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Wolfgang Beutel, Peter Fauser (Hrsg.): Demokratiepädagogik

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 29.04.2008

Cover Wolfgang Beutel, Peter Fauser (Hrsg.): Demokratiepädagogik ISBN 978-3-89974-227-5

Wolfgang Beutel, Peter Fauser (Hrsg.): Demokratiepädagogik. Lernen für die Zivilgesellschaft. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2006. 224 Seiten. ISBN 978-3-89974-227-5. 19,80 EUR.
Reihe: Politik und Bildung - Band 43.

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Thema

Der wissende, kritische, aufgeklärte und urteilsfähige Bürger ist gleichzeitig bereit und fähig zu handeln und Verantwortung zu übernehmen, und zwar im Sinne eines demokratischen Bewusstseins.  So kann man heute Individuen bezeichnen, die in einer Zivilgesellschaft leben, also in einer zivilisierten und demokratischen Gesellschaft. Dieser begrifflichen Zuweisung dürfte vermutlich keiner der Politiktheoretiker und –didaktiker widersprechen. Schwieriger wird es schon, wenn es um die Frage geht, mit welchen Begriffen der pädagogische Auftrag belegt wird, demokratisches Denken und Handeln zu vermitteln. Der Begriff der "politischen Bildung" steht dabei für  die politische und didaktische Herausforderung, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Toleranz und Kritikfähigkeit nahe zu bringen, demokratische Grundlagen zu vermitteln und die Fähigkeit zu erwerben, aktive Bürger in einer Demokratie zu werden. Zahlreiche andere Benennungen, wie "demokratische Erziehung", "Demokratie-Lernen", "Politik", "Soziales Lernen", "Internationales Lernen", tragen nicht unbedingt dazu bei, das Bewusstsein für die Notwendigkeit zu stärken, dass jeder von uns sich einsetzen muss, den Erhalt, die Erneuerung und Weiterentwicklung der Demokratie als (die beste) Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform zu garantieren. Dabei hat sich der Begriff "politische Bildung" aus den fachspezifischen Beiträgen der Politikwissenschaft und der Pädagogik / Erziehungswissenschaft gebildet. Politische Bildung in der Schule hat sich, für die curriculare und erzieherische Arbeit, weitgehend als eine so genannte "Querschnitt-Aufgabe" entwickelt, was bedeutet, dass der Bildungsauftrag nicht als Lernfach, sondern als fächerübergreifende Anforderung verstanden wird.

Entstehungshintergrund

Im so genannten "Magdeburger Manifest" der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik e. V., Berlin, wird unter anderem formuliert, dass Demokratie, als Ergebnis menschlichen Handelns und menschlicher Erziehung, eine historische Errungenschaft und kein Naturgesetz sei: "Demokratie kann und muss gelernt werden – individuell und gesellschaftlich". Im Rahmen des Wettbewerbs "Förderprogramm Demokratisch Handeln" und in Zusammenarbeit mit dem Modellprogramm "Demokratie lernen und leben" der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung fand 2004 in Stuttgart eine Fachtagung statt, die sich mit konzeptionellen und begrifflichen Fragen zur "Politischen Bildung" auseinander setzte. Der von Wolfgang Beutel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Geschäftsführer des Wettbewerbs "Förderprogramm Demokratisch Handeln" und dem Jenenser Erziehungswissenschaftler Peter Fauser herausgegebene Sammelband trägt deshalb auch den Titel "Demokratiepädagogik".

Aufbau

Die Herausgeber gliedern das Buch in drei Teile:

  1. In den Beiträgen des ersten Teils geht es um "Grundfragen einer Pädagogik für die Demokratie";
  2. im zweiten um "Themen der Demokratiepädagogik" und
  3. im dritten Teil werden Thesentexte, Diskussionsbeiträge, Arbeitsmaterialien, Kontaktadressen und Literatur- und Internethinweise vorgestellt.

Begriff Demokratiepädagogik

Wie nicht anders zu erwarten, stößt die Einführung eines neuen Begriffs, wie der "Demokratiepädagogik", auf Zustimmung, Kritik und Ablehnung, bis hin zu Vorwürfen, die Initiative leiste "einer Entpolitisierung der politischen Bildung" Vorschub. Die Autoren des Sammelbandes verstehen deshalb, indem sie gleichzeitig den "Beutelsbacher Konsens"  (der seit 1976 die drei Grundlagen der politischen Bildung festlegt: Es gilt für Unterricht und Vermittlung das Überwältigungs- und Indoktrinationsverbot - Lehrende dürfen Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen. Schüler sollen sich eine eigene Meinung mit der Hilfe des Unterrichtes selber bilden können. Es muss Ausgewogenheit bzw. Kontroversalität gewährleistet sein - ein Thema muss kontrovers dargestellt und diskutiert werden, wenn es in der Öffentlichkeit kontrovers erscheint; und der Unterricht muss schülerorientiert sein - Politische Bildung muss die Schüler in die Lage versetzten, die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren und daraus für sich Konsequenzen zu ziehen) als Schirm benutzen, den Band als einen Diskussions- und Anregungsbeitrag zum Nachdenken darüber, wie "Demokratie lernen" begriffslogisch und erziehungswissenschaftlich in den Zweiklang von normativer Begründung und pädagogischer Aufgabe überführt werden kann. "Demokratiepädagogik… als Integrations- und Sammelbegriff für alle Bemühungen, Demokratie-Lernen zu fördern und sich dabei dem Anspruch und der professionellen Hilfe einer Berufswissenschaft auszusetzen und zu versichern", steht also auf dem Podium der Diskussion um eine Veränderung unserer Gesellschaft hin zur Verwirklichung der Vision, wie sie von den Vereinten Nationen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (vom 10. Dezember 1948) in der Präambel verkündet wurde: Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte als Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt.

