Allan Guggenbühl: Kleine Machos in der Krise
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Tischner, 06.03.2007
Allan Guggenbühl: Kleine Machos in der Krise. Wie Eltern und Lehrer Jungen besser verstehen. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2006. 192 Seiten. ISBN 978-3-451-28767-1. D: 12,90 EUR, A: 13,30 EUR, CH: 23,50 sFr.
Einführung in das Thema
"Das einzige, was ich intensiv in der Schule beigebracht bekommen habe, war, daß ich ein Verlierer bin", stand im Abschiedsbrief von Sebastian B., der am 20. November 2006 mit Messern, Gewehren und Rohrbomben bewaffnet in die Geschwister-Scholl-Realschule im westfälischen Emsdetten eindrang und dort ein Blutbad anrichtete; am Schluss tötete sich der 18-jährige selbst. Die schwere Krise der Jungen an unseren Schulen ist nicht mehr zu übersehen. Ein besonders alarmierendes Zeichen dafür sind die erschreckenden Amokläufe und Rachefeldzüge einzelner gegen Lehrer und Mitschüler. Schulangehörige werden wie in einem Computerspiel einfach "abgeknallt", Lehrerinnen - so geschehen 1999 in Meißen - vor den Augen der Schulklasse bestialisch niedergemetzelt. Jungen, deren Existenz und Selbstverständnis im Vergleich zu Mädchen ungleich stärker an ihre Berufsrolle und ihren beruflichen Erfolg gekoppelt ist, haben sich in den letzten Jahrzehnten zu den Verlierern unseres Bildungswesens entwickelt. Wie Statistiken zeigen, wurden sie in Bezug auf den Schulerfolg von den Mädchen drastisch abgehängt. Ihr Anteil bei den Abiturienten hat in einem solchen Maße abgenommen, dass sie inzwischen deutlich in der Minderzahl sind, während er sich bei den Schulabgängern ohne Abschluss ebenso wie bei den Sonderschülern deutlich erhöht hat. Jungen bleiben doppelt so oft sitzen, sie fliegen doppelt so oft vom Gymnasium wie ihre Mitschülerinnen und ihre Leistungen sind im Durchschnitt um eine Note schlechter. Allan Guggenbühl hat sich in seinem neuen Buch dieses Themas angenommen. Er geht darin nicht nur den Gründen für die Tatsache nach, dass sich die männliche Jugend in einer Krise befindet, sondern er entwickelt darüber hinaus hilfreiche Vorschläge, wie die Schule der Eigenart und den Bedürfnissen von Jungen besser gerecht werden kann als bisher, so dass aus einem "jungenfeindlichen Biotop" ein Lernort werden kann, der beiden Geschlechtern gleiche Chancen bietet.
Über den Autor
Allan Guggenbühl, Prof. Dr. phil., Psychologe VBP/FSP und diplomierter analytischer Psychotherapeut, leitet die Abteilung für Gruppenpsychotherapie für Kinder und Jugendliche an der kantonalen Erziehungsberatung der Stadt Bern und das Institut für Konfliktmanagement und Mythodrama (IKM) in Bern und Zürich/Stockholm. Darüber hinaus ist er tätig als Dozent für Psychologie und Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule des Kantons Zürich und am HAP in Zürich. Guggenbühl ist Autor verschiedener Bücher und Artikel sowie kantonaler Schulberater.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in vier Hauptteile gegliedert. Im einleitenden Abschnitt "Verwirrte Machos oder hilflose Helden?" erklärt Guggenbühl zunächst die in den letzten Jahrzehnten leitende Idee der Gleichheit der Geschlechter für gescheitert. Das Resultat der langjährigen pädagogischen Versuche, Jungen und Mädchen ihre Geschlechtlichkeit abzuerziehen, ist für den Autor ernüchternd: "Trotz unserer Bemühungen leben Mädchen und Jungen weiterhin in verschiedenen Welten, gehen unterschiedlichen Interessen nach, kommunizieren auf ihre je eigene Art und grenzen sich voneinander ab." (11) Und dies gelte - ganz im Gegensatz zu der in den Sozialwissenschaften verbreiteten Theorie des "Doing Gender" - bereits für Kleinkinder; geschlechtsbedingte Verhaltensunterschiede seien teilweise sogar schon bei Föten nachweisbar. Guggenbühl plädiert daher dafür, die evidenten Befunde der modernen Biowissenschaften nicht länger zu ignorieren, sondern die empirisch abgesicherten Aussagen von Hirnforschung, Genetik und Psychologie der Geschlechter ernstzunehmen.
