht, politisch wahrgenommen und angegangen werden.

Das engagierte Plädoyer Maria S. Rerrichs spricht eine deutliche Sprache, ihm ist unbedingt zuzustimmen. Insgesamt kann diese Veröffentlichung als wichtiger Beitrag zur Wiederentfachung eines öffentlichen Diskurses über den gesellschaftlichen Stellenwert der Gestaltung von Alltagsarbeit, speziell der Putzarbeit, bewertet werden.

Das Erkenntnisinteresse der Autorin galt primär der Sichtbarmachung der sozialen Gruppe der cosmobilen putzenden Frauen und ihren Arbeits- und Überlebensleistungen in Deutschland. Hierzu hat sie - über ethnografisch angelegte Feldforschung - erste stichhaltige Befunde vorgelegt. Das Thema hätte längst von den Sozialwissenschaften aufgegriffen werden müssen. Am Beispiel der "ausländischen Putzfrauen" lässt sich, wie Maria S. Rerrich aufzeigt, das Zusammenspiel der klassischen Trias der Ungleichheitsforschung "class, race, gender" gut studieren.

Wünschenswert wäre aus meiner Sicht eine eben solche ambitionierte Erforschung und Sichtbarmachung der Schattenwelt deutscher putzender Frauen mit sogenannter geistiger Behinderung. Auch diese soziale Gruppe putzender Frauen in Privathaushalten wurde bislang von Gesellschaft und Politik ignoriert, bzw. billigend verfügbar gehalten.

Rezension von
Dr. Elke Schön
Sozialwissenschaftlerin
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Es gibt 14 Rezensionen von Elke Schön.

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Zitiervorschlag
Elke Schön. Rezension vom 21.02.2007 zu: Maria S. Rerrich: Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten. Hamburger Edition (Hamburg) 2006. ISBN 978-3-936096-67-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4270.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.


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