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Michael Zwilling: Handlungsmethoden in der sozialen Arbeit

Rezensiert von em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin, 14.07.2007

Cover Michael Zwilling: Handlungsmethoden in der sozialen Arbeit ISBN 978-3-8300-2308-1

Michael Zwilling: Handlungsmethoden in der sozialen Arbeit. Zur Entwicklung eines integrativen Modells. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2007. 254 Seiten. ISBN 978-3-8300-2308-1. 78,00 EUR.

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Hintergrund und Zielsetzung

Zu der Thematik „Handlungsmethoden in der Sozialen Arbeit“ liegen mittlerweile zahlreiche Grundlagenwerke vor, [1] die das Handeln in der Sozialen Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven thematisieren. Michael Zwilling legt nun ein weiteres Buch vor, in dem er als Ziel seiner Arbeit formuliert, unterschiedliche Theorien, Konzepte und Methoden aus verschiedenen Disziplinen auf ihre Kompatibilität mit der Sozialen Arbeit zu überprüfen und so eine systematische Methodenintegration in der Sozialen Arbeit zu entwickeln. Dadurch würden die verschiedenen Entwicklungslinien und deren dominierenden Konzepte und Methoden Arbeitsfeld übergreifend für die Soziale Arbeit erhalten und miteinander verbunden bzw. nutzbar gemacht. „Eine (erste) Überbrückung von konkurrierenden „Methodenschulen“ könnte somit initiiert werden.“ (S. 4) Der Ausgangspunkt des Autors ist die Überlegung, „dass aus Sicht der Profession von Interesse sein muss, das eigene Handeln anhand von Methoden kommunizierbar und begründbar zu machen É Aus Sicht der Disziplin stellt sich die Frage, ob und inwieweit für die zukünftigen Veränderungen in den verschiedenen Gesellschaftssystemen ein „methodisches Fundament“ vorhanden ist.“ Anhand der angestrebten Methodenintegration „sollen die Mängel in der theoretischen Diskussion und in der Praxis der Sozialen Arbeit gemildert bzw. behoben sowie parallel dadurch ein Beitrag zur Professionalisierung geleistet werden.“ (S. 5)

Die vorliegende Arbeit wurde vom Autor als Dissertation an der Universität Lüneburg angefertigt.

Autor

Michael Zwilling ist Diplom-Sozialpädagoge (FH) und Diplom-Pädagoge und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialpädagogik der Universität Lüneburg tätig. Seine Schwerpunkte sind Methodenentwicklung der Sozialen Arbeit, Psychosoziale Beratung und Coaching, Psychodrama, Klientenzentrierte Gesprächsführung, Transaktionsanalyse sowie weitere Methoden der Führungskräfteentwicklung. Sein Forschungsgebiet ist Psychosoziale Begleitung in der Substitutionsbehandlung (Suchtforschung).

Aufbau und Inhalt

Neben Einleitung und Fazit besteht das Buch aus vier Kapiteln.