- Im darauffolgenden ersten Kapitel, überschrieben mit "Die Probleme der Schule mit den Jungen" nimmt der Autor zunächst eine Bestandsaufnahme vor. So würden die Jungen von den meisten Lehrern als problematisch erlebt. Sie verhielten sich unruhig, unkooperativ, aufmüpfig und unberechenbar, ignorierten häufig die Regeln des Klassenverbandes. Wegen ihrer permanenten Zwischenrufe und Störungen sei ein geordneter Unterricht oft nicht möglich. Jungen gehorchten schlechter und könnten sich weniger gut einfügen als Mädchen. Ihr Bewegungsverhalten sei durch grobmotorische Aktivitäten gekennzeichnet; Rempeleien, Raufereien und Kämpfe bestimmten den Umgang miteinander. Während die Mädchen heutzutage inzwischen den größten Anteil der Gymnasiasten ausmachten, bildeten die Jungen mit deutlichem Abstand die größte Gruppe bei den Schulabgängern ohne Abschluss sowie bei den Sonderschülern. Guggenbühl geht bei der Suche nach den Ursachen der Frage nach, ob Schule und Erziehung den Eigenarten und Bedürfnissen der Jungen ausreichend gerecht werde, und stößt dabei auf eine beträchtliche Schieflage hinsichtlich der Förderung beider Geschlechter. Während die Schule Mädchenförderung, beispielsweise im Fach Mathematik und in technischen Fächern, mit besonderer Entschlossenheit und Energie betreibe, würde die Schuld an den schlechten Schulleistungen der Jungen diesen selbst aufgebürdet. Jungen sollten sich - so die Erwartung vielen Pädagogen - von einem antiquierten, patriarchalen Männerbild lösen und eine neue, emanzipatorische und fortschrittliche Männlichkeit entwickeln. Sie sollten lernen, Gefühle zu zeigen, zu weinen und sich endlich vom "Männlichkeitswahn" verabschieden. Bei diesen Forderungen werde von einem politisch korrekten Standardmodell des Mannes ausgegangen, das vor allem in sozialwissenschaftlichen Kreisen verbreitet sei. Auf der Basis dieses Standardmodells würden typische Jungencharakteristiken oftmals pathologisiert, was sich in der Geschlechterverteilung bei jenen Kindern und Jugendlichen widerspiegele, die bei Kinder- und Jugendpsychiatern vorgestellt werden: ca. zwei Drittel von ihnen seien Jungen.
