Marga Rothe: Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe
Rezensiert von Dr. Anja Frindt, 23.04.2007
Marga Rothe: Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe. Eine Handlungsanleitung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2006. 5. Auflage. 104 Seiten. ISBN 978-3-17-019200-3. 14,00 EUR.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-17-023280-8 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Einführung
Marga Rothe beschreibt in ihrem Buch, wo, von wem und wie Familien- und Erziehungshilfe geleistet werden kann. Die langjährigen Erfahrungen mit der Sozialpädagogischen Familienhilfe (im Folgenden abgekürzt als SPFH) in der Arbeitsgemeinschaft sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher in Heidelberg bilden die Grundlage des Buches. Das von Marga Rothe entwickelte Handlungskonzept für die Arbeit mit Familien ist stark therapeutisch orientiert (gedankliche Grundlagen der initiatischen Therapie von Karlfried Graf Dürckheim, Logotherapie von Viktor Frankl, positive Psychotherapie nach Nossrat Peseschkian und systemorientierter Familienarbeit nach N. Selvini-Palazzoli). Sie gibt Beispiele für Berichte und diagnostische Instrumentarien, u.a. Selbsthilfeplan und Soziotop, die gemeinsam mit der Familie erstellt werden und dieser zur Klärung ihrer Situation helfen sollen.
Autorin
Prof. Dr. Marga Rothe ist die Gründerin der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung von Kindern und Jugendlichen (AGFJ), die seit mehr als 20 Jahren SPFH und Familienorientierte Schülerhilfe durchführt. Bekannt wurde der dortige Handlungsansatz als "Heidelberger Modell".
Entstehungshintergrund
Die Publikation "Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe. Eine Handlungsanleitung" erschien im Jahr 2006 bereits in fünfter Auflage, was deutlich zeigt, dass der Bedarf an Handlungsanleitungen für den Bereich der ambulanten familienorientierten Hilfen groß ist. Dies ist wenig verwunderlich, berichtet doch das Statistische Bundesamt jährlich von einer Zunahme der Fallzahlen in der SPFH und einer stetigen Ausweitung dieser ambulanten Hilfe zur Erziehung. Bereits 1989 veröffentlichte Marga Rothe den von ihr entwickelten Handlungsansatz erstmalig, noch bevor die SPFH gesetzlich im SGB VIII verankert wurde. Seit 1987 bietet die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung von Kindern und Jugendlichen e.V. Fortbildungen zu ihrem Heidelberger Modell der Sozialpädagogischen Familien- und Erziehungshilfe an.
Rothes Buch gliedert sich - neben einer Einführung - in vier Teile, wobei der inhaltliche Schwerpunkt ganz eindeutig auf der Handlungsanleitung liegt.
Einführung
In der kurzen Einführung wird noch einmal deutlich gemacht, dass das Buch auf den langjährigen Erfahrungen der AGFJ beruht. Aufgrund des Wissens um die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Lebenszusammenhänge von Familien wird keine allgemeingültige Methode für die Arbeit mit ihnen empfohlen, sondern ein Konzept, das die Einzigartigkeit und Einmaligkeit jedes Familienmitgliedes, der Fachkraft und der Situation achtet. Die Fachkraft, hier Familienhelfer genannt, soll ressourcenorientiert arbeiten und der Familie als Wegbegleiter und Mittler zur Verfügung stehen und aus dem Teufelskreis von Angst, Aggression und Minderwertigkeitsgefühlen heraushelfen. Um die Würde der Menschen zu achten, werden mit der Familie Selbsthilfepläne erarbeitet, die als Berichtsgrundlage dienen. Nach Aufzählung der gedanklichen Grundlagen des Handlungskonzeptes (auf die ich später eingehen werde) schließt die Einführung mit der Feststellung, dass für den Erfolg der SPFH nicht eine Methode ausschlaggebend ist, sondern "die Persönlichkeit des Familienhelfers, sein Einfühlungsvermögen, sein Engagement und sein Respekt vor der Andersartigkeit aber Gleichwertigkeit der Familienmitglieder..." (S. 2).
