Christa Renoldner, Eva Scala et al.: einfach systemisch! Systemische Grundlagen & Methoden für Ihre pädagogische Arbeit
Rezensiert von Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers, 27.12.2007

Christa Renoldner, Eva Scala, Reinhold Rabenstein, Reinhold Rabenstein: einfach systemisch! Systemische Grundlagen & Methoden für Ihre pädagogische Arbeit.
Ökotopia Verlag
(Münster) 2007.
240 Seiten.
ISBN 978-3-86702-010-7.
D: 24,00 EUR,
A: 24,70 EUR,
CH: 40,30 sFr.
Reihe: Praxisbücher für den pädagogischen Alltag.
Autorinnen und Autor
Die Autoren leben in Österreich (Salzburg, Linz, Graz) und arbeiten in den Bereichen Psychotherapie, Supervision/Coaching/Training. Frau Scala hat darüber hinaus Erfahrung in der Leitung einer Schule.
Thema
Das Buch bietet eine Einführung in das systemische Arbeiten und untersucht anhand der Schlüsselbegriffe Lernen und Leiten zentrale Handlungskategorien in diesen Feldern. Das Buch schließt mit einer Auswahl geeigneter Übungen und Techniken.
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst nach der Einleitung vier Hauptteile.
- Systemisch Laufenlernen von Christa Renoldner. In diesem Teil werden zentrale Begriffe der Systemtheorie und des Konstruktivismus vorgestellt. Die Begriffe sind auf das System bezogen (z.B. "Was ist ein System ?" S. 11), auf die Formen der Kommunikation (z.B. "Zirkularität" S. 18), auf die Haltung (z.B. "Die objektive Beobachterin ist out" S. 29) und schließlich auf den Lösungsprozess (z.B. "Reframing" S. 36). Dieser Abschnitt ist als Einführung auch für Menschen gut geeignet, die sich bislang mit Systemtheorie noch nicht systematisch oder gar nicht auseinander gesetzt haben.
- Systemisch Lernen von Eva Scala. Der zweite Teil beschreibt den Begriff des Lernens unter systemischer Perspektive und koppelt Überlegungen z.B. für eine systemische Lernkultur mit Anregungen für die pädagogische Praxis. Darüber hinaus gibt es Informationen z. B. zu den Lernebenen "Können, Wissen, Erkennen" (S. 67) und zum Verhältnis von Lernen und Wissen.
- Systemisch Leiten von Reinhold Rabenstein. In diesem Teil wird Leiten hinsichtlich seiner Konsequenzen für das System der Professionellen wie für das System der Geleiteten beschrieben. Das Kapitel beinhaltet wichtige Haltungsmerkmale von Leitung, aber auch methodische Interventionen, (z.B. Feedback-Einführung S. 89) wie auch konkrete Überlegungen zur systemisch geleiteten Gruppe, in der u.a. über Entwicklungsprozesse oder Außenseiter nachgedacht wird.
- Das vierte Kapitel ist eine Sammlung geeigneter Interventionen und Interventionstechniken, die unter Stichpunkten wie "Selbstwahrnehmung" (S. 137), "Ressourcen stärken" (S. 163) oder "Fragen und Erkunden" (S. 209) vorgestellt werden.
Das Buch endet mit einem alphabetischen Register der Methoden und Übungen, dem Literaturverzeichnis, einer ausführlicheren Information über die Autoren und Autorinnen sowie einem Kapitel, das mit "Unsere Quellen" überschrieben ist, und mehr die geistesgeschichtlich-philosophischen Grundlagen als die Literaturquellen thematisiert.
Zielgruppen
Das Buch richtet sich an Pädagogen, Lehrer und Erzieher sowohl in der Schule wie auch in der Gruppenarbeit und Erwachsenenbildung.
Diskussion
Das Buch ist meines Erachtens als Einstieg in systemisches Denken auch für Menschen gut geeignet, die sich bislang damit noch nicht auseinander gesetzt haben.
