Ulrike Iken: Orte des Alterns (Wohn-Lebens-Situation)
Rezensiert von Dipl.-Ing., Dipl.-Pflegew. Jens-Martin Roser, 27.02.2008

Ulrike Iken: Orte des Alterns - Weichenstellung der Wohn-Lebens-Situationim höheren Lebensalter.
Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2007.
291 Seiten.
ISBN 978-3-8300-3064-5.
68,00 EUR.
Reihe: Studien zur Gerontologie - 12.
Thema
Mit zunehmendem Alter sehen Menschen die Gestaltung ihrer Wohn-Lebens-Situation im Zusammenhang mit dem Alt-Werden und treffen Entscheidungen, welche die Auswirkungen der Wohnsituation auf ihr Leben im Alter bestimmen. Auf Fragen, warum die alternden Menschen diese oder jene Entscheidungen getroffen haben, würden die Befragten sicherlich einfache, gut nachvollziehbare Gründe für ihre Entscheidung anführen.
Die Antworten würden aber nicht deutlich machen, auf welchen Wegen und Umwegen die betreffenden Personen zu diesen Entscheidungen gekommen sind, mit denen sie die Weichen für ihre Wohn- und Lebenssituation gestellt haben.
Entstehungshintergrund
Mit diesem Buch wird die Dissertation der Autorin zur Erlangung des akademischen Grades Dr. phil. am Fachbereich Erziehungswissenschaft - Psychologie der Universität Siegen veröffentlicht.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist gegliedert in 12 Kapitel, die sich inhaltlich und im Aufbau an die klassische Darstellung von Forschungsarbeiten orientieren (wobei die Autorin nicht vergisst, anzudeuten, dass dieser Aufbau dem von ihr gewählten Forschungsansatz zum Teil widerspricht).
- Im ersten Kapitel mit der Überschrift "Weichenstellung der Wohn-Lebenssituation. Wegweiser durch die Studie" führt die Autorin die Leser in ihre Arbeit ein. Sie klärt ihr Verständnis des Begriffes "Weichenstellung", macht deutlich, dass sie methodisch mit der Grundhaltung der Grounded Theory (Strauss, Glaser) an ihre Arbeit herangegangen ist und fasst kurz die Inhalte ihrer Arbeit zusammen.
Die Kapitel 2, 3 und 4 dienen der Darstellung des theoretischen Rahmens der Arbeit. Dieser Rahmen wird beschrieben durch die Herstellung von Bezügen des Themas "Wohnen im Alter" zu Konzeptionen und Forschungsergebnissen der Entwicklungspsychologie, der Gerontopsychologie und der Familienpsychologie.
- Der entwicklungspsychologische Bezug wird im 2. Kapitel "Altern unter der Perspektive eine lebenslangen Entwicklung" hergestellt, auf Erkenntnisse aus der Gerontopsychologie wird im Kapitel "Wohnen im höheren Lebensalter. Konzeptionalisierungen und Differenzierungen" zurückgegriffen, und die familienpsychologische Seite des theoretischen Rahmens wird im Kapitel "Weichenstellung als intergenerationaler Aushandlungsprozess" deutlich gemacht.
Schon in diesen, die Darstellung der Untersuchungsergebnisse vorbereitenden, Kapiteln wird ein umfangreiches, offenbar sorgfältig recherchiertes Wissen zum Thema Altern und Wohnen in einer nachvollziehbaren Systematik bereitgestellt.
- Der Vermittlung zwischen ihrer Aufstellung des theoretischen Rahmes und der Präsentation der Ergebnisse ihrer Studie widmet die Autorin das 5. Kapitel, das sie überschreibt mit "Zwischenstation: Schlussfolgerungen, Herangehensweise und Vorschau". Hierin fasst sie in einem kurzen Teil die theoretischen Ausführungen noch einmal zusammen und grenzt die Felder, in denen sich der empirische Teil ihrer Arbeit bewegt, noch einmal enger ein. Sie weist dabei hin auf die Vielfältigkeit des Alterns, betont die Bedeutung des Spannungsfeldes "Gehen und Bleiben" bei Entscheidungen über die Wohnlebenssituationen und hebt die Bedeutung der familiären Entscheidungsstrukturen bei der Umgestaltung der Wohn-Lebens-Situation hervor. Ausführlich und anschaulich folgt in diesem Kapitel eine Darstellung des von der Autorin angewandten Ansatzes der Grounded Theory und dessen Implikationen für die Einordnung der Ergebnisse. Die Wahl dieser Methode ist nach Angaben der Autorin dadurch bestimmt, dass es bisher verhältnismäßig wenige Arbeiten über das Thema "Altern und Wohnen" gegeben hat, "[…] die den älteren Menschen selber als Erkenntnisquelle in den Mittelpunkt stellen." Unter der Überschrift "Fragestellung" stellt die Autorin die Bedeutung der Fragestellung innerhalb der Methode der Grounded Theory vor, berichtet darüber, wie sie zur den von ihr formulierten Fragen gekommen ist und führt folgende Fragen auf: "Wie suchen und finden Menschen für sich die Umgebung, in der sie im Alter leben wollen? […]? Wie sind Wohnentscheidungen eingeflochten in die sozialen Lebensbezüge? In welchem Rahmen findet diese Suche statt? […] Gewissenhaft berichtet Sie über die von ihr verwendeten Datenquellen (vor allem 22 Interviews mit insgesamt 25 Personen: Ältere Menschen, Angehörige und professionelle Wohnberater), das Vorgehen bei der Datensammlung und der Datenauswertung. Sie schließt dieses Kapitel mit einer Darstellung der Grundzüge des von ihr entwickelten Modells der Weichenstellung, indem sie dessen Begriffe klärt und sie miteinander in Beziehung bringt.
