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Heinz Moser: Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im Medienzeitalter

Rezensiert von Dipl.-Soz.Päd. Thomas Molck, 24.07.2007

Cover Heinz Moser: Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im Medienzeitalter ISBN 978-3-531-32724-2

Heinz Moser: Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im Medienzeitalter. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2006. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage. 313 Seiten. ISBN 978-3-531-32724-2. 22,90 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-531-16164-8 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Einführung

Moser versteht Medienpädagogik nicht mehr als eine "Randdisziplin" der Pädagogik. Er geht davon aus, dass man sich auch mit Medien beschäftigen muss,  wenn man sich  mit dem Aufwachsen und dem Lernen von Menschen beschäftigt. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass die Wirklichkeit heute durch die Medien durchdrungen ist und es sich oft nicht unterscheiden lässt, was das "Ursprüngliche" und was das "medial Abgeleitete" ist. Dabei ist der Ausgangspunkt Mosers der Ansatz des Konstruktivismus, dass Wirklichkeit Ergebnis eines Konstruktionsprozesses ist. Medien stellen für ihn zentrale Angebote für diesen Konstruktionsprozess dar und insofern müssen sie auch zentraler Bestandteil einer allgemeinen Pädagogik sein.

Aufbau und Inhalt

  • Nach einer Einleitung, im der Moser seine Herangehensweise allgemein und am Beispiel von  vier medialen Schlüsselereignissen erläutert, entwickelt Moser in acht Kapiteln eine umfassende Analyse von Medien in der Gesellschaft.
  • Im ersten Kapitel zu "Neuen Realitäten" vertieft er den Ansatz der medialen Durchdringung. So stellt er am Anfang die Frage, ob es "realer" ist bei einem Fußballspiel oder einem Konzert live dabei zu sein oder es aus einer viel näheren Perspektive im Fernsehen zu verfolgen. Später im Kapitel wird dann klar, dass die Frage im Kern schon falsch gestellt ist, denn die "Originale sind genauso inszeniert wie die Abbilder" (S. 68). Moser geht in diesem Zusammenhang ausführlich, aber wenig strukturiert, auf verschiedene Fernsehformate ein und stellt Bezüge zu Überlegungen von Autoren wie McLuhan und Virilio her. Möglichkeiten von neuen Medien wie dem Internet werden dabei an dieser Stelle auch - wenn auch weniger ausführlich - erwähnt.
  • Im zweiten Kapitel zum "Aufwachsen in der Erlebnisgesellschaft" geht Moser dann auf medienwissenschaftliche Ansätze von Neil Postman, Ulrich Beck und Gerhard Schulze zurück. Dabei sieht er Postmans These vom "Verschwinden der Kindheit" eher kritisch und plädiert mit Schulze dafür, heute von einer Erlebnisgesellschaft auszugehen, in der Menschen nicht mehr durch die Lebenssituation in die sie hinein geboren werden völlig festgelegt sind, sondern die individuelle Gestaltung des Lebens durch das Subjekt eine größere Rolle einnimmt und diese sich in verschiedenen "alltagsästhetischen Schemata" vollzieht. Im folgenden Abschnitt zum Thema "Kinder und Jugendliche in der Mediengesellschaft" referiert Moser dann vor allem Theorien und Untersuchungen zur Veränderung der Sozialisation im Kontext neuer sozialer Bedingungen, geht dabei aber wenig auf die Rolle, die Medien dabei spielen ein.
  • Im dritten und vierten Kapitel zum Thema "Die Medien und das Heranwachsen der Kinder" und zur "Verarbeitung von Medienerlebnissen" rollt Moser dann die Medien-Geschichte erneut aus der Sicht  der Wirkungs- bzw. Mediennutzungsforschung auf und erläutert die entsprechenden Ansätze der - auch aus seiner Sicht überholten - "Reizüberflutungsthese", des "Uses and Gratifications Ansatz" der 50er Jahre und spätere "medienbiographische Ansätze" im Kontext biographischer Forschung. Später geht er in diesem Kapitel konkreter auf qualitative und quantitative Untersuchungen zur Mediennutzung- und -wirkung bei Kindern ein, zum Beispiel im Bezug das unterschiedliche Verständnis von Handlungsabläufen je nach Lebensalter oder der unterschiedlichen Reaktion auf spannungsgeladene Szenen bei Jungen und Mädchen. Auch in diesem Kapitel liegt der Schwerpunkt im Bereich des Fernsehens, aber auch die - vor allem im Zusammenhang mit den neuen Medien aufgekommenen - Diskussionen um einen "Digital Divide" in der Mediennutzung unterschiedlicher sozialer Schichten wird erwähnt.
  • Ein eigenes Kapitel widmet Moser dann dem Thema "Gewalt im Fernsehen", was angesichts dessen, dass dieses Thema in der öffentlichen Diskussion oft im Vordergrund steht, nachvollziehbar, im systematischen Sinne aber kritisch ist. Hier erläutert er zunächst die klassischen Ansätze der - auch aus seiner Sicht kaum noch vertretenen - Katharsis Theorie und des Modell-Lernens um dann genauer auf die kognitiven Verarbeitungsprozesse von Gewalt im Fernsehen einzugehen. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, in der empirischen Forschung zu diesem Thema ermittelte Korrelationen zwischen Gewalt im Fernsehen und entsprechenden Verhaltenweisen nicht vorschnell als kausale Ursachen zu definieren. Vielmehr sind selbst Horror Videos und Pornos vor dem Hintergrund der Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen unter Umständen geeignet "z.B. Probleme der Identitätsfindung verdichtend darzustellen - so dass diese von Jugendlichen produktiv verarbeitet werden können" (S. 204).
  • Erst im letzten Drittel des Buches beschäftigt sich Moser dann im sechsten Kapitel "Die digitale Welt des Computers" ausführlicher mit neuen Medien. Auch hier beschreibt er die historische Entwicklung: Von pädagogischen Ansätzen zur Programmierung in den 80er Jahren über Computer als multimediale Lernumgebung bis hin zu virtuellen sozialen Netzwerken mit Chats, Foren, Messengern, etc.
  • Im siebten Kapitel geht es dann schließlich um "Ansätze des medienpädagogischen Handelns: Das Konzept der Medienpädagogik". Hier beschreibt Moser zunächst Baakes Verständnis von Medienkompetenz als Medienkritik, Medienkunde und Mediengestaltung. Im Folgenden bleibt Moser dann der konstruktivistischen Sichtweise des Umgangs mit Medien treu, wenn er den Schwerpunkt des Kapitels auf den am Center for Contemporary Cultural Studies in Birmingham entwickelten Ansatz der "cultural studies" legt, nach dem Rezipienten von Medien diese nicht einfach aufnehmen sondern selbst aktiv die Bedeutung schaffen. Am Ende des Kapitels geht Moser dann noch mal auf die handlungsorientierten Ansätze einer Medienpädagogik ein, die die eigene Produktion von Medien ins Zentrum der pädagogischen Arbeit rückt.
  • Im achten Kapitel geht Moser dann auf  "Bildung und Schule in der Medien- und Informationsgesellschaft" ein. Er erläutert die unterschiedliche Herangehensweisen einer "Medienpädagogik" auf der einen und der "Einführung in die Informations- und Kommunikationstechnologie" auf der anderen Seite. Bei der Medienpädagogik sieht er in der fächerübergreifenden Einführung auch den Grund, warum es weniger verbindlich eingeführt wurde, als es bei einem eigenen Fach der Fall gewesen wäre. In den 80er Jahren tritt dann das Thema "Computer in der Schule" in den Vordergrund, bei dem heute vor allem die didaktische Einbindung thematisiert werden muss, um nicht in die von Moser benannte "Technik-Falle" (S. 266) zu geraten und zu denken, man müsse nur genügend Computer in der Schule bereitstellen um den Anforderungen der Informations- und Kommunikationstechnologie gerecht zu werden.
  • Im letzten Kapitel "Bildung im Informationszeitalter" zieht Moser dann ein Fazit des Buches. Darin plädiert er dafür, heute in der Medienpädagogik weniger von der Förderung der Medienkompetenz auszugehen. Die meisten Menschen gingen heute nach empirischen Erhebungen bereits recht kompetent mit Medien um. Vielmehr solle sich die Medienpädagogik wieder auf den Begriff der Medienbildung beziehen. Diese gehe von den bestehenden Kompetenzen aus und frage, wie diese in Bildungsprozesse einbezogen werden können. Damit stellt Moser Medienbildung als notwendigen Teil von Bildung im Allgemeinen dar.

