Ralf Schnabel, Wilma Dirksen: Apfelsinen in Omas Kleiderschrank. Eine didaktische DVD zur Alzheimer-Krankheit
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 03.12.2007
Ralf Schnabel, Wilma Dirksen: Apfelsinen in Omas Kleiderschrank. Eine didaktische DVD zur Alzheimer-Krankheit.
Kuratorium Deutsche Altershilfe
(Köln) 2007.
ISBN 978-3-935299-95-4.
160,00 Euro je DVD-Video inkl. Mehrwertsteuer mit Verleihrecht und Recht zur öffentlichen Vorführung
80,00 Euro je DVD-Video inkl. Mehrwertsteuer ohne Verleihrecht, jedoch mit dem Recht zur öffentlichen Vorführung
40,00 Euro je DVD-Video inkl. Mehrwertsteuer ohne Verleihrecht und ohne Recht zur öffentlichen Vorführung
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Thema
Demenz als eine dominante Alterskrankheit in einer alternden Gesellschaft wird allmählich Alltag dergestalt, dass mittlerweile fast jeder Erwachsene in Deutschland von einem Demenzkranken in der Verwandtschaft, Nachbarschaft oder Bekanntschaft zu berichten weiß. Filme, Fernsehspiele und Gesundheitsmagazine tragen neben populärwissenschaftlichen Beiträgen in Zeitschriften, Apothekenheften u. Ä. mit dazu bei, die Thematik Demenz und hierbei besonders die Alzheimer-Demenz in allen Gesellschaftskreisen bekannt zu machen. Mittlerweile sind bereits schon Kinderbücher zu dieser Alterskrankheit erschienen.
Die vorliegende Veröffentlichung, eine DVD, wendet sich gezielt an die Jugend der Altersgruppe 14 - 18 Jahre. Vor allem ist hierbei an Allgemeinbildende Schulen (Jahrgangsstufe 8 - 13), Berufsbildende Schulen und auch an die Kinder- und Jugendbildung gedacht. Nach Empfehlung der Autoren kann diese "didaktische DVD" sowohl Fächer übergreifend als auch in den Fächern Religion/Ethik, Pädagogik/Psychologie, Biologie und Deutsch eingesetzt werden.
Autoren
Bei den Autoren handelt es sich um einen freiberuflichen Filmemacher und Produzenten (Ralf Schnabel) und eine Lehrerin, Soziotherapeutin und gerontopsychiatrische Fachberaterin (Wilma Dirksen).
Inhalt
Der visuelle Teil besteht
aus dem Hauptfilm "Apfelsinen
in Omas Kleiderschrank" (Filmlänge 30 Min) und zwei Film-Module:
"Erzähl doch mal von früher, Oma" - Möglichkeiten gemeinsamen Tuns mit
Demenzkranken (Filmlänge 15 Min) und
"Die Frau im Spiegel" - Tipps zum Umgang mit Demenzkranken (Filmlänge
24 Min).
Im Hauptfilm wird eine 69jährige Frau (die "Oma Anna"), die sich bereits im mittleren Stadium der Demenz befindet, aus der Sicht ihres 16jährigen Enkelkindes Daniel, das zusammen mit den Eltern und der Großmutter einen Haushalt im Schwäbischen teilt, ausführlich beschrieben. Die ersten Symptome, der Verlust an Alltagskompetenz und auch die vielen Erschwernisse, die durch die Erkrankung der Großmutter auf der Familie lasten, werden angeführt. Wie z. B. die Tochter der Oma beim morgendlichen Waschen und Ankleiden hilft, dass sie ihr Spiegelbild nicht mehr erkennt und auch ihr Alter nicht mehr weiß, all diese Krankheitsaspekte werden in anschaulichen Szenen dargestellt. Zusätzlich werden auch Außenkontakte zur Nachbarschaft und der regelmäßige Besuch einer Betreuungsgruppe in kurzen Szenen mit der Kommentierung des Enkels gezeigt. Zum Ende des Filmes äußert der Junge seine Ängste bezüglich dieser Erkrankung.
Im Film-Modul "Erzähl doch mal von früher, Oma" werden anhand von kurzen Filmszenen Hinweise und Tipps im Umgang mit Demenzkranken gegeben, die in der Altenhilfe bekannt sind, doch für Jugendliche noch überwiegend neu sein werden: Auf die Vorlieben und Gewohnheiten achten, Beschäftigung anbieten, zu Erinnerungen, Spaziergängen und einfachen Spielen anregen, Singen und einiges mehr.
Das Film-Modul "Die Frau
im Spiegel" enthält eine Reihe von
Tipps und Hinweisen im Umgang mit Demenzkranken (einfache Sätze, Augenkontakt,
mehrere Sinne ansprechen u. a.). Auch auf das Verhalten bei auftretenden
Realitätsverlusten wie wahnhaften Verkennungen und Zeitverschränkungen ("Leben
in der Vergangenheit") wird eingegangen, wobei u. a. Strategien der Beruhigung
und Ablenkung als probate Umgangsformen angeführt werden.
