Ingo Straub: Medienpraxiskulturen männlicher Jugendlicher
Rezensiert von Dipl.-Soz.Päd. Thomas Molck, 27.11.2007

Ingo Straub: Medienpraxiskulturen männlicher Jugendlicher. Medienhandeln und Männlichkeitskonstruktionen in jugendkulturellen Szenen.
Deutscher Universitätsverlag
(Wiesbaden) 2006.
252 Seiten.
ISBN 978-3-8350-6040-1.
35,90 EUR.
Reihe: Kommunikationswissenschaft.
Thema
Wie Straub auch in seiner Einleitung ausführt, wurden Medienerfahrungen und -handeln von Jugendlichen bisher vor allem im Bezug zu Bildungsmilieus, Geschlecht und Ethnie untersucht, nicht aber im Bezug auf jugendkulturelle Szenen. Zum Schließen dieser Lücke soll diese Studie beitragen, wobei Straub unter jugendkulturellen Szenen Cliquen oder thematisch ausgerichtete Zusammenschlüsse gleichaltriger oder gleichrangiger Jugendlicher versteht. Dabei beschränkt er sich auf männliche Jugendliche, um eine Reifizierung der binären Geschlechterordnung schon im Forschungsdesign zu vermeiden.
Aufbau und Inhalt
Im ersten Drittel des Bandes werden ausführlich die theoretischen und die methodisch-methodologischen Grundlagen dargestellt. Ausgangspunkt ist dabei die Jugendkultur, die Straub im Kontext der sozialwissenschaftlichen Diskussion der Individualisierung einbettet und dabei feststellt, dass der Begriff der Jugendkultur als abgegrenzte Startphase zur Vorbereitung des Arbeits- und Familienleben heute relativ schwammig ist. Eine wesentliche Rolle spielen in dieser Phase peer-groups, die Straub in einer eigenen Definition als jugendkulturelle Szenen fasst.
Weiterhin referiert Straub bestehende Untersuchungen zu jugendlicher Nutzung neuer Medien, zu ihrer geschlechtsspezifischen Nutzung und zum vergeschlechtlichten Charakter der Medien selbst.
Ausgehend von einer Darstellung der Geschichte der Männerforschung werden Cornells Konzept der hegemonialen Männlichkeit, Bourdieus Konzept eines "vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus" (Bourdieu 1997, S. 167 zit. nach Straub, S. 52) als zentrale Thesen eingeführt, die später in der qualitativen Analyse der Ergebnisse wieder aufgegriffen werden.
Methodisch-methodologische Grundlage der Arbeit ist die dokumentarische Methode nach Bohnsack, die verschiedene Ansätze der Interpretation und Analyse von qualitativen Erhebungen - in dieser Studie von Gruppendiskussionen mit Jugendlichen - bietet. Dabei zielt diese Methode auf eine qualitative Repräsentativität, d.h. auf die umfassende Abbildung des Problemfeldes anstelle der Abbildung der Zielgruppe.
Sehr umfassend werden im Hauptteil in den folgenden Kapiteln sechs Gruppendiskussionen dargestellt, analysiert und interpretiert. Dabei handelt es sich um drei "Fußball-Gruppen", eine christliche Gruppe die sich in einer katholisch-marianischen Gemeinschaft gebildet hat, eine Gruppe von Computerspielern und eine schwule Gruppe.
a) Anonyme Kommunikation im
Internet. Vor allem in den "Fußball-Gruppen"
und der christlichen Gruppe zeigt sich eine große Distanz zum Internet im
Allgemeinen und vor allem gegenüber anonymen Formen der Kommunikation im
Internet. Diese Distanz gründet unter anderem darauf, dass Kommunikation im
realen Leben für die Jugendlichen aufgrund der Körperlichkeit und Gemeinschaft
einen höheren Stellenwert hat. Auch dient sie dem Aufbau eines
Erwachsenenhabitus, wenn z.B. Chat-Kommunikation eher in der vergangenen
Kindheit verortet wird.
Auch für die jungen
Computerspieler und die schwule Gruppe haben anonymen Formen der Kommunikation im
Internet keinen hohen Stellenwert. Auch sie orientieren sich mehr an der Gruppe
im realen Leben, haben aber im Gegensatz zu den anderen Gruppen eher ein
utilitaristisches Verhältnis zur Kommunikation im Internet insgesamt und nutzen
dieses durchaus um z.B. bestehende Kontakte zu pflegen. Auch die Grundlage der
Distanz sieht Straub in diesen
beiden Gruppen eher darin, dass sie weniger Möglichkeiten sehen, mit anonymen
Formen der Kommunikation im Internet sinnvolle Kontakte zu knüpfen.
Insgesamt
verdichtet Straub diese Distanz,
die alle Gruppen - wenn auch mit unterschiedlicher Motivation - gemeinsam
haben, zur These einer "kritisch-skeptischen bis ablehnenden Orientierung
gegenüber anonymen Formen computervermittelter Kommunikation" als "Typik
männlicher Jugendlicher in jugendkulturellen Szenen" (S. 198).
b) Nutzung des Internet
nach Nützlichkeitserwägungen. Alle
Gruppen nutzen das Internet - wenn auch teilweise nur in geringem Maße - wo es
ihnen nützlich erscheint. Etwa zum Surfen, für die Schularbeit, teilweise um
Kontakte zu halten und bei der schwulen Gruppe auch um - z.B. aus einem
dörflichen Kontext heraus - überhaupt Informationen und Kontakte zur schwulen
Subkultur zu finden.