1 Wo Familien- und Erziehungshilfe geleistet werden kann
Der erste Teil beschäftigt sich mit der Frage, wo Familien- und Erziehungshilfe geleistet werden kann. Freie Träger der Jugendhilfe werden hier als Anstellungsträger empfohlen, Jugend-, Sozial- und Gesundheitsämter nur bedingt. Begründet wird das damit, dass die Familienhelfer sich auf eine Beziehung zur Familie einlassen sollen, die in größerer Unabhängigkeit zur Leistungs- und Eingriffsverwaltung besser herzustellen sei. Mir leuchtet an dieser Stelle ein, dass sich diese Unabhängigkeit strukturell leichter bei freien Trägern herstellen lässt. Ausschlaggebend ist - bei einer SPFH-Fachkraft des öffentlichen Trägers - für mich aber eher, ob für die Betroffenen transparent ist, dass der Familienhelfer des Jugendamtes im Gegensatz zu seinem Kollegen vom ASD in helfender und unterstützender Funktion und nicht in eingreifender Funktion tätig ist. Hier müssen als wichtiges Qualitätskriterium Umgangsformen zwischen ASD und SPFH-Fachdienst so beschaffen sein, dass sie von den Familien nicht als Verrat erlebt werden können. Zuzustimmen ist Rothe aber auf jeden Fall in dem Punkt, dass die Betreuung von mehr als vier Familien gleichzeitig vom Familienhelfer kaum noch bewältigt werden kann. Bei der Frage, in welchen Familien SPFH sinnvoll ist, verneint Rothe zwar generelle Ausschlusskriterien. Sie führt diese aber durch die Hintertür der Klassifizierung von Familien für die SPFH besonders geeignet bzw. ungeeignet ist, wieder ein. Sie nennt Familien mit starken Alkohol- oder Drogenproblematiken ohne Bereitschaft zum Entzug und Familien, die die Mitarbeit grundsätzlich ablehnen und bei denen die Bereitschaft zur Mitarbeit nicht geweckt werden kann, als ungeeignet. Unklar bzw. offen bleibt, ob diese Familien von vornherein keine SPFH erhalten oder ob nach einer anfänglichen Probezeit die SPFH hier als ungeeignete Hilfe beendet wird.
2 Wer Familien- und Erziehungshilfe leisten kann
Im zweiten Teil wird gefragt, wer Familien- und Erziehungshilfe leisten kann. Die Autorin unterscheidet zwischen Anforderungen an die Qualifikation und an die Persönlichkeit. Was die formalen Qualifikationen angeht, gleichen die Ausführungen Rothes den Empfehlungen des DJI. Fachkräfte mit und ohne Zusatzqualifikation, mit und ohne Berufserfahrung werden an erster Stelle genannt. In der Aufzählung fehlen meines Erachtens die Pädagogen. Vorsicht würde ich auch bei dem Statement walten lassen, dass Berufsanfänger sich besonders als "ältere Freunde" für allein lebende Jugendliche eignen (S. 5). Zum einen scheint mir ein allein lebender Jugendlicher eher ein Beispiel für eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung oder eine Erziehungsbeistandschaft, denn für eine typische SPFH-Konstellation zu sein. Zum anderen erleichtert der geringe Altersunterschied zwar sehr wahrscheinlich den Aufbau einer helfenden Beziehung, die in meinen Augen jedoch auch deutlich eine professionelle sein sollte. Ehrenamtliche Laienkräfte kommen für Marga Rothe nur in Frage, wenn diese bereit sind, sich auf die "fremden Lebensbedingungen und Denkstrukturen" (S. 6) der Familien einzulassen und sollten nur als Ergänzung im Team mit Fachkräften arbeiten. Bezüglich der Anforderungen an die Persönlichkeit werden Beziehungsfähigkeit, Vorbildfunktion, Geduld, Zuverlässigkeit, Kooperationsbereitschaft und die Rolle des Familienhelfers als Wegbegleiter genannt. Bei der Beziehungsfähigkeit tauchen Anforderungen auf, die ich persönlich als heikel und unangemessen empfinde. So soll sich der Familienhelfer auf eine Ebene mit der Familie stellen (S. 7) und als Ziel vor Augen haben, von der Familie auch als Person angenommen zu werden (ebd.). Ersteres sollte die Funktion des Familienhelfers als professionellem Unterstützer nicht leugnen, von dem die Familie ja auch erwartet, dass