  • In der Einleitung skizziert Zwilling zunächst die Vernachlässigung der Methodenentwicklung und -reflexion innerhalb der theoretischen Diskussion und in der sozialarbeiterischen Praxis, bevor er die Zielsetzung seiner Arbeit beschreibt. Im Weiteren erläutert er, warum in der vorliegenden Arbeit die Beratung als zentraler Bezugspunkt der Methodenentwicklung gewählt wurde. Zwilling entwickelt und beschreibt sodann eine „dreifache Triadenbildung“ bestehend aus 1. Axiologie – Theorie – Praxis, 2. Kommunikatives Handeln – Soziales Handeln – Methodisches Handeln und 3. Analyse – Intervention – Reflexion. Während er diese im Hauptteil der Arbeit vertieft, versucht der Autor den Modellbegriff wissenschaftstheoretisch zu präzisieren. Er entscheidet sich abschließend für das modifizierte „Modell der Gehaltsmaximierung“ als Grundlage für seine Modellentwicklung.
  1. Im 1. Kapitel beschäftigt sichZwilling zuerst mit der handlungsmethodischen Terminologie und legt als zentrale Begriffe seiner Untersuchung die Begriffe „Konzept“, „Methode“, „Verfahren“ und „Technik“ dar. Er gibt dann einen Überblick zu Handlungsmethoden in der Sozialen Arbeit („Klassische Methoden“, „Aktuelle Methoden“, „Beratung in der Sozialen Arbeit“) und stellt vorhandene „Modelle des Methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit“ dar, die er dann als Grundlage für die Entwicklung seiner eigenen Modelle „Wissenschaftsraute“ und „Integratives Modell“ heranzieht. Diese entwickelten Modelle werden in der vorliegenden Untersuchung als zentrale Reflexionsebenen für das Methodische Handeln in der Sozialen Arbeit definiert, wobei der Autor weniger die Unterschiede als vielmehr die Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Bezugswissenschaften und ihrer Theorien und Konzepte in das Zentrum des Interesses rücken will.
  2. Unter dem Titel Integratives Modell: Ebene „Kommunikatives Handeln“ wird im 2. Kapitel das „Postulat der Kommunikativen Verständigungsorientierung“ mit ihren theoretischen Aspekten in der Kritischen Theorie v. a. unter Bezugnahme auf Jürgen Habermas skizziert und der kontinuierliche gesellschaftliche Wandel des menschlichen Zusammenlebens reflektiert. Das ,Postulat der Verständigungsorientierung“ wird dabei in Verbindung mit der „Diskursethik als axiologische Grundlage von Beratung“ sowie „Kritische Gesellschaftstheorie und Beratung“ hervorgehoben, um die doppelte Profilbildung von Beratung und Methoden der Sozialen Arbeit auch metatheoretisch zu begründen.
  3. Im 3. Kapitel Integratives Modell: Ebene Soziales Handeln definiert Zwilling den Handlungsbegriff auf der Grundlage der Typologie des „Sozialen Handelns“ von Max Weber. Als Rahmen des „Sozialen Handelns“ in der Sozialen Arbeit werden Arbeitshaltung, Arbeitsbündnis und Arbeitsprinzipien als Modellelemente festgelegt und als Reflexionsebenen ausgestaltet. Sie sollen eine inhaltliche Akzentuierung und somit eine Reduktion des Handlungsbegriffs in der Sozialen Arbeit bilden. Parallel soll die Auswahl der theoretischen und axiologischen Inhalte eine wünschenswerte Theorienvielfalt als Grundlage der weiteren Methodenintegration belegen und begründen: „Arbeitshaltung“ wird nach Carl R. Rogers theoretisch konkretisiert und axiologisch am Beispiel der „Philosophie der Begegnung“ nach Martin Buber verdeutlicht. „Arbeitsbündnis“ wird anhand axiologischer und theoretischer Aspekte der Psychoanalyse nach Anna Freud und Sigmund Freud skizziert. „Arbeitsprinzipien“ werden exemplarisch anhand des Empowerments beschrieben und am Beispiel der Humanistischen Psychologie axiologisch konkretisiert. Als theoretische Perspektive wird das „Konzept der Lebenschancen“ nach Ralf Dahrendorf herangezogen.
  4. Im 4. Kapitel Integratives Modell: Ebene „Methodisches Handeln“ stellt Zwilling das Methodische Handeln nach dem Dreischritt „Analyse, Intervention und Reflexion“ dar. Die bewusste Reduktion auf diese Trias soll die Zirkularität von Handlungsprozessen in der Sozialen Arbeit verdeutlichen und auf notwendige Teilschritte (z. B. Anamnese, Selbstevaluation) für ein verantwortungsbewusstes sowie effektives und effizientes professionelles Handeln verweisen. Unter „Intervention“ entwickelt Zwilling einen sog. „Basis- und Komplementär-Check“, der als Reflexionshilfe beim Methodischen Handeln dienen soll. Dieser Check wird abschließend exemplarisch am Beispiel der multiprofessionell orientierten Suchtkrankenhilfe dargestellt. Unter „Reflexion“ werden Selbstevaluation, Supervision und Kollegiale Beratung/Intervision thematisiert und als eine Kombination für die Reflexion empfohlen.
  • Im abschließenden Fazit werden die Bedeutung und der Nutzen dieser unternommenen Methodenintegration thematisiert, indem mitunter in einem Exkurs europäische Methodenentwicklung unter der Berücksichtigung der Veränderungen verglichen wird, die durch den Bologna-Prozess initiiert wurden. Die Arbeit schließt mit einigen curricularen Empfehlungen.

Diskussion

Der Autor legt zweifelsohne ein bemerkenswertes Buch vor, in dem mit den Modellebenen „Kommunikatives Handeln“, „Soziales Handeln“ und „Methodisches Handeln“ eine Systematik bereitgestellt wird, die recht plausibel ist und ermöglichen könnte, die professionelle Identität zu schärfen. Zumal dieses eklektisch-integrative Modell keine bestimmten Konzepte, Methoden, Verfahren oder Techniken bevorzugen oder ablehnen will. Mitunter darin liegt jedoch das Hauptproblem bzw. die Schwäche des entwickelten Modells. Einerseits soll das Modell über keine explizite Gesellschaftsreflexionsfolie verfügen, andererseits werden aber hierfür doch Handlungs- und Gesellschaftstheorien herangezogen, und zwar bevorzugt von Habermas, Dahrendorf, Weber, aber andere wie Luhmann werden ohne ausreichende Begründung nicht berücksichtigt. So bleibt also die Frage danach unbeantwortet, warum manche Theorien ausgegrenzt werden. Das Gleiche gilt auch für einige Konzepte und Methoden. Andererseits ist es aber nicht zu vermeiden, dass ein Autor sich entscheiden muss, wie er seine Inhalte anordnet. Er muss dabei zwangsläufig etwas ausblenden und verkürzen. Dies verweist denn auf die grundsätzliche Problematik, dass komplexe Fragestellungen nur durch kontingente Reduktionen bearbeitbar sind.

