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Arist von Schlippe, Michael Grabbe (Hrsg.): Werkstattbuch Elterncoaching. Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis

Rezensiert von Prof. Dr. Ulrich Pfeifer-Schaupp, 02.12.2007

Cover Arist von Schlippe, Michael Grabbe (Hrsg.): Werkstattbuch Elterncoaching. Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis ISBN 978-3-525-49109-6

Arist von Schlippe, Michael Grabbe (Hrsg.): Werkstattbuch Elterncoaching. Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2007. 292 Seiten. ISBN 978-3-525-49109-6. 29,90 EUR.

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Hintergrund

Das Konzept der elterlichen Präsenz und des gewaltlosen Widerstands wurde von dem israelischen Psychologen Haim Omer für Familien entwickelt, in denen die Kinder und Jugendlichen "das Heft in die Hand genommen haben" und die Autorität der Eltern mit massiven Symptomen wie Suiziddrohungen, Schulschwänzen, körperlicher Gewalt, Delinquenz oder Drogenkonsum herausfordern oder schon verdrängt haben. Mit gewaltlosen Mitteln soll die "elterliche Präsenz" wieder hergestellt werden. Durch das 2003 erschienene Buch von Haim Omer und Arist von Schlippe: Autorität ohne Gewalt. Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen, Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) wurde der Ansatz im deutschen Sprachraum bekannt und hat seither breite Resonanz (nicht nur) im systemischen Feld erfahren.

Herausgeber und AutorInnen

Der Band enthält insgesamt 14 Aufsätze von 14 Autorinnen und Autoren. Die Herausgeber sind Psychologen und beide seit vielen Jahren Lehrtherapeuten am Institut für Familientherapie in Weinheim. Arist von Schlippe hat den Lehrstuhl für Führung und Dynamik von Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke inne. Michael Grabbe arbeitet in eigener Praxis in Melle als systemischer Therapeut und Supervisor. Unter den 12 weiteren AutorInnen sind 3 SozialarbeiterInnen / SozialpädagogInnen, 7 PsychologInnen und 2 DiplompädagogInnen.

Zielsetzung und Aufbau

Der gewichtige Band versteht sich als Handbuch zur Anwendung des Ansatzes und vermeidet von daher bewusst keine Doppelungen. Er ist pragmatisch orientiert und in sechs Abschnitte aufgeteilt.

  1. Im ersten Teil beschäftigen sich die beiden Herausgeber mit der Haltung und den erkenntnistheoretischen Grundlagen des Ansatzes.
  2. Der zweite Teil widmet sich der Praxis und bildet mit ca. 120 Seiten den Schwerpunkt des Bandes.
  3. Im dritten Teil werden Erfahrungen in der Anwendung beschrieben (35 Seiten).
  4. Mit der Einbeziehung des Ansatzes in störungsspezifische Konzepte beschäftigt sich der vierte Teil (32 Seiten).
  5. Der fünfte Teil thematisiert Forschungsfragen (44 Seiten).
  6. Abschließend wird im sechsten Teil (10 Seiten) zur kritischen Auseinandersetzung eingeladen

Inhalt

In seinem sehr interessanten Vorwort skizziert Haim Omer den gesellschaftlichen Kontext für die Entstehung des Ansatzes. Die Erosion der traditionellen elterlichen Autorität wurde abgelöst von einer Phase der Permissivität. Heute wird immer deutlicher, dass eine "neue Autorität" in der Erziehung notwendig ist, die keinen Rückfall in alte Muster bedeutet und deren Kern die "Präsenz" ist: Anwesenheit statt Macht und Durchsetzung. Er zitiert eine Mutter, die gut zum Ausdruck bringt, was damit gemeint ist: "Am Anfang war es bloß ärgerlich. Nach und nach begann ich jedoch zu fühlen, dass ich als Mutter "mehr Gewicht" hatte, seit ich in die Schule kam. Den Beweis dafür bekam ich, als wir beide letzte Woche von der Schule zurückfuhren. Sie hielt mich an der Hand und sagte: "Mami, wir sind zwei starke Frauen!""

