Lothar Hack: Wie Globalisierung gemacht wird
Rezensiert von Prof. Dr. Joachim Thönnessen, 26.04.2008
Lothar Hack: Wie Globalisierung gemacht wird. Ein Vergleich der Organisationsformen und Konzernstrategien von General Electrics und Thomson.
edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft
(Berlin) 2007.
518 Seiten.
ISBN 978-3-89404-548-7.
29,90 EUR.
Unter Mitarb. von Irmgard Hack.
Thema
Welche Arten von Unternehmen sind es, die sich zu den Gewinnern der Globalisierung zählen dürfen? Und wer sind die Verlierer? Vor allem aber interessiert in diesem vielseitigen Buch auch die Frage nach dem "Warum" , die beispielsweise anhand von "Unternehmensstrategien" (und dem Zusammenspiel von Unternehmen und Regierungen) beantwortet wird.
Entstehungshintergrund
Lothar Hack und seine Ehefrau Irmgard Hack wirken schon seit vielen Jahren in den Themengebieten Industriesoziologie, Techniksoziologie, Organisationssoziologie und Wissenssoziologie. Als anerkannte ExpertInnen in diesen Themenbereichen nutzen sie ihr Wissen und ihre Kontakte, um die "tatsächlichen Organisationsstrukturen von Großkonzernen und ihre realen Beziehungen zu den jeweiligen nationalstaatlichen Handlungsformen" (Hack 2007, S. 13) auf kongruente Weise empirisch zu untersuchen. Der besondere Reiz ihrer Untersuchungen liegt nicht nur in deren empirischer Anschaulichkeit (und in dem Vergnügen, Dinge zu erfahren, die von den Konzernen wohl lieber verschwiegen oder zumindest in einem anderen Lichte dargestellt würden). Die Anziehungskraft der Bücher der Hacks liegt vielmehr vor allem in der Verknüpfung empirischer Untersuchungen mit allgemeinen gesellschaftstheoretischen Überlegungen (wie in dem vorliegenden Arbeitsbericht: der "Globalisierung" oder der "Weltgesellschaft") und mit den zwischen "theoretischen Konzepten und praktischen Handlungsanweisungen changierenden Formen der Organisationsforschung" (die z.B. die Entstehung globaler Konzerne bzw. "grenzenloser Unternehmensorganisationen" analysiert) (ebd., S. 12).
Zwei umfangreiche Untersuchungsberichte, in denen industrielle Forschungs- und Entwicklungs-Organisationen (F& E) von Grosskonzernen analysiert wurden, sind zuvor publiziert worden: In einer Studie wurde das Verhältnis von "Technologietransfer und Wissensformation" am Beispiel der Globalisierung der F&E-Organisation von Siemens (Hack 1998) dargestellt. In einem zweiten Bericht wurden die Formen und Prozesse der Internationalisierung industrieller F&E-Organisationen in einem Fallvergleich von Bosch und DaimlerChrysler dargestellt und auf die Thematik von "Wissen, Macht und Organisation" fokussiert (Hack/Hack 2005). In beiden Untersuchungen wurde die Aufbereitung umfangreichen empirischen Materials in den Kontext spezifischer Theoretisierungsstrategien gestellt, die die Bedeutung von Wissen und Technologie sowie Macht und Organisation als Strukturbestimmungen des gegenwärtigen Kapitalismus herausarbeiten (Hack 2007, S. 13).
Aufbau und Inhalt
Das umfangreiche Buch (518 S.) ist - nach der Einleitung – in sechs etwa gleichstarke Kapitel aufgeteilt. Die Bezeichnungen der Teile sprechen für sich:
- Teil: Abstrakte Strukturen und realitätsmächtige Akteure
- Teil: General Electric – Erstellung von Vorbedingungen für globale Strategien und Strukturen
- Teil: Globalisierungsstrategien I: "Weltgeltung" durch Übernahme bestehender Potentiale (Thomson)
- Teil: Globalisierungsstrategien II: Konstruktion neuer Meta-Potentiale (General Electric)
- Teil: General Electric: "Globalisation of intellect"
- Teil: Konturen sind von außen kaum zu erkennen – Transnationale Organisationsstrukturen von GE und Thomson/Thales in Deutschland
Transnationale Konfigurationen implizieren – so Hack (ebd., S. 17) im ersten Teil seines Buches - , vor allem auch eine Bedeutungszunahme der Binnenstrukturen weltweit agierender Konzerne. Der Verfasser unternimmt im ersten Kapitel u.a. den Versuch, die neuen Formen und Mechanismen der Organisationsmacht zu bestimmen. Hierzu führt er verschiedene Veränderungsprozesse in der Konzernorganisation und -akzeptanz seit den 1960«er Jahren an. Er schildert die Anfang der 1990'er Jahre rasch wachsende Zahl von immer neuen Mega-Fusionen in nahezu allen Branchen und die Repersonifizierung von Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozessen, "welche neue strategische Handlungsmöglichkeiten – insbesondere, aber nicht nur an der Unternehmensspitze – wie auch neue Brutalitäten im Umgang mit jenen Beschäftigten mit sich brachten, die nicht so erfolgreich funktionierten, wie es von ihnen verlangt wurde" (ebd., 71f).
