Volker Brinkmann (Hrsg.): Case Management. Organisationsentwicklung und Change [...]
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 05.04.2007
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Volker Brinkmann (Hrsg.): Case Management. Organisationsentwicklung und Change Management in Gesundheits- und Sozialunternehmen. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler (Wiesbaden) 2006. 174 Seiten. ISBN 978-3-8349-0285-6. 29,90 EUR. CH: 52,20 sFr.
Das Thema
"In unserem komplexen, hochgradig arbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitssystem steigen sowohl der Abstimmungs- und Vernetzungsbedarf als auch die Bedeutung von Case Management-Modellen. Die Einführung der generalistischen "Case Management-Methode" erfordert einen erhöhten Aufwand in der Anwendung und Organisationsentwicklung der Sozial- und Gesundheitsunternehmen. Case Management ist ein sehr gutes Instrument personenbezogener Dienstleistungssteuerung von der Pflege über ambulante und stationäre Krankenversorgung, zum Einsatz in der Behindertenunterstützung, der wirtschaftlichen Jugendhilfe und in Sozialhilfesystemen. Renommierte Experten beschreiben in diesem Buch die aktuellen Anforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten. Zahlreiche Best-Practice-Beispiele helfen bei der Umsetzung. Was bisher fehlt, ist die Konzentration auf die dazu gehörige Organisationsentwicklung und dem [sic!] damit verbundenen Change Management-Bedarf. Dieses Buch schließt dabei eine wichtige inhaltliche Lücke." (Klappentext)
Der Herausgeber
Prof. Dr. Volker Brinkmann ist Lehrbereichsvorsitzender für Ökonomie, Recht und Politik im Fachbereich Soziale Arbeit an der Fachhochschule Kiel. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Sozialwirtschaft, Sozialmanagement, Public Management/Administration, Qualitäts- und Kostenbewertung.
Die Artikel und ihre Autoren
- Sozialökonomische Funktionen und Systemfragen des Case Managements (Brinkmann)
- Der Fall im System - Organisation des Systemischen Case Managements (Kleve/Müller/Hampe-Grosser)
- Case Management in Lernenden Organisationen (Schroer)
- Aktivierung in der Sozialhilfe (Schu/Reis)
- Case Management als Baustein der sozialinvestiven Reorganisation des Systems sozialer Dienste und Einrichtungen (Buestrich/Wohlfahrt)
- Chancen und Risiken von Case Management für die Soziale Arbeit und die Implementierung in soziale Organisationen (Gissel-Palkovich)
- Case Management in der Kinder- und Jugendmedizin - Qualitätsmanagement beim Aufbau und in der Begleitung von Nachsorgeeinrichtungen (Porz/Podeswik)
- Systemsteuerung im Case Management - dargestellt am Beispiel der beruflichen (Re-) Integration (Faß)
- Aspekte des Konzeptes Lernende Organisation im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung im Case Management (Höcker)
Wie in beinahe jedem Herausgeberwerk so gibt es auch in diesem Band Artikel unterschiedlichster Qualität: Beiträge fast ohne Literaturangaben oder solche, die hauptsächlich die eigenen Werke zitieren, ausgesprochen brauchbare Praxisbeispiele, aber auch Praxisberichte, die den Bezug zum Thema Case Management eher vermissen lassen. Im Folgenden sollen aus allen Artikeln die drei Beiträge ausführlicher beleuchtet werden, die dieses Buch in jedem Fall lesenswert machen.
Sozialökonomische Funktionen und Systemfragen des Case Managements (Brinkmann)
Der einleitende Artikel des
Herausgebers befasst sich mit den organisatorischen und sozialökonomischen
Rahmenbedingungen des Case Managements. Er stellt Case Management in den
Kontext der Umsetzung neuer Steuerungsmodelle, von Kontraktmanagement und der
neuen Paradigmen (Ergebnisorientierung und Ergebnisverantwortung). Insofern
wird Case Management konsequent in seiner fall- und systemsteuernden Wirkung
betrachtet. Beispielhaft deutlich macht dies der Autor an Zielbildungsprozessen
auf der Fallebene ("consumer driven") und mit Case Management vor dem
Hintergrund veränderter Finanzierungsmodelle ("system driven"), wobei letzteres
Thema dem Autor offenkundig näher liegt. Auf dem Hintergrund des Wandels der
Finanzierungsmodelle sozialer Dienstleistungen zeigt Brinkmann auf, welche
Hoffnungen Case Management bei den Trägern Sozialer Arbeit erweckt: der Case
Manager als Kunden-/Verbraucherberater (S. 14). Diese "Vision" wird am Beispiel
des "persönlichen Budgets" nach § 17 SGB IX beispielhaft deutlich gemacht. Wenn
Klienten statt wie im sozialversicherungsrechtlichen Dreieck Auftraggeberstatus
bekommen, bedarf es der "Implementierung des CM in kommunalen Pflegeberatungsstellen",
die damit "Negotiation" und "Bargaining" (S. 15) für den Klienten anbieten.