Da diese utilitaristische
Herangehensweise gerade die schwule Gruppe von den anderen unterscheidet,
stellt sich für Straub die Frage,
ob "die Einbindung in männlich-heterosexuelle Sozialisationszusammenhänge" (S. 213, Hervorhebung
durch den Rezensenten) gerade die größere Distanz zu anonymer virtueller
Kommunikation (mit) erklärt.
c) Konstruktion
hegemonialer Männlichkeit. Vor allem
in den "Fußball-Gruppen" und der christlichen Gruppe dient die
Geschlechtshomogenität der Gruppen als Freiraum. Bei den "Fußball-Gruppen"
unter anderem für - aus ihrer Sicht - "männliches" Verhalten wie Witze reißen,
Machosprüche, Furzen und Bier trinken. Bei der christlichen Gruppe z.B. als
Schutz vor der Konfrontation mit Sexualität oder für Action mit hohem
Körpereinsatz bei Zeltlagern.
Damit geht eine Abwertung von Frauen
einher, z.B. wenn die Fußballer sich gegen Frauenfußball positionieren, weil
Fußball ein "Männersport" (S. 114) sei oder die christliche Gruppe Frauen auf
ihren Zeltlagern nur als Köchinnen akzeptiert.
Diese "Aktivierung des
Geflechts von Körper, Bewegung und körperlicher Aktivität in den körper- und
bewegungsorientierten Gruppen folgt einer männlich-heterosexuellen 'Grammatik'"
(S. 217), worin sich für Straub
die Konstruktion männlicher Hegemonialität ausdrückt. Denn die Jungendlichen
positionieren sich damit sowohl dominant gegenüber Frauen als auch gegenüber
Männern, die dieser Aktivierung nicht folgen.
Dies gilt in ähnlicher
Weise auch für die Computerspieler, für die Körperlichkeit nicht im Zentrum
steht. Diese "verlagern ihr Interesse vielmehr auf den Bereich der
Medientechnologie, der als hoch vergeschlechtlicht anzusehen ist und durch die
latente Wirksamkeit des Konnex 'Technik - Männlichkeit' ebenfalls dazu
prädestiniert ist, Geschlechtszugehörigkeit zu demonstrieren" (s. 220).
Bei der schwulen Gruppe zeigt sich hingegen in einer Argumentation gegen
die These, Computerspiele seien eine Domäne männlicher Jugendliche, auf der
einen Seite ein Bedürfnis, Geschlechterstereotypen aufzubrechen. Auf der
anderen Seite zeigt sich aber auch bei ihnen eine Verankerung binärer "Muster
der Geschlechterdifferenz" (S. 183) wenn sie sich von Schwulen abgrenzen die
ihre Sexualität besonders in die Öffentlichkeit tragen und dagegen ein Bild von
"normalen" Schwulen stellen, die sich auch für Fußball interessieren und Bier
trinken. Allerdings zeigt die schwule Gruppe für Straub auch, dass geschlechtshomogene Gruppen schwuler
Männer die aktive, selbstbewusste Gestaltung homosexueller Männlichkeiten
erlauben.
Diskussion und Fazit
Straub gelingt es in der Studie, mit der qualitativen Erhebung und Analyse der Gespräche in Jungengruppen verschiedener jugendkulturellen Szenen, die qualitative Repräsentativität herzustellen, die er einleitend mit der umfassenden Abbildung des Problemfeldes umschreibt, im Bezug auf die Problemfelder der
- anonymen Kommunikation im Internet,
- der Nutzung des Internet nach Nützlichkeitserwägungen,
- der Konstruktion hegemonialer Männlichkeit und
- der selbstbewussten Gestaltung homosexueller Männlichkeiten
in geschlechtshomogenen Gruppen männlicher Jugendlicher. Er liefert damit wertvolle Ansätze zum Verständnis von Medienhandeln und Männlichkeitskonstruktionen männlicher Jugendlicher in jugendkulturellen Szenen, kann aber die qualitative Repräsentativität für dieses Thema im ganzen nicht herstellen, da sich die Studie inhaltlich auf diese Verdichtungen beschränkt. Dies hängt vermutlich auch damit zusammen, dass sich aufgrund der empirischen Grundlage der Gespräche gerade diese Interpretationen angeboten haben. Ob damit der Untersuchungsgegenstand so umfassend erfasst wird, wie man nach dem Titel vermutet, ist insofern fraglich.
Trotzdem sind die Ergebnisse wichtig, sowohl für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung, als auch für die pädagogische Praxis. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bieten sie Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen und theoretische Überlegungen. In der pädagogischen Praxis können beispielsweise in der Jugendarbeit die beschriebenen Mechanismen der Konstruktion hegemonialer Männlichkeit und der selbstbewussten Gestaltung homosexueller Männlichkeiten aufgegriffen werden.
Rezension von
Dipl.-Soz.Päd. Thomas Molck
Dozent für Neue Medien und Datenschutzbeauftragter der HS Düsseldorf
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