Brigitta Michel-Schwartze (Hrsg.): Methodenbuch soziale Arbeit. Basiswissen für die Praxis
Rezensiert von Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp, 15.12.2007

Brigitta Michel-Schwartze (Hrsg.): Methodenbuch soziale Arbeit. Basiswissen für die Praxis. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2007. 346 Seiten. ISBN 978-3-531-15122-9. 19,90 EUR.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-531-16163-1 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema und Autoren
Unter dem Stichwort Lehrbuch firmiert nur wenig neue Literatur zum Thema Methoden für die Soziale Arbeit. Die Veröffentlichungen der letzten Jahre beschäftigen sich eher mit einzelnen Methoden und Konzepten, bieten Übersichten über das breite Spektrum des Arbeitsfeldes in Kurzform oder greifen spezielle Fragestellungen auf. Was bietet nun das vorliegende Buch?
Die Autoren der einzelnen Beiträge sind bis auf zwei, die in eigener Praxis als Therapeuten und Berater tätig sind, ProfessorInnen an den Fachhochschulen in Neubrandenburg, Nordhausen, Merseburg und Dresden. Aus ihrem Lehr- und Forschungsbereich entstammt die Zusammenstellung des Lehrbuches.
Aufbau
Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt.
- Im ersten Teil stellt die Herausgeberin klientorientierte Methoden vor, deren Aufgabe es sei "im Kommunikationszusammenhang von Träger, Fachkraft und Klientel Komplexität zu reduzieren, die Kommunikation zu strukturieren und deren Funktionalität zu sichern" (S. 18); m.a.W.: die Lebenssituation des Klientsystems ist so zu erfassen und zu verstehen, dass mit angemessenen Hilfe reagiert werden kann; es geht also darum, die Funktionsfähigkeit des Klientsystems (wieder) zu ermöglichen.
- Im zweiten Teil werden organisationsorientierte Methoden vorgestellt, denen die Funktion zugeschrieben wird, "das hochkomplexe System der Träger zu steuern, indem funktionale Differenzierungen und Umweltbeziehungen geregelt werden"; m.a.W.: es geht darum mit diesen Methoden die Funktionsfähigkeit der Organisation zu sichern." (ebd.).
Zu 1. Klientorientierte Methoden
- Henning Trabandt beschreibt in seinem sehr grundsätzlichen Beitrag "Pädagogische Interventionen in der Sozialen Arbeit". An diesem Beitrag lässt sich auch für Studierende gut nachvollziehen, wie hilfreich Theorie in der Praxis sein kann. Theorie als Werkzeug der Intervention verstanden wird an einem konkreten durchgehenden Beispiel mit wichtigen Begriffen und Schritten methodischen Handelns von der Prüfung eines Falles über auszuwählende Maßnahmen bis zur Erfolgskontrolle beschrieben. Unter den Stichworten Kompetenz und Erfahrung wird noch einmal deutlich hervorgehoben, "dass das Werkzeug der Theorieerkenntnisse nicht unmittelbar zum praktischen Handeln befähigt, dass also "etwas" hinzukommen muss, um die Theorie für die Praxis fruchtbar zu machen." (S. 59) Damit verweist er auf "Erfahrung", die nur durch Anwendung, Übung erworben werden kann. Die angefügten Arbeitsaufgaben sind hilfreich ersetzen aber nicht die tatsächliche Übung in der Praxis.
- Armin Sohns stellt "Empowerment als Leitlinie Sozialer Arbeit" vor. Diesen Bereich unter dem Stichwort Methoden zu subsumieren ist nicht ganz einfach. Empowerment ist ja eher als Konzept zu verstehen, dass einen anderen Blickwinkel auf die Situation von Klienten ermöglicht und erst dann zum Einsatz anderer, veränderter Vorgehensweisen führt. Einige dieser Methoden werden kurz angeschnitten, auf andere wird verwiesen. Dieser andere Blickwinkel führe zu einem neuen Rollensverständnis der Professionellen: "vom Anleiter oder Therapeuten hin zu einer Bezugsperson, die Ansprechpartnerin für individuelle Fragestellungen und für einen Ressourcen stärkenden Lebensrahmen ist" (s. 88). Empowerment sei somit "von einer Dienstleistungsmentalität geprägt, in der professionelle Soziale Arbeit ihren Klienten nicht die Verantwortung für eine gelingende Lebensstruktur abnimmt"(S. 91). Die Nähe zum Case-Manager in der klientorientierten Form liegt hier nahe. Abschließend wird die fachliche Weiterentwicklung des Empowerment-Konzeptes unter dem Aspekt von Bürger-Engagement und Ehrenamt diskutiert.
