Gustel M. Schmitt, Beate Geise et al.: Sinnlos krank oder sinnerfüllt leben?
Rezensiert von Prof. Dr. Hans-Peter Michels, 14.05.2008
Gustel M. Schmitt, Beate Geise, Martin Holtmann: Sinnlos krank oder sinnerfüllt leben? Das Sinnerleben chronisch körperlich kranker Jugendlicher und junger Erwachsener. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2007. 206 Seiten. ISBN 978-3-8017-2057-5. 26,95 EUR. CH: 48,90 sFr.
Einführung in das Thema
Die psychologische Betreuung von jungen Menschen, die an einer chronisch körperlichen Erkrankung leiden, stellt hohe Anforderungen an Professionelle. Meist sind die Kompetenzen, welche man sich in psychotherapeutischen Ausbildungen aneignen kann, nicht ausreichend. Häufig sind aufdeckende Interventionen, die in der Arbeit mit psychisch Kranken als unverzichtbar gelten, eher kontraindiziert. Gefragt sind unterstützende Vorgehensweisen, die darauf abzielen, die Patienten im Umgang mit Belastungen zu stärken, Bewältigungskompetenzen aufzubauen sowie Ressourcen zu nutzen. Statt von Psychotherapie spricht man deshalb von supportiver Therapie, um die Besonderheiten psychologischer Arbeit mit chronisch körperlich Kranken hervorzuheben.
In Gesprächen mit chronisch körperlich kranken Jugendlichen werden immer wieder existenzielle Fragen und Probleme aufgeworfen. Erfahrene Psychologen und Mediziner wissen darum und stellen sich diesen Aufgaben.
Die Themen Lebenssinn und Existenz müssen in der Psychotherapie und Psychotherapieausbildung stärker aufgegriffen werden.
Es ist der Verdienst von Schmitt, Geise und Holtmann, die aus so unterschiedlichen Professionen wie der Psychologie, Medizin und Theologie kommen, hier diese Lücke zu schließen. Der Erstautor G. M. Schmitt ist erfahren in jahrzehntelanger psychologischer Betreuung junger Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen und durch entsprechende wissenschaftliche Veröffentlichungen bekannt. Er macht deutlich, dass Fragen nach dem Sinn des Lebens unbedingt mit Jugendlichen, deren Leben bedroht, diskutiert werden sollten. Auch die Lebensqualität, die durch die immensen Behandlungsanforderungen gefährdet ist, soll zur Sprache kommen.
Aufbau und Inhalt
In Teil A stellen die Autoren theoretische Ansätze zum Sinnerleben dar. Sie plädieren dafür, dass diese Konzepte in der Psychotherapie thematisiert werden sollten, insbesondere in der psychologischen bzw. psychotherapeutischen Betreuung chronisch körperlich kranker Jugendlicher und junger Erwachsener.
In Teil B "Studie zur Entwicklung eines Gesprächsleitfadens" werden Module bzw. Inhalte für die strukturierte Gesprächsführung vorgestellt:
- Modul 1 "Mein Platz im Leben": Diese eher allgemein formulierte Aussage soll die Reflexion über Lebenssinn einleiten.
- Modul 2 "Was ist Dir zurzeit in Deinem Leben wichtig?": Teilnehmer werden zur Selbstprüfung angeregt, welche Bedürfnisse und Lebensziele für sie entscheidend sind.
- Modul 3 "Gute Zeiten – Schlechte Zeiten": Hier soll es nicht darum gehen, das ganze Leben Revue passieren zu lassen, sondern chronisch kranke Menschen soll ermöglicht werden, sich positiver Momente sowie persönlicher und sozialer Ressourcen zu vergewissern, auch wenn viele Lebensphasen mit Krankheitsbelastungen verbunden waren.
- Modul 4 "Wer möchtest Du in Zukunft sein?": Hier sollen Entscheidungen zur Veränderung persönlicher Eigenschaften vorbereitet werden, z.B. welche man auszubauen, zu behalten oder zu reduzieren wünscht.
- Modul 5 "Der Glaube an eine gerechte Welt": Es ist davon auszugehen, dass Jugendliche mit einer chronischen Erkrankung sich fragen, warum gerade sie an einer unheilbaren Krankheit leiden. Die Autoren verweisen darauf, dass eine Reflexion dazu nur sehr behutsam erfolgen sollte und wenn eine psychotherapeutische Nachbetreuung gewährleistet werden kann. Der Umgang mit solchen Themen setzt m. E. umfassende psychotherapeutische Erfahrungen voraus.
- Modul 6 "Glück und Pech in meinem Leben": Hier geht es darum abzuwägen, ob man bisher mehr Glück oder mehr Pech im Leben hatte.
- Modul 7 "Ein Mensch, der Dich gut kennt": Hier soll ein Perspektivenwechsel versucht werden, indem man den Patienten bittet, sich aus der Sicht einer ihm wohlwollenden Person zu beschreiben.
Den einzelnen Modulen entsprechend werden Aussagen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit verschiedenen chronischen Erkrankungen dokumentiert (Kap. 8).
In weiteren Kapitel (Teil C) wird über den Prozess der Entwicklung eines Fragebogens zu persönlichen Zielen berichtet. Solche Ziele werden als wichtige Aspekte des Sinnerlebens gesehen, die sich operationalisieren und quantifizieren lassen.
In Teil D "Praxisorientierte Überlegungen zu einer therapeutischen Sinnarbeit" werden die Arbeiten von Yalom und Frankl sowie philosophische Quellen für die therapeutische Sinnarbeit erschlossen. Damit möchte man zur Erweiterung der therapeutischen Kompetenzen beitragen. Denn Therapeuten müssen sich mit existenziellen Fragen auseinandersetzen und sich diesen in der Therapie stellen.
Zielgruppen
Psychologen, Ärzte, Sozialarbeiter und Seelsorger, die mit chronisch körperlich kranken Menschen arbeiten. Des weiteren Lehrende und Studierende der Medizin, Psychologie und Sozialen Arbeit, die sich mit den Lebensfragen von Menschen mit chronischen Erkrankungen vertraut machen möchten.
Anwendung
Der Gesprächsleitfaden sollte m. E. im Rahmen einer länger andauernden Begleitung von Betroffenen einsetzt werden. Es werden Themen angesprochen oder Aspekte aufgezeigt – die Autoren verweisen an verschiedenen Stellen selbst darauf – die eine weitergehende kompetente und verlässliche Unterstützung oder "Psychotherapie" erfordern.
Fazit
Ein unentbehrliches Buch in der Begleitung von Menschen mit chronischen Krankheiten.
Rezension von
Prof. Dr. Hans-Peter Michels
Dipl.-Psychol.
Es gibt 40 Rezensionen von Hans-Peter Michels.
Zitiervorschlag
Hans-Peter Michels. Rezension vom 14.05.2008 zu:
Gustel M. Schmitt, Beate Geise, Martin Holtmann: Sinnlos krank oder sinnerfüllt leben? Das Sinnerleben chronisch körperlich kranker Jugendlicher und junger Erwachsener. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
(Göttingen) 2007.
ISBN 978-3-8017-2057-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/5079.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.