Manfred Döpfner, Stephanie Schürmann et al.: Therapieprogramm für Kinder mit [...] Poblemverhalten: THOP
Rezensiert von Thomas Buchholz, 11.12.2013
![Werk bestellen Cover Manfred Döpfner, Stephanie Schürmann et al.: Therapieprogramm für Kinder mit [...] Poblemverhalten: THOP ISBN 978-3-621-28033-4](/images/rezensionen/cover/487.jpg)
Manfred Döpfner, Stephanie Schürmann, Jan Frölich: Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Poblemverhalten: THOP.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2013.
544 Seiten.
ISBN 978-3-621-28033-4.
69,00 EUR.
mit CD-ROM. Materialien für die klinische Praxis.
Thema
ADS bzw. ADHS (kurz für Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung) ist das Störungsbild, mit dem sich Familien in therapeutischen Praxen am häufigsten vorstellen. Die Prävalenzraten können nur geschätzt werden. Daher liegen die Schätzungen zwischen 1-2% (Bundesärztekammer) und 6% (B. Brühl, M. Döpfner, G. Lehmkuhl: Der Fremdbeurteilungsbogen für hyperkinetische Störungen (FBB-HKS) – Prävalenz hyperkinetischer Störungen im Elternurteil und psychometrische Kriterien. In: Kindheit und Entwicklung. 9, 2000, S. 115-125.)
Für die Diagnose eines ADS/ADHS orientieren sich Fachärzte und Therapeuten in Deutschland an den Vorgaben des ICD-10. Nach ICD-10 müssen für eine Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0) mehrere Diagnosekriterien aus drei Symptombereichen vorliegen. Diese Symptombereiche sind:
- Eine ausgeprägte Unaufmerksamkeit, die nicht durch den Entwicklungsstand des Kindes erklärbar ist. Erhöhte Ablenkbarkeit zeigt sich häufig in Situationen, die kognitive Anstrengung erfordern, z.B. im Unterricht oder bei den Hausaufgaben.
- Eine überhöhte Überaktivität, die z.B. durch motorische Unruhe und Bewegungsdrang gekennzeichnet ist sowie
- eine übermäßige Impulsivität. Letztere zeigt sich oft durch die Unfähigkeit des Kindes, warten zu können, bis es an der Reihe ist oder durch häufiges Unterbrechen und Stören anderer, z.B. der Eltern oder im Unterricht.
Kriterien aus allen drei Symptombereichen müssen mindestens sechs Monate lang aufgetreten sein, um die Diagnose vergeben zu können. Außerdem sollte bei der Diagnose das Entwicklungsalter des Kindes berücksichtigt werden. Erst wenn das gezeigte Verhalten in den o.g. Bereichen deutlich von dem Verhalten abweicht, welches aufgrund des Entwicklungsstandes des Kindes zu erwarten wäre, kann von einer Störung mit Krankheitswert ausgegangen werden. So ist z.B. impulsives Verhalten für ein vierjähriges Kind in einem gewissen Ausmaß als durchaus normal einzuschätzen. Das Alter des Kindes, in dem die Störung zum ersten Mal aufgetreten ist, ist ein weiteres Kriterium für das Vorliegen eines ADS/ADHS ist. Nach ICD-10 muss die Störung vor dem siebten Lebensjahr aufgetreten sein. Diese Altersgrenze entspricht jedoch nicht mehr den aktuellen Erkenntnissen, wonach ein ADS/ADHS auch später im Entwicklungsverlauf eines Kindes erstmalig auftreten kann. Diesem Umstand trägt die Revision des zweiten wichtigen Klassifikationssystems, dem DSM-V, Rechnung, in dem das Eintrittsalter auf 12 Jahre herabgesetzt wird.
Die Klassifikation nach DSM-IV differenziert zusätzlich in drei Subtypen eines ADS/ADHS. Hier wird davon ausgegangen, dass es Erscheinungsbilder gibt, bei denen jeweils ein Kriterium im Vordergrund steht, also mit einer stärken Ausprägung auftritt. Daher wird genauer nach drei verschiedenen Subtypen differenziert:
- der vorherrschend unaufmerksame Typ
- der vorherrschend hyperaktiv-impulsive Typ und
- der Mischtyp.
