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Arnold Retzer: Passagen - Systemische Erkundungen

Rezensiert von Prof. Dr. Lilo Schmitz, 08.10.2002

Cover Arnold Retzer: Passagen - Systemische Erkundungen ISBN 978-3-608-94037-4

Arnold Retzer: Passagen - Systemische Erkundungen. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2002. 320 Seiten. ISBN 978-3-608-94037-4. 30,00 EUR.

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Das Thema

PASSAGEN – das sind "unterschied-liche" Räume und Orte. Die, die sich von Ort zu Ort bewegen, sind entweder ziel-strebige Pilger oder vielfältig interessierte Flaneure (Baumann), manchmal auch rebellisch-anarchistische Vagabunden.

Retzer lädt mit seinem Buch ein zu einem philosophisch-kulturanthropologischen Flanieren durchs Menschsein allgemein und - spezieller - durch die Welt der Psychotherapie.

Aufsätze und Fragmente der vergangenen Jahre erweitert, verdichtet und webt er zusammen zu einem Buch, das die wissenschaftliche Moderne hinter sich gelassen hat und die Leserin kommentierend und flanierend in die Fülle und Unabsehbarkeit der Postmoderne begleitet.

Der Autor / der Hintergrund

Arnold Retzer hat Medizin, Psychologie und Soziologie studiert. Mehrere Jahre lang leitete er als Oberarzt und ärztlicher Direktor die Abteilung für psychoanalytische Grundlagenforschung und Familientherapie der Universität Heidelberg. Er bildet aus, therapiert, lehrt und forscht im Bereich der systemischen Therapie (Heidelberger Institut für systemische Forschung und Therapie). Daneben ist Retzer als Herausgeber der Zeitschrift "Familiendynamik" bekannt.

Der Inhalt

Auf den ersten Blick teilt Retzer seinen Passagen-Band in 3 grobe grosse Abschnitte, die wie die Kurzbeschreibung einer Reise anmuten:

  • Ausgänge
  • Unterwegs
  • Ankunft .

Doch die Zielorientierung der Moderne liegt Retzer nicht. Sein "Ankunft"-Kapitel besteht nur aus einem einzigen Spruch:

Geht weiter!

Buddhas letzte Worte an seine Schüler (303)

Interessanter sind für Retzer die Ausgänge, das, was Menschen ausmacht, die Grundmaterialien der Sinnkonstruktion:

  • Sprache
  • Zeit
  • Räume.

Unter der Überschrift "Unterwegs" fasst Retzer seine Gedanken unter den spektakulären und teils provokativen Überschriften:

  • Krankheit
  • Gewalt
  • Ethik
  • Selbst
  • Suizid
  • Risiko.

In all diesen grossen Kapiteln geht Retzer ähnlich vor:

Zum einen beleuchtet er allgemein, wie Sprache (bzw. Gewalt, Krankheit, Räume...) zu definieren ist, um dann im Detail auf die Rolle in der Psychotherapie einzugehen.

Dabei erweist sich Retzer als kluger und kenntnisreicher Leser und Verwerter kulturanthropologischer Literatur. Der ständige Perspektivenwechsel, der zeitgenössische kultur- und sozialanthropologischer Forschung vor allem im interpretativen oder konstruktivistischen Paradigma auszeichnet, bereichert den Blickwinkel, unter dem Retzer seine grossen Gebiete beschreibt. Vor allem die Ritualforschung (van Gennep / Turner) und die Theorie vom Schwellen- oder Übergangszustand (Turner) weiss Retzer schlüssig auf psychotherapeutische Praxis anzuwenden.

Als roter Faden zieht sich durch das Buch die begründete Beschreibung von Psychotherapie. Bereits im Kapitel "Sprache" unterscheidet Retzer klar zwischen problem- und lösungsfokussierter Sprache und weist beiden ihre förderliche Rolle in der Therapie zu. Bei aller Postmodernität bleibt für Retzer psychotherapeutisches Handeln nicht beliebig, sondern wird stets sorgfältig und nachvollziehbar plausibel begründet.

Die Sehnsucht nach "richtigen" Handlungsanweisungen und Interpretationsschemata, die auch im systemischen Bereich nicht unbekannt ist, weist Retzer in klugen Argumentationssträngen zurück. Wie für von Foerster gibt es auch für ihn keine Eindeutigkeit oder Wahrheit, sondern nur Verantwortung.

Das Ergebnis dieser grossen Linien ist eine faszinierende Fülle von Gedanken, die die Leserin anregt und ihren Blickwinkel und Horizont erweitert. Das Buch ist bunt und gewagt wie die Welt der Menschen, die es beschreibt.

Zielgruppen

Für alle, die an kulturanthropologischen Grundlagen interessiert sind und alle, die gerne zu sorgfältig begründetem Vorgehen in systemischer Therapie und Beratung lesen.

Fazit

Ein reiches Buch voller Gedanken, das nach Zeit und Muße zur Lektüre ruft. Ich habe sie mir genommen und wertvolle Stunden verbracht. Ich werde das Buch immer wieder gerne zur Hand nehmen.

Rezension von
Prof. Dr. Lilo Schmitz
Hochschule Düsseldorf (Ruhestand) und ILBB - Institut für Beratung Brühl
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Es gibt 132 Rezensionen von Lilo Schmitz.

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ISSN 2190-9245