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Cornelia Spohn (Hrsg.): Zweiheimisch. Bikulturell leben in Deutschland

Rezensiert von Prof. Dr. Brigitte Wießmeier, 05.04.2007

Cover Cornelia Spohn (Hrsg.): Zweiheimisch. Bikulturell leben in Deutschland ISBN 978-3-89684-063-9

Cornelia Spohn (Hrsg.): Zweiheimisch. Bikulturell leben in Deutschland. Edition Körber (Hamburg) 2006. 200 Seiten. ISBN 978-3-89684-063-9. 14,00 EUR.

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Einführung

Ein Buchdeckel im lockenden Rot, eine jugendliche Hand in androgyner Kleidung, eine vielfarbige Gebetskette, wohl für verschiedene Religionen zu gebrauchen und dies eher spielerisch, animieren zum Schmökern.

Die Herausgeberin wird mit dem bundesdeutschen "Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf" verbunden, mit ihrem Einsatz für Bi- und Mehrnationalität, für Integration und kulturelle Vielfalt, insbesondere im Familienkontext. Keine kleine Aufgabe, denn es sei kurz daran erinnert, dass etwa jedes vierte in Deutschland geborene Kind Eltern aus zwei verschiedenen Nationen hat.

Das "zweiheimisch" im Titel soll irritieren, insbesondere die Zielgruppe Öffentlichkeit, um die Wahrnehmung hinsichtlich der Potentiale der "Zweiheimischen"  zu schärfen. Ein neuer Begriff  für etwas Neues? Wir haben hinter uns: "Bastard", "Mischling", "halbdeutsch", "binational", "bikulturell", "hybrid" und jetzt "zweiheimisch"! Die diese Begriffe begleitende Sozialpolitik prägt den jeweiligen Diskurs. So stand eine "Mischung" im Gegensatz zu etwas "Reinem", mit tödlichen Konsequenzen. Ein Messen von "Ganz" und "Halb" eröffnete Maßstäbe, wie von Rechten und Zugehörigkeiten, einer Demokratie nicht sehr zuträglich. Ein Präfix "bi" verweist dann auf eine Doppelung von feststellbarer nationaler sowie kaum messbarer kultureller Zugehörigkeit, ein zunehmend inflationär genutzter Begriff. Nun also "zweiheimisch"! Welcher Diskurs soll damit eröffnet oder vertieft werden? Ist es die Sowohl-als-auch-Debatte der Betroffenen? Ist es die Globalisierung mit den damit verbundenen flexiblen Wohnsitzen, Sprachen, Freundschaften ...? "Zweiheimisch" gilt in diesem Buch als innovative Integrationsformel, die "enorme Lebensführungskompetenzen und Ressourcen" (181) beinhaltet.

Gespräche als Grundlage

Drei Autoren führten sehr persönliche Gespräche mit zwölf jungen Menschen zwischen 17 und 32 Jahren. Sie alle leben in Deutschland und haben völlig verschiedene Migrationsgeschichten innerhalb ihrer Familien vorzuweisen. Die Autoren, selbstverständlich mit eigenem Migrationshintergrund, legen sprachlich gründlich überarbeitete Texte vor, die es verstehen, die Spannung beim Lesen zu halten. Die Ich-Erzählung soll dazu verhelfen, den Protagonisten ihre Individualität zu belassen (14), was erfolgreich unterstützt wird durch private Fotos. Wenn notwendig werden hilfreiche Zusammenfassungen, Ergänzungen und Sachinformationen in die Einzelgeschichten eingeflochten, besonders um die vielfältigen Hintergründe zu beleuchten.

Ausgewählte Inhalte

Die Geschichten sollen in keine der üblichen Schubladen passen, denn eine für erfolgreiche junge Menschen mit Migrationshintergrund ist bisher weitgehend leer, was sich nun ändern soll. Da dieses Buch nicht als wissenschaftlicher Text angelegt wurde, erfolgt keine Definition von Erfolg, die Leser wissen am Ende aber sehr wohl was gemeint ist: "Aufstieg statt Ausstieg" (181) innerhalb dieser Gesellschaft.

Mehrfach wird das Fehlen derart gelungener Lebensläufe für die öffentliche Debatte kritisiert, ohne allerdings auf die bisherigen Bemühungen aus soziologischer und psychologischer Perspektive hinzuweisen. Kleine Hinweise, beispielhaft auf Beck-Gernsheim und Mecheril, hätten einen Platz verdient. Andeutung der Herausgeberin "Das Lebensgefühl dieser jungen Menschen passt einfach in keines der bekannten oder geforderten Konzepte" (11) lässt ein wenig hilflos zurück. Von welchen Konzepten ist hier die Rede?

Einige Sätze regen weitergehende Diskussionen an, denn:

  • "Individualität (...) als Garant für den Erfolg" (186), verrät mehr über den Autor als über die Beschriebenen, denn er scheint mit Erfolg Individualität zu verbinden, für unsere Gesellschaft eine akzeptierte Assoziation, für andere eine zu hinterfragende.
  • Eine Frage nach persönlicher Zuordnung: als "Deutsche oder als Kurdin" (94) gibt einen Hinweis auf ein eher dualistisches Konzept von Bikulturalität und keineswegs auf einen "zweiheimischen" Diskurs der Autorin.
  • Bei bikulturellem Aufwachsen "entsteht eine bikulturell offene Lebenshaltung" heißt es auf Seite 187, was bei gesuchten Erfolgsgeschichten nicht verwundert. Anderweitige Lebenshaltungen sollten aber nicht verleugnet werden, um einem Vorwurf der Idealisierung vorzubeugen.

Letztlich wird einem eher psychologisch geschulten Leser auffallen, wie zentral besonders elterliche Liebe, Achtung und Geborgenheit für die positiven Entwicklungsverläufe von jungen Menschen sind, ein immer wieder geschildertes Kennzeichen dieser zwölf Porträts. Ein internationaler Freundeskreis wird ebenfalls häufig thematisiert, somit ein unterstützendes soziales Netz einen Erfolg sichern hilft. Interessanterweise scheint ein erlebter Minderheitenstatus innerhalb der Gruppe der Migranten besonders Erfolg versprechend zu sein, wie sonst ist zu interpretieren, dass sich weitgehend alle Befragten derartig darstellen.

"Enorme Lebensführungskompetenzen und Ressourcen" (181) werden tatsächlich sichtbar, das "Zweiheimische" als innovative Integrationsformel kann erahnt werden.

Fazit

Diese breit gefächerte Porträtsammlung verdient eine Leserschaft, die zum Einstieg in ein lang vernachlässigtes Thema Optimismus sucht, oder die zur Unterstützung ihrer jahrelangen Beschäftigung mit Interkulturalität nach Anerkennung ausschaut. Das Buch ist auch als Diskussionsgrundlage für manch ein Seminar zu nutzen, insbesondere wenn ein Resilienz-Ansatz Biographiematerial berücksichtigen möchte.

Rezension von
Prof. Dr. Brigitte Wießmeier
Forschungskoordinatorin Institut für Innovation und Beratung an der Evangelischen Hochschule Berlin, INIB
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Es gibt 10 Rezensionen von Brigitte Wießmeier.

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Zitiervorschlag
Brigitte Wießmeier. Rezension vom 05.04.2007 zu: Cornelia Spohn (Hrsg.): Zweiheimisch. Bikulturell leben in Deutschland. Edition Körber (Hamburg) 2006. ISBN 978-3-89684-063-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4483.php, Datum des Zugriffs 30.09.2023.


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