Der zweite Patientenkreis, der bereits im Titel des vorliegenden Buches angesprochen wird, ist die Gruppe der Kinder mit einer oppositionellen Störung des Sozialverhaltens. Diese Störung ist gekennzeichnet durch ein „deutlich aufsässiges, ungehorsames und trotziges Verhallen bei Fehlen schwerer dissozialer oder aggressiver Handlungen“ (Remschmidt u.a. (Hg.): Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO. Verlag Hans Huber, 2006, S. 43f.). Typischerweise tritt diese Störung bei Kindern im Alter unter neun bzw. zehn Jahren auf. Gleichwohl ist auch hier das Entwicklungsalter des Kindes zu berücksichtigen, da oppositionelles Trotzverhalten in jüngeren Jahren als durchaus entwicklungsangemessen angesehen werden kann. ADHS und eine oppositionelle Störung treten häufig in Kombination miteinander auf. Liegen beide Störungsbilder vor, ist nach ICD-10 eine Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) zu diagnostizieren.
Mit dem vorliegenden Buch veröffentlichen die Autoren ein Manual zur Behandlung von Kindern im Alter zwischen drei bis zwölf Jahren mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten in der 5. überarbeiteten und erweiterten Auflage. Es zielt auf Patientengruppen ab, die von einer Einfachen Aktivitiäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0), einer Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten (F91.3) oder einer Mischform aus ADHS und Störung des Sozialverhaltens (Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, F. 90.1) betroffen sind.
Entstehungshintergrund
Die erste Auflage des THOP erschien 1998 als Ergebnis eines DFG geförderten Forschungsprojektes zur Wirksamkeit multimodal ausgerichteter Therapie von Kindern mit ADHS der Kölner Arbeitsgruppe. Dabei dienten amerikanische verhaltenstherapeutische Ansätze, darunter z.B. Selbstmanagement-Methoden oder Elterntrainings nach Barkley, als Ausgangspunkt für die Entwicklung des THOP. Das THOP ist multimodal angelegt, d.h. es vereint verschiedene Verfahren, die zu einzelnen Modulen integriert wurden.
Aufbau und Inhalt
Das Buch besteht aus zwei Teilen.
- Im ersten Teil werden Störungsbilder und Behandlungsansätze vorgestellt. Neben Erscheinungsbild, Klassifikation und Verlauf der Störung legen die Autoren einen Schwerpunkt auf die derzeit aktuellen Behandlungsansätze und ihre Wirksamkeit.
- Der zweite, ungleich größere Teil des Buches stellt das Therapieprogrammfür Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten (THOP) vor. Das Programm besteht wiederum aus zwei Teilen. Im Diagnostikteil des Programmes (1) bieten die Autoren dem Leser Informationen zur Erhebung störungsrelevanter Daten einschließlich nützlicher Instrumente zur Verlaufskontrolle. Entsprechende Fragebögen und Arbeitsblätter können im Downloadbereich auf der Verlagsseite kostenfrei bezogen werden. Hilfreich sind die Verweise am Seitenrand des Buches auf die jeweiligen Arbeitsmaterialien im Internet.
Der Therapieteil des Programmes (2) besteht im Wesentlichen aus einer modular aufgebauten „Durchführungsanleitung für die Therapiebausteine des Eltern-Kind-Programms“. Entlang von 24 Bausteinen werden Ziele, Inhalte und Durchführung des Therapieprogrammes vorgestellt. Jeder Baustein enthält eine kurze Übersicht, allgemeine Vorbemerkungen zum theoretischen Hintergrund, Hinweise zum Ablauf der Sitzung bzw. zur Durchführung sowie zu schwierigen Therapiesituationen. Beendet wird jedes Modul mit einem kurzen Ausblick auf die nächste Sitzung.
