Mirja Wuttke: Fairer Handel. Chancen und Schwierigkeiten [..]
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 17.01.2007
Mirja Wuttke: Fairer Handel. Chancen und Schwierigkeiten eines alternativen Marktkonzepts.
Paulo Freire Verlag
(Oldenburg) 2006.
382 Seiten.
ISBN 978-3-86585-315-8.
29,90 EUR.
Reihe: Edition Neuer Diskurs, Band 15.
FairTrade: Nische oder Alternative zu einem anderen Leben?
Spätestens seit der Weltkonferenz von Rio 1992, die mit der "Agenda 21" eine neue Denk- und Aktionsrichtung für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit auf den Weg gebracht hat, hat der Begriff des fairen Handels, lokal und global, einen Klang von der Notwendigkeit zur Veränderung des Lebens der Menschen. Die Weltkommission "Kultur und Entwicklung" hat in ihren Abschlussbericht (1995/97) denn auch die Aufforderung formuliert: "Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden". Wo, wenn nicht im alltäglichen Leben, sollen die Menschen damit beginnen? Also den Blick als Triangel zu steuern:
- Von welchen Produkten leben die Menschen "vor Ort"?
- Wie gelangen die Produkte zu ihnen?
- Wie werden sie gehandelt ?
Damit fokussieren wir die Aspekte, die den Diskurs über eine gerechtere, humane und faire Entwicklung der Menschheit, lokal, regional und global, bestimmen: Nachhaltige Entwicklung - fairer, gerechter Handel - Perspektivenwechsel.
Über die Möglichkeiten, Konzepte und Erfahrungen beim FairTrade gibt es zahlreiche Werbekampagnen, Hochglanzbroschüren und politische Absichtserklärungen. Der allgemeine Tenor der "öffentlichen Meinung", etwa in den westlichen Industrie- und Konsumländern, ist meist der: Fairer Handel ist gut; wenn aber die Ware wesentlich teuerer ist als beim Discounter, kaufe ich sie nicht! Der Grundgedanke des FairTraide, dass jede Ware einen gerechten Preis verdient - verbunden mit der Schülerfrage: "Warum ist die Banane krumm?" und der aufgeklärten Antwort: "Weil die Bananenbauern und Plantagenarbeiter sich bei der Produktion krumm machen!" - geht dabei meist unter. Auch der Blick der "fairbewegten" Aktivisten und bewussten Konsumenten geht selten über den eigenen Schreib-, Ladentisch und Marktstand hinaus zu denen, die die fair gehandelten Waren erzeugen und vermarkten. Die Anonymität derer, die für ihre Erzeugnisse einen gerechten Preis bekommen sollen, wird umso größer, wenn die Produkte zwar mit einer FairTrade-Markierung versehen sind, aber im Supermarkt oder beim Discounter angeboten werden. Unter dem Aspekt des wirtschaftlichen Erfolgs bei der Vermarktung von fair gehandelten Waren, ist das erst einmal nicht abzulehnen; da aber, das zeigen mittlerweile zahlreiche Studien, die Veränderungsbereitschaft der Menschen nicht nur über den Intellekt, sondern auch über den Bauch und das Gefühl gesteuert werden, bedarf es Forschungen darüber, wie die "Barfuß-Produzenten" die Chance und die Möglichkeiten wahr nehmen, die sich durch den Anbau und die Vermarktung von fair gehandelten (Bio)Erzeugnissen ergeben können.
Inhalt
Während Mirja Wuttke im ersten Teil ihrer Studie die grundlegenden Aspekte der Fair Trade - Bewegung in Deutschland, Europa und in der Welt darstellt, die Entwicklungen kritisch beleuchtet, am Beispiel des Kaffee-Anbaus und der -Vermarktung die Weltmarktregulativen darstellt und am Beispiel des biologischen Kaffeeanbaus und des FairTrade-Handels in Mexiko die konkrete Situation der seit 15 Jahren arbeitenden Kooperative Yeni Navan im mexikanischen Oaxaca diskutiert, wendet sich die Autorin im zweiten Teil einer bisher so in dieser Form noch nicht publizierten Forschungsarbeit zu: In Zusammenarbeit mit einem Wissenschaftler der Universidad Autónoma del Estado de Hidalgo vom dortigen sozialwissenschaftlichen Institut untersuchte sie im Oktober und November 2005 ein Projekt für indigene Kaffeebauern in der Sierra Madre Oriental: Organizatión de productores indigenas para la producción de café banu un esquema de comerio justo. Ziel der Studie ist die Beantwortung der Frage, wie ein organisierter, biologischer und zertifizierter Kaffeeanbau die Lebensbedingungen der Otomi-Indianer im Dorf San Antonio verbessern und die Abwanderung der jungen Menschen in die städtischen Zentren verhindert werden kann. Die sich dabei durchaus positiv zeigenden Entwicklungen, wie z. B. die Rückbesinnung auf traditionelles Wissen und Anbaumethoden, bei der Schul- und Erwachsenenbildung, der Frauenförderung und den Zugehörigkeitsgefühlen der Dorfbevölkerung, seien zu einem großen Teil auf die Zusammenarbeit der Mitglieder der Kooperative mit der Universität von Pachuca zurück zu führen. Was passiert aber - das ist ja die Gretchenfrage jeder Forschungs- und Projektarbeit - wenn sich die Initiatoren zurückziehen? Ist die überwiegend beobachtete "Einbahnstraßen-Situation" von den Forschern und Projektmitarbeitern hin zur Kooperative eine ausreichende Vorbereitung für eine selbständige Weiterführung des Projektes; oder bedarf es nicht weitergehender Initiativen, damit sich die Mitglieder der Kooperative mit ihrem Produkt und ihrer Organisation identifizieren und die Kommunikationsstrukturen untereinander gleichberechtigt funktionieren?
Diese konkreten Erfahrungen, die die Autorin in einen Leitfaden "für die Begleitung von kleinbäuerlichen Kooperativen auf dem Weg in den Alternativen Handel" zusammenfasst, münden in der Studie in die Erkenntnis: "Der Erfolg des Prinzips „Fairer Handel“ hängt schließlich weniger von den Produzenten, als vielmehr von den internationalen Handelshäusern und den Konsumenten der fair gehandelten Produkte ab". Von ihnen, und natürlich den neu zu formulierenden Weltmarktbedingungen hänge es ab, ob sich die FairTrade-Waren aus dem Nischenmarkt der Weltläden und von den Alibi-Regalen von Supermärkten hin zu einem breiten, nachhaltigen Absatzmarkt entwickeln können. Zum Wohl aller Menschen - eine Erwartung, die so vor einigen Jahrzehnten noch nicht ausgesprochen wurde.
Fazit
Damit aber, und das ist die Hoffnung, kann deutlich werden: Fairer Handel ist kein Prinzip der Barmherzigkeit und der Bereitschaft, den Habenichtsen einen Brosamen von der Überfülle abzugeben, sondern eine Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe für alle Menschen in unserer Einen Welt. Mirja Wuttke hat mit ihrer Arbeit einen weiterführenden Beitrag dazu geleistet!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 17.01.2007 zu:
Mirja Wuttke: Fairer Handel. Chancen und Schwierigkeiten eines alternativen Marktkonzepts. Paulo Freire Verlag
(Oldenburg) 2006.
ISBN 978-3-86585-315-8.
Reihe: Edition Neuer Diskurs, Band 15.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4488.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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