In den Kapiteln 6-10 werden unterschiedliche Gesichtspunkte dargestellt, für welche sich im Rahmen der Untersuchung ergeben hat, dass sie für die Entscheidung über die Wohn- Lebens-Situation von alternden Menschen eine besondere Rolle spielen. Sie sind überschrieben mit:
- "Leute wie Mick Jagger". Elemente eines subjektiven Alternskonzepts
- "Mehr Wehwehchen". Altern als Verlust von Fitness
- "Das ist ja Thema Nummer Eins im Moment, die älter werdende Gesellschaft". Gesellschaftliche und materielle Bahnung der Weichenstellung
- "Und dass man guckt, dass man für sich das Richtige findet". Fokussierung der Wohnoption
- "Bei Angehörigen ist das auch so ein sich Kümmern, damit die Eltern versorgt sind". Soziale Dimensionen der Weichenstellung
Vor allem auf den zuletzt genannten Aspekt des "Kümmerns" der Angehörigen wird ausführlich und detailliert eingegangen.
- Im 11. Kapitel mit der Überschrift Weichenstellung - Entfaltung des Modells formuliert die Autorin schließlich eine zusammenfassende Antwort auf die eingangs formulierten Forschungsfragen. Sie formuliert dabei ein "Phasenmodell der Weichenstellung", beschreibt Formen der "innerfamiliären Aushandlungen von Weichenstellungen", geht auf "zeitliche Aspekte der Weichenstellung" ein und stellt schließlich "Muster von Weichenstellungen" vor. Dabei nimmt sie zu von ihr ermittelten drei typischen Orientierungsmustern "Weichenstellung als zukunftsorientierte, lebensgeschichtlich relevante Gestaltung", "Weichenstellung als gegenwartsorientierte, lebenssituative Regulation" und "Weichenstellung als Erleiden" Stellung. Das Handeln der Beteiligten im Modell der Weichenstellung ist in diesem Kapitel an manchen Stellen so klar und schlüssig beschrieben, dass der Eindruck entsteht, dass mit dem Modell nicht die Ergebnisse einer Untersuchung, sondern lehrbuchmäßig zielgerichtete Handlungsgrundsätze vermittelt werden.
- Im Kapitel 12 "So wie man gelebt hat, so wird man auch alt." Bilanz werden ganz knapp die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst. Die Autorin sieht die Weichenstellung in der Wohn-Lebens-Situation als Teil der vom alten Menschen zu leistenden Alternsarbeit. Sie äußert außerdem die These, dass es sich bei allen Weichenstellungen, so verschieden sie auch sind, letztlich um "Strategien der Stabilisierung von Identität und Kontinuität handelt". Sie unterscheidet dabei die Ausrichtungen "Kontinuität durch Wandel" und "Kontinuität durch Bewahrung". Sie bilanziert eine "gesellschaftliche Umbruchphase, in der neue […] Formen des Alterns neben traditionelle treten" und fordert […] eine Vielfalt von Wohnformen. Sie fordert schließlich die Einbettung familiärer Netzwerke in stützende Strukturen. Nur auf diese Weise, - so ihre Einschätzung -, können diese Beziehungsnetze ihre Aufgabe der Förderung und Bestärkung des alternden Menschen in seinem Alternsprozess leisten.
Dem 12. Kapitel folgen ein 12-seitiges Literaturverzeichnis und eine ausgewählte Bibliografie von zwei Seiten. Im Anhang ist der Interviewleitfaden, jeweils eine tabellarische Beschreibung der Gruppe der befragten älteren Menschen sowie der befragten Angehörigen, ein Beispiel für offenes Kodieren und ein Bespiel für ein Memo zu einer Kategorie abgedruckt
Zielgruppen
Die Lektüre dieses Buches ist sowohl solchen Personen zu empfehlen, die sich auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Thema "Altern und Wohnen" beschäftigen, als auch den Praktikern in diesem Bereich, wie Mitarbeiterinnen von Wohnberatungsstellen und anderen Berufsgruppen, die alternde Menschen hinsichtlich ihrer Wohnsituation beraten.
Fazit
Angesichts der Dichte des vermittelten Wissens ist dieses Buch, - unter anderem mit Hilfe der sorgfältig angelegten Gliederung und durch zahlreiche Hervorhebungen im Text, verhältnismäßig anschaulich gehalten. Es enthält im theoretischen Teil umfangreiche empirisch gesicherte Informationen zum Thema "Altern und Wohnen". Die Methode der Grounded Theory, die Zielsetzung und das Vorgehen bei der beschriebenen Untersuchung sind durchgehend nachvollziehbar dargestellt. Viele der gewonnenen Erkenntnisse sind mit Textstellen aus den Interviews belegt, was sicherlich an manchen Stellen auch kritische Fragen zu den jeweiligen Deutungen hervorruft. Das von der Autorin auf der Grundlage ihrer Untersuchung entwickelte Modell der Weichenstellung der Wohn-Lebens-Situation im höheren Lebensalter hat jedoch insgesamt neue Ansätze für die Betrachtung und Erforschung der Zusammenhänge von Wohnen und Altern gebracht und hat das Potenzial, einen bedeutenden Beitrag zur Weiterentwicklung und Systematisierung von Konzeptionen der Wohnberatung für Menschen im höheren Lebensalter zu leisten.
Rezension von
Dipl.-Ing., Dipl.-Pflegew. Jens-Martin Roser
MScN
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