Jean-Pierre Boris: (Un)fair Trade. Das profitable Geschäft mit [..]
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 17.01.2007
Jean-Pierre Boris: (Un)fair Trade. Das profitable Geschäft mit unserem schlechten Gewissen.
Goldmann Verlag / Verlagsgruppe Random House
(München) 2006.
224 Seiten.
ISBN 978-3-442-15392-3.
7,95 EUR.
CH: 14,70 sFr.
Goldmann Tb 15392.
"Unter dem Pflug liegt die wirtschaftliche und politische Macht" …
… diese Metapher klingt wie aus vergangenen, agrarischen Zeiten, als "die Welt noch in Ordnung war", als der Bauer hinter dem Pflug in mühsamer und entbehrungsreicher Arbeit den Boden bereitete, um die benötigten landwirtschaftlichen Produkte zum Gedeihen zu bringen. Aber das Zitat ist aus dem "Schwarzbuch der Rohstoffe", das den Anspruch erhebt, den "Mythos vom gerechten Handel" in der Welt kritisch zu hinterfragen und hinter die Lackglanz- und farbenprächtigen Werbekampagnen zu schauen.
Autor und Thema
Der französische Journalist, Chefredakteur bei Radio France Internationale, Jean-Pierre Boris, hat seine jahrelangen Erfahrungen mit der angeblichen Gerechtigkeit im Welthandel mit dem in französischer Sprache 2005 erschienenem Buch "Commerce Inéquitable. Le roman noir des mati?res premi?res" dargestellt. Es ist von Hanna van Laak ins Deutsche übersetzt worden. Dabei geht es ihm nicht darum, die FairTrade-Initiativen zu verteufeln; vielmehr sieht er in den durchaus gut gemeinten Aktivitäten des fairen Handels eine naive Blauäugigkeit, die ignoriert, "dass die internationale Wirtschaft ein Krieg ist, ein Schützenkrieg, in dem alle Waffen erlaubt sind"; die auch vergisst, dass "wir in einer Welt leben, in der die Jagd nach den niedrigsten Preisen keine Grenzen kennt". Die Idee vom gerechten Handel - und damit vom gerechten Preis - habe nichts Revolutionäres an sich; vielmehr käme die Darstellung der Dinge einem regelrechten intellektuellen Betrug gleich. Die Strategien der multinationalen Konzerne, die für bestimmte Nischenprodukte mittlerweile, wie etwa das Beispiel des Discounters Lidl in Deutschland zeigt (vgl. dazu auch: Mirja Wuttke, Fairer Handel. Chancen und Schwierigkeiten eines alternativen Marktkonzepts; Paulo Freire Verlag, Oldenburg 2006, vgl. dazu die Rezension), zur eigenen Image-Aufbesserung fair gehandelte Produkte in ihre Regale stellen, ohne auch nur andeutungsweise an den eigenen wie den globalen Handelsstrukturen etwas ändern zu wollen, zeigten klar die Heuchelei und die Manipulationsabsichten gegenüber den Verbrauchern. Doch nicht nur mit diesen, sondern auch mit den Anhängern des gerechten Handels geht der Autor, wegen deren "mildtätigen Weichspülerdiskurs" hart ins Gericht. Obwohl es gelegentlich so klingt, ist der tätige Journalist nicht angetreten, den "herrschenden Liberalismus frontal zu attackieren"; vielmehr geht es ihm mit seinen Recherchen darum, deutlich zu machen, "dass die Erträge des internationalen Wirtschaftsbetriebs auch denjenigen zugute kommen, die sich aufgrund ihrer Herkunft und ihrer geographischen Lage in einer schwachen Position befinden".
Inhalt
Dazu nimmt er sich die landwirtschaftlichen Rohstoffe vor, die im fairen Handel in besonderer Weise im Vordergrund stehen: Kakao, Kaffee, Baumwolle, Reis und Pfeffer. Da geht es um Hintergrund-Informationen, alltägliches und geheimes Wissen über die Märkte und Marktmächte: Personen, wie den "Schokoladenfinger" Anthony Ward, der mit seinen Spekulationen und Manipulationen den globalen Kakao-Markt dirigiert; um Politiker in den "Kakao-Ländern" in Afrika, korrupten Händlern und Hasardeuren; um europäische Politiker und deren nationale Interessen; um amerikanische Spekulanten; und nicht zuletzt um die Aktivitäten von internationalen Einrichtungen, wie der Weltbank. Raff- und Machtgier, Ausbeutung und Verdummung, Konflikte und Kriege, die mit "Kakaogeldern" finanziert werden, bilden die Strecke der Rohstoff-Politik, lokal, regional und global. Wie auf einer Blaupause erscheinen in diesem Gefecht Namen wie "Nestlé" (vgl. dazu auch: ATTAC Schweiz, Hrsg., Nestlé. Anatomie eines Weltkonzerns, Zürich 2005), und andere multinationalen Konzerne. Der Kreislauf des Kakaogeldes rotiert: Die marode und unrentabel gewordene Nestlé-Mahlfabrik in der US-amerikanischen Kleinstadt Fulton wird von einem undurchsichtigen Kapitalisten aus der Elfenbeinküste, wo die Kakaobohnen wachsen, mit rund 30 Millionen Euro aufgekauft. Die "New York Chocolate Confections Company" ist gegründet. Für die Bewohner von Fulton ein Segen; die ivorischen Kakaoanbauer aber, die offensichtlich das Kapital erwirtschaftet haben, sind ohnmächtig; ja sie wissen nicht einmal etwas davon.