Besonders beachtenswert sind die unter „Intervention“ vorgestellten „Basis- und Komplementär-Checks“ für die jeweilige Methodenwahl und -integration. Der zusammengetragene Fragenkatalog kann einerseits als eine Strukturierungshilfe dazu dienen, zu entscheiden, ob die eigene Vorgehensweise als Methode, Verfahren oder Technik zu bezeichnen ist. Andererseits kann er auch als Reflexionsgrundlage für das Methodische Handeln von Sozialarbeiter/innen dienen. Das Modell hätte in dem Zusammenhang sicherlich noch an Überzeugungskraft und Nützlichkeit gewonnen, wenn es dem Autor besser gelungen wäre, die Handhabkeit bzw. die Umsetzung des Modells aufzuzeigen. Der Versuch am Beispiel der Suchtkrankenhilfe kann nicht als besonders geglückt bezeichnet werden. Dieser Teil des Buches gibt Einblicke in die Motivierende Gesprächsführung und Soziale Netzwerkarbeit. Die Beantwortung der Reflexionsfragen lässt jedoch vieles weitgehend offen, inwieweit beispielsweise Motivierende Gesprächsführung sich in das Konzept der Sozialen Netzwerkarbeit einbetten lässt. Eine gründlichere, empirisch fundierte Analyse der vorliegenden Theorien, Konzepte, Methoden, Verfahren und Techniken wird dem Professionellen selbst überlassen.

Fazit

Abgesehen von den genannten Kritikpunkten ist es dem Autor gelungen, die Studie verständlich und anschaulich darzustellen. Das Buch kann mit einigem Gewinn gelesen werden, wenn der nicht nachvollziehbare hohe Preis (78,- EUR!) nicht wäre! Dieser wird möglicherweise verhindern, dass das Buch die Praxis und Studentenschaft und damit eine breite Leserschaft erreicht. Trotz des hohen Preises kann es nicht nur wissenschaftlich tätigen Sozialpädagogen/innen, sondern auch Praktikern/innen und Studierenden mittleren bis älteren Semesters empfohlen werden. Denn das hier entwickelte Modell bietet eine Basis, von der aus die in der Sozialen Arbeit Handelnden das eigene Handeln anhand von Methoden begründen  und eine eigene Position im Kontext einer multiprofessionellen Arbeit entwickeln könnten.

Das Modell verdient durchaus eine intensive Diskussion für eine systematische und vertiefende Weiterentwicklung.


[1] Dewe, Bernd u.a.:Professionelles soziales Handeln: soziale Arbeit im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. 2., überarb. Aufl. Weinheim/München: Juventa Verlag, 1995; Galuske, Michael: Methoden der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Weinheim/München: Juventa Verlag, 62005; Galuske, Michael/Thole, Werner (Hrsg.): Vom Fall zum Management. Neue Methoden der Sozialen Arbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2006; Geißler, Karlheinz A./Hege, Marianne: Konzepte sozialpädagogischen Handelns. Ein Leitfaden für soziale Berufe. 10., aktualisierte Aufl., Weinheim/Basel: Beltz, 2001; Heiner, Maja u.a.: Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. 4., erw. Aufl. Freiburg: Lambertus Verlag, 1998; Mrochen, Siegfried/Berchtold, Elisabeth/Hesse, Alexander: Standortbestimmung sozialpädagogischer und sozialarbeiterischer Methoden. Weinheim: Deutscher Studienverlag, 1997; Müller, Burkard: Sozialpädagogisches Können. Ein Lehrbuch zur multiperspektivischen Fallarbeit. Freiburg: Lambertus Verlag, 42006; Rauschenbach, Thomas: Der sozialpädagogische Blick. Weinheim/München; Juventa Verlag, 1993; Schilling, Johannes: Didaktik/Methodik Sozialer Arbeit. 4. überarb. Aufl. München/Basel; Ernst Reinhardt 2005; Stimmer, Franz: Grundlagen des Methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit. Stuttgart/Berlin/ Köln; Kohlhammer 2000/2006; von Spiegel, Hiltrud: Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Arbeitshilfen für die Praxis. 2. Aufl. München/Basel; Reinhardt 2004/2006.

Rezension von
em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin
Duale Hochschule BW Villingen-Schwenningen, Fakultät für Sozialwesen
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Es gibt 110 Rezensionen von Süleyman Gögercin.

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ISSN 2190-9245