Stefan Borrmann, Michael Klassen et al. (Hrsg.): International Social Work
Rezensiert von Prof. Dr. Daniel Gredig, 05.06.2008
Stefan Borrmann, Michael Klassen, Christian Spatscheck (Hrsg.): International Social Work. Social Problems, Cultural Issues and Social Work Education. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2007. 189 Seiten. ISBN 978-3-86649-087-1. D: 16,90 EUR, A: 17,40 EUR, CH: 30,10 sFr.
Thema
Die mit den "sehr überschaubaren Diskursen" (Treptow 2004, S. 16) um "Internationalität" in der Sozialen Arbeit oder um "internationale Soziale Arbeit" vertrauten Exponenten des Fachs sind sich trotz unterschiedlicher Akzentuierung der Phänomene, die mit "Internationalität" und "internationaler Sozialer Arbeit" angesprochen werden, in einem Punkt einig: Internationalität wird im Fachdiskurs in der Sozialen Arbeit noch nicht der Stellenwert eingeräumt, der ihr angesichts der global-lokal Dialektik (Sewpaul 2006) von Entwicklungen auf globaler Ebene und Rückwirkungen dieser Trends auf den lokalen Raum eigentlich zukommen sollte (Homfeldt/Schneider 2006, Treptow 2004).
Zur Begründung der Bedeutung von Internationalität wird zum einen auf die Kumulation von Problemen auf lokaler und nationaler Ebene hingewiesen, die letztlich auf Entwicklungen auf globaler Ebene zurückzuführen sind. Diese Vergegenwärtigung, dass sich die sozialen Problemlagen, mit denen sich die Soziale Arbeit "vor Ort" und damit in der Regel in einem nationalstaatlich gefassten Rahmen konfrontiert sieht, über nationalstaatliche Grenzen hinweg konstituieren, führt zum Ruf nach einer Antwort auf gleicher Ebene, also nach einer international ausgerichteten Bearbeitung von sozialen Problemlagen. Ein handlungsleitendes Paradigma, das für eine solche internationale Soziale Arbeit vorgeschlagen wurde, ist "social development", das von Midgley als "a process of promoting people's welfare in conjunction with a dynamic process of economic development" (1995) gefasst wird und auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen ansetzen soll. In diesem Diskussionsstrang stellen internationale Problemzusammenhänge den (neuen oder neu entdeckten) Handlungskontext von Sozialer Arbeit.
Zum anderen wird unter Bezugnahme auf die global-lokal Dialektik hervorgehoben, dass Globalisierung aber nicht etwa zu einer transnationalen Weltgesellschaft und einer einheitlichen Weltkultur führe, wie auch schon behauptet wurde (Beck 1999). Vielmehr seien Vielfalt, Differenzen und Komplexität zu gewärtigen, die aus der lokalen Aneignung, Bearbeitung und Weiterentwicklung von weltweit verbreiteten westlichen Normen, Werten und Lebensstilen hervorgingen (Wulf 2002). Dies macht deutlich, dass trotz globaler Ursachen von lokalen Veränderungen nicht einfach von einer Vereinheitlichung der Problemlagen ausgegangen werden darf, auf die Soziale Arbeit lokal konkret trifft. Vielfalt ist auch bei den Antworten zu verzeichnen, die Soziale Arbeit auf die jeweiligen Ausgestaltungen von lokal anzutreffenden Problemlagen generiert. In unterschiedlichen wohlfahrtsstaatlichen Verfassungen angesiedelt, von unterschiedlichen professionellen Standards getragen und in unterschiedliche institutionelle Praxen eingebunden formieren sich den jeweils konkreten Lebenslagen der Adressatinnen und Adressaten gegenüber durchaus differente Muster von Sozialer Arbeit. Es bilden sich "nationale Manifestationen Sozialer Arbeit" (Lorenz 2004) mit je besonderen Eigenarten aus, die unter dem Etikett von "Internationalität" bewusst zum Gegenstand von Forschung und Ausbildung gemacht werden. Im Zentrum einer so verstandenen Internationalität steht mithin die "Konfrontation und Auseinandersetzung mit Vielfalt und Differenz". Ziel ist ein komplexeres Verständnis von Sozialer Arbeit, eine Relativierung der nationalstaatlich geformten Selbstverständlichkeiten und eine Perspektivenerweiterung, die dazu verhelfen soll, einen Aufbruch der "Begrenztheit und Borniertheit der eigenen kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe zu überwinden" (Schweppe 2005, S. 585f.). In diesem Diskussionsstrang wird Internationalität ein besonderes Erkenntnispotenzial zugesprochen – das dem ähnlich gelagerten Erkenntnispotenzial von nationalen oder auch historischen Studien überlegen sein soll (Lorenz 2004, S.48).