Diskussion

Insgesamt werden die wissenschaftlichen Ansätze im Kontext der Medienpädagogik in diesem Lehrbuch ausführlich und kompetent dargestellt. Auch die Orientierung an konstruktivistischen Ansätzen in der Untersuchung der Medienrezeption ebenso wie in der Pädagogik ist überzeugend.

Allerdings wäre es gerade in dieser Hinsicht konsequent, ein sehr viel stärkeres Gewicht auf die Ansätze der Medienpädagogik zu legen, die die Medienproduktion in der pädagogischen Arbeit thematisieren. Diese werden zwar erwähnt, der Schwerpunkt des Lehrbuches liegt aber eindeutig in der Auseinandersetzung mit der - wenn auch als eigene produktive Leistung verstandenen - Rezeption.

Auch legt das Buch über weite Strecken das Hauptgewicht auf die Beschäftigung mit dem Fernsehen und verkürzt damit den Medienbegriff. Dies erscheint insbesondere im Bezug auf die zunehmende Bedeutung der neuen Medien problematisch.

Schließlich erschweren die nicht immer nachvollziehbar Gliederung und viele inhaltliche Wiederholungen teilweise die Lektüre, was bei einem als "Lehrbuch" ausgezeichnetem Buch nicht angemessen erscheint.

Fazit

Trotz der genannten Einwände ist das Buch aufgrund seiner umfassenden Darstellung des Themas im Bereich der Untersuchung der Medienrezeption und seiner konsequenten Orientierung an konstruktivistischen Ansätzen, für entsprechend ambitionierte LeserInnen, vor allem auch im Bereich der Hochschule, der Bildung und Weiterbildung sicher empfehlenswert.

Rezension von
Dipl.-Soz.Päd. Thomas Molck
Dozent für Neue Medien und Datenschutzbeauftragter der HS Düsseldorf
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Es gibt 10 Rezensionen von Thomas Molck.

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ISSN 2190-9245