Die für das Manual entwickelten Interventionen enthalten eine kindzentrierte sowie eltern- bzw. familienzentrierte Ebene. Die Trennung von eher elternzentrierten Maßnahmen und solchen, die sich auf das Kind richten, wird im Buch durch den modularen Aufbau berücksichtigt (Module mit der Kennzeichnung F enthalten familienzentrierte Maßnahmen, die vornehmlich mit den Eltern durchgeführt werden. Module mit der Kennzeichnung K enthalten kindzentrierte Maßnahmen, die vornehmlich mit dem Kind allein durchgeführt werden). Inhaltlich sind die Bausteine nach sieben Themenfeldern gegliedert:
- Gemeinsame Problemdefinition mit den Eltern und Entwicklung
eines Störungskonzeptes sowie Behandlungsplans über vier Bausteine
hinweg:
- Definition der Verhaltensprobleme des Kindes in der Familie (F01/K01),
- Erarbeitung der Elemente eines gemeinsamen Störungskonzeptes (F02/K02),
- Entwicklung eines gemeinsamen Störungskonzeptes (F03/K3) und
- Behandlungsziele und Behandlungsplanung (F04/K04).
- Förderung einer positiven Eltern-Kind-Interaktion. Dazu zählen die Fokussierung auf positive Erlebnisse mit dem Kind (F05/K05) und der Aufbau positiver Spielinteraktionen in gemeinsamen Spielzeiten (F06/K06).
- Pädagogisch-therapeutische Interventionen zur Verminderung
von impulsivem und oppositionellem Verhalten. Die Interventionen
zielen darauf ab, die Eltern dabei anzuleiten,
- Regeln und Grenzen zu setzen (F07/K07),
- effektive Aufforderungen zu formulieren (F08/K08 und 09),
- das Kind positiv zu verstärken (F09 und 10/K08 und 09),
- wirkungsvolle Kontrolle aufzubauen (F11) und
- natürliche, negative Konsequenzen zuzulassen (F12/K12).
- Spezielle operante Methoden. Bei Bedarf werden u.a.
Token-Systeme eingeführt und an die Bedürfnisse des Kindes
angepasst. Hierzu zählen:
- Aufbau von Tokensystemen (F13/K13) und Anpassung von Token-Systemen (F14)
- Einführung eines Verstärker-Entzugs-Systems (F15/K15)
- Setzen von Auszeiten (F16/K16).
- Interventionen bei spezifischen Verhaltensproblemen. Neben Spiel-, Selbstinstruktions- oder Selbstmanagementtraining mit dem Kind (F17a-c/K17a-c), beinhaltet dieser Teil die Bearbeitung typischer Problemsituationen, wie Verhaltensprobleme in Hausaufgabensituationen (F18/K18) und in der Öffentlichkeit (F19/K19).
- Ressourcenaktivierung und Stabilisierung. Dieser Teil bezieht
sich auf
- die Ressourcen der Eltern: Anleitung der Bezugsperson, für sich etwas zu tun (F20) und
- die Ressourcen das Kindes: Stärken und Interessen des Kindes fördern und Energie kanalisieren (F21) sowie auf
- die selbstständige Bewältigung von zukünftigen Verhaltensproblemen (F22).
- Ergänzende kindzentrierte Interventionen können optional
bei Bedarf eingesetzt werden:
- Bei pharmakotherapeutischer Behandlung: Die Sache mit den Pillen (K23)
- Bei schulischen Problemen: Schule kann auch Spaß machen (K24).
Ergänzend zu kind- und elternzentrierten Maßnahmen beinhaltet das Therapiemanual Informationen zu Interventionen im Kindergarten und in der Schule (Kapitel 9) sowie zu sonstigen therapeutischen Interventionen (Pharmakotherapie und Therapie komorbider aggressiver Verhaltensstörungen, Kapitel 10). Zwei ausführliche Fallbeispiele (Kapitel 11) und ein Überblick über die Ergebnisse von Studien zur Wirksamkeit des THOP (Kapitel 12) schließen das Manual ab.