- Werner Freigang macht in seinem Beitrag die "Hilfeplanung" deutlich, dass offensichtlich die Grenzen zwischen Hilfeplanung und Case-Management fließend sind. Das Verfahren als solches gehe über die Ausarbeitung eines Hilfeplans (SGB VIII) hinaus. Er beschreibt wozu Hilfeplanung als Verfahren genutzt werden kann und setzt sich mit Hindernissen bei der Umsetzung von Hilfeplanung auseinander.
- Brigitte Michel-Schwartze zielt mit ihrem Beitrag "Fallarbeit: ein theoretischer und methodischer Zugang" in den originären Bereich Sozialer Arbeit. Fallarbeit als eine zentrale Arbeitsform wird als hoch komplex beschrieben und wirke, sofern sie nicht gut strukturiert werde, häufig diffus. Dazu bietet die Verfasserin ein Vorgehen an, dass anders als das traditionelle lineare Vorgehen nach Salomon und Richmond "als nacheinander ablaufender "Dreischritt" von Anamnese, Diagnose und Behandlung" als ein zirkulär wirksames Vier-Ebenen-Modell beschrieben wird, das "uns ins Bewusstsein rücken" sollte, "dass wir Schritte, die idealtypisch sukzessive zu vollziehen wären, oft sprunghaft und gleichzeitig machen und miteinander in Beziehung setzen". (S. 131) Die Ebenen Informationssammlung, Problemdefinition, Intervention und Evaluation werden ausführlich beschrieben und an einem Beispiel konkretisiert. Die hier vorgestellte Fallarbeit ist auf dem Hintergrund der soziologischen Systemtheorie und des Konstruktivismus gegründet. "Sozialarbeit lässt sich durch das hier vorgestellte methodische Vorgehen zwar strukturieren und transparenter gestalten, aber nicht schematisieren oder gar automatisieren." (S 149) Das Modell will helfen, die Probleme linearen Denkens durch den Blick auf zirkuläre multifaktorielle Einflüsse zu überwinden, was eine andere Erfolgsperspektive Sozialer Arbeit ins Blickfeld rückt.
- Sigrid Haselmann stellt in ihrem Beitrag "Systemische Beratung und der systemische Ansatz in der Sozialen Arbeit" fest, dass insbesondere mit der Wende zum systemisch-konstruktivistischen Denkansatz "auch die Differenzierung von Beratung und Therapie weitest gehend aufgehoben wurde" (S. 155). Von einer Darstellung von Zielvorstellungen, Leitlinien und Konzepten systemischer Praxis in Therapie und Beratung, der Inhalte, Vorgehensweisen und Haltungen ausgehend werden Merkmale systemischer Sozialarbeit entwickelt, das Verhältnis von Sozialarbeit zur Therapie und die verschiedenen Hilfeformen beleuchtet und Möglichkeiten und Grenzen des systemischen Ansatzes in der sozialen Arbeit diskutiert und mit Beispielen konkretisiert.
- Johannes Herwig-Lempp bietet mit seinem Beitrag "Ressourcen im Umfeld: Die VIP-Karte" eine interessante und schnell einsetzbare Methode für die Praxis Sozialer Arbeit. "Die VIP-Karte ist ein Instrument für die soziale Arbeit, mit dem die "sehr wichtigen Personen" ("Very Important Persons" - VIPs) im Leben eines Menschen grafisch dargestellt werden können."(S. 208). Sie eignet sich sowohl für Gespräche mit einer Klientin oder einem Klienten, wie sie auch für die Beratung im Team nützlich sein kann. . Mit der VIP-Karte lässt sich gemeinsam mit dem Klienten seine Situation erfassen, betrachten, man kann nach Ressourcen fahnden und es lassen sich daraus Fragen formulieren. Das Interessante daran ist, dass damit die Möglichkeit gegeben ist, den Klienten selbst in Aktion zu bringen, er spürt -aufgrund der Darstellung auf der Karte - Ressourcen auf, stellt Fragen, sucht nach Antworten. Man kann die Karte als nützliches systemisches Handwerkszeug betrachten, das bei vielen Gelegenheiten und in unterschiedlichen methodischen Zusammenhängen eingesetzt werden kann. Das Verfahren - kurz und knapp beschrieben - ist einfach zu erlernen und man sollte in der Praxis experimentell versuchen herauszufinden, wo und wie sie nützlich sein kann. Die VIP-Karte ist eine Idee, sie sollte nicht einfach kopiert, sondern kreativ genutzt werden.
- Ludger Kühling und Katrin Richter stellen die für therapeutische Arbeitszusammenhänge entwickelte Methode der "Genogrammarbeit" vor mit der Aufforderung an Sozialarbeiterinnen, diese "für ihren Kontext zu nutzen und dementsprechend abzuwandeln". (S. 228). Das scheint leichter gesagt als getan. Die Darstellung des Verfahrens und die zur Illustrierung herangezogen "Praxisfälle" sind so komplex, dass nur ein für therapeutische Zwecke mögliches Setting einen solches Arbeitsansatz möglich macht. Soll dieses Verfahren in der Sozialarbeit angewandt werden (wie häufig bei Fallbesprechungen o.ä), muß das Verfahren stark "abgespeckt" werden. Entsprechende Vorschläge wären hier hilfreich gewesen.
