Leo Penta (Hrsg.): Community Organizing. Menschen verändern ihre Stadt
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 25.04.2007

Leo Penta (Hrsg.): Community Organizing. Menschen verändern ihre Stadt. Edition Körber (Hamburg) 2007. 254 Seiten. ISBN 978-3-89684-066-0. 16,00 EUR.
Gegen Phlegma, Pessimismus und Untertanengeist
Demokratie ist die Herrschaft des Volkes; diese Definition steht in den Lehrbüchern zur politischen Bildung und gilt deshalb als das Credo für ein demokratisches Zusammenleben der Menschen, national und international. Die Sehnsucht der Menschen, sich vom Joch der individuellen und gesellschaftlichen Unterdrückung zu befreien, wird, seit es Demokratien in der Welt gibt, immer auch bestimmt von Visionen, die sich in Vokabeln wie "Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit" ausdrücken. Visionen aber, so hat dies Ernst Bloch einmal ausgedrückt, brauchen Fahrpläne. Hier beginnt das Problem und ein Missverständnis, das in der Geschichte der Demokratie immer wieder zu Irritationen bei den Menschen führt: Demokratisches Denken und Handeln ist nicht individuelles Tun im Sinne eines egoistischen, egozentrischen Daseins, sondern von Anfang an und konstitutiv auf der Gemeinschaft der Menschen aufgebaut. Damit haben wir eine Grundvoraussetzung für Demokratie fest gemacht: Community, als gleichberechtigte Gemeinschaft der Menschen in einer Gesellschaft. Das klingt an in dem Slogan "Wir sind das Volk"; genau so wie in der Erkenntnis, dass diese Gleichheit der Menschen in einer Gesellschaft zwar in der demokratischen Verfassung und in den staatlichen Normen fest geschrieben werden muss, wenn wir von einer demokratischen Gemeinschaft sprechen; dass aber dieses Ideal nur dann in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zum Tragen kommt, wenn diese demokratischen Werte in der Lebenswelt und Alltagskultur der Menschen lebendig sind. Sie fallen jedoch nicht vom Himmel, und es wäre undemokratisch, würden sie von Institutionen oder gar von mächtigen Individuen als Direktiven für die Gemeinschaft vorgegeben.
Damit sind wir wieder bei der anfänglichen Position angelangt: Demokratie muss von der Gemeinschaft gelebt werden (können). Community heißt dann vor allem, dass eine Gesellschaft dann demokratisch genannt werden kann, wenn sie eine Bürgergesellschaft ist. Dass wir dabei in unserer deutschen Gesellschaft zahlreiche Defizite aufzuweisen haben, zeigt nicht zuletzt die in den letzten Jahren zunehmende Politikverdrossenheit und das steigende Misstrauen des sprichwörtlichen "Mannes und der Frau auf der Straße" gegen von der "Obrigkeit", aber auch von demokratisch gewählten Politikern veranlasste Initiativen, ausgeführt "im Namen des Volkes", aber selten mit ihm. "Governance", als "gutes Regieren", gerät dann "immer öfter" zum Handeln für… und immer weniger zum gemeinsamen Tun. Um diese Fehlentwicklung zu korrigieren und die "Zivilgesellschaft als Quelle der Inspiration" zu entdecken, hat die Hamburger Körber-Stiftung 1998 das Programm USABLE, als transatlantischen Ideenwettbewerb eingerichtet. In einem deutsch-amerikanischen Diskurs geht es dabei darum, Ideen und Aktivitäten, die in den USA erfolgreich praktiziert werden, um die politische Partizipation der Bürger in lokalen und regionalen Initiativen zum Tragen zu bringen, in den deutschen gesellschaftlichen Diskurs zu bringen. In der Buchreihe "Amerikanische Ideen in Deutschland" werden ausgewählte Arbeiten aus diesem Ideenwettbewerb publiziert.
Autor
Der 1952 in New York geborene Leo Joseph Penta, katholischer Priester und Community Organizer, hat in den USA Bürgerplattformen gegründet. Seine Vision, dass "das Politische als Demokratie … zuallererst (als) eine Lebensform, eine Kultur und nicht eine Institution, eine Regierungs- oder Staatsform" gesehen und praktiziert werden möge, will er auch in Deutschland mit realisieren helfen. Er lehrt seit 1996 an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen (KHSB) in Berlin und hat 2006 das Deutsche Institut für Community Organizing (DICO) gegründet. Ziel des Instituts ist es, zur "Stärkung der demokratisch agierenden Akteure der Zivilgesellschaft durch Seminare und Workshops zur Aus- und Fortbildung von lokalen Schlüsselpersonen als auch die Ausbildung von professionellen - reflektierten und reflektierenden Praktikern und Praktikerinnen, die im Auftrag dieser Zivilgesellschaft handeln" beizutragen.
