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Achim Trube, Carsten Weiß: Zur Arbeitsmarkt- und Sozialintegration von Langzeitarbeitslosen in der ökologischen Landwirtschaft

Rezensiert von Prof. Dr. Michael Buestrich, 22.10.2007

Cover Achim Trube, Carsten Weiß: Zur Arbeitsmarkt- und Sozialintegration von Langzeitarbeitslosen in der ökologischen Landwirtschaft ISBN 978-3-8258-0371-1

Achim Trube, Carsten Weiß: Zur Arbeitsmarkt- und Sozialintegration von Langzeitarbeitslosen in der ökologischen Landwirtschaft. Zielevaluation und Qualitätsmonotoring des Modellprojekts ´Agrigent´. Lit Verlag (Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2007. 344 Seiten. ISBN 978-3-8258-0371-1. 34,90 EUR. CH: 54,10 sFr.
Reihe: Zweiter Arbeitsmarkt.

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Autoren

Achim Trube lehrt als Herausgeber und Mitautor an der Universität Siegen schwerpunktmäßig Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik und sozialen Administration. Carsten Weiß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am gleichen Lehrstuhl. Der Band führt die Reihe "Zweiter Arbeitsmarkt" fort, in der 1997 unter anderem auch eines der Standardwerke zur "Theorie und Empirie des Zweiten Arbeitsmarktes" erschienen ist.

Thematischer Hintergrund

Projekte des Zweiten Arbeitsmarktes (und seiner Ableger: 1-Euro-Jobs und der projektierte "Dritte Arbeitsmarkt") stehen seit es sie gibt als arbeitsmarkt- und sozialpolitisch fragwürdig ("Beschäftigungstherapie" und "Arbeitssimulation"), wirtschaftlich ineffizient ("Zuschussbetriebe") und insgesamt fiskalisch bedenklich ("Verschwendung öffentlicher Mittel") in der Diskussion bzw. in der Kritik. Eine Beurteilung, die zugleich die widersprüchlichen Anforderungen an arbeitsmarktpolitische Aktivitäten innerhalb des Zweiten Arbeitsmarktes deutlich macht: Sie sollen in den Arbeitsmarkt (re-)integrieren, zugleich sozialintegrativ wirken, sich wirtschaftlich mindestens selbst tragen und/oder auch noch einen fiskalischen Ertrag erbringen.

Die Realisation dieser konkurrierenden Ansprüche findet dabei notwendig in arbeitsmarktpolitischen "Nischen" statt, die der Träger in Konkurrenz zu anderen Akteuren suchen und finden muss. Diese Aktivitäten sind damit ausdrücklich außerhalb der Sphäre angesiedelt, auf die sich unter arbeitsmarktlichen Erfolgsgesichtspunkten gleichwohl alle Bestrebungen des Zweiten Arbeitsmarktes richten müssen, nämlich den "richtigen", den Ersten Arbeitsmarkt. Zu ihm darf der Zweite Arbeitsmarkt gleichzeitig nicht in Konkurrenz stehen, weshalb insbesondere mögliche arbeitsmarktliche Verdrängungseffekte (Stichworte: "Gemeinnützigkeit" und "Zusätzlichkeit") unbedingt zu vermeiden sind. An Projekte des Zweiten Arbeitsmarktes ergeht damit der schwierig einzulösende Auftrag, einerseits nicht Erster Arbeitsmarkt sein zu dürfen andererseits aber möglichst "realistisch", dabei zugleich "effizient und effektiv" für diesen zu qualifizieren und in diesen zu integrieren. An dieser "Quadratur des Kreises" arbeiten sich Theorie und Praxis des Zweiten Arbeitsmarktes seit ihrem Bestehen ab.

Projektintention und -umsetzung

Diese Problematik wird auch am hier vorgestellten Projekt deutlich. Das mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderte Projekt AGRIGENT der "Staufen Arbeits- und Beschäftigungs-gGmbH Göppingen" (SAB) ist ein innovatives Modellvorhaben, das Zielsetzungen der Arbeitsmarktintegration mit denen des ökologischen Landbaus verbindet. Es verknüpft die gesellschaftliche und erwerbswirtschaftliche Integration von Langzeitarbeitslosen mit Zielen der ökologischen Garten-, Land- und Tierwirtschaft, die sich um eine naturnahe Lebensmittelproduktion und um den Erhalt landwirtschaftlicher Kulturflächen sowie aussterbender Haustierrassen bemühen.

Das Arbeitskonzept fordert vor allem eine "sinnhafte Tätigkeit" für die Projektteilnehmer. Ein entsprechend differenziertes Anforderungsprofil soll stark an der Arbeitswelt orientiert und hinsichtlich des Ablaufs und Umfangs sowie der Qualität der Arbeitsprozesse zugleich nachvollziehbar und aus sich heraus einsichtig sein: "Somit liegt in der sozialen Landwirtschaft das Hauptaugenmerk auf dem Wert und der besonderen Qualität der Arbeit für die Projektteilnehmer" (S.16). Dieser Anspruch wird durch die besonderen Zielvorgaben des Projektes sichergestellt, die teils aus den Ansprüchen des ökologischen Anbaus und teils aus den projektinternen Anforderungen an die professionelle Güte der produzierten Waren resultieren. Dabei erhält die Mitarbeit des Einzelnen im Team einen hohen Stellenwert, weil zur Verwirklichung einer hohen Produktqualität viele Arbeitseinheiten geleistet und (selbst-)verantwortet werden müssen. Eine weitere Intention dieses Ansatzes besteht im Angebot von Orientierungsmöglichkeiten und der Eignungsfeststellung. Darüberhinaus war geplant, diesen Ansatz der Beschäftigungsförderung im ökologischen Landbau an die regionalen und zum Teil auch überregionalen Akteure zu vermitteln, um so ein langfristig tragfähiges Netzwerk zu schaffen, das bewusst weit über die direkten Projektbeteiligten hinauszielt.

Aufbau

Der Bericht dokumentiert sowohl methodisch als auch inhaltlich sehr ausführlich die Ergebnisse im Projektzeitraum von Anfang 2005 bis Ende 2006. Er gliedert sich in fünf Teile: Im ersten Teil wird die Forschungsfragestellung des Modellprojekts vorgestellt, der zweite Abschnitt erläutert den Forschungsgegenstand hinsichtlich der besonderen konzeptionellen Ausrichtung und Zielsetzung. Eine Darstellung des Forschungsdesigns sowie der eingesetzten Instrumente und Methoden leitet im Anschluss über in den vierten Teil, der die Forschungsergebnisse im Detail aufarbeitet. Das kombinierte System aus wissenschaftlicher Wirkungs- und Begleitungsforschung sollte einerseits anhand empirischer Erhebungen intendierte und nicht-intendierte Effekte des Modellvorhabens erfassen andererseits im Sinne eines Qualitätsmonitorings die Voraussetzungen, Prozesse und das Procedere der Verfolgung der verschiedenartigen Ziele begleiten. Die Ergebnisse der Zielevaluation sowie des Qualitätsmonitorings sind im fünften Teil dargestellt. Ein umfangreicher Anhang unter anderem mit der Dokumentation der eingesetzten Untersuchungsinstrumente rundet den Abschlussbericht ab.

Die Projektergebnisse

Die arbeitsmarktlichen Resultate des Projektes sind insbesondere vor dem Hintergrund der örtlichen Arbeitsmarktbedingungen und der individuellen Voraussetzungen innerhalb der Teilnehmergruppe zu beurteilen. 68% der Teilnehmer waren unmittelbar nach Beendigung des Projektes wieder arbeitslos; lediglich etwas mehr als 4% fanden zu diesem Zeitpunkt einen Weg in den Ersten Arbeitsmarkt; 19,6% wechselten nach einer ersten Phase im Projekt mit Beschäftigung mit Mehraufwandsentschädigungsbasis (1-Euro-Jobs) in eine zweite Projektphase, wo ihnen eine regulär entgoltene Beschäftigung angeboten wurde; nach sechs Monaten verbesserte sich die Integrationsquote in den Ersten Arbeitsmarkt auf 25,6%, unter einem Bezug von Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen des Zweiten Arbeitsmarktes auf 37%: "Gleichwohl zeigte sich alles in allem, dass offensichtlich die im Bundesdurchschnitt ja sogar noch relativ günstigen Arbeitsmarktbedingungen in Göppingen für die außerordentlich beeinträchtigte Teilnehmerschaft von AGRIGENT - auch bei einer Art Modularisierung des Projekts in zwei Phasen - nicht allzu große Chancen regulären Erwerbsintegration bieten konnte" (S.XIV).

Zu den Erträgen in der Sozialbilanz gehörten insbesondere die merkliche Reduktion der Gefühle, einsam, überflüssig, antriebslos und gleichgültig zu sein, was bekanntermaßen zentrale Deprivationen von Langzeitarbeitslosigkeit sind, in denen offensichtlich über das Projekt Entlastungen erzielt werden konnten. Eine Befragung zum Ende des Modellprojekts ergab jedoch für die Teilnehmer keine zusätzlichen positiven Aspekte, sondern sogar manchmal eine leichte Rückentwicklung, was nach Ansicht der Autoren mit den zum Teil fehlenden Anschlussperspektiven für die Betroffenen zusammenhängt. In diesem Kontext zeigte sich auch, "[...] dass das Projekt ganz offensichtlich nicht in der Lage war, eine berufsbezogene Planung und Zukunftsorientierung zu fördern [...] auch dies weist möglicherweise auf die begrenzten Chancen der Arbeitsmarktintegration hin, die unter den herrschenden Bedingungen am Ersten Arbeitsmarkt mit der stark beeinträchtigten Teilnehmerschaft kaum zu realisieren waren" (S.XIII).

Durchweg positive Resultate wurden dagegen vor allem in der Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit erzielt, der es gelang, projektfremde Kreise für das Modell zu interessieren und entsprechend einzubinden. Darüberhinaus wurde das Projekt für seine hervorragende Qualität in der ökologischen Nahrungsmittelproduktion mehrfach prämiert.

Fazit

Es überrascht nicht, dass das Gesamtfazit der Autoren vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse letztlich eher negativ ausfällt. So zeigen "[É] die objektiven Grenzen von AGRIGENT im Zusammenhang mit einer zunehmenden und sich verfestigenden der Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland. Wo der Arbeitsmarkt in Bezug auf mehrfach benachteiligte Erwerbslose keinerlei Resorptionspotenziale aufweist, kann auch ein noch so intelligent und differenziert angelegtes Integrationsmanagement nicht zum Erfolg führen" (S.2). Insofern habe das Projekt den wissenschaftlich gesicherten Nachweis geführt, "dass auch bei intensiver Vermittlungsförderung und niedrigschwellige Arbeitsentlastung auf qualitativ hohem Niveau für eine stark beeinträchtigten Personenkreis selbst unter relativ günstigen Arbeitsmarktbedingungen kaum noch Reintegrationschancen zu entwickeln sind" (S.XVII).

Dieses Manko, das das Projekt mit ähnlich gelagerten Vorhaben teilt, ist dabei weder seiner Intention noch der Art und Weise seiner Umsetzung anzulasten. Die Ergebnisse machen allerdings erneut deutlich, dass Projekte des Zweiten Arbeitsmarktes - abgesehen von den individuellen Voraussetzungen des Klientels - hinsichtlich ihrer Erfolgsaussichten letztlich entscheidend von externen Umständen und hier ganz wesentlich eben der Aufnahmefähigkeit des Ersten Arbeitsmarktes abhängig sind, ohne zugleich entscheidenden Einfluss darauf haben zu können. Dieser Aspekt wird auch in Bezug auf die praktische Durchführung deutlich. Die Autoren resümieren hier, dass das Projekt nicht realisierbar gewesen wäre, wenn nicht eine bereits gut ausgebaute personelle und sachliche Infrastruktur des Trägers zur Verfügung gestanden hätte, die mit Mitarbeitern, Gerätschaften, Gebäuden, Tierbeständen und vor allem den Verarbeitungs- und Verkaufsmöglichkeiten für die ökologischen Produkte auch die entscheidenden Voraussetzungen der Erwirtschaftung von Eigenanteilen in der Projektfinanzierung ermöglicht hat. Eine