Die Skandalgeschichten gehen beim Kaffeemarkt für die lateinamerikanischen Bauern und peones, die rechtlosen Land- und Wanderarbeiter, weiter. Weil Brasilien für den Kaffee das, was die Elfenbeinküste für den Kakao ist, sind es auch hier die Unternehmer und Händler, die von den Banken und der Regierung unterstützt werden. Ihre karawanenartige Anbaupolitik wandert von traditionellen landwirtschaftlichen Gebieten im Bundesstaat Paran‡ in die Staaten Minas Gerias und S‹o Paulo, um die Produktion zu steigern. Und sie lassen zurück Brachland, Arbeitslosigkeit und Elend. Denn wie als Gespenst tut sich den lateinamerikanischen Kaffeestrategen eine neue Kaffee-Macht auf: In der vietnamesischen Provinz Dak Lak werden im Jahr 2000 fast eine Million Tonnen Kaffeebohnen produziert und auf den Weltmarkt gebracht. Die Nachfragen der Bevölkerung nach ihrem gerechten Anteil an dem Erlös werden von der Regierung mit militärischen Mitteln nieder gemacht. Ausländer haben keinen Zutritt mehr in die Region. Die großen Kaffeehändler in London aber reiben sich die Hände: Konkurrenz belebt das Geschäft! Die Internationale Kaffee-Organisation (ICO) wird dominiert von den US-amerikanischen Interessen und damit wirkungslos für eine gerechtere Regelung auf dem Kaffeemarkt. Die Sieger aus den Auseinandersetzungen um Ausbeutung und gerechten Preis sind, ja wer wohl? - die multinationalen Unternehmen. Auch hier taucht wieder ein Name auf, den wir bereits kennen: Nestlé. Auf der Strecke bleiben auch hier, wie bei den Kakaobauern, die Kleinproduzenten wie Tito Morales aus Guatemala, Don Fernando Felipe Ter‡n aus Costa Rica und die Kaffeebauern aus Kamerun und Vietnam.
Auch der Konflikt beim Baumwollmarkt läuft nach ähnlichen Strukturen. In Europa, Afrika, Australien, Asien und Lateinamerika bangen die Baumwollanbauer über den sinkenden und stark umkämpften Weltmarktpreis. Wer die Macht dabei hat und sie durchzusetzen vermag, zeigte sich Anfang 2005, als die US-Amerikaner rund 20 Millionen Ballen Baumwolle, jeweils 220 Kilo schwer, auf den Weltmarkt zu Dumpingpreisen anboten. Die Proteste der Usbeken, der Bauern aus dem afrikanischen Burkina Faso, der Inder…, verpufften im internationalen Machtgestrüpp und der Dominanz der Mächtigen. Bei der 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) im September 2003 probten die afrikanischen Baumwollproduzenten den Aufstand gegen die Interessen der Industrieländer. Der scheinbare Erfolg bei den Forderungen nach faireren Handelsbedingen und nach Veränderung der Subventionspolitik der europäischen und US-amerikanischen Regierungen wird gekippt durch die ein Jahr später stattfindende WTO-Konferenz in Genf, zu Lasten vor allem der afrikanischen Baumwollbauern und zugunsten der brasilianischen: "Die brasilianischen Produzenten mit ihren Tausenden von Hektar Baumwolle, Soja, Mais und Kaffee können warten. Die afrikanischen Bauern mit ihren paar Hektar können es nicht".
Der nächste landwirtschaftliche Rohstoff Reis saust ebenso auf dem Weltmarkt umher; denn "Reis ist nicht zum Essen, sondern zum Verkaufen da" - so die Auffassung eines in New York oder am Ufer des Genfer Sees agierenden Traders; und er könnte ergänzen: "… ist zum Geldwaschen da". Denn der "schwimmende Reis" auf den Schiffen für die jeweiligen Nachfragen in afrikanischen Ländern, bis hin zu denen der internationalen Hilfsorganisationen, ist für die Händler und Spekulanten viel Geld wert: "Mit Reis kann man mehr Geld verdienen als mit Kaffee oder Kakao". Das Geheimnis der Trader ist "Vertraulichkeit", das sie nicht selten verwechseln mit der Übergabe von "dicken Kuverts" an die Mächtigen im jeweiligen Nachfrageland (pikanterweise eine unappetitliche Parallele zum "Siemens-Skandal" bei uns).
"Geh’ ins Land, wo der Pfeffer wächst"; dieser vieldeutige Spruch ist heute einfach zu beantworten: Denn wo der Pfeffer wächst, wird er nicht gehandelt; sondern in Genf, Amsterdam und Marseille. Die Herren des Pfeffermarktes verhandeln heute, neben den traditionellen Produzenten der schwarzen und braunen Körner, den Indern, Indonesiern, Malaysiern und Brasilianern, vor allem mit den Vietnamesen. Die malaysischen Bauern in der Region Sarawak, die bisher recht und schlecht von der mühsamen Produktion der Pfefferkörner leben konnten, bleiben dabei auf der Strecke.
Fazit
Die Strecke des FairTrade-Handels wird in diesem Gestrüpp von Marktmacht und -ohnmacht immer unüberschaubarer. Die anfängliche Euphorie, dass mit dem fairen Handel sich tatsächlich ein Tor hin zu einer faireren, gerechteren Welt auftun könnte, mündet, so Jean-Pierre Boris, nur im Tümpel unseres schlechten Gewissens. Wer möchte ihm widersprechen?
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 17.01.2007 zu:
Jean-Pierre Boris: (Un)fair Trade. Das profitable Geschäft mit unserem schlechten Gewissen. Goldmann Verlag / Verlagsgruppe Random House
(München) 2006.
ISBN 978-3-442-15392-3.
Goldmann Tb 15392.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4489.php, Datum des Zugriffs 08.11.2024.
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