Inhalt
- Mit dem Buch "Community Organizing - Menschen verändern ihre Stadt" legt Leo Penta als Herausgeber so etwas wie einen "Fahrplan" vor, wie die bürgergesellschaftlichen Initiativen und Bürgerplattformen funktionieren können. Indem er zu den Wurzeln in der US-amerikanischen Bürgerbewegung zurück geht, dabei an die Aktivitäten der "treibenden Kraft bei der Auflehnung der Machtlosen", an Saul Alinsky (1909 - 1972), erinnert und, zusammen mit dem in Princeton lebenden Michael Gecan und Edward T. Chambers (1930) aufzeigt, wie sich die ersten Bürgerplattformen in den USA bildeten und bis heute zu nationalen und internationalen Netzwerken weiter entwickeln, werden im ersten Teil des Buches die Grundlagen für zivilgesellschaftliches Handeln gelegt.
- Den zweiten Teil beginnt der Politikwissenschaftler und Politikberater Warnfried Dettling (1943) damit, dass er die Möglichkeiten und Probleme bei der Implementierung bürgergesellschaftlichen Denkens und Handelns in Deutschland aufzeigt. Als "Ruck" könnte man seine Aufforderung auffassen: "Ran an die Probleme" und "Ran an die Einrichtungen". An die Überwindung von als allzu selbstverständlich angenommenen Mentalitäten, etwa der "Betreuungsmentalität", hin zu einer "Beteiligungskultur", appelliert Penta in seinem Beitrag "Die Macht der Solidarität". Es gilt (endlich!) das "social capital" zu entdecken und zu nutzen. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Institut für christliche Ethik und Politik (ICEP), Christiane Schraml (1981) zieht in ihrer Arbeit Parallelen vom Community Organizing zur Philosophie Hannah Ahrendts, als Richtungsweiser für einen "aktivierenden Sozialstaat".
- Im dritten Teil werden Praxisbeispiele von Community Organizing aus Hamburg (Frank Düchting), Berlin-Schöneweide und Berlin-Karlshorst (Marcus Vossel), Stuttgart-Bad Cannstatt (Walter Häcker) und East London (Lina Jamoul) vorgestellt. Allen Projekten ist gemeinsam die Aufforderung und das Bewusstsein "Selber gehen!". Wichtige Impuls- und Ideengeber und sind beim Community Organizing "Schlüsselpersonen".
- Von ihnen wird im vierten Teil des Buches berichtet: "Menschen, die handeln", zum Beispiel der als erster Profi-Organizer in Deutschland ausgebildete Berliner Gunther Jancke und die aktive Rentnerin Ursula Glatzel mit ihrer Initiative "Menschen verändern ihren Kiez"; oder die energische junge Frau, Sylke Tuchan, die sich einmischt in den Alltag der Menschen in ihrer Umgebung; auch der Hamburger Frank Düchting, der von dem Motto der Community Organizer beeindruckt ist - We don’t empower, we power; wir ermächtigen niemanden, wir nehmen uns die Macht - und diese Erfahrung einbringt in die kommunale Arbeit (Anja Dilk).
- Community Organizing, oder benutzen wir den deutschen Begriff "Bürgerplattform" dafür, ist lernbar, als handlungsorientierte, theoriegeleitete Praxis zivilgesellschaftlichen Handelns. Anregungen dazu werden im fünften Teil von Leo Penta, Lina Jamoul und Larry B. McNeil gegeben.
Im Serviceteil schließlich stellt der Herausgeber internationale und nationale Einrichtungen vor, wie etwa die "Citizen Organizing Foundation" aus London, oder das bereits erwähnte DICO, Berlin.
Fazit
Die ausgewählte Literaturliste, mit den bezeichnenden Titeln wie "Anleitung zum Mächtigsein", "Leidenschaft für den Nächsten", "Die Politik beginnt bei den Leuten", u.a. macht deutlich, dass die in den USA begonnenen Initiativen von "Progressive Politics" bei uns anlanden, zwar noch zögerlich und erst einmal initiiert durch Schlüsselpersonen aus der Theorie und Praxis. Sie können dazu beitragen, dass sich die Zivilgesellschaft, also du und ich, er und sie, wir alle, den Herausforderungen stellen, die in einer sich im Wandel befindlichen Einen (?) Welt für alle Menschen auf der Erde lebens- und überlebensnotwendig bewältigt werden müssen. Im Alltag, in der je konkreten Lebenssituation, in der Community, muss damit begonnen werden.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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