Zu 2. Organisationsorientierte Methoden
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit organisationsorientierten Methoden.
- Johannes Boettner setzt mit seinem Beitrag "Sozialraumanalyse - soziale Räume vermessen, erkunden, verstehen" bei dem aktuellen Stichwort "Sozialraumorientierung" an, bietet einen kurzen Überblick über das weite Feld der Sozialraumanalysen, mit dem deutlich gemacht wird, wie unterschiedlich Sozialräume gesehen und bewertet werden können, um dann zwei Bereiche näher vorzustellen. Zum einen wird Sozialraumanalyse als lokale Sozialstrukturanalyse beschrieben, zum anderen als räumlich orientierte Lebensweltanalyse mit den Stichworten "Ordnung der Orte" (welche gibt es und wie lassen sie sich voneinander unterscheiden), "Gelegenheiten" (was bieten sie?), "Territorien" (von wem genutzt?), "Regeln des Ortes" (wie verhält man sich dort?). Es werden unterschiedliche Möglichkeiten beschrieben, wie Daten zu diesem Bereich zu beschaffen sind und welche Konsequenzen sich daraus ablesen lassen. Im Textzusammenhang zwar gedacht für die Planung der Organisation als ganzes lassen sich daraus aber auch gute Möglichkeiten ableiten, die in abgegrenzten Arbeitsbereichen eingesetzt werden können, sei es in bezirklich organisierter Sozialarbeit (wie im ASD), in einem Jugendzentrum, beim Streetwork oder in anderen auf einen bestimmten Sozialraum ausgerichteten Angeboten in der Sozialen Arbeit.
- Brigitte Michel-Schwartze setzt mit ihrem Artikel "Konzeptionsentwicklung als Steuerungsmethode" auf unterschiedliche Arten und Formen von Konzeptionen. Die einzelnen Bestandteile von Konzeptionen werden vorgestellt und dann unter speziellen Stichworten wie Verbandskonzeption, Einrichtungskonzeption, Maßnahme- oder Projektkonzeption konkretisiert. In Zeiten, in denen konkreter Rechenschaft abgelegt werden muß über das, was eine Einrichtung beabsichtigt wird und wie es umgesetzt werden soll, ist dies sicherlich in überfälliger Beitrag, sind lesbare und für eine Evaluation zugrunde zu legende Konzeptionen in der Realität der sozialen Arbeit doch eher in der Minderzahl.
- Mit dem Thema "Evaluation" beschäftigt sich abschließend Harald Christa. Er stellt die Funktionen der Evaluation in der Sozialen Arbeit dar, beschreibt verschiedene Formen der Evaluation, die Struktur des Evaluationsprozesses und Evaluationsstandards. Leider bleiben die Ausführungen mit ihren Ansprüchen auf einer sehr hohen Ebene hängen, die eigentlich nur noch eine Evaluation mit großem Aufwand und teurem Personal rechtfertigen. Da das Thema Evaluation auch im Alltag einzelner SozialarbeiterInnen eine Rolle spielt, wären konkrete Hinweise auf die Umsetzung in diesen Bereich sinnvoll gewesen.
Diskussion
Von einem Lehrbuch, das sich vorwiegend an Studierende richtet, werden sowohl die Übersicht über ein Methodenspektrum erwartet, das in den Kernbereichen Sozialer Arbeit einsetzbar ist wie auch konkrete Handlungsmodelle, die von Studierenden beim Berufseinstieg umgesetzt werden können, denn der Einsatz von Methoden ist nicht nur vom theoretischen Grundverständnis abhängig, sondern vor allem auch von der Möglichkeit des Einübens, was in den aktuellen Studiengängen zur Ausbildung von SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen einen immer geringeren Anteil einnimmt. Solche konkreten Handlungsmodelle finden sich nur an einigen Stellen.
Fazit
Das vorliegende Buch ist eine interessante Ergänzung zu anderer Literatur im Bereich Methoden der Sozialen Arbeit. Der größere Teil der VerfasserInnen ist - soweit das erkennbar ist - nicht in der praktischen Arbeit tätig. Daraus resultiert wohl die oft sehr theoretisch ausgerichtete Darstellung, bei der konkrete Hinweise für den beruflichen Alltag der SozialarbeiterInnen recht spärlich ausfallen. Deshalb ist das Buch - insbesondere wegen einzelner Beiträge, die oben bereits entsprechend gewürdigt wurden - PraktikerInnen zu empfehlen, die sich gern von neuen Ideen anregen lassen um damit neue Ansätze für ihre Arbeit zu gewinnen.
Rezension von
Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp
Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Sozialarbeit
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