Das Begleitmaterial besteht aus
11 Arbeitsblättern, 24 Grafiken, 10 Texten mit Hintergrundinfos und einem
Begleitheft mit methodisch-didaktischen Empfehlungen zum Einsatz der DVD
(Autorin: Wilma Dirksen).
Diskussion
Die "didaktische DVD" über Demenz vom Alzheimer-Typ muss sich an dem Anspruch messen lassen, ein angemessenes Unterrichtsmaterial über eine hirnorganische Erkrankung für Jugendliche bieten zu wollen.
Unterrichtsmaterial im Schulbereich basiert in der Regel auf dem Stand der Forschung, der didaktisch aufbereitet in allgemeinverständliche Materialien oder Einheiten gemäß dem Verarbeitungsvermögen der jeweiligen Altersgruppe umgesetzt wird. Die Vermittlung der wesentlichen Zusammenhänge in objektiver und vollständiger Form sind hierbei didaktische Qualitätskriterien.
Zum Film kann angeführt werden, dass die Idee oder das Konzept, die Erkrankung aus der Sicht eines Jugendlichen beschreiben zu lassen, medientechnisch ein geschickter Einstieg ist. Eine Mischung aus nüchternem Lehrfilm und vertrauter Fernsehkost, der das Interesse der Jugendlichen aller Wahrscheinlichkeit nach ansprechen wird. Doch inhaltlich wird bei dem Filmmaterial bereits gegen das Prinzip der Vollständigkeit verstoßen, denn es wird nur ein kleines Segment der Erkrankung in Filmszenen gezeigt, die Phase des Beginns des mittelschweren Stadiums. Kleine Szenen in Schwarzweiß verweisen auf Filmaufnahmen aus der Vorjahr, die jedoch keine neuen inhaltlichen Aspekte bezüglich der damaligen Krankheitsphase enthalten. Vom Filmaufbau und der Dramaturgie her fehlen somit Rückblenden über die ersten Symptome und zugleich Szenen über das künftige Geschehen im schweren Stadium der Erkrankung (massiver körperlicher und geistiger Abbau, Immobilität und ständige Bettlägerigkeit u. a.). Auch werden die Unsicherheiten, die Ängste, die Ratlosigkeit und der Stress bezüglich der überfordernden Umwelt szenisch nicht ausreichend erfasst, denn bereits im mittleren Stadium der Erkrankung werden massive kognitive und funktionelle Minderleistungen (u. a. Aphasie, Agnosie und Apraxie) evident. Die beiden ergänzenden Film-Module bieten zwar einige Vertiefungselemente über die Symptome und den Umgang an, können aber das Spektrum an Wissen nicht tief greifend erweitern.
Das äußerst umfangreiche Begleitmaterial (insgesamt 64 Dateien) vermag die Mängel des Films nicht auszugleichen. Den vielen Arbeitsblättern, Grafiken und Abbildungen fehlt ein ordnendes Strukturgefüge, das die Wesensmerkmale dieser Erkrankung für die Jugendlichen darzustellen vermag. Eine Vielzahl an Bausteinchen unterschiedlicher Herkunft ohne Konstruktionsplan - so wirkt das Ganze. Hieraus ein Gefüge aus Unterrichtseinheiten für den Schulunterricht zu bilden, wird ohne fundierte Grundkenntnisse über Demenzen nicht allzu leicht sein.
So bleibt nur Stückwerk, ein Torso, jedoch kein Gesamtbild über eine chronische und unaufhaltsam verlaufende Erkrankung mit all ihren Folgen für die Betroffenen.
Fazit
Die vorliegende DVD mitsamt dem Begleitmaterial sind als Unterrichtsmaterialien für den Schulbetrieb aufgrund der Unvollständigkeit und der Unstrukturiertheit nicht geeignet. Schülern sollte Gelegenheit gegeben werden, sich das Wissen über Demenzen in seiner Ganzheitlichkeit gemäß dem Stand der Forschung anzueignen. Nur so können sie sich ein angemessenes Bild über die Erkrankung machen.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 03.12.2007 zu:
Ralf Schnabel, Wilma Dirksen: Apfelsinen in Omas Kleiderschrank. Eine didaktische DVD zur Alzheimer-Krankheit. Kuratorium Deutsche Altershilfe
(Köln) 2007.
ISBN 978-3-935299-95-4.
160,00 Euro je DVD-Video inkl. Mehrwertsteuer mit Verleihrecht und Recht zur öffentlichen Vorführung
80,00 Euro je DVD-Video inkl. Mehrwertsteuer ohne Verleihrecht, jedoch mit dem Recht zur öffentlichen Vorführung
40,00 Euro je DVD-Video inkl. Mehrwertsteuer ohne Verleihrecht und ohne Recht zur öffentlichen Vorführung
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In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4634.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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