- Das zweite Kapitel des Buches ist überschrieben mit "Geschlechtsunterschiede". Hier kommt der Verfasser zunächst auf die unterschiedlichen Strategien der Geschlechter zu sprechen, sich in die Gruppe einzufügen und dort eine Position zu erringen. Während Mädchen eher den persönlichen Kontakt suchten, seien Jungen darauf aus, zuerst Positionen, Ränge und Hierarchien zu klären, wozu gewöhnlich Konfrontationen, Raufereien und Kämpfe eingesetzt würden. Solche Auseinandersetzungen dienten Jungen auch als Kontaktmittel; mittels Provokationen versuchten sie oftmals, die wahren Motive und Absichten ihres Gegenübers herauszufinden, es aus der Reserve zu locken. Auch bei der Art, Aggressionen zu zeigen, seien deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede erkennbar. Jungen verfolgten eher den direkten, offenen Weg über körperliche Auseinandersetzungen und Gewalt, während Mädchen weniger offensichtliche Formen bevorzugten wie das Drohen mit Beziehungsabbrüchen, Verleumdungen, Intrigen, verbale Gemeinheiten und das in Schulen heute sehr verbreitete Mobbing. Des weiteren gebe es Unterschiede im Gebrauch der Sprache. Zunächst einmal sei das weibliche dem männlichen Geschlecht in Bezug auf die sprachliche Ausdruckfähigkeit generell deutlich überlegen. Aber Jungen und Mädchen gingen auch auf ihre je spezifische Weise anders mit der Sprache um. Für Mädchen stelle der Gebrauch der Sprache einen Beziehungsakt dar (Beziehungssprache), Jungen hingegeben verwendeten die Sprache in erster Linie zur Darstellung von Sachverhalten (Berichtssprache). Während sich ihr Wortschatz meist auf ein ausgewähltes Sachgebiet - etwa aus der Welt der Technik oder des Sports - beschränke, auf welchem sie es oftmals zu einem beachtlichen Spezialistentum brächten, seien sie in Alltags- und Beziehungssituationen verbal nicht selten überfordert. Tendenziell seien Mädchen fleißiger und folgsamer, während Jungen einen Minimalismus pflegten und mehr zum Widerstand gegenüber der Lehrperson neigten. Dies, gepaart mit einem Hang zu Grandiositäten und zur Selbstüberschätzung, werde Jungen immer wieder zum Verhängnis, wenn es um die Vorbereitung auf Prüfungen geht. Gegen die immer wieder von Pädagogen erhobene Forderung, daß Jungen lernen sollten, sich und ihre Fähigkeiten realistisch einzuschätzen, macht Guggenbühl geltend, dass das grandiose Denken der Jungen auch eine Ressource darstelle, indem es Energien und Fantasien freisetze. Dahinter stecke auch eine Sehnsucht nach Anschluss an eine der großen Geschichten oder Mythen unserer Gesellschaft. Gehe es um die Motivierung zur Kooperation oder Erledigung einer Aufgabe, so sei diese bei Jungen weniger durch Beziehungsappelle wie bei Mädchen als vielmehr durch direkte Aufforderungen und Befehle, durch klare Anweisungen zu gewinnen. Das männliche Geschlecht neige zum Denken in Systemen und sehe in der Lehrperson weniger den Beziehungspartner als vielmehr den obersten Machtträger des Systems Schule. Entgegen dem verbreiteten Vorurteil, das männliche Geschlecht weise ein Defizit in Bezug auf den Ausdruck von Gefühlen aus, weist Guggenbühl darauf hin, dass Jungen ihre Gefühle auf eine andere Weise ausdrückten als Mädchen. Anders als Mädchen seien Jungen es nicht gewohnt und wären damit überfordert, ihre Gefühle in eine Beziehungssprache umzusetzen. Vielmehr steuerten sie ihre Gefühle über Aktionen und die Hinwendung zur Sache, vor allem zivilisatorische Errungenschaften wie Autos, Lokomotiven oder Computer. Während es sich bei solchen technischen Objekten aus weiblicher Sicht um bloße Gebrauchsgegenstände handele, hätten sie für Jungen eine seelische Bedeutung, würden sie nicht selten zu einem Symbol für den menschlichen Gestaltungswillen, für die Herausforderung der Unterwerfung der ungebändigten Kräfte der Natur durch den Menschen. Als eine weitere Eigenheit von Jungen nennt der Autor ihre Liebe zum Risiko. Jungen suchten den Kontakt zum Schrecklichen, zu den Abgründen unseres Seins, zahlten dafür jedoch einen hohen Preis. Auch beim Spielen, so Guggenbühl, zeichneten sich deutliche Differenzen zwischen Mädchen und Jungen ab. Während für Mädchen Spiele oft eine Variation des sozialen Kontakts darstellten, stände beim männlichen Geschlecht das Thema im Mittelpunkt. Jungen ordneten sich beim Spielen oft einem System unter, das totale Aufmerksamkeit fordere und nach speziellen Regeln funktioniere. Eine besondere Vorliebe zeigten Jungen für Gruppenspiele und solche Spiele, die mit Aggressionen verbunden seien. Schließlich weist der Autor auf die Wichtigkeit von Verhandlungen hin, wenn man einen Jungen zu etwas motivieren wolle. Im Gegensatz zu Mädchen, die Erwartungen entsprechen, um Beziehungspunkte zu sammeln, sei die Formulierung "mir zu liebe" für Jungen kein Argument, auf das sie sich einließen. Vielmehr wollten Jungen alles aushandeln, und das mit triftigen Argumenten. In dieser Direktheit der Jungen sieht Guggenbühl einen Grund dafür, dass diese engmaschiger zu führen seien.