Ein weiteres Thema, das der Autor anschließt, ist: Case Management als Einstieg
in Fallgruppen der Sozialen Arbeit. Dies ist auf dem Hintergrund der neuen
Krankenhausfinanzierung (Diagnosis Related Groups) eine höchst wichtige
Überlegung, die leider nur sehr kurz abgehandelt wird. Hier stellt sich die
Frage, inwieweit die Leistungen der Sozialen Arbeit mit dem Fallgruppenansatz
kompatibel sind. Die nur sehr leise anklingende (und im Zitat versteckte)
Kritik an der Sozialen Arbeit, die sich weigert, ihre Arbeit klassifizieren zu
lassen und sich stattdessen in "Werte und Idealkonstruktionen" flüchtet (S.17),
wäre sicher ein ganzes Kapitel wert gewesen - ebenso wie die sich anschließende
Frage, ob Case Management wirklich ein Ausweg aus diesem Verweigerungsdilemma
sein kann.
Fazit: Der Artikel zeigt an
wenigen aber gewichtigen Beispielen auf, welchen Diskussionsprozess auch
Verfechter von Case Management noch vor sich haben.
Aktivierung in der Sozialhilfe (Schu/Reis)
In diesem sehr informativen Artikel geht es um eine "Bestandsaufnahme ein Jahr nach Inkrafttreten des SGB XII". Am Beispiel der Sozialämter machen die Autoren beispielhaft deutlich, welche Anpassungsleistungen Organisationen erbringen müssen, wenn sie den neuen Anforderungen gerecht werden wollen, die sich im Umfeld von Case Management stellen. Zunächst werden die Regelungen des BSHG und des neuen SGB XII einander gegenüber gestellt und die Intentionen des Gesetzgebers verdeutlicht, Sozialhilfe als "Dienstleistung" zu verstehen und zu organisieren (vgl. S. 64). Daraus werden die Anforderungen an die Sozialämter entwickelt, die umso größer erscheinen, je mehr die Realität der Ämter vor der Einführung der Reform beleuchtet wird. Die Ausgangslage gipfelt in dem Satz: "Viele Kommunen waren im Jahr 2005 hierauf nicht vorbereitet." (S. 65)
Die Umsetzung der Reform zu beobachten war Aufgabe eines Projektes, das im Artikel referiert wird. In diesem Zusammenhang taucht auch Case Management (in diesem Kontext "Fallmanagement" genannt) auf, und zwar als ein aktivierendes Handlungskonzept.
Die Ergebnisse der empirischen Beobachtungen sind ernüchternd: Die Autoren stellen u.a. mangelnde Fachlichkeit und fehlende Personalentwicklung fest (vgl. S. 68). Der Artikel endet mit einer Reihe von sehr wichtigen und brauchbaren Empfehlungen, u.a. auch solcher, die sich auf das Fallmanagement beziehen.
Fazit: Es gibt in der Sozialarbeit kaum etwas Wichtigeres als empirische Studien zu Fragen der Fachlichkeit und konzeptuellen Durchführung von Programmen. Nur so lassen sich Folgerungen und Erkenntnisse ziehen. Insofern hat dieser Artikel eine zentrale Bedeutung für die organisatorische Weiterentwicklung des Fallmanagements (wenngleich die Deckungsgleichheit von Fall- und Case Management erst noch zu erweisen ist).
