Jörg-Peter Schröder: Wege aus dem Burnout
Rezensiert von Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle, 02.02.2008

Jörg-Peter Schröder: Wege aus dem Burnout. Möglichkeiten der nachhaltigen Veränderung.
Cornelsen Verlag GmbH
(Berlin) 2006.
126 Seiten.
ISBN 978-3-589-21966-7.
6,95 EUR.
CH: 12,50 sFr.
Reihe: Pocket Business.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-411-86394-5 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Burnout ist ein ebenso populäres wie wissenschaftlich umstrittenes Konstrukt. Von Freudenberger und Maslach Ende der siebziger Jahre als ein Syndrom von emotionaler Erschöpfung, Arbeitsüberdruss und Depersonalisation in pädagogischen, sozialen und Gesundheitsberufen definiert, hat es weit über die ursprünglichen Gruppen von Betroffenen hinaus öffentliche Resonanz gefunden. Seit der Popularisierung des Begriffs brandet eine Flut vor allem von Ratgebern zur Prävention und Behandlung von Burnout auf den Buchmarkt - die Amazon-Recherche brachte 244 deutschsprachige Buchtitel zum Thema.
Umstritten bleibt hingegen der wissenschaftliche Wert des Syndroms: die beiden grossen Klassifikationssysteme psychischer Störungen (DSM IV und ICD-10) verzichten auf den Begriff, da er wissenschaftlich nicht genügend von anderen Störungsbildern wie z.B. der Depression abgegrenzt werden konnte.
Die vor allem populärpsychologischen Ratgeber suggerieren häufig einfache Modelle der Bewältigung von Belastung und nichttrivialem Stress. Die Vielzahl heterogener Ratschläge und Strategien zur Intervention sind häufig nur teilweise theoretisch fundiert oder empirisch untersucht. Auf diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, was ein weiterer Taschenratgeber zur Thematik beitragen kann.
Autor
Jörg-Peter Schröder, nach Verlagsangaben Arzt, Manager, Coach und Moderator ist Autor von populärpsychologischen Ratgebern zu Stress, Selbstmanagement und authentischer Lebensführung. Zu diesen Themen bietet er Coachings, Seminare und Unternehmensveranstaltungen an.
Aufbau und Inhalt
Der Kurzratgeber zum Thema Burnout schlägt ein Sechs-Phasen-Modell des persönlichen Turnarounds zur selbstgesteuerten Burnoutbewältigung vor.
- In Kap. 1 stellt der Autor Ursachen und Hintergründe von Burnout dar. Er beschreibt Merkmale von Burnout und Persönlichkeitsmerkmale gefährdeter Personen. Er stellt ein eigenes Phasenmodell von Burnoutverläufen vor und kontrastiert es mit einem eher missverständlichen Re-Balancing-Konzept (Rebalancing ist eine Form der Körpertherapie aus dem Umfeld der Baghwan/Osho-Bewegung).
- Das Kapitel 2 stellt einen vom Autor selbst entwickelten Fragebogen vor. Er ist an keinem der etablierten Burnout-Inventorys orientiert und scheint dem Rezensenten testpsychologisch fragwürdig. Weiter werden Hilfen zur Selbstdiagnose gegeben. Der Autor unterscheidet vier Ebenen von körperlichen Reaktionen auf Burnout und subsumiert auch die kognitive und emotionale Ebene unter "körperliche Reaktionen". Es bleibt unklar, ob dies ein Flüchtigkeitsfehler oder ein Missverständnis im Menschenbild des Autors ist.
- Das Kapitel 3 stellt das Sechs-Phasen-Modell des Autors zum persönlichen Turnaround vor: Die sechs Phasen Ent-Lastung, Ent-Täuschung, Ent-Deckung, Ent-Scheidung, Ent-Faltung, Ent-Spannung werden beschrieben. Zu jeder Phase werden Verhaltensratschläge und Empfehlungen zur Einstellungsänderung gegeben und eine Liste von Fragen und Denkanstössen präsentiert. Diese stellen ein breites Potpourri aus dem Mainstream der psychologischen Ratgeberliteratur dar. Erkennbar sind u.a. das Stress-Coping-Modell nach Lazarus, Ideen aus der rational-emotiven Therapie von Ellis, sowie Ideen aus dem lösungsorientiert-konstruktivistischen Denken. Die theoretischen oder methodischen Bezüge bleiben dem Leser jedoch verborgen.