er zur Lösung ihrer Probleme beitragen kann. Ein sorgfältiger und angemessener Umgang mit diesem „Überhang“ des Familienhelfers wäre hier für mich das entscheidende Kriterium. Zudem ist der Familienhelfer zu Beginn der Hilfe noch kein Experte für die Lebenswelt der Familie. Wahrscheinlich ist eher, dass er in (zunächst) unbekannten Milieus tätig wird. Sich hier genau auf diese Ebene zu stellen, wäre eine Überforderung und nicht leistbar. Ein „Andocken“ an die Lebenswelt der Familie kann nur schrittweise im Verlauf der Hilfe ausgehandelt werden. Auch die Forderung von der Familie als Person angenommen zu werden, erscheint mir übertrieben. Die Fachkräfte sind nicht Teil des Familiensystems, sondern gehen auf (hoffentlich) professionelle Weise ihrem Beruf (der auch Berufung sein kann, aber nicht sein muss) nach, der auch ein Privatleben, Interessen, Werthaltungen und eine privat gewählte Lebensform einschließt, die nicht zwingend von der Familie geteilt werden müssen. Auch im Unterpunkt "Der Familienhelfer als Wegbegleiter" kommen sehr altruistische Ansichten zum Vorschein. Hier heißt es: "Sein Ziel für sein Leben (gemeint ist hier der Familienhelfer, A.F.) muss mit dem Ziel der Familie nicht übereinstimmen, aber jeder sollte die Ziele und die Wege des anderen verstehen lernen. Familien und Familienhelfer arbeiten auf einer Ebene, auf der Ebene gleichberechtigter Menschen, die die Freuden und Gefährdungen des Lebens, jeder für sich und/oder gemeinsam, bestehen müssen." (S. 12). Das zugrunde liegende Menschenbild, geht hier nicht von einer Berufsrolle aus, sondern die Rolle des Familienhelfers (der bei Rothe im gesamten Buch bezeichnenderweise auch so und nicht z.B. SPFH-Fachkraft heißt) wird hier sehr weit gefasst bzw. überfrachtet. Der gesamte Mensch soll sich einbringen. In meinen Augen sollte der Familienhelfer seine privaten Freuden und Gefährdungen ganz klar zurückstellen. Für die Qualität der Betreuung ist es wenig maßgeblich, ob die Familie weiß, dass die Fachkraft aktuell Schwierigkeiten hat, sich zwischen zwei Fortbildungsangeboten zu entscheiden, ob die Wohnung in Stadtteil A oder B gekauft werden soll und mit wem der Familienhelfer frühstückt. Das Kennen der Ziele und Wege des Gegenübers, die Freuden und Gefährdungen des Lebens sollten sich ausschließlich auf den SPFH-Prozess beschränken. Auch an späterer Stelle ist noch einmal die Rede davon, wie sich betreute Kinder "dann aber oft erstaunlich schnell an den Familienhelfer, seine Familie und Freunde..." (S. 27) anschließen. Dieses Berufsverständnis ist meiner Meinung nach bei familienähnlichen Lebensgemeinschaften angebracht, aber sollte nicht als Anforderung für SPFH-Fachkräfte gelten.
3 Wie Familien- und Erziehungshilfe geleistet werden kann
Der sich anschließende Teil 3, wie kann Familien- und Erziehungshilfe geleistet werden, nimmt den überragenden Platz in diesem Buch ein. Ist in der Einführung noch die Rede von gedanklichen Grundlagen der vorliegenden Handlungsanleitung, werden diese jetzt als handlungsleitende Theorien des Heidelberger Modells vorgestellt: systemischer Ansatz, Initiatische Therapie, Logotherapie und positive Psychotherapie. Wobei die unterschiedlichen Reichweiten und Abstraktionsniveaus zwischen dem Systemischen Ansatz und den weiteren drei Grundpfeilern nicht thematisiert werden. Die daraus für das Heidelberger Modell abgeleiteten Grundsätze lauten wie folgt:
- "von der Gleichwertigkeit aber Andersartigkeit der Menschen,
- von der Achtung vor den Werten der Anderen,
- von der Orientierung an den vorhandenen Fähigkeiten und Möglichkeiten anstelle der Fixierung auf Defizite und Probleme,
- vom Miteinander statt Füreinander,
- vom Zumuten, d.h. vom Mutmachen zum Handeln,
- vom Vertrauen statt Misstrauen,
- vom Ermutigen statt Entmündigen,
- vom Lassen statt Machen." (S. 13).