Hinweise zur 5., erweiterten Auflage
Zur Besprechung lag die fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage vor. Im Vergleich zur vierten Auflage wurde das Manual in eignen Punkten ergänzt:
- Aktualisierte Informationen zu den Störungsbildern ADHS und oppositionelle Verhaltensstörung entsprechend des aktuellen fachwissenschaftlichen Diskussionsstandes,
- Überarbeitung und Aktualisierung der diagnostischen Verfahren und
- Erweiterung des Therapiemanuals um zwei weitere Therapiebausteine.
In der aktuellen Auflage wurde dem Therapieprogramm zwei weitere Bausteine hinzugefügt, die eine sinnvolle Ergänzung des Therapieprogramms darstellen: Baustein 20 ermutigt Eltern mit Hilfe des Therapeuten, sich selbst etwas Gutes zu tun. So sollen Eltern langfristig entlastet und gestärkt werden. In Baustein 21 werden Eltern dazu ermutigt, die Stärken und Interessen des Kindes besser wahrzunehmen und zu fördern. Für den Therapieprozess wäre zu überlegen, ob die beiden neuen Bausteine früher zum Einsatz kommen sollten, stellen sie doch die Ressourcen der Eltern und des Kindes in den Mittelpunkt. Die Stärkung dieser Ressourcen könnte gleichwohl am Anfang eines Programms stehen, stellen diese doch wichtige Voraussetzungen dar und Kraftreserven zur Verfügung, um Verhaltensänderungen aufseiten des Kindes wie der Eltern auf Dauer durchzuhalten. Generell gilt es für die Anwendung von Manualen zu beachten, dass diese flexibel auf den jeweiligen Einzelfall angewendet werden sollten und sich der Einsatz von Interventionen an den Bedürfnissen der Klienten bzw. Patienten orientieren sollte. Darauf weisen auch die Autoren hin, wenn sie schreiben, dass „das Therapieprogramm … kein starres Standardprogramm [ist], sondern ein flexibles System aus verschiedenen Therapiekomponenten und einzelnen Therapiebausteinen, die entsprechend der jeweiligen Bedürfnisse des Kindes, seiner Familie, des Kindergartens oder der Schule miteinander kombiniert werden können“ (S 81). In diesem Zusammenhang weisen die Autoren auch darauf hin, dass bei Jugendlichen ab 13 Jahren Adaptionen des Vorgehens und des Materials nötig seien. Ferner weisen sie daraufhin, dass einzelne Elemente des Manuals auch bei anderen Störungen Anwendung finden können. Voraussetzung ist die Adaption auf die für den Einzelfall gültige Therapieplanung.
Neben dem Manual für Therapeuten sind weitere Publikationen erschienen, darunter das Elternbuch „Wackelpeter und Trotzkopf“, ein Ratgeber über ADHS sowie das Präventionsprogramm für Expansives Problemverhalten (PEP, Plück u.a. 2006).
Fazit
Das multimodal ausgerichtete Therapieprogramm richtet sich an verhaltenstherapeutisch orientierte Therapeuten, die Kinder im Alter von drei bis zwölf Jahren mit einem der o.g. Störungsbilder behandeln. Das Programm wird sehr detailliert vorgestellt, ist praxisnah und enthält kindgerechte und ansprechend gestaltete Arbeitsmaterialien zu jedem Baustein, die im Online-Bereich des Verlages zur Verfügung stehen. Besonders Berufseinsteiger können von dem Manual profitieren, da es zentrale Interventionen für die Therapie von Kindern mit ADHS oder einer oppositionellen Verhaltensstörung sowie deren Familien vorstellt, Hinweise zur Durchführung der Sitzungen enthält und bereits typische, schwierige Situationen vorwegnimmt. Der modulare Aufbau kann gerade Berufseinsteigern Sicherheit für die Planung und Durchführung der Therapie geben. Aber auch erfahrene Therapeuten werden aus der klaren Strukturierung des Therapieprozesses und den zahlreichen praxisnahen Arbeitsmaterialien ihren Nutzen ziehen können.
Rezension von
Thomas Buchholz
M.A.
Mailformular
Es gibt 19 Rezensionen von Thomas Buchholz.