Im zweiten Teil werden die Organisationsstrukturen von GE durchleuchtet. Dieser Konzern wurde in den 1990«er Jahren immer wieder von diversen Zeitschriften zur "most admired" bzw. zur "most respected" Company des Landes oder der Welt gekürt (ebd., S. 97). Dessen "Manager des Jahrhunderts" Jack Welch führte das Unternehmen zwei Jahrzehnte lang (ebd.). Deutlich wird der rasante und bis in alle Ecken des Konzerns reichende Wandlungsdruck, dem sich auch die Organisationsstrukturen nicht entziehen konnten: "Was um 1979/80 in der Managementliteratur teilweise noch beeindruckt zur Kenntnis genommen oder begeistert begrüßt worden war, wurde wenige Jahre später zum Lehrbuchbeispiel für Bürokratismus und Unbeweglichkeit, für «inzestuöse Arroganz und Selbstgefälligkeit«" (ebd., S. 127).
Zentrale Bestandteile der Auseinandersetzung um die Kontrolle waren – im Falle von GE – die Prinzipien des Aufbaus eines eigenständigen Marktes für die (gegebenenfalls feindliche) Übernahme ganzer Unternehmen und die Durchsetzung des shareholder-value-Prinzips (ebd., S. 183).
Im dritten Teil wird der Werdegang vom "champion national" zum multinationalen Unternehmen am Beispiel des Thomson-Konzerns (mit seinen "Töchtern" Thales und STMicroelectronics) erläutert. Für den Vergleich nationalstaatlicher Unterschiede im Verhältnis von Politik und Wirtschaft sind z.B. die institutionellen Formen der Rekrutierung des Spitzenpersonals von Bedeutung: "In den USA ist man stolz auf die grenzenlosen Möglichkeiten des Wechsels zwischen staatlichen und wirtschaftlichen Organisationen, wobei ökonomischer Erfolg immer schon als politische Qualifikation angesehen wird; in Frankreich sind dieselben Institutionen (ENA, Grand Ecoles) für die Ausbildung der politischen und wirtschaftlichen Eliten zuständig, was den Wechsel und die stillschweigende Durchsetzung gemeinsamer Interessen ebenfalls befördert" (ebd., S. 245f).
Im vierten Teil widmet Lothar Hack seine Aufmerksamkeit wieder dem General Electric-Konzern. Wie schon beim Thomson/Thales-Konzern werden auch hier viele Bereiche und Beispiele für die internationale Geschäftstätigkeit des Konzerns dargestellt. Das Stichwort, unter dem die Unternehmensaktivitäten zusammengefasst werden können, lautet: "Globalisierung und Dezentralisierung der Unternehmensorganisation" (ebd., S. 283).
Thema des 5. Teils sind die Veränderungen im GE-Konzern, die nach dem Weggang von Jack Welch, der ungeheure Wertschätzung besessen hatte, stattgefunden haben. Neben dem Platzen der "new-economy"-Blase und den Einbrüchen in der Versicherungsbranche gehörte der gesamte Komplex dessen, was sich mit "nine/eleven" geändert hatte, dazu (ebd., S. 330). Für Lothar Hack sind die wichtigsten Veränderungen jene, die von diesen Ereignissen nur mittelbar betroffen waren: "Die grössten Auswirkungen auf Konzernstruktur und -strategie hatte vermutlich die "Wiederentdeckung" von Forschung und Technologie, die nun allerdings – im Kontext der fortschreitenden Globalisierung – neue Funktionen übernehmen sollte" (ebd.).