Bei der folgenden Vorstellung der handlungsleitenden Grundlagen (s.o.) wäre eine wissenschaftlichere Einführung wünschenswert gewesen, mehr als dass sich die sehr kurz gehaltenen Ausführungen auf Selvini-Palazzoli, Menuchin, Graf Dürkheim, Viktor Frankl und Nosrat Peseschkian beziehen, erfährt der Leser nicht. M.E. ist es sehr gewagt, einen so komplexen Ansatz, wie den systemischen auf knappen zwei Seiten darzustellen. Erklärungsbedürftig wäre hier auch das Fallbeispiel mit der "Humorvollen Paradoxen Intention" das sich an den kurzen Text zur Logotherapie reiht, ohne dass für den Leser deutlich gemacht wird, ob es sich dabei um eine Technik der Logotherapie handelt. Zudem werden Begriffe wie Selbsttranszendenz eingeführt, die erst später im Text noch einmal in dem von Frankl intendierten Bedeutungsgehalt erläutert werden. Auch das Fallbeispiel zu den Erfahrungen mit den 5 Stufen der positiven Psychotherapie erscheint schlecht gewählt. Es macht zwar die Stufen deutlich und führt das konkrete Arbeiten beispielhaft ein, allerdings ist der vorgestellte junge Erwachsene ebenfalls kein klassischer Fall für die sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe, sondern für die Eheberatung. Danach beginnt Marga Rothe konkrete Instrumente zur Diagnostik und Reflexion vorzustellen. Es werden zunächst Übungen und Spiele zum Verstehen des Familiensystems und der Familieninteraktion, wie z.B. der Austausch über Familiensystem und Familienwerte genannt. Die Übungen sind so angelegt, dass jeweils Familie und Familienhelfer ihre Systeme und Werte in Stichworten sammeln und dann gemeinsam auswerten sollen. Auch hier kommt mir das Vorgehen wieder sehr vorraussetzungsreich vor. Ich kann mir gut vorstellen, dass zwar Impulse und Anregungen des Familienhelfers sinnvoll sein können, z.B. zu hinterfragen weshalb bestimmte Werte Konfliktstoff bieten oder zu spiegeln, dass ein bestimmtes Verhalten die Erwartungen anderer Familienmitglieder nicht erfüllt. Fraglich ist allerdings, ob der Familienhelfer der Familie dafür unbedingt seine Werte vorstellen sollte. Sinnvoller finde ich es hier, z.B. die Familienmitglieder zum gemeinsamen Gespräch und Austausch ihrer Sichtweisen anzuregen. Dieser Aspekt der gemeinsamen spielerischen Erarbeitung tritt im nächsten Beispiel des Soziogramms deutlicher hervor. An das Beispiel des Soziogramms der Familie H. schließen sich Auswertungsfragen und Empfehlungen zur Arbeit mit dem Instrument an. Es folgen das Gruppenspiel zu Erinnerungen und Erwartungen, das Familienspiel für die Familienhelfer-Runde oder zum Rollentausch in Familien sowie die Einschätzung von Grundfähigkeiten und Aktualfähigkeiten, die Basis für die Erarbeitung des Selbsthilfeplanes sein sollen. Auch das Fähigkeitsprofil sieht wieder vor, dass Familie und Familienhelfer diese für sich selbst oder andere einschätzen. Eine hohe Übereinstimmung oder ein gemeinsames Erkennen und Akzeptieren der Unterschiede soll die Beziehung zwischen Familienhelfer und Familie fördern. Sicherlich ist das auch wünschenswert und die SPFH-Fachkraft sollte bei einer so invasiven und weitreichenden Intervention in der Familie auch als Person erkennbar sein. Meiner Meinung nach sollten aber auch hier wieder die Fähigkeiten des Klienten im Mittelpunkt stehen, die SPFH-Fachkraft sollte den Klienten fördern, ihn bei der Erstellung des Profils unterstützen, auf Ressourcen hinweisen und diese mit ihm gemeinsam reflektieren. Weiter folgen ein Instrument zur Interessenverteilung - Energieverteilung, der individuelle