Aus beiden Richtungen wird schliesslich auf die Bedeutung von Internationalität und Mobilität bzw. internationalem (Dozierenden- und Studierenden-) Austausch im Bereich der Lehre hingewiesen. Im Kontext etablierter Studiengänge soll die nachwachsende Generation von Professionellen durch Internationalität die Kompetenz entwickeln, international generierte Problemlagen zu analysieren und zu reflektieren, in einem internationalen Kontext zu agieren, grenzübergreifend bzw. in anderen Ländern (kooperativ) zu handeln und dabei eigene Normalitätsansprüche zurückzustellen. In Kontexten wie z.B. den Transformationsgesellschaften des ehemaligen Ostblocks, in denen Soziale Arbeit und mithin auch die Ausbildung zur professionellen Tätigkeit erst aufgebaut werden, sehen sich die Mitglieder der etablierten scientific community im Austausch mit den Einrichtungen vor Ort der Herausforderung gegenüber, die Etablierung einer professionellen Praxis sowie eine entsprechende Lehre zu unterstützen, ohne dabei in einen "professionellen Imperialismus" (Midgley 1981) abzugleiten.
Diese unterschiedlich akzentuierten Diskurse münden alle in die Forderung, die "nationale Fokussierung" (Homfeldt/Schneider 2006, S. 7) Sozialer Arbeit aufzubrechen und nationale Soziale Arbeit in internationale Soziale Arbeit zu transformieren. Dabei lassen die deutschsprachigen Autorinnen und Autoren regelmässig die Einschätzung durchschimmern, dass insbesondere der disziplinäre Diskurs im deutschsprachigen Raum dringend einer solchen Öffnung bedürfe.
Vor diesem Hintergrund darf sich der Band "International Social Work", der von drei Mitgliedern der deutschsprachigen scientific community herausgegeben wird, der Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit gewiss sein. Die zur Zeit in Deutschland und Österreich tätigen Herausgeber legen einen sichtbar ganz der Internationalität verpflichteten englischsprachigen Sammelband vor, zu dem Autorinnen und Autoren beitrugen, die aus unterschiedlichen Kontinenten stammen und in internationalen Kontexten tätig waren, heute aber in Grossbritannien, Kanada und in überwiegender Mehrheit in den USA wissenschaftlich arbeiten.
Damit brechen sie mit Sicherheit die nationale oder sprachräumliche Fokussierung auf das Land, an deren Universitäten und Instituten sie tätig sind, auf. Dazu haben sie auch beste Voraussetzungen, sind doch alle drei Herausgeber Mandatsträger ("chair" oder "member of the board of directors", S. 179/180) der Society for International Cooperation in Social Work (SICSW), die von Lynne Healy nebst der International Association of School of Social Work (IASSW) und dem International Council of Social Welfare (ICSW) als eine der drei zentralen Korporationen vorgestellt wird, die der Internationalisierung der Sozialen Arbeit verpflichtet sind (Healy 2001).
Inwiefern die Herausgeber mit ihrem Band einen relevanten Beitrag zur Verständigung über Internationale Soziale Arbeit oder dann ein Exempel dafür vorlegen, wie Internationale Soziale Arbeit aussieht und was unter diesem Rubrium geleistet werden kann, ist hingegen erst in Kenntnis des Bandes zu beurteilen.
