Kitty Cassée: [...] Eine Methodik für die Kinder- und Jugendhilfe
Rezensiert von Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt, 16.10.2007
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Kitty Cassée: Kompetenzorientierung. Eine Methodik für die Kinder- und Jugendhilfe. Ein Praxisbuch mit Grundlagen, Instrumenten und Anwendungen. Haupt Verlag (Bern Stuttgart Wien) 2007. 319 Seiten. ISBN 978-3-258-07157-2. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR, CH: 48,00 sFr.
Thema
Ob durch den wachsenden Handlungsdruck auf die Systeme Sozialer Arbeit, insbesondere auch die Kinder- und Jugendhilfe, oder "nur" durch die Einführung von Fall- bzw. Case-Managements-Routinen bedingt - weshalb der Bedarf an Unterstützungen für ein systematische(re)s Arbeiten offenbar wächst, mag dahingestellt sein: Jedenfalls ist in der jüngeren Zeit einiges Hilfreiches hierzu veröffentlich worden (vgl. z. B. Nora van Riet und Harry Wouters: Case Management. Ein Lehr- und Arbeitsbuch über die Organisation und Koordination von sozialen Dienstleistungen, Luzern 2002 (vgl. die Rezension); Peter Löcherbach u. a. (Hrsg.): Case-Management. Fall- und Systemsteuerung in Theorie und Praxis, München 2005 (vgl. die Rezension); Michael Ewers und Doris Schaeffer (Hrsg.): Case Management in Theorie und Praxis, Bern u. a. 2005 (vgl. die Rezension); Franz Stimmer: Grundlagen des methodischen Handelns in der sozialen Arbeit, 2. überarb. erw. Aufl. Stuttgart 2006 (vgl. die Rezension); Heiko Kleve u. a.: Systemisches Case Management. Falleinschätzung und Hilfeplanung in der Sozialen Arbeit, Heidelberg 2006 (vgl. die Rezension).
Autorin
Kitty Cassée lehrt als Professorin an der Hochschule für Soziale Arbeit in Zürich (Schwerpunkte: Kinder- und Jugendhilfe, Sozialpsychologie, Sozialisationstheorie, Theorien sozialer Probleme, Professionalisierung, Handeln in sozialen Organisationen, Konzeptentwicklung und Methoden, Sozialarbeitsforschung) und leitet dort den Masterstudiengang Kinder- und Jugendhilfe.
Zum Inhalt
Wie der Haupt-Verlag in einer die Publikation begleitenden Mitteilung ausführt, lernte Kitty Cassée "im Rahmen eines Bildungsurlaubs" in den Niederlanden das so genannte Kompetenzmodell kennen, das (als Kompilation von Instrumenten und Verfahren, die Alltagsbewältigung von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern zu stärken) sich dort und in den USA seit über 30 Jahren als theoretisch gut abgestützte und breit evaluierte Methodik in der Kinder- und Jugendhilfe bewährt habe. Die Autorin hat es für den deutschsprachigen Raum weiterentwickelt und in dieser Veröffentlichung erstmals zusammengefasst. Sie stellt die fachlichen Grundlagen dieser Methodik dar, gibt einen Überblick über die zentralen Instrumente und macht Ausführungen zu konkreten Anwendungen in der Arbeit mit Familien, in stationären Settings, in der ambulanten Arbeit und in der Arbeit mit Gruppen:
- Cassées Darstellung beginnt mit einer präzisen Aufarbeitung der Grundlagen (S. 23 - 78): In diesem Abschnitt klärt die Autorin zum Beispiel unter Rückgriff auf Diskussionsstand und Referenztheorien (Lern- und Selbstbestimmungskonzepte) den zugrunde gelegten Kompetenzbegriff ("Kompetenz ist die Bündelung von Fähigkeiten und verfügbaren Ressourcen in Form von adäquatem Verhalten in einer konkreten Situation", S. 43), äußert sich zur Relevanz von Instrumenten in der Methodik der Kinder- und Jugendhilfe (wobei sie auch an dieser Stelle durchaus kritische Einwände gelten lässt)und plädiert für ein Zyklusmodell im Hilfeprozess und eine integrative psychosoziale Diagnostik.
- Im zweiten Teil (S. 83 - 214) lässt die Autorin eine ausführliche Darlegung der von ihr präferierten Instrumente folgen, die sie in den Zyklus des Hilfeprozesses eingebettet sieht. Sie präsentiert dabei schrittweise unter anderem analytische Verfahren der Globalanalyse zum Basissystem des/der Hilfesuchenden sowie Instrumente der diagnostischen Kompetenzanalyse und widmet sich nachhaltig dem Hilfeplanverfahren. Gründlich wendet sich Kitty Cassée anschließend den Aspekten der Intervention zu, wobei sie auch die Probleme im Prozess (den Umgang mit internen Stressoren bzw. Alltagsproblemen) thematisiert. Auch sie sieht Diagnose und Intervention als "Hauptprozesse" (S. 201).
