Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 21.12.2007
Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit.
Suhrkamp Verlag
(Frankfurt/M) 2007.
439 Seiten.
ISBN 978-3-518-41425-5.
D: 19,80 EUR,
A: 20,40 EUR,
CH: 34,30 sFr.
Reihe: Edition zweite Moderne.
Die Riskanz der globalen Risikoanalyse
Der Münchener Soziologe Ulrich Beck ist mit seinem erstmals 1986 erschienenem Buch "Risikogesellschaft", das mittlerweile in mehreren Auflagen vorliegt und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, den Weg in eine andere Moderne gegangen. Ihm sind dabei viele Analysten, Experten, Wissenschaftler, Politiker und Alltagsdenker gefolgt; andere haben ihn dafür als Pessimisten und Risikisten getadelt; aber kaum hat ernsthaft aus der Zunft bestritten, dass wir Menschen in einer neuen Zeit angekommen sind, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die (vermeintlichen und über Generationen hinweg lieb gewonnenen) "Selbstverständlichkeiten" und "Sicherheiten" in den Mülleimer der Zeitgeschichte gehören. Seine soziologische Zeitdiagnostik ist nicht mehr und nicht weniger als ein endgültiger Blick über den eigenen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Gartenzaun. Die Risiken, die er dabei von Katastrophen unterscheidet, sind global erkennbar und wirksam. Der anklagende Zeigefinger, der für die Krisen in den vielfältigen Lebens- und Überlebensbereichen der Menschen, die Anderen verantwortlich macht, zeigt deutlich mit vielen anderen Fingern auf den Betrachter oder Ankläger zurück. Becks Hinweis, dass eine Abwendung von Risiken, ob in der globalen Umwelt-, Energie-, Bevölkerungs-, Gerechtigkeits- oder Ernährungspolitik, nicht durch die "eine", richtige Lösung möglich ist: "Bei vielen Entscheidungen über Großrisiken, geht es nicht um die Wahl zwischen sicheren und riskanten Alternativen, sondern um die Wahl zwischen verschiedenen riskanten Alternativen", deren Risiken qualitativ unterschiedliche Dimensionen einnehmen können. Das "Risikokalkül" also ist es, das mit Blick auf die sich immer interdependenter entwickelnden, zusammenwachsenden oder auch zusammenstoßenden Welt die individuelle wie institutionelle Aufmerksamkeit der Menschheit erfordert. Die Erkenntnis, dass wir Menschen in einer "Weltgefahrengemeinschaft" leben, lenkt die Analyse über den Zustand der Welt weg von einer allzu wohl meinenden Multi-Kulti-Auffassung und hin zu einer schmerzhaften Erkenntnis: "Das Weltrisiko ist die Realitätsinszenierung des Weltrisikos"; was bedeutet, dass die kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Wahrnehmungen von Krisen einem Bewusstsein von "Risikowirklichkeiten" weichen muss. Globale Risiken sind für Beck globale ökologische und Finanzkrisen, sowie terroristische Gefahren. Obwohl er in seinen Argumentationssträngen die Wirkungen dieser Risiken auf den einzelnen Menschen immer wieder anspricht, klammert er, nicht logisch, in seiner Systematik biographische Risiken aus. Eine seiner Antworten auf die scheinbare Unlösbarkeit der Weltrisiken ist einfach, bedeutet aber gleichwohl eine unabwendbare, revolutionäre Aufforderung zum globalen, gesellschaftlichen und kulturellen Wandel: "Der entfernte Andere wird zum inneren Anderen"; oder mit einer mehr flapsigen Alltagserkenntnis vermittelt: Das Sprichwort - Was geht mich an, wenn in China eine Schaufel umfällt - gilt nicht mehr!