Aufbau und Inhalt
Der Band von Borrmann, Klassen und Spatschek ist sorgfältig strukturiert. Er teilt sich in drei Kapitel, von denen jedes wiederum ebenmässig drei Beiträge umfasst. Die Überschriften der Kapitel nehmen die Schlagworte des Untertitels des Bandes auf:
- Internationale Dimensionen Sozialer Probleme und Ansätze der Sozialen Arbeit (S. 15–72),
- Kulturelle Aspekte in der Internationalen Sozialen Arbeit (S. 73–132) und
- Internationale Perspektiven in der Sozialarbeitsausbildung (S. 133–177).
Die Herausgeber schicken dem gesamten Werk eine Einführung voraus und leiten zudem jedes der drei Kapitel kurz ein. Am Schluss des Bandes findet sich nebst den üblichen Angaben zu den Herausgebern und Autorinnen und Autoren ein Schlagwortregister.
In der Einleitung nehmen Borrmann, Klassen und Spatschek nach einer kurzen, sehr generell gehaltenen Skizze zu Problemstellungen Internationaler Sozialer Arbeit die drei Themen des Bandes auf und machen den Versuch, die Wahl dieser Themen einsichtig zu machen. Hierbei schliessen sie z.T. direkt an den hier eingangs skizzierten Diskurssträngen an.
Im Kapitel zu den Internationalen Dimensionen von Sozialen Problemen und Ansätzen der Sozialarbeit findet sich als erster Beitrag die Arbeit von Siobhan Laird (S. 19–35). Sie arbeitet Parallelen zwischen der ökonomischen Situation in afrikanischen Ländern südlich der Sahara und den Transformationsgesellschaften des ehemaligen Ostblocks heraus und folgert auf dieser Grundlage, dass Soziale Arbeit in Staaten des ehemaligen Ostblocks sich nicht auf Case Work konzentieren sollte, sondern eher Methoden zu bevorzugen hätte, die auf materielle Aspekte fokussieren und sich in vergleichbaren Staaten Afrikas bewährt haben. Die Betonung habe auf der Arbeit mit sozialen Netzwerken und community mobilizing zu liegen. Im zweiten Beitrag resümieren Michael Preston-Shoot, Catherine Dulmus und Karen Sowers (S. 37–54) die angelsächsische Debatte um Evidence-Based Social Work. Dies geschieht in einer konzisen und gehaltvollen Art, die für Leser im deutschsprachigen Raum eine echte Alternative zu Darstellung von Evidence-Based Social Work bzw. Practice durch den Kreis um Hans-Uwe Otto darstellt. Der letzte Beitrag in diesem Kapitel stammt von Manoj Pardansani (S. 55–72). Ausgehend von eigenen Erfahrungen in der Katastrophenhilfe nach einem Erdbeben in Indien reflektiert Pardansani die Rolle von Sozialer Arbeit in diesem Kontext und streicht ihre Bedeutung in der Phase des Wiederaufbaus hervor.
Das Kapitel zu den "Cultural Issues" wird von einem Beitrag von Joshua Miller und Susan Donner (S. 75–94) eingeleitet, in dem sie ihr theoretisches Modell der Entwicklung einer multidimensionalen sozialen Identität vorstellen. Ortrude Mayo (S. 95–118) präsentiert die Ergebnisse ihrer Untersuchung des Verständnisses von Kindererziehung bei afrikanischen Immigranten/Immigrantinnen in den Vereinigten Staaten. Auf der Grundlage der Rekonstruktion der Erziehungsverständnisse dieser Immigranten/Immigrantinnen und der Bezüge ihres Erziehungshandelns zu ihrer sozialen Lage lässt Mayo einen Kontrast zum Erziehungsverständnis im Aufnahmeland und offenbar auch demjenigen der Sozialen Dienste der USA deutlich werden. Auf dieser Grundlage fordert sie eine Erweiterung der Vorstellungen von Sozialarbeitenden über gute oder richtige Erziehung und plädiert für eine Haltung, die das jeweilige elterliche Erziehungsverhalten zu verstehen sucht. Der Beitrag von Christian Spatscheck (S.119–132) zu Jugendkulturen schliesst dieses Kapitel ab. Er zeichnet nach, wie die westeuropäische Sozialwissenschaft Jugendkulturen Westeuropas zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus verschiedenen theoretischen Bezugsrahmen interpretiert haben und schliesst mit Reflexionen zum emanzipatorischen Gehalt von Jugendkulturen in einer globalisierten Welt.