- Im dritten Kapitel wirft der Verfasser die Frage auf: "Die Schule: ein weibliches Biotop?" Anlaß ist ihm der statistische Sachverhalt, dass der Lehrerberuf sich in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zu einem Frauenberuf entwickelt habe. Dies allein reiche jedoch keineswegs, um von einer "Verweiblichung der Schule" zu sprechen. Hierfür macht Guggenbühl vielmehr einen Wandel der pädagogischen Haltung der Lehrerschaft verantwortlich, der die Jungen systematisch benachteilige. So kämen viele pädagogische Neuerungen einseitig der Psychologie der Mädchen entgegen und benachteiligten die Jungen, seien somit nicht auf ihre Geschlechterverträglichkeit überprüft worden. Die sach- und problemorientierte Jungensprache - durch Jargon, Akronyme und technische Ausdrücke geprägt - sei in der Schule verpönt. Das Prahlen, Unterbrechen und Monologisieren der Jungen werde als Ausdruck eines falschen Männerbildes verstanden. Die weibliche Beziehungssprache sei zum Standard erklärt worden. Ein weiteres Beispiel für die Dominanz des Weiblichen in der Schule stelle das Erklären von Sozialkompetenz zu einer Schlüsseltugend und der damit verbundene "Harmonieterror" dar, welcher männlichen Kontakt-, Konflikt- und Lösungsstrategien zuwiderlaufe. Rundgespräche oder den Klassenrat empfänden die Jungen als Versuch, ihnen einen weiblichen Code aufzuzwingen; aus der Sicht der Jungen regiere die Beziehungssprache der Frauen. Guggenbühl plädiert für eine deutliche Unterscheidung zwischen Gewalt und gesunder Aggression, die für Jungen eine Art Lebenselixier bedeute. Raufereien, Kämpfe und Balgereien hätten für die - direkteren - Jungen eine andere Bedeutung als für Mädchen, welche ihre Positionen über Gespräche, Klatsch und Intrigen fänden. Die Schule neige dazu, die Raufereien der Jungen zu pathologisieren. Auch dem Bedürfnis von Jungen, stabile Rangstrukturen zu bilden, werde von der Schule nicht Rechnung getragen. Vergleiche mit anderen Schülern oder dem Klassendurchschnitt würden vermieden. Es dominiere der individualisierte Unterricht, der einseitig den Mädchen entgegenkomme, die Schulleistungen als Teil von Beziehungsarbeit erbrächten. Jungen wollten hingegen wissen, wer von ihnen der Stärkste, der Gescheiteste, der Witzigste oder Sportlichste ist, weil sie sich - anders als die Mädchen - der Schule als System gegenübersähen, welches nach bestimmten Regeln funktioniere und auf Machtverhältnissen basiere. Das Fehlen von Jungenthemen kreidet der Verfasser der Schule als letzten Punkt an: "Die Hauptinteressen von Jungen werden in der Schule entweder marginal erwähnt, pathologisiert oder kommen überhaupt nicht vor." (145 f.) Es dürste Jungen jedoch nach unpersönlichen, dramatischen Grenzsituationen und Themen wie Technik, Schlachten, Autos, Sport und Gewalt, wobei die meisten Jungen durchaus zwischen fiktiver und realer Gewalt unterscheiden könnten. Weigere sich die Schule, auf die Gewaltbegeisterung der Jungen einzugehen, bestehe die Gefahr, dass dieses Thema ausgelagert und überwertig werde.