- Das Kapitel 4 schlägt in einer technischen Metapher Prävention und Gesundheitsförderung als "Burnout-Firewall" vor. Es unterbreitet einige betrieblichen Massnahmen, rät zur Work-Life-Integration, betont die Wichtigkeit von externem Coaching und fokussiert anschliessend wieder auf individuelle Verhaltenstipps für Betroffene zur persönlichen Zeit- und Arbeitsgestaltung.
- Das Kapitel 5 "Gesunde Energiequellen für die Lebensfrische des Alltags" gibt allgemeine Gesundheitstipps, die wenig spezifisch für Burnout-Betroffene sind und kaum das Niveau von Drogeriezeitschriften erreichen ("Lassen Sie die Sonne in Ihr Herz", "frische Luft und das richtige Atmen" u.a.m.).
- Kap. 6 stellt ein "Burnout-Impact-Protection-System" mit zwölf Verhaltensbereichen und Grundregeln dar, die von "nein-sagen" bis zu "präsent, locker, tolerant und gelassen bleiben" reichen und schliesst mit dem Appell, nun anzufangen, und Trivialitäten, wie der, dass auch lange Wege mit dem ersten Schritt beginnen und der "innere Schweinehund" Betroffene nicht abhalten soll, diesen ersten Schritt zu tun.
Diskussion
Der Autor betreibt in lockerem Business-Slang die Simplifizierung und Personifizierung von Burnout-Ursachen, statt wissenschaftliche Erkenntnisse zu Burnoutrisiken verständlich darzustellen. Dies findet nach dem Muster vieler Lebensratgeber statt: "Du bist deines Glückes Schmied, du kannst dich verändern, wenn du nur willst". Es finden sich im Buch viele Reduktionismen: Trotz gegenteiliger Beteuerungen, auf technische Metaphern verzichten zu wollen, benutzt der Autor ein technisch-apparatehaftes Menschenbild ("Batterie-Modell der Lebensenergie", "Körper-Scanner", "Kupplung-treten im inneren Motor"). Ergänzt wird es mit ökonomisierenden Menschenbildannahmen, die Menschen als Selbstunternehmer, Gesundheit als Kostenfaktor und Kapital, Work-Life-Balance als Wertschöpfungsfaktor darstellen. Die dargestellten Burnoutursachen münden bei betroffenen Menschen mit internalisierenden Attributionen möglicherweise in Selbstentwertungen und Schuldvorwürfe, da der Autor primär Personen und Persönlichkeitseigenschaften für Burnout verantwortlich macht - betriebliche und gesellschaftliche Ursachen, die entlastende Funktion haben könnten, fehlen weit gehend. Der Autor versorgt den Leser mit einer Fülle von heterogenen Verhaltensratschlägen, die unübersichtlich und schwer in ein Gesamtkonzept einzuordnen sind: Wie die verschiedenen Teile des Buches, besonders das Phasenmodell des Turnarounds, die Vorschläge zur Burnout-Firewall und Burnout-Impact-Protection-System zusammenhängen, bleibt Geheimnis des Autors.
Die Notwendigkeit der professionellen Begleitung wird anfangs betont. Das Buch widerspricht dem jedoch durch die Gesamtbotschaft, die auf Selbstmanagement zielt und die Problematik von Burnout-Betroffenen besonders in Anfangsstadien (Verleugnung und vermehrte Anstrengung) ignoriert. Für vom durchschnittlichen Stress der Dienstleistungsgesellschaft betroffene Menschen, die das Thema Burnout noch gar nicht kennen, und die für eingängige Verhaltenstipps empfänglich sind, enthält es möglicherweise hilfreiche Ratschläge für die Selbstfürsorge.
Fazit
Das Buch ist als einer von vielen populärpsychologischen Ratgebern zu Burnout zu werten. Es bringt nur wenig an spezifischen Erkenntnissen zu Burnout. Die Analyse wie die Empfehlungen bleiben an der Oberfläche. Die vielen Ratschläge sind wenig konsistent und für ernsthaft von Burnout Betroffene vermutlich nur wenig hilfreich. Das Buch bedient die Hoffnungen auf Rezepte zur Lebenshilfe, denen sich Burisch in seinem Klassiker zu Burnout (vgl. die Rezension) verweigert. Burisch betont, "(…) in aller Regel kann ein Buch eine individuelle Beratung (oder gar Therapie) nicht ersetzen. Alles andere wäre Etikettenschwindel oder Scharlatanerie" (Burisch 2006, XI). Das Buch suggeriert das Gegenteil, es sei denn, es wäre primär als PR-Massnahme oder unterstützendes Material für die Seminare und Coachings des Autors zu lesen.
Rezension von
Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten/Schweiz
Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement
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