Das Kapitel zu den Internationalen Perspektiven in der Ausbildung von Sozialarbeitenden beginnt mit dem Beitrag von Yasmin Dean (S. 135–149) zur Dozententätigkeit im internationalen Kontext. Sie skizziert Gründe, die Akademiker/innen zur Migration bewegen und beschreibt diese Population. Mit Blick auf die Ausbildung von Sozialarbeitenden über Staatsgrenzen hinweg skizziert sie die Gefahr, Modelle aus dem globalen Norden quasi auf einer Einbahnstrasse in den Süden zu importieren. Vor diesem Hintergrund plädiert sie für Formen des Austauschs, die von einer Haltung des Respekts getragen werden, auf Gegenseitigkeit basieren und in einer Kommunikation eingebetet sind, die nicht kolonialisierend wirkt. In einem Rahmen von gegenseitiger Lernbereitschaft, so Dean, lassen sich Gemeinsamkeiten und geteilte Prinzipien von Sozialer Arbeit über Ländergrenzen hinweg finden, die Lehre über Grenzen hinweg möglich machen. Kathleen Tunney (S. 151–164) stellt in ihrem Beitrag auf die Erfahrungen ab, die sie in den 1990er Jahren als Dozentin im damals im Aufbau befindlichen Studiengang für Soziale Arbeit an der Vytautas Magnus Universität in Litauen machten konnte. Sie reflektiert diese Erfahrungen vor dem theoretischen Modell von drei aufeinander treffenden Kulturen, diejenige der Gastnation, der Herkunftsnation der angereisten Dozierenden und jene der Profession. Sie reflektiert auf die Aspekte Identität, Werte und Kommunikation (Aussendarstellung) Sozialer Arbeit und leitet Empfehlungen für Dozierende ab, die grenzüberschreitend tätig sind. Der letzte Beitrag dieses Kapitels sowie des Bandes stammt von Rasmhi Gupta und Vijayan Pillai (S. 165–177). Sie skizzieren den Aufbau eines internationalen Curriculums für Soziale Arbeit mit Alten Menschen ("international social work curriculum in aging").
Diskussion
Der Band versammelt eine bunte Palette von Beiträgen, die anregend sind, zum Teil sogar hervorragend und in diesem Sinne lesenswert sind. Doch der Band als Gesamtwerk vermag nicht wirklich zu überzeugen. Es mangelt an Kohärenz. Dies zeichnet sich bereits in der Einführung der Herausgeber ab. Sie warten in den ersten Zeilen mit einer international konsensfähigen Definition von Sozialer Arbeit (S. 9) auf, doch eine Definition von "International Social Work" und eine Klärung des Verhältnisses internationaler Sozialer Arbeit zum Konzept "Internationalität" bleibt aus. Die Darlegungen der Autoren schließen an die Überlegungen zu grenzüberschreitenden Entwicklungen sozialer Problematiken, Globalisierung, nationalen Ausgestaltungen von Sozialer Arbeit und den Bedarf an internationalem Austausch an. Sie machen damit die Kapitel und ihre Abfolge einsichtig. Sie sind darin aber wenig eindeutig und unterlassen es vor allem, einen konzeptuell kohärenten Bezugsrahmen darzulegen, der z.B. Lesenden, die sich mit der Thematik neu befassen, eine Chance lassen würde, sich in diesen Diskursen zurecht zu finden. Der Titel des Bandes ist aber so gross gegriffen, dass er einen systematischen Teil verspricht. Hier hätte es sich gelohnt – dieser Hinweis sei gestattet – der angelsächsischen Tradition zu folgen und dem Band eine "working definition" von Internationaler Sozialer Arbeit und Internationalität voranzustellen – und sei es in Ermangelung einer geteilten Definition auch nur eine tentative Fassung. Genauso lassen die Herausgeber offen, was das Anliegen des Bandes oder sein Ziel sein soll. Die Einführungen in die einzelnen Kapitel fangen dies nicht auf. Sie bestehen im Wesentlichen aus Zusammenfassungen der Beiträge, die unter der jeweiligen Überschrift folgen, sowie einigen wenigen Zeilen, die vorgängig nochmals den Problemzusammenhang skizzieren, der aufgegriffen werden soll.