1. "Grundfragen einer Pädagogik für die Demokratie"

Peter Fauser beginnt den ersten Teil mit seinem Diskussionsbeitrag über die theoretische und praktische Bedeutung der Begriffsbildung "Demokratiepädagogik" und "politische Bildung" und stellt sich der Kritik an der Neuformulierung. Für "Demokratiepädagogik" plädiert er, weil der Begriff

  • stärker die übergreifende Aufgabe der Erziehung in den Blick nimmt,
  • die Schule insgesamt, als Unterrichts- und Lernort betrachtet,
  • mehr auf Kompetenz und Handeln angelegt ist,
  • normativ im Sinne eines Menschenrechts-Universalismus verankert ist und
  • die Ganzheit der Kultur wahrnimmt und Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform auffasst.

Der Braunschweiger Sozialwissenschaftler Gerhard Himmelmann fordert in seinem Beitrag, auch mit Blick auf die Entwicklungen der Politik-Didaktiken in anderen europäischen Ländern, Standards für Mündigkeit und Demokratie-Kompetenz, für die er Modellvorstellungen vorlegt.

Der Gießener Politikdidaktiker Wolfgang Sander leistet mit seinem Text einen Beitrag zur "Richtungsklärung" in der Auseinandersetzung um Begriffe und Programme, wobei er nicht mit Kritik an der Konzeption und Realisierung des BLK-Programms "Demokratie lernen und leben" spart und davor warnt, "dass unter dem Signet einer ’Demokratiepädagogik’ Alternativkonzepte und –strukturen zur politischen Bildung entwickelt werden sollen".

Der Dresdener Politikdidaktiker Peter Henkenborg plädiert dafür, im Diskurs um neue Begrifflichkeiten und damit auch der Suche nach neuen didaktischen Ufern das "und" nicht zu vergessen; also gewissermaßen anstelle von "entweder – oder" die zentrale Aufgabe von Demokratie-Lernen "als Kultur der Anerkennung" zu verstehen.

2. "Themen der Demokratiepädagogik"

Wolfgang Beutel beginnt den zweiten Teil mit seinen Beitrag "Lernen in Projekten" und zeigt damit Möglichkeiten der Demokratiepädagogik auf. Die vorgestellten Themen und Handlungsaspekte zeichnen sich zum einen dadurch aus, dass sie fächerübergreifend und projektorientiert angelegt sind, teilweise auch zu jahrgangsübergreifenden Lernaktivitäten anregen und die "Schultür öffnen", hin zur Nachbarschaft, zur Gemeinde und Region, wie auch sozialpädagogische und sozial-integrierende Lernaufgaben einschließen.

Der Bildungs- und Sozialwissenschaftler der Pädagogischen Hochschule Hochschweiz, Volker Reinhardt, diskutiert mit seinem Beitrag "Fachunterricht Politik und Demokratie-Lernen in Projektform". Dabei erinnert er nicht nur an fachdidaktische Initiativen der 60er Jahre, sondern fordert auch dazu auf, dass sich "die Politikdidaktik bzw. die politische Bildung nicht der demokratischen und politischen Projektarbeit verschließen sollte".

Enja Riegel, Lehrerin, Mitarbeiterin beim Hessischen Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung und ehemalige Leiterin der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, stellt ihre Erfahrungen mit dem Konzept "Bürgerschule" zur Diskussion, indem sie an verschiedenen Beispielen aufzeigt, wie "Demokratie und Verantwortung lernen" im schulischen Alltag gelingen kann.

Der Bremer Lehrer für Politik und Wirtschaft, Hans-Wolfram Stein, widerspricht der allgemeinen Auffassung, dass schulisches – politisches – Lernen für "große" Politik nicht geeignet, also eine "Mission impossible", sei. An mehreren Unterrichts- und Projektbeispielen zeigt er auf, dass demokratisch handeln in der Schule auch mit Themen aus der nationalen und internationalen Politik möglich ist. Es brauche dazu lediglich "demokratisch engagierte Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler".

3. Ergänzende Materialien

Im dritten Teil schließlich werden verschiedene Texte zur Demokratiepädagogik vorgestellt, wie das "Magdeburger Manifest zur Demokratiepädadogik" vom 26. Februar 2005, Definitionsversuche und dem Bericht über die Stuttgarter Tagung von 2004, sowie Hinweise auf Informations- und Arbeitsmaterialien, Literatur und Kontaktadressen.

Fazit

Weil Demokratie eine Lebensform ist, und Leben Veränderung bedeutet, sollte auch der Diskussionsbeitrag für ein effektiveres, zeitgemäßes und aktives Eintreten für demokratisches Denken und Handeln in der Gesellschaft Ernst genommen und in den Diskurs darüber hinein genommen werden - in der Schule, in der beruflichen und Hochschul-, der Jugend- und Erwachsenenbildung.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1702 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245