Im 6. Teil unternimmt Lothar Hack eine Gegenüberstellung der transnationalen Organisationsstrukturen von GE und Thomson/Thales in Deutschland. Hier wird festgestellt, dass sich im Laufe der Jahrzehnte Firmenagglomerate entwickelt haben, die von außen kaum noch als solche zu erkennen, geschweige denn zu durchschauen sind (ebd., S. 416).
Ein erheblicher Teil der technologischen Entwicklungen und der organisatorischen Veränderungen werden nicht zuletzt deshalb realisiert, weil sie der Sicherung der Dominanz bzw. der Handlungsspielräume der Akteure dienen, die die tatsächlichen Machtverhältnisse vertreten. So ist der Ausblick, der sich aus den Hackschen Analysen ableiten lässt, nur wenig erfreulich: Während die alten Formen der Realisierung von Marktmacht noch als primär ökonomische Vorgänge verstanden werden konnten (mit allerdings teilweise erheblichen gesellschaftlichen Auswirkungen), so seien die neuen Formationen der Marktmacht nur mehr als genuin gesellschaftliche Prozesse zu begreifen. Es sei sehr schwierig und werde immer schwieriger werden, sie zu fassen und zu verstehen, weil sie wie selbstverständlich als Technologien und Organisationsstrukturen die Funktion von Institutionen übernehmen, in denen sich die Machtverhältnisse eingegraben und unsichtbar gemacht haben (ebd., S. 465/470).
Zielgruppen
Studierende, Manager und viele andere mehr, die Einblicke in die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Dynamiken der Gegenwart gewinnen wollen
Diskussion
Das Buch ist sehr interessant und überaus lesbar geschrieben. Aufgrund seiner Detailfreude ist es für manchen vielleicht ungewohnt, aber diese hat ihren Grund. Hack möchte "Ausblendungen revidieren, die aus der Tendenz zur totalen Abstraktion resultieren, die den modernen Kapitalismus kennzeichnet, der alles und jedes auf den einen Nenner zu bringen versucht, den er als wertvoll anerkennt" (ebd., S. 94).
Die zahlreichen anschaulichen Details können in dieser Rezension natürlich nicht wiedergegeben werden. Aber es soll doch darauf verwiesen werden, wie interessant es beispielsweise ist, die Grundsätze und strategischen Orientierungspunkte eines visionären Firmenlenkers wie Jack Welch nachzuvollziehen. Dabei werden die realen empirischen Entwicklungen immer wieder auf die soziologische Theorie bezogen, sodass der Leser/die Leserin aus verschiedenen Perspektiven informiert wird, sich eine eigene Meinung bilden kann und zum eigenen Weiterdenken angeregt wird.
Fazit
Dies ist das Buch eines (oder besser: zweier) Menschen, die es gelernt haben, unabhängig zu denken. Sie beschäftigen sich seit mehreren Jahrzehnten mit Themen an der Schnittstelle von gesellschaftlich-technischen-politischen Wirkmechanismen. Sie plädieren energisch dafür, die Augen zu öffnen und die Realität so zu sehen und zu beschreiben, wie sie wirklich ist. Sie betonen die konstitutive Bedeutung empirischer Untersuchungen für die Theoriebildung und kritisieren – zurecht, wie ich meine -, die Selbstgenügsamkeit der in sich kreisenden Theoriebildungsprozesse als Fehlentwicklung (ebd., S. 470).
Literatur
- Hack, L.: Technologietransfer und Wissenstransformation – Zur Globalisierung der Forschungsorganisation von Siemens. Münster: Westfälisches Dampfboot 1998;
- Hack,L./Hack,I.: Wissen, Macht und Organisation. Internationalisierung der industriellen Forschung und Entwicklung – ein Fallvergleich. Berlin: edition sigma 2005.
Rezension von
Prof. Dr. Joachim Thönnessen
Hochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Studium der Philosophie und Soziologie in Bielefeld, London und Groningen; Promotion in Medizin-Soziologie (Uniklinikum Giessen)
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Zitiervorschlag
Joachim Thönnessen. Rezension vom 26.04.2008 zu:
Lothar Hack: Wie Globalisierung gemacht wird. Ein Vergleich der Organisationsformen und Konzernstrategien von General Electrics und Thomson. edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft
(Berlin) 2007.
ISBN 978-3-89404-548-7.
Unter Mitarb. von Irmgard Hack.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4962.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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