- Im letzten Kapitel, überschrieben mit: "Wie gehe ich mit Jungen
um: eine kurze Anleitung", zieht
Guggenbühl die
Schlussfolgerungen aus seinen bisherigen Überlegungen. Sie konzentrieren
sich auf die Frage, wie eine Schule aussehen soll, die nicht nur den
Bedürfnissen und Eigenarten der Mädchen, sondern auch der Jungen gerecht
wird:
- Fußball, Autos und Computer - Jungeninteressen gehören auch in Schule und Erziehung. Beziehungen werden bei Jungen über das thematische Gespräch verstärkt und weniger beim gegenseitigen Austausch der Befindlichkeit.
- Zuerst Struktur, dann Beziehung - Codes müssen bekannt und vermittelt werden. Im Gegensatz zu Mädchen sind für Jungen primär nicht Personen wichtig, sondern die Vorkenntnis der Ordnung und Struktur einer neuen Situation.
- Rituale und Zäsuren - Dem Sozialleben eine Struktur geben. Vertraute, stereotype Abläufe helfen Jungen, sich auch ohne individuelle Kontakte einem System anzuschließen; so fühlen sie sich als Teil des Systems Schule.
- Verhandlungen statt langen Redens. Anders als Mädchen erledigen Jungen keine Aufgaben einer Person zuliebe. Aus ihrer Sicht geht es um Geben und Nehmen.
- Befehle statt Bitten. Zum Führen von Jungen bedarf es einer klaren und bestimmten Sprache. Jungen reagieren auf Befehle, weil sie in Hierarchien denken. Anweisungen sollten klar formuliert sein und keinen Interpretationsspielraum zulassen.
- Anpassung über Widerstand - Den natürlichen Antagonismus respektieren. Für Jungen gehört Widerstand zum Aufwachsen. Sie brauchen erwachsene Bezugspersonen, die sich der Auseinandersetzung stellen und bereit sind, entsprechende Konflikte durchzustehen.
- Wettbewerb, Debatten und Ehre als Anreiz - Gruppenstandards als Bezugsgrößen. Jungen lassen sich am besten motivieren durch den Vergleich mit der Gruppe. Sie verstehen ihre Leistungen als Beitrag an ein Kollektiv. Mehr als Mädchen spornt sie Konkurrenz und Wettbewerb an. Ruhm und Ehre sind zentrale Motive von Jungen und Männern.
- Die Sehnsucht nach einem Zeremonienmeister. Jungen ziehen kollektive Stoffvermittlung der Selbstaneignung oder persönlichen Lerngesprächen vor. Aus diesem Grund sprechen Jungen meist gut auf Frontalunterricht an.
- Kontrolle als Anbindungsakt. Für Jungen sind Leistungsüberprüfungen und Lernkontrollen wichtig. Selbstbeurteilungen oder individuelle Lernkontrollen machen für sie keinen Sinn, sie interpretieren sie als Desinteresse des Erwachsenen.
- Das Schreckliche und individuelle Herausforderungen gehören auch zu Schule und Erziehung. Jungen wollen das Gefühl haben, dass sie direkt an existentiellen Herausforderungen partizipieren: Gewalt, Schlachten, Katastrophen, aber auch große zivilisatorische Projekte wie der Bau eines großen Tunnels oder eines Staudammes.