Arist von Schlippe skizziert einleitend die erkenntnistheoretischen Wurzeln des falschen Macht-Mythos und die Veränderungen in der Haltung des Therapeuten durch den Abschied von diesem Mythos. Michael Grabbe stellt Verbindungen zur Resilienz- und Bindungsforschung her. Er erläutert u.a., welche Bedeutung die "Säulen der Resilienz" für den Ansatz der elterlichen Präsenz haben.

Der Praxisteil enthält ein ausführliches Manual zur praktischen Durchführung des Elterncoachings im Rahmen der Erziehungsberatung (Barbara Ollefs und Arist von Schlippe), einen Beitrag zum Konflikttraining für Eltern mit Kindern im Vorschul- und Grundschulalter (Waltraud Danzeisen) und ein detailliertes Manual für die Arbeit mit einer Elternselbsthilfegruppe (Ursula Engelking). Diese Beiträge sind im positiven Sinne "kochbuchartig". Sie ermöglichen einen sehr guten Einblick in die Praxis des Elterncoachings und geben dem Leser konkrete Materialien für die eigene klinische Praxis.

Im dritten Teil werden Erfahrungsberichte zur Anwendung präsentiert:

  • eine Fallbeschreibung aus der Praxis einer Familienberatungsstelle (Olaf Düring),
  • die Umsetzung des gewaltlosen Widerstands im Rahmen stationärer Jugendhilfe (Bruno Körner und Elisabeth Uschold-Meier) und
  • ein Aufsatz zum Coaching von LehrerInnen zum Umgang mit sozialen Störungen und destruktiven Verhaltensweisen in der Schule (Martin Lemme, Ruth Tillner und Angela Eberding).

Der vierte Teil widmet sich der Einbeziehung des Ansatzes in störungsspezifische Konzepte.

  • Der erste der beiden Beiträge stellt ein Modell für Elterncoaching bei Kindern mit der Diagnose AD(H)S vor (Martin Lemme),
  • der zweite ein Coachingmodell für die Adipositasschulung.

Der Forschungsteil umfasst zwei Beiträge.

  • Zunächst präsentieren Annelie Köllner, Barbara Ollefs und Arist von Schlippe einen Fragebogen mit 63 Items, der es erlauben soll, elterliche Präsenz zu "messen". Damit soll es auch möglich werden, die Beziehungen zu anderen Konzepten (elterliche Hilflisigkeit, soziale Unterstützung, Selbstwirksamkeitserleben, Selbstkonzept) empirisch zu klären.
  • Der zweite Beitrag des Forschungsteils stellt ein Kategoriensystem zur Untersuchung von Beratungsprozessen vor (Charlotte Kötter und Arist von Schlippe).

Die Auseinandersetzung im letzten Teil beginnt mit mehreren Briefen von Arist von Schlippe. Er schreibt sie als Antwort auf eine kritische Rezension seines ersten Buches, das er mit Haim Omer gemeinsam veröffentlichte. Leider wird die Kritik selber nicht abgedruckt. Ebenso beim Antwortbrief an die kritischen Anfragen einer Kollegin: die Antworten leuchten ein, allerdings hätte ich die Fragen dazu gerne gelesen. Abschließend ein Briefwechsel mit Wolfgang Loth, einem Freund und Kollegen von Arist von Schlippe, der auch interessante Gedanken enthält. In diesem Teil hätte ich mir allerdings eher den fundierten Beitrag eines tatsächlichen Kritikers gewünscht (falls es solche gibt). Der Ansatz ist für mich so überzeugend, dass er diese "echte Kritik" durchaus vertragen könnte.

Fazit

Ein hervorragendes Buch mit hoher Praxisrelevanz, das gut lesbar geschrieben ist und einen fundierten Überblick zum Thema gibt. Die Beiträge sind durchweg auf hohem Niveau. Es wird nicht nur Bekanntes neu verpackt. Der Ansatz verspricht eine echte Innovation im systemischen Feld zu werden.

Rezension von
Prof. Dr. Ulrich Pfeifer-Schaupp
Dozent für Sozialarbeitswissenschaft an der Evangelischen Hochschule, Universitiy of Applied Science, Freiburg. Systemischer Therapeut und Supervisor (DGSF), Leiter des Freiburger Instituts für systemische Therapie und Beratung

Es gibt 11 Rezensionen von Ulrich Pfeifer-Schaupp.

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ISSN 2190-9245