Das letzte Kapitel, das sich der grenzüberschreitenden Lehre zuwendet, ist das kohärenteste. Alle Beiträge fokussieren zentral auf die zu verhandelnde Thematik. Dies kann mit Blick auf die zwei vorangehenden Kapitel nicht behauptet werden. Eine inhaltlich kohärente Systematik ist unter diesen Beiträgen entgegen dem äusserlich sorgfältig geordneten Auftritt des Bandes nicht auszumachen. Die Zuordnungen zum einen oder anderen Kapitel sind nicht augenfällig oder gar zwingend. Der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit ist der Tatsache geschuldet, dass nur in wenigen dieser Beiträge ein expliziter inhaltlicher Bezug zur Thematik des Bandes gemacht wird. Zum Teil findet sich erst in der Zusammenfassung überhaupt ein Versuch, die abgehandelte Thematik auf Aspekte Internationaler Sozialer Arbeit zu beziehen. Bei einigen Beiträgen bleibt bis zuletzt undeutlich, weshalb sie in einem Band zu "International Social Work" erscheinen, so z.B. der Artikel zu Evidence-Based Social Work – ausser man ginge so weit, die Bezugnahme auf Diskussionsbeiträge aus den USA und Grossbritannien bereist als eine Errungenschaft oder einen ernsthaften Beitrag zu Internationaler Sozialer Arbeit zu bezeichnen. Man könnte sich einige Beiträge genauso gut in themenzentrierten Publikationen vorstellen, wo sie inhaltlich passend wären, oder auch in einer Fachzeitschrift, wie das European Journal of Social Work, das als Periodikum keine enge thematische Kohärenz der Beiträge einer Nummer verspricht (ein Anspruch, der ein Sammelband implizit sehr wohl vermittelt), oder dem auf die internationale Soziale Arbeit verpflichteten Journal of International Social Work – das nächstes Jahr übrigens bereits sein 50jähriges Erscheinen feiern darf.
Damit demonstriert der Band – sicherlich ungewollt – was die Kehrseite der derzeitig von unterschiedlichen Seiten forcierten Internationalität und des schon fast zur Mode verkommenen Bemühens um internationale Kontakte darstellt. Die Antwort auf die Forderung, die Borniertheit nationalstaatlich begrenzter Diskurse aufzubrechen, kann nicht in der Demonstration von Weltoffenheit an und für sich bestehen. Der Wert solcher Veranstaltungen ist beschränkt. Vielmehr hat sich eine – wenn denn diese Diagnose zutrifft – auf ihre Nationalstaatsgrenzen verengte wissenschaftliche Diskussion in der Sozialen Arbeit dahin gehend weiter zu entwickeln, dass sie es sich zur Selbstverständlichkeit werden lässt, Problemstellungen nicht nur aus dem Bestand des Wissens und der Diskussionen in eigener Sprache und auf das eigene Land bezogen zu betrachten, sondern in der gesamten Arena der zu einem bestimmten Objektbereich bestehenden und damit immer auch multinational zusammengesetzten Teil-Fachöffentlichzeit zu diskutieren. Diese Entwicklung, die angesichts der Vorgehensweisen anderer Disziplinen lediglich eine Normalisierung des wissenschaftlichen Arbeitens in der Sozialen Arbeit darstellt, bedeutet aber in letzter Konsequenz auch, einen etwas anderen wissenschaftlichen Stil zu pflegen. Die Öffnung des wissenschaftlichen Diskurses bringt nicht nur eine Erweiterung des Kreises der Diskutanten. Für die deutschsprachige Soziale Arbeit bedeutet Öffnung vielmehr auch, sich von der Fokussierung ihrer Theoriebildung und Forschung auf "grosse Erzählungen" (Wilhelm 2006) zu verabschieden und sich einer vermehrt auf einzelne Gegenstandsbereiche bezogenen objekttheoretischen Arbeit und den damit verbundenen Forschungsfragen zuzuwenden. Denn auf der Ebene von konkreten Fragestellungen und darauf bezogenen Objekttheorien – das zeigen die Erfahrungen aus der wissenschaftlichen Arbeit, die schon längst so verfährt – lassen sich internationale Bezüge mühelos sinnvoll und Erkenntnis fördernd herstellen. Auf dieser Ebene finden sich die Anschlusspunkte für die Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten und Differenzen. Hier geben sich die Gelegenheiten zur Erweiterung der eigenen Konzepte, zur Bekräftigung der Besonderheiten des Eigenen oder eben auch die Chancen zum Lernen vom Anderen. In dieser Arbeit kommt es zur Entdeckung von Alternativen und zur gemeinsamen Entwicklung in neue Richtungen.
Zielgruppen
Dozierende, die an einer eigenen grenzüberschreitenden Tätigkeit interessiert sind oder sich für Bildungszusammenarbeit interessieren. Lesende, die an den vielfältigen Thematiken der einzelnen Beiträge anschliessen können.
Fazit
Der Band bietet die Gelegenheit, Einblick in Diskurse zu erhalten, die im Rahmen von Internationaler Sozialer Arbeit bzw. Internationalität geführt werden können. Der Band hat damit bis zu einem gewissen Grad exemplarischen Charakter für die Diskussion in einzelnen Aspekten. Er ist allerdings wenig systematisch und klärt entgegen dem Versprechen im Titel nicht, worum es sich bei Internationaler Sozialer Arbeit handelt.
Literatur
Beck, U. (1999): Was ist Globalisierung? Frankfurt a.M.
Healy, L. M. (2001): International Social Work. Professional Action in an Interdependent World. Oxford.
Homfeldt, H. G./Schneider, M. (2006): Internationale Soziale Arbeit – Rundschau und Rückblick. In: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau. H. 53, S. 5–27.
Lorenz, W. (2004): Soziale Arbeit und der Umgang mit Grenzen – Globalisierung als Herausforderung für sozialpolitisch bewusstes Handeln. In: Homfeldt, H. G./Brandhorst, K. (Hrsg.): International vergleichende Soziale Arbeit. Sozialpolitik – Kooperation – Forschung. Grundlagen der Sozialen Arbeit Bd. 10. Baltmannsweiler, S. 40–51.
Midgley, J. (1981): Professional Imperialism. Social Work in the third World. London.
Midgley, J. (1995): A Definition of Social Development. In. Midgley, J.: Social Development. A Developmental Perspective in Social Welfare. London, Thousand Oaks, New Delhi, pp. 1–36.
Schweppe, C. (2005): Internationalität als Erkenntnispotenzial in der Sozialen Arbeit. In: Neue Praxis. H. 6, S. 575–587.
Sewpaul, V. (2006): The Global-Local Dialectic. In: British Journal of Social Work. Vol. 36, No 3, pp. 419–434.
Treptow, R. (2004): Grenzüberschreitung und Globalisierung von Hilfe. Eine Skizze zur Internationalität Sozialer Arbeit. In: Homfeldt, H. G./Brandhorst, K. (Hrsg.): International vergleichende Soziale Arbeit. Sozialpolitik – Kooperation – Forschung. Grundlagen der Sozialen Arbeit Bd. 10. Baltmannsweiler, S. 10–23.
Wilhelm, E. (2006): Abschied von der grossen Erzählung. Stand und Zukunftsperspektiven der Theoriebildung in der Sozialen Arbeit. In: Schweizerische Zeitschrift für Soziale Arbeit. 1. Jg., H. 1, S. 37–46.
Wulf, Chr. (2002): Globalisierung und kulturelle Vielfalt. Der Andere und die Notwendigkeit anthropologischer Reflexion. In: Wulf, Chr./Merkel, Chr. M. (Hrsg.): Globalisierung als Herausforderung der Erziehung. Theorien, Grundlagen, Fallstudien. Münster u.a., S. 75–100.
Rezension von
Prof. Dr. Daniel Gredig
Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten
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Zitiervorschlag
Daniel Gredig. Rezension vom 05.06.2008 zu:
Stefan Borrmann, Michael Klassen, Christian Spatscheck (Hrsg.): International Social Work. Social Problems, Cultural Issues and Social Work Education. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2007.
ISBN 978-3-86649-087-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4712.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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