- Prahlen als Potential - Die Grandiosität der Jungen kreativ nutzen. Realistische Zielsetzungen und nüchterne Pläne langweilen und demotivieren die meisten Jungen. Die Grandiositäten sind eine Art Selbstmotivierungsmechanismus.
- Gefühlskontrolle. Jungen reagieren auf Gefühle mit Kontrolle oder einer Handlung. Langes Verbalisieren von Gefühlen überfordert die meisten Jungen.
- Erziehung und Schule soll der Psychologie der Jungen gerecht werden. Jungen unterscheiden sich in ihrer Psychologie von Mädchen.
In seinen Schlussgedanken betont Guggenbühl, dass es sich bei den beschriebenen männlichen oder weiblichen Eigenschaften stets um Tendenzen, Generalisierungen handele, welche keine zwingenden Aussagen über ein einzelnes Kind bedeuteten. Auch sei die Kennzeichnung der Schule als weibliches Biotop nicht im Sinne eines abwertenden Urteils zu verstehen, im Gegenteil seien weibliche Qualitäten in der Schule sehr wichtig. Allerdings wolle der Autor auch in aller Deutlichkeit klarmachen, dass Jungen vor allem ab der Vorpubertät in der Schule unbedingt auch männliche Qualitäten und Vorbilder bräuchten.
Zielgruppen des Buches
Das Buch wendet sich sowohl an Eltern als auch an professionelle Pädagogen, die es mit Jungen zu tun haben, besonders aber an Lehrer.
Fazit
Dieses Buch ist wichtig in einer Zeit, in der Jungen, Männer und Männlichkeit sich massiv in der Defensive befinden und - medial stark forciert - die Nivellierung der Geschlechter propagiert wird. Das Männliche hat in unserer Gesellschaft in nie gekannter Weise eine Abwertung erfahren, die auch die Jungen nicht unberührt lässt - im Gegenteil: Das Image der Jungen hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verschlechtert: sie gelten als unruhig, gewalttätig und tendenziell rechtsradikal. Das männliche Geschlecht hat das Nachsehen und befindet sich in puncto Schul- und Berufslaufbahn inzwischen auf der Verliererstraße. Die Folgen wird unsere auf technische Innovation angewiesene Gesellschaft schon bald zu spüren bekommen, wenn die Wirtschaftsentwicklung durch einen beträchtlichen Mangel an qualifizierten Technikern, Ingenieuren und Naturwissenschaftlern empfindlich gebremst werden wird; auch modische Mädchenförderprogramme wie "girls go tech" werden hier in nennenswertem Umfang keine Abhilfe schaffen können. Ein rasches Umsteuern tut not. Dieses Buch kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Es sei daher allen Pädagogen und Eltern nachdrücklich empfohlen. Schule wie auch alle anderen Bildungs- und Erziehungsinstitutionen bedürfen der Umgestaltung in eine Richtung, die auch den Jungen wieder mehr Chancen eröffnet, ihren Weg in Berufswelt und Gesellschaft zu finden.
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Tischner
Hochschullehrer (i.R.) an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, Fakultät Sozialwissenschaften. Lehr- und Arbeitsgebiete: Pädagogik, Sozialpädagogik, Hilfen zur Erziehung, Schulsozialpädagogik, Konfrontative Pädagogik, Jungen- und Geschlechterpädagogik.
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Es gibt 7 Rezensionen von Wolfgang Tischner.
Zitiervorschlag
Wolfgang Tischner. Rezension vom 06.03.2007 zu:
Allan Guggenbühl: Kleine Machos in der Krise. Wie Eltern und Lehrer Jungen besser verstehen. Verlag Herder GmbH
(Freiburg, Basel, Wien) 2006.
ISBN 978-3-451-28767-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4655.php, Datum des Zugriffs 05.10.2024.
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