Das erste Kapitel folgt in seiner Orientierung an Schlüsselbegriffen einer in der systemischen Literatur mittlerweile aus guten Gründen gepflegten Tradition, die auch hier ihre Wirkung nicht verfehlt. Gerade angesichts der zuweilen doch recht fremdartigen Terminologie in der Systemtheorie ist es wichtig, sich auf Schlüsselbegriffe, in diesem Fall praktisch nutzbare Schlüsselbegriffe, zu beziehen. Das gelingt den Autoren und Autorinnen in vorzüglicher Weise.
Mit der Konzentration der Kapitel 2 und 3 auf die Begriffe des Lernens und Leitens wird sicher eine Reduzierung von Komplexität vorgenommen, die sich jedoch in der Lektüre des Buches ebenfalls als ausgesprochen hilfreich und produktiv erweist. Mit den Begriffen Lernen und Leiten werden zentrale Kategorien der Arbeitsbereiche beschrieben, in denen beruflich Tätige angesprochen werden sollen.
In dem Kapitel "Pädagogische Praxis", wird eine Vielzahl von guten Vorschlägen für methodisch fundierte Interventionen gegeben. Diese Sammlung von Interventionsvorschlägen unterliegt allerdings auch den bekannten Risiken. Neben der Anregung zur (Wieder-) Entdeckung bereits selbst erlebter oder erfahrener Techniken, der Öffnung des Blicks für unkonventionelles Handeln als besondere Chance solcher Vorschläge, gibt es sicher auch Risiken.
Zu den Hauptrisiken ist meines Erachtens zu rechnen, dass selbst komplizierte Vorgehensweisen in zum Teil doch sehr verkürzter Variante vorgestellt werden. So wird z.B. der "Open Space - Selbstorganisiertes Arbeitsmodell" nach Harrison Owen auf nur einer Seite vorgestellt. Korrekterweise wird dann "empfohlen, die umfangreiche Literatur heranzuziehen und Hinweise im Internet zu suchen." (S. 121) Trotz dieses gut gemeinten Hinweises scheint mir die Empfehlung einer derartig komplexen Interventionsstrategie zumindest problematisch. Dies gilt jedoch nicht für alle hier vorgestellten Techniken.
Die Einschätzung der vorgestellten Interventionen hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit kann sich natürlich -nutzerabhängig- erheblich unterscheiden. Darum werden gleiche Übungen an höchst unterschiedlichen Punkten empfohlen. Sehr gut gefallen haben mir darüber hinaus die persönlichen Anmerkungen zum Nutzen des systemischen Arbeitens, die sehr konkret und praxisbezogen einige Nutzungsmöglichkeiten vorstellen.
Ein kurzer Abschnitt zum Thema: "Die Pädagogik ist weiblich" (S. 7) verweist auf den Widerspruch zwischen einer vorwiegend weiblich besetzten professionellen Ebene und der männlichen Überzahl bei Verhaltensauffälligen, Behinderten und z.B. in der Psychiatrie und sonstigen Institutionen betreuten Kindern. Diese Problematik gilt grundsätzlich auch für Soziale Arbeit und ist mühelos erweiterbar, z.B. durch die Frage, welche Lösungen von geschlechtsspezifischen Mustern bestimmt werden. Hier erscheinen mir die systemischen Fragen zu diesem Bereich als ausgesprochen hilfreich, aber durchaus noch ergänzbar.
Fazit
Das Buch ist ein überaus praxisnah geschriebener Beitrag zur Anwendung des systemischen Denkens in pädagogischen gruppenbezogenen Systemen - mit dem Schwerpunkt Schule. Praktikerinnen und Praktiker finden sowohl eine gut lesbare Einführung wie auch eine Vielzahl direkt nutzbarer Interventionen. Für Studierende ist es absolut zu empfehlen.
Rezension von
Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers
Systemischer Familientherapeut, Ausbilder der GwG (GF, SV), Supervisor DGSv
Lehrer für besondere Aufgaben (Theorien und Methoden der Sozialarbeit) i.R.
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