Chancen und Risiken von Case Management für die Soziale Arbeit und die Implementierung in soziale Organisationen (Gissel-Palkovich)
Zunächst wird Case Management mit seinen Möglichkeiten zur methodischen Bewältigung von Fallkomplexität für Menschen mit umfassendem Unterstützungsbedarf dargestellt. Die Autorin kommt zu dem Schluss: "Durch Verfahrenselemente, wie Bedarfserhebung und -analyse (Assessment), durch Prioritätensetzung über Zielvereinbarungen, mit Hilfe von vertraglich geregelten Kooperationen und Netzwerkarbeit, kann Case Management die sozialarbeiterische Praxis bei der Bewältigung komplexer Fallbearbeitungen methodisch unterstützen." (S. 92) Ein besonders lohnendes Kapitel zum Verständnis von Case Management ist der Aufweis dieser Methode als Verbindung von Beratung und Management. Hier wird dargelegt, dass das Spezifikum von Case Management die Verknüpfung von methodischen Elementen personenbezogener Unterstützung und Hilfe mit Elementen des fallbezogenen Managements ist. Korrespondierend dazu: die Verknüpfung der Einzelfallsteuerung mit der Systemebene mit dem Ziel der Verbesserung der Qualität der Unterstützungsleistungen.
Im zweiten großen Abschnitt geht es um kritische Erfolgsfaktoren für die Implementierung von Case Management in die Soziale Arbeit und soziale Organisationen. Die Auseinandersetzung mit "CM als Instrument sozialpolitischen Wandels", insbesondere aber mit dem Nutzen dieser Methode als "ein Instrumentarium des "Förderns und Forderns", "Aktivierens und Optimierens"" lässt leise Kritik erkennen, die durchaus stärker akzentuiert hätte sein dürfen.
Diskutiert werden weiterhin Fragen des Zugangs zu Case Management sowie der Gewichtung als Beratungs- bzw. Fallsteuerungskonzept. Auch die Themen Effizienzorientierung (ökonomische Rationalität in Konkurrenz zu sozialarbeiterischen Leitprinzipien) und Anforderungen an die Organisationen in puncto Case Management werden bearbeitet ebenso wie die Frage nach den Auswirkungen auf die Trägerstrukturen und -kultur sowie der theoretischen Einbindung.
Der Artikel schließt ab mit längeren Ausführungen zu Fragen der Organisationsentwicklung. Die Quintessenz der Autorin: "[…] dass Case Management für die Praxis der Sozialen Arbeit Möglichkeiten beinhaltet, den Spagat zwischen gestiegenen Anforderungen bei gleichzeitig stagnierenden bzw. abnehmenden Ressourcen methodisch zu bewältigen und damit Handlungsfähigkeit zu bewahren." (S. 102)
Fazit: Insbesondere der erste Teil des Artikels ist ein äußerst wertvoller Beitrag zum Verständnis von Case Management und zeigt auf, welche "Essentials" Case Management zugrunde liegen. Angesichts der nicht mehr überschaubaren Flut von Praktiken, die sich alle Case Management nennen (und sich z.T. in Artikeln des Buches finden), ist dieser Versuch nicht hoch genug einzuschätzen. Die Längen im dritten Teil sollen das überaus positive Schlussfazit nicht schmälern: Dass nämlich allein wegen dieses Artikels das Buch lesenswert ist.
Zielgruppe
Studenten und Dozenten des Sozial- und Gesundheitsmanagements, der Gesundheits- und Sozialökonomie sowie Sozialpolitik an Universitäten, Fachhochschulen und Akademien; Manager im Sozial- und Gesundheitswesen. Kurzum: alle, die mit dem Umbau von Non-Profit-Organisationen und der öffentlichen Verwaltung befasst sind.
Ausstattung
Das Buch ist neben den vielfältigen Inhalten gut ausgestattet: So werden die einzelnen Autoren ausführlich beschrieben, die Grafiken sind gut lesbar und lassen eine gezielte Nutzung des Buches zu. Angesichts der vielen Artikel wäre ein Stichwortverzeichnis hilfreich gewesen.
Fazit
Das Buch ist für all diejenigen Praktiker und Wissenschaftler lesenswert, die sich über Forschungsstand, Fragestellungen und Praxis der organisatorischen Implikationen von Case Management informieren wollen. Dem Herausgeber gebührt das Verdienst, hier eine Lücke in der Wissenschaftslandschaft gesehen zu haben. Sein Angebot an den Leser verdient deshalb Beachtung.
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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