Aufforderungscharakter, Konfliktverarbeitung - Ängste und Netzwerkintervention. Dann kommen die Reflexionsinstrumentarien, der Übergabebericht, der Selbsthilfeplan, Soziotop, das umfeldorientierte Modell und der Abschlussbericht. Der Selbsthilfeplan nimmt hierbei das größte Gewicht ein. Die im Selbsthilfeplan orientierten Ziele sollen den Wertvorstellungen der Familie entsprechen, sich an ihren zukünftigen Möglichkeiten orientieren und für die einzelnen Familienmitglieder einen hohen Wert darstellen. Der Familienhelfer soll dabei hauptsächlich das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten der Familie stärken und beim Erkennen und Erreichen der Ziele helfen. Der vorgeschlagene Selbsthilfeplan enthält vier Ebenen: drei Planungsebenen (Globalziel, an der Zielerreichung beteiligte Personen und Institutionen, Teilziele) und eine Handlungsebene, auf der mit jedem Beteiligten konkrete Handlungsschritte vereinbart werden. Die Empfehlungen zur Erstellung des Selbsthilfeplanes folgen weitestgehend den Kriterien, die man an eine gute Hilfeplanung anlegen würde, wie z.B. gemeinsames Erarbeiten mit der Familie oder regelmäßige Modifizierung bzw. Ergänzung. Der Selbsthilfeplan kann als Vertragsgrundlage zwischen Familie und Familienhelfer, in dem die Handlungsschritte in Aufgabenkataloge überführt werden, und als Berichtsgrundlage verwendet werden. Bei Bedarf können einzelne Handlungsschritte bzw. Aufgaben auch in überschaubare einzelne Handlungssequenzen zerlegt werden. Es folgt das Soziotop, in dem das Kindsystem, die Familiendynamik, das sozio-ökonomische System und regionale Faktoren erfasst werden. Die aktuelle Situation der Familie und ihre Beziehungsgeflechte können so dargestellt werden. Es wird deutlich, an welchem Punkt noch aktivierbare Ressourcen in der Familie und im sozialen Umfeld liegen. Diese Ressourcensuche leitet inhaltlich zum nächsten Punkt, dem umfeldorientierten Modell weiter, das der dauerhaften Einbindung der Familie in Angebote des Gemeinwesens dient. Sehr gelungen sind neben dem fünfdimensionalen Raster die Reflexionsfragen zu Veränderungen, die auch darauf abzielen, ob Ressourcen aktiviert, neue erschlossen und Personen aus dem Umfeld zur Aktivierung gewonnen werden konnten. Beendet wird Teil 3 durch das Vorstellen des Abschlussberichtes.
4 Was sozialpädagogische Familienhilfe leisten kann
Teil 4 Was kann sozialpädagogische Familienhilfe leisten, beschließt das Buch. Auf eine exemplarische Aufzählung von möglichen Antworten folgt noch einmal die schon eingangs aufgeworfene Behauptung, dass "die Qualität des personalen Bezugs ... den Erfolg der SPFH" (S.96) bestimmt, also "nicht eine Methode, sondern die Persönlichkeit des Familienhelfers" (ebd.). Nicht zu bestreiten ist, dass es sich bei Sozialer Arbeit immer um eine Tätigkeit handelt, die an die Persönlichkeit des Menschen wesentlich höhere Anforderungen stellt, als das bei anderen nicht-sozialen Berufen der Fall ist. Die ausschließliche Fixierung Rothes auf die Persönlichkeit als Qualitätskriterium greift meines Erachtens jedoch zu kurz, da sie strukturelle und prozesshafte Aspekte nicht berücksichtigt und die Wirkmächtigkeit der Familie unterschätzt. Anders verhält es sich mit der abschließenden Einschätzung der Beendigung der SPFH, die zu bejahen ist. Die Bedeutung des Familienhelfers wird über die intensive Arbeitsphase hinaus betont. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass ein loser Kontakt auch längerfristig gegeben sein sollte.
Die Schlussgedanken beenden das Buch.
