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Clemens Janosch: un-gewohnt. Wohnungslose Menschen stellen sich vor. Fotos und Lebensgeschichten

Rezensiert von Dipl. Politologe Christian Schröder, 07.10.2007

Cover Clemens Janosch: un-gewohnt. Wohnungslose Menschen stellen sich vor. Fotos und Lebensgeschichten ISBN 978-3-7841-1673-0

Clemens Janosch: un-gewohnt. Wohnungslose Menschen stellen sich vor. Fotos und Lebensgeschichten. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2007. 76 Seiten. ISBN 978-3-7841-1673-0. D: 25,40 EUR, A: 25,40 EUR, CH: 43,50 sFr.

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Autor

Clemens Janosch ist Sozialarbeiter und Fotograf und arbeitet in einer Einrichtung der Wohnungslosenhilfe des Caritasverbands Rastatt.

Thema

In unserem Alltag begegnen wir häufig Wohnungslosen. Unser Blick auf Menschen, die auf der Straße leben, ist von zahlreichen Vorurteilen geprägt. Schon unsere Sprache ist mit Abwertungen und Vorurteilen durchzogen: Penner, Stadtstreicher, Nichtsesshafte, Wohnungslose, Herumtreiber, Obdachlose, Strolche, Stromer. Unser Wortschatz kennt zahlreiche Bezeichnungen für Menschen "ohne festen Wohnsitz" (OFW), wie es im Amtsdeutsch heißt. Clemens Janosch will uns die Lebensgeschichten von Wohnungslosen näher bringen und Verständnis für ihre Situation schaffen.

Wohnungslosigkeit hat viele Ursachen ...

Anderthalb Jahren lang hat Clemens Janosch wohnungslose Menschen begleitet, sie fotografiert, sie nach ihrem Lebensweg und ihrer aktuellen Lebenssituation befragt. Ergebnis dieser "un-gewohnten" Begegnungen sind die abgebildeten Portraitfotos und Kurzbiographien von 40 wohnungslosen oder ehemals wohnungslosen Menschen.

Der Sozialarbeiter bat die Wohnungslosen neben einer Portraitaufnahme um kurze Statements dazu, wie sie zurzeit leben, was der Anlass für ihre Wohnungslosigkeit war, was der glücklichste und was schlimmste Moment in ihrem Leben war und was ihr nächstes Ziel ist. So erfahren wir von Peter, Jahrgang 1959, dass er Heizer auf einer Dampflokomotive im Osten war, bis er 1993 seinen Job und seine Wohnung verlor. Seitdem ist er wohnsitzlos und wohnt zurzeit in einem Geräteschuppen. Der 51-jährige Frank ist seit 1991 obdachlos ist und übernachtet am liebsten auf Friedhöfen, weil er dort in Ruhe gelassen wird. Michael und Jens sind seit über 20 Jahren ohne Wohnung und leben auf einem Campingplatz.

Jede/r Obdachlose erzählt seine eigene Biografie - eine Lebensgeschichte mit Höhen und Tiefen, mit Brüche und Momenten des Scheitern. Viele Gesichter sind von der Härte des Lebens auf der Straße gezeichnet. Die Protokolle zeigen die zahlreichen Ursachen, die in die Obdachlosigkeit führen können: Jobverlust, Mietschulden und Zwangräumungen, Haftentlassung, Heimaufenthalte als Kind, Trennung von der Partnerin, der frühe Tod der Eltern oder des Partners, Krankheit.

... und viele Gesichter

Trotz dieser Vielseitigkeit der portraitierten Lebenswege auf die Straße zeichnet Clemens Janosch insgesamt ein einseitiges Bild: Wohnungslosigkeit als ein männliches Phänomen. Denn mit seinem Fokus auf ältere Männer, die schon lange "Platte machen", zeigt er nur einen Ausschnitt. In ihrer Jahresstatistik 2005 schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) den Anteil derer die ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben ("Platte machen"), auf fast 30 Prozent der Menschen, die sie als wohnungslos betrachtet. Erst diese langjährige Wohnungslosigkeit ist männlich. Dagegen sind Frauen oftmals nur kurzzeitig von Wohnungslosigkeit betroffen, kommen eher bei Bekannten - oft zum Preis sexueller Gegenleistungen - unter und nehmen schneller Angebote der Wohnungslosenhilfe wahr. Zwar beträgt der von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) 2005 erhobene Frauenanteil "nur" 14 Prozent, sie geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus, da "weibliche Wohnungslosigkeit" unauffälliger ist. Insgesamt schätzt sie deshalb den Anteil der Frauen an Wohnungslosen auf knapp ein Viertel. Wohnungslose Frauen sind bei Clemens Janosch unterrepräsentiert. Im Fotoband stellt er lediglich drei Frauen vor, eine davon als Partnerin (Ute), zwei immerhin als ein lesbisches Paar (Elke und Silvana). Weibliche Wohnungslosigkeit und ihre spezifischen Ursachen werden kaum dargestellt. Die meisten portraitierten Wohnungslosen sind recht alt, das liegt daran, dass zumeist Männer jenseits des vierten Lebensjahrzehnts "auf Platte" sind. Der jüngste Portraitierte ist 28 Jahre alt. "Straßenkinder" und jugendliche Wohnungslosigkeit kommen nicht vor. Dabei ist der Anteil der jungen Wohnungslosen laut BAG W in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen.

Clemens Janosch reproduziert auf diese Art und Weise leider ein sehr gängiges Bild von Obdachlosigkeit. Die ganze Bandbreite an Facetten von Wohnungslosigkeit kann er so nicht zeigen.

Fazit

Ungeachtet dieser etwas einseitigen Perspektive auf Wohnungslosigkeit und des hohen Buchpreises ist zu hoffen, dass sein Buch eine große Leserschaft findet. Denn die Wohnungslosen, die Clemens Janosch portraitiert hat, verdienen es, dass man ihre Lebensgeschichten liest: Hinter der Berberfassade verbirgt sich oft eine außergewöhnliche Biographie. Bilder und Texte können auch als Ausstellung beim Caritasverband Rastatt ausgeliehen werden.

Rezension von
Dipl. Politologe Christian Schröder
Evangelische Sozialberatung Bottrop (ESB)
Website

Es gibt 17 Rezensionen von Christian Schröder.

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Zitiervorschlag
Christian Schröder. Rezension vom 07.10.2007 zu: Clemens Janosch: un-gewohnt. Wohnungslose Menschen stellen sich vor. Fotos und Lebensgeschichten. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2007. ISBN 978-3-7841-1673-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4814.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.


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