- erschiedene Anwendungsverfahren stellt Cassée im dritten Teil (S. 219 - 280) vor: zum Beispiel die Kompetenzorientierte Fallarbeit (eine schweizerische Adaption des niederländischen Families-First-Konzepts) oder den Ansatz der Kompetenzorientierung in der (herkunfts-) familienfernen Unterbringung (KOSS), das ebenfalls in den Niederlanden begründet wurde. Wenn auch an dieser Stelle etwas zu knappe Hinweise zur Evaluation von Hilfeprozessen ("Evaluationen sind ein fester Bestandteil einer Methodik", S. 193) fehlen nicht. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Autorin in einer kurzen Darstellung auch danach fragt, welche spezifischen Fähigkeiten (sie spricht von "Basisqualifikationen") Professionelle generell mitbringen müssen, um - unabhängig von der gewählten Methodik und dem angewendeten Instrument - fallgerecht und nachhaltig tätig sein zu können; insbesondere systematischer Beobachtung und Gesprächsführung widmet sie ergänzende Bemerkungen (S. 200 - 214).
- Ein Anhang mit einer tabellarischen Übersicht zu den Entwicklungsaufgaben von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Eltern sowie einem recht ausführlichen Literaturverzeichnis und sparsamen LINK-Verweisen zu Forschungs- und Evaluationsstudien (S. 282 - 314) rundet die Publikation ab.
Zielgruppen der Publikation
Mithilfe des Bandes sollte es Verantwortlichen in Praxisorganisationen der Kinder- und Jugendhilfe möglich sein, einen Implementierungsentscheid für die im Buch vorgestellte Methodik zu fällen sowie Bausteine der Methodik schrittweise einzuführen. Praktikerinnen und Praktiker der Kinder- und Jugendhilfe ihrerseits können mithilfe des Handbuches ihr Wissen und Können erweitern und gezielt auf ihre Aufgaben in Diagnoseprozessen, Interventionen und Evaluationsprojekten ihres Praxisbereiches anpassen. Studierende der Sozialen Arbeit und (Sozial-) Pädagogik schließlich finden hier einen systematischen Zugang zu aktuellen Instrumenten und Hinweise auf hilfreiche und bewährte Methoden und Techniken.
Diskussion
Der vorliegende Band ist ein Handbuch für die Praxis, stellt deshalb die theoretischen Bezüge bewusst in knapper und schematischer Form dar und legt das Schwergewicht auf die Instrumente und die praktischen Anwendungen. Die Publikation besticht dabei vor allem durch eine sehr systematische Gliederung, die didaktisch wie argumentativ wohl durchdacht Novizinnen und Novizen der Kinder- und Jugendhilfe als auch "alten Hasen" Unterstützung im Zugang bzw. in der Bewältigung des Alltags geben kann. Zahlreiche strukturstärkende und die Zusammenhänge verdeutlichende Grafiken und Schaubilder helfen bei der Orientierung und der Identifikation der Zusammenhänge im Hilfezyklus.
Die Verweise auf Literatur und vergleichbare Verfahren sind durchweg sehr hilfreich und der Bezug zu den Niederlanden und der Schweiz auch für die doch anderen Konfigurationen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland erweist sich als stets angemessen.
Sehr erfreulich ist es, dass die zentralen Arbeitsmaterialien, Checklisten, Grafiken etc. als PDF-Dateien heruntergeladen werden und damit direkt in den Arbeitsalltag eingebunden werden können (vgl www.haupt.ch/kompetenzorientierung/); eine solche Orientierung auf den Bedarf der Praxis ist beileibe nicht als Selbstverständlichkeit anzusehen und unterstreicht den vom Verlag gewählten Anspruch, ein "Praxisbuch" zu sein, nachdrücklich.
Fazit
Der Band von Kitty Cassée ist gelungen, sehr anregend und ausgesprochen hilfreich für die Praxis. Die Veröffentlichung sollte deshalb in keinem bundesdeutschen Jugendamt (oder - wie es im Zugang des Neusteuerungshypes nunmehr oft neudeutsch heißt -Fachdienst oder Fachbereich Kinder, Jugend und/oder Familie) im Allgemeinen Sozialdienst oder den Spezialdiensten der Kinder- und Jugendhilfe fehlen.
Rezension von
Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt
Professur für Grundlagen und Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule Magdeburg
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