Inhalt
Für die soziologische und politische Betrachtung des Problems der Weltrisiken erst einmal überraschend, bringt Ulrich Beck bei der gebirgigen Suche nach Auswegen aus dem vermeintlich "Unvermeidbaren", zwei Zeugen aus den Wissenschaftstraditionen zur Sprache und entwickelt deren Theorien weiter: Max Weber und John Meynard Keynes. Dabei ist ihm wichtig, an den drei genannten Systematisierungen - ökologische, ökonomische und terroristische Globalrisiken - die bisherigen Traditionen und Werteorientierungen der Risikotheorie und -soziologie weiter zu entwickeln; also eine "kritische Theorie der Weltrisikogesellschaft" vorzulegen; jedoch nicht im Sinne eines Katastrophenszenarios oder von kassandraschen Fingerzeigen, sondern - und das macht seine Theorie bemerkenswert - als eine Einladung für alle diejenigen zu betrachten, die sich weder in einem dumpfen Ohnmachtsgefühl gefallen, noch einer Arroganz der Verharmlosung der Weltrisiken hingeben: "Globale Risiken vergrößern die Horizonte des eigenen Lebens, indem sie …etwas anderes, jemand anderen sowie die Realität von Leiden und Zerstörungen über Grenzen und Gräben hinweg in die eigenen Leben integrieren". Kosmopolitisch betrachtet heißt das ja wohl, einer "Entweder-Oder-Weltpolitik" eine Absage zu erteilen und nach Wegen zwischen (neo)liberalen und (neo)sozialistischen Theorien zu suchen und sich auf eine "Konkurrenz der Interpretationen" einzulassen. Dabei kommt Beck zu der Aufforderung, eine "kosmopolitische Realpolitik" zu betreiben, die auf fünf Säulen ruht:
- Weltrisikogesellschaft erzwingt eine neue, historische Schlüssellogik einer globalen Verantwortungsethik.
- Weltprobleme schaffen eine transnationale Gemeinsamkeitsethik.
- Internationale Organisationen und Zusammenschlüsse ermöglichen einen kosmopolitischen Mehrwert für alle Menschen.
- Die Legitimität globaler Risikopolitik bedarf einer globalen Gewaltenteilung und führt zu mehr politischer und gesellschaftlicher Legitimität.
- Transnationale Zusammenarbeit nutzt allen.
Weil freilich diese Erkenntnisse für eine globale Realpolitik nicht so einfach zu vermitteln oder gar zu realisieren sind, bedarf es für eine theoretische, aber auch eine realpolitische Reflexion eines dialektischen Denkens und Handelns und einer "Entzauberung" unserer bisherigen Vorstellungen und Gewissheiten von Traditionen und Moderne; nicht in dem Sinne, dass "alles Nichts" ist, nicht der Hingabe von Ohnmachtsdenken, schon gar nicht von ideologischen und nationalen Phantasien: "Nationale Alleingänge sind … rückwärtsgewandte Idealismen, kosmopolitische Kooperation ist der Kern der neuen Realpolitik".
In dem 439 Seiten umfassenden Buch diskutiert Ulrich Beck in zwölf Kapiteln die im nationalen und internationalen Diskurs verhandelten Schlagwörter und Programme. Wie bereits in seinen vorherigen Arbeiten bietet er dabei selten eindeutige Antworten auf die Krisen der Welt, erfreulicherweise wird man sagen können! Denn wie ein "Clash of risk cultures" einzuschätzen ist, ob und inwieweit ein "linearer Fortschrittspessimismus" weiterhilft oder hemmt, wie einer "Inszenierung der Gewalt" lokal und global begegnet werden kann…, lässt sich nicht per Katheder oder auch mit eindimensionaler Gesellschaftsforschung beantworten. Allerdings, und das ist nicht nur den soziologischen und politischen Wissenschaften ins Stammbuch geschrieben: "Wertfreiheit setzt Wertgeltung, Wertkonsens voraus". Insofern ist eine kritische Theorie der Weltrisikogesellschaft überfällig und hilfreich bei dem Bemühen, verlorene Sicherheiten im humanen, gerechten und friedlichen Menschsein zu gewinnen.
Fazit
Becks Methode des kritischen Fragens und des Aufgreifens von "sakrosankten" Gewissheiten und Tabus, auch im wissenschaftlichen Diskurs, hat bei seinem Buch "Risikogesellschaft" zu einer lebhaften Auseinandersetzung und gesellschaftlichen Selbstkritik geführt. Dass dies auch bei seinem Buch "Weltrisikogesellschaft" der Fall sein wird, ist sicher und hilfreich bei der Notwendigkeit, mit den unvermeidlichen Weltrisiken zu leben, ohne sie zu ignorieren oder ihnen ohnmächtig ausgesetzt zu sein, sondern globale Gefährdungen zu antizipieren, um sie vielleicht sogar künftig zu verhindern.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 21.12.2007 zu:
Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit. Suhrkamp Verlag
(Frankfurt/M) 2007.
ISBN 978-3-518-41425-5.
Reihe: Edition zweite Moderne.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4820.php, Datum des Zugriffs 15.01.2025.
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