Zielgruppen
Laut Klappentext richtet sich das Buch an Mitarbeiter in der sozialpädagogischen Familien- und Erziehungshilfe, sowie an Anstellungsträger, also hauptsächlich an Praktiker der SPFH. Insbesondere werden von Marga Rothe Leser angesprochen, die dem systemischen Ansatz nahe stehen oder nach ihm arbeiten. Das Buch will Anregungen für praxisnahe Fragestellungen, z.B. wie man mit der Familie gemeinsam die Ziele für die SPFH erarbeiten kann, wie man Einblick in Familiensystem, Interaktion und die Beziehungen erhält, wie man der Familie ihre Verhaltensgewohnheiten und Fähigkeiten bewusst machen kann und die Berichte aussehen könnten, geben. Diese Übungen, Berichtsraster und Muster für Selbsthilfepläne können sicher auch (modifiziert) für andere Hilfen zur Erziehung verwandt werden. Für den eher wissenschaftlich orientierten Leser ist das vorgestellte Handlungskonzept jedoch an vielen Stellen zu wenig begründet und der Rückgriff auf die spärlich in Verbindung mit den gedanklichen Grundlagen genannten Konzepte erscheint bei den Übungen fast etwas willkürlich. Zudem ist zu bedenken, dass die Haltung der SPFH-Fachkräfte nicht durch das Lesen eines Buches verändert werden kann, lediglich Wissen und professionelle Strategien lassen sich so vermitteln.
Diskussion
Was die im Hauptteil des Buches vorgestellten Übungen angeht, können diese sicher so manchem Praktiker im Feld hilfreiche Anregungen geben. Es werden mehr Instrumente vorgestellt, als beispielsweise im Handbuch Sozialpädagogische Familienhilfe (DJI), wo sich auch Anregungen zu Inhalten von Hilfeplänen oder Netzwerkkarten finden. Allerdings ist die Gewichtung sehr unterschiedlich. Manche Instrumente, wie Selbsthilfeplan oder Soziotopanalyse, werden sehr ausführlich dargestellt, andere, zu denen mehr gesagt werden könnte, werden nur angerissen, z.B. der Abschlussbericht. Die Darstellung könnte übersichtlicher sein, indem z.B. immer erst die theoretische Rahmung vorgestellt wird, dann das Instrument, ein Beispiel, gefolgt von Hinweisen zur Anwendung und praktische Erfahrungen mit dieser. Zu kritisieren ist ebenfalls die ausstehende Überarbeitung. So gehen die Familien zum Arbeitsamt statt zur Agentur für Arbeit, beziehen noch Sozialhilfe und haben Schulden in DM Beträgen. Auch die neuesten Veröffentlichungen in der Literaturliste sind fast 10 Jahre alt. An mehreren Stellen im Buch finden sich Zitate und Sprichwörter, mehrere Textstellen aus dem Kleinen Prinzen werden angeführt. Man muss das mögen, oder sollte sich zumindest auf die klugen Sinnsprüche einstellen, die m.E. in der Belletristik bei Coelho besser aufgehoben sind. Erfreulich ist, dass Marga Rothe uns die „Multiproblemfamilie“ erspart, allerdings finden wir dafür „Randgruppenfamilien“ und „Randgruppenjugendliche“, (was zwar vorsichtiger diskriminiert, aber dies trotzdem noch tut).
Fazit
Alles in allem bietet das Buch also einige gute Anregungen, gerade da mehrere Instrumente auch dazu zwingen, komplexe Sachverhalte komprimiert graphisch darzustellen, und Tipps zu Auswertungs- und Reflexionsfragen bieten. Die Selbsthilfepläne sind stark auf die konkrete Zielerreichung ausgerichtet. Im Heidelberger Modell finden sich therapeutische und sozialraumorientierte Aspekte, stark geprägt von einer humanistischen Ethik. Wer also lediglich einige technische Anregungen will und darüber hinwegsehen kann, dass das Buch ob der fehlenden Überarbeitung der Neuauflage etwas angestaubt ist, wird fündig. Wer darüber hinaus Erwartungen hat, wird enttäuscht werden.
Rezension von
Dr. Anja Frindt
Dipl. Päd., Dipl. Sozarb./Sozpäd.
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Zitiervorschlag
Anja Frindt. Rezension vom 23.04.2007 zu:
Marga Rothe: Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe. Eine Handlungsanleitung. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2006. 5. Auflage.
ISBN 978-3-17-019200-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4498.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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