Johannes Münder, Barbara Mutke u.a.: Die Praxis des Kindschaftsrechts in Jugendhilfe und Justiz
Rezensiert von Prof. Dr. Angelika Gregor, 28.11.2008

Johannes Münder, Barbara Mutke, Bernd Seidenstücker, Britta Tammen, Gabriele Bindel-Kögel: Die Praxis des Kindschaftsrechts in Jugendhilfe und Justiz.
Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2007.
236 Seiten.
ISBN 978-3-497-01911-3.
26,90 EUR.
Entstehungshintergrund, Zielsetzung und Themenfelder
Das vorliegende Buch fasst die Ergebnisse des Praxisforschungsprojekts "Fortentwicklung der Jugendhilfepraxis zum Kindschaftsrecht" zusammen, welches von September 2003 bis April 2006 unter Leitung von Prof. Dr. jur. J. Münder und Prof. Dr. päd. B. Seidenstücker durchgeführt wurde. Es knüpft an vorausgegangenen Studien an und beansprucht im Hinblick auf die übergeordneten Ziele der Kindschaftsrechtsreform
- Erhöhung der Elternautonomie
- Stärkung der Subjektstellung des Kindes
zu prüfen, wie es den Professionen der Jugendhilfe und Justiz gelingt, die Intentionen des Gesetzgebers im Interesse von Kindern und ihren Eltern zu verwirklichen und die in fachliches Handeln umzusetzen. Vier ausgewählte Themenfelder der KiRR sind Gegenstand der Untersuchung:
- neue Umgangsregelungen
- Verfahrenspflegschaft
- freiwillige Beistandschaft
- neue Beratungsaufgaben im SGB VIII
Das interdisziplinär angelegte Praxisforschungsprojekt will unter Einbindung empirischer Erkenntnisse über den Stand der Umsetzung der KRR in der Justizpraxis Ergebnisse formulieren, die Rückübertragungen in die Praxis ermöglichen. Es wird in 3 Schritten vorgegangen
- Analyse der strukturellen Fachliteratur und der Kinder- und Jugendhilfestatistik
- eine standardisierte bundesweite Befragung von Fachkräften in Jugendämtern
- eine qualitative multiprofessionelle Fachkräftebefragung von ASD Fachkräften, Beiständen, Fachkräften von freien Trägern, Richtern, Anwälten und Verfahrenspflegern
Aufbau und Inhalte
Der Abschlussbericht des Forschungsprojekts gliedert sich wie folgt:
- Vorbemerkung
- Kapitel 2 stellt die Grundzüge der Kindschaftsrechtsreform von 1998 und der nachfolgenden Novellierung bzw. gesetzlichen Veränderungen dar.
- Kapitel 3 enthält die Auswertung der für das Forschungsvorhaben relevanten Fachliteratur für den Zeitraum von 1998 – März 2006 sowie die Auswertung der diesbezüglichen Jugendhilfe- und Rechtspflegestatistik.
- Im 4. Kapitel erläutern die Autoren ihr forschungsmethodisches Vorgehen, die Zielsetzung des Projekts und zentrale Fragestellungen.
- Das 5. Kapitel (S. 89-194) enthält die Auswertung der Forschungsergebnisse nach den thematischen Schwerpunkten der Erhebung: Umgangsrecht, Verfahrenspflegschaft und Beistandsrecht einschließlich der jeweiligen Beratungsangebote der Jugendhilfe als Querschnittsaufgabe.
- Im 6. Kapitel sprechen die Forscher Empfehlungen für die qualitätsorientierte Weiterentwicklung der Praxis aus.
Diskussion
Die Darstellung der Kindschaftsrechtsreform in Kapitel 2 nennt die wesentlichen Gesetzesänderungen im Abstammungsrecht, im Recht der elterlichen Sorge, dem Umgangsrecht sowie dem übrigen Kindschaftsrecht und auch die verfahrensrechtlichen Neuerungen (2.2). Der Abschnitt 2.3 über die Entwicklungen seit 1998 ist nach Auffassung der Rezensentin schwer lesbar, da beispielsweise Zwischenüberschriften zur besseren Strukturierung dieses Abschnittes gänzlich fehlen. Die Zusammenfassung des Kapitels (2.4) glättet das zuvor gesagte jedoch, in dem sie die Neuerungen im Bereich des Kindschaftsrechts und der Jugendhilfe relativ knapp resümiert:
- Verbesserung der Rechtsstellung nichtehelicher Kinder; d.h. ihre rechtliche Gleichstellung mit ehelichen Kindern
- Zuwachs an Rechten der Väter
- Verstärkung der Rechtsstellung der Eltern gegenüber den Gerichten
- Zunahme der Elternautonomie
- neue Pflichten und Aufgaben für die Fachkräfte in Justiz- und Jugendhilfe in kindschaftsrechtlichen Arbeitsfeldern
Die fachliche Diskussion der Thematik und quantitative Entwicklung sind Inhalte des 3. Kapitels, wo verschiedentlich Abbildungen und Tabellen zur Visualisierung, insbesondere der qualitativen Entwicklung der Themenschwerpunkte dienen. Der interessierte Leser kann hier infolge der gut strukturierten Aufbereitung der Fachdiskussion einzelne Themenschwerpunkte auswählen, um sich gezielt zu informieren.
Im Weiteren (4. Kapitel) wird die Anlage und Durchführung der Untersuchung in ihrem methodischen Verlauf vorgestellt. Das Vorgehen des Forschungsteams wird im Einzelnen erklärt und begründet, sodass es für den Leser gut nachvollziehbar wird. Ziel ist es die empirischen Erkenntnisse zum aktuellen Stand der Umsetzung der Kindschaftsrechtsreform und der Kinder- und Jugendpraxis zu ermitteln und daraus folgend gestalterisch auf die Praxis Einfluss zu nehmen.
Kapitel 5 stellt das Kernstück des Forschungsberichts dar. In 5.1 wird die Praxis des Umgangsrechts differenziert erläutert, teils anhand von Tabellen auch quantitativ verdeutlicht und interpretiert. Zur Konkretisierung werden wörtliche Zitate der Befragten (bspw. Freien Träger, Richter und Rechtsanwälte) aufgeführt. In gleicher Weise werden die Umsetzung der Verfahrenspflegschaft und der freiwilligen Beistandschaft analysiert. Die Erhebungen werden jeweils am Ende des Abschnitts zusammengefasst, d.h. der aktuelle Stand und die Perspektiven der Institute: Umgangsrecht, Verfahrenspflegschaft und freiwillige Beistandschaft werden mit fördernden und hemmenden Faktoren für ihre Umsetzung klar beschrieben.
Im 6. Kapitel folgen Empfehlungen für eine qualitätsorientierte Weiterentwicklung in der Praxis. Der Bedarf an Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte ist ein zentrales Anliegen. Bezüglich der Subjektstellung des Kindes zur Stärkung seiner unmittelbaren Rechtsansprüche stellt der Forschungsbericht fest, dass in der Jugendhilfepraxis und bei den Gerichten noch umfassender Entwicklungsbedarf gegeben ist. Sodann werden zu den drei Themenschwerpunkten konstruktive Weiterempfehlungen für die Praxis formuliert. Exemplarisch sei genannt:
- Zum Umgangsrecht: Präventive Ausrichtung in Bezug auf Information und Beratung für Kinder und Jugendliche, bessere Abstimmung zwischen Familiengericht, Jugendamt und Gutachtern zum Wohl des Kindes;
- zur Verfahrenspflegschaft: Individuelles fachliches Profil des Verfahrenspflegers als Hauptkriterium der Bestellung, fachliches Zusammenwirken mit den beteiligten Professionen; Rollenklärung: Kindeswille versus Kindeswohl;
- zur Praxis der Beistandschaft: Beistandschaft als sozialrechtliches Dienstleistungsangebot, gezielte Kooperation der Beistände mit weiteren Behörden und Institutionen unter notwendigen kundenfreundlichen Strukturen.
Fazit
Der Forschungsbericht stellt Ziel und Verlauf des Projekts umfassend und detailreich dar. Die Validität der Erkenntnisse ist unbestritten und mündet überzeugend in die am Ende (6. Kapitel) ausgesprochenen Empfehlungen für eine qualitätsorientierte Weiterentwicklung der Praxis. Hier werden sehr konkrete Hinweise für die Praxis erteilt, insbesondere wie eine präventiv ausgerichtete, interdisziplinäre Umsetzung in die Praxis der Jugendhilfe, teils auch der Justiz aussehen könnte.
Der Bericht zeigt das hohe fachliche Engagement der Autoren. Für den interessierten Praktiker stellt er eine Art Nachschlagewerk dar.
Als durchgängig gut lesbar kann die Rezensentin die Ausführungen letztlich nicht bezeichnen. Das Buch spricht eher den Sozialwissenschaftler als den Juristen oder Studierenden an, denn die Vielzahl der ausgewerteten Tabellen und Abbildungen hemmen den Lesefluss erheblich.
Ohne Frage enthält der insgesamt sehr gut strukturierte Bericht jedoch vielfältiges und informatives Material zur Weiterentwicklung der genannten Themenschwerpunkte.
Rezension von
Prof. Dr. Angelika Gregor
Fachhochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
Fachgebiet Rechtswissenschaft
Es gibt 6 Rezensionen von Angelika Gregor.
Zitiervorschlag
Angelika Gregor. Rezension vom 28.11.2008 zu:
Johannes Münder, Barbara Mutke, Bernd Seidenstücker, Britta Tammen, Gabriele Bindel-Kögel: Die Praxis des Kindschaftsrechts in Jugendhilfe und Justiz. Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2007.
ISBN 978-3-497-01911-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4742.php, Datum des Zugriffs 18.08.2022.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.