Benno Biermann: Soziologische Grundlagen der Sozialen Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. habil. Gisela Thiele, 17.09.2007
Benno Biermann: Soziologische Grundlagen der Sozialen Arbeit. UTB (Stuttgart) 2007. 222 Seiten. ISBN 978-3-8252-2879-8. 16,90 EUR.
Zielsetzung und Zielgruppen
Der Soziologie wird als Grundlagenwissenschaft in der Sozialen Arbeit eine Nische zum Überleben mit ungewisser Zukunft eingeräumt. Allerdings will sich letztere infolge der Professionalisierung der eigenen Wissenschaft mehr und mehr von der Abhängigkeit etablierter akademischer Disziplinen, so auch der Soziologie, lösen. Das vorliegende Fachbuch von Benno Biermann, ehem. Professor für Soziologie am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster, will die Soziologie wieder stärker an den beruflichen Alltag des Sozialarbeiters binden und einen Beitrag zum berufsqualifizierenden Bachelor - Studium der Sozialen Arbeit leisten. Im Fokus der Soziologie des Sozialwesens steht nicht der Klient, sondern der Sozialarbeiter selbst als sozialer Akteur seiner Profession. Der Zielgruppe - Studierende und Praktizierende in der Sozialen Arbeit - soll eine Hilfe für die angemessene Bearbeitung ihrer beruflichen Probleme gegeben werden.
Aufbau und Übersicht über die behandelten Themen und Inhalte
Das Buch ist in acht Kapitel differenzierter Themen untergliedert. Im Vorwort wird das Anliegen verdeutlicht und begründet, warum ein "soziologischer Blick" notwendig erscheint, soll er doch zur reflexiven Betrachtung der eigenen Sozialarbeit anregen.
- Das erste Kapitel ist mit dem Titel überschrieben "Soziales" Handeln - "Soziale" Arbeit. Der Autor stellt den Begriff "Soziales Handeln" als wesentliche Kategorie soziologischer Denkweise in den Vordergrund seiner Ausführungen, nicht zuletzt Weber war es, der diesen zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand der Wissenschaft erklärte. Daraus leitet Biermann die beiden wichtigsten Handlungsformen Sozialer Arbeit - Hilfe und Erziehung - ab und verdeutlicht, wiederum in Anlehnung an Weber, vier Handlungs- und Helfertypen von Sozialarbeitern. Während diese Folgerung nachvollziehbar und sicher auch interessant ist, verwundert, dass es zu eigenartigen Sprüngen in der Betrachtung kommt, beispielsweise werden zwischenzeitlich das Verhältnis zwischen qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden, Begriff und Wort oder die Kultur in knappen Sätzen erwähnt, die allerdings in der Kürze nicht zur Aufhellung des ohnehin, wie der Autor selbst sagt, unscharfen Begriffes beitragen.
- Das zweite Kapitel setzt sich mit der Thematik "Konformität und Abweichung: Soziale Arbeit und soziale Kontrolle" auseinander. Es wird von Werten und Normen im Handeln ausgegangen, wobei der Begriff "Werte" m. E. zu kurz gefasst wird, weil diese nur generelle Wegweiser des Handelns sind und somit keine direkten Verhaltensanweisungen liefern. Basierend auf der Unterscheidung in helferische und erzieherische Normen schließt der Autor auf die so genannte "Pädagogisierung" der Hilfe, d.h. der Verknüpfung von Hilfeleistung mit Verhaltenserwartungen, wobei aus der Verbindung von Erziehung und Hilfe in einer einzigen Berufsrolle des Sozialarbeiters Normenkonflikte entstehen können. Es folgen danach Ausführungen zu Normenwandel, Normalität und Abweichung.
- Kapitel drei nimmt zu inhaltlichen Fragen "Soziale Rollen und Institutionen: Soziale Arbeit als Beruf" Stellung. Als Soziologin verwundert mich der Einstieg über die soziale Position und den Status, von dem aus auf die Sozialstruktur geschlossen wird, ohne dabei zu berücksichtigen, dass auf zwei unterschiedliche Verwendungsweisen zu achten ist - einerseits auf die Sozialstruktur einer Gesellschaft, andererseits auf die sozialen Strukturen, denn nur diese sind für Sozialpädagogen relevant. Insofern wird m. E. zu schnell auf Statusdifferenzen oder soziale Rollen eingegangen, die in erster Linie durch die relativ stabilen und änderungsresistenten Strukturen, die Menschen in ihrem Handeln einengen, aber auch Orientierung geben, hervor gerufen werden.
- Ein weiteres, das vierte Kapitel, beschäftigt sich mit Fragen der "Sozialen Arbeit und Wissenschaft". Es nimmt allgemein zu theoretischen Grundlagen Stellung, zu Hypothesen, Definitionen und Taxonomien und wirkt ein wenig wie eingeschoben in die soziologischen Begrifflichkeiten, die dann
- im fünften Kapitel wieder aufgegriffen werden, indem der "Soziale Einfluss: Macht und Autorität in Hilfeprozessen" in den Blick genommen wird.
- Kapitel sechs ist der Thematik "Soziale Gruppen und Organisationen: Teamarbeit in sozialen Einrichtungen" verpflichtet. Wenig nachvollziehbar scheint in Kapitel drei die Soziale Arbeit mit den Institutionen und hier die Soziale Gruppe mit den Organisationen zu verbinden, sind es doch zwei grundlegende Begrifflichkeiten, die gerade in ihrer Unterscheidung zentral sind und immer wieder, wie der Autor selbst sagt, auch in der Wissenschaft unsauber gebraucht werden (S. 70). Auch ist es zumindest ungewöhnlich, die Sozialisation, ebenso eine äußerst wichtige soziologische Kategorie, lediglich mit wenigen Zeilen im Zusammenhang mit der emotionalen Befriedigung in Gruppen zu erwähnen.
- Das nächstfolgende Kapitel ist mit dem Titel "Soziale Ungleichheit: Das Gesellschaftsbild der Sozialen Arbeit" überschrieben, wobei, auch darüber stolpert der Soziologe vorab, insbesondere die Problematik von Klassen, Schichten und Soziale Milieus in den Blick genommen werden und die Armut als Ressourcenknappheit in diese Behandlung eingeschlossen wird. Des Weiteren wird ein eigenes Unterkapitel (7.4) mit dem Begriff "Statusdiskrepanzen" überschrieben, die in Kapitel drei, wo der "Soziale Status" bereits problematisiert wurde, besser aufgehoben gewesen wäre.
- Das letzte, achte und zugleich kürzeste Kapitel gilt der "Sozialen Arbeit und soziologischen Theorie", indem der Autor auf zweieinhalb Seiten begründet, warum er diese spezifische Herangehensweise an dieses Buch gewählt hat. Nicht die Soziale Arbeit sollte an die Soziologie herangeführt werden, sondern die Soziologie an die Soziale Arbeit, weil dadurch "... die zitierte Mehrheit der Studierenden des Sozialwesens eine freundlichere und konstruktivere Einstellung zum Angebot der Soziologie gewinnt." (S. 197). Eine doch sehr eigenwillige Konstruktion, die wenig einsichtig erscheint.
Fazit
Die Beurteilung der Publikation ist für mich zwiespältig. Es ist ein Novum und deshalb durchaus begrüßenswert, wenn die soziologische Disziplin als bisheriges Grundlagenfach für die Soziale Arbeit aus ihrem "Schattendasein" und ihrer "Nische" befreit werden soll und ein spezifischer Zugang nicht über die Klientel, sondern die Sozialarbeiter selbst gewählt wird. Dadurch aber muss es zu dieser sonderbaren Mischung zwischen notwendigen wissenschaftlich soziologischen Begrifflichkeiten einerseits und deren Übertragung auf die Ebene des Verhaltens der Akteure andererseits kommen. Daraus resultiert aber ebenso eine inhaltliche Verkürzung der soziologischen Kategorien und was mir noch problematischer erscheint, zuweilen auch eine Unschärfe derselben.
Rezension von
Prof. Dr. habil. Gisela Thiele
Hochschule Zittau/Görlitz (FH)
Berufungsgebiete Soziologie, Empirische
Sozialforschung und Gerontologie
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Zitiervorschlag
Gisela Thiele. Rezension vom 17.09.2007 zu:
Benno Biermann: Soziologische Grundlagen der Sozialen Arbeit. UTB
(Stuttgart) 2007.
ISBN 978-3-8252-2879-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4743.php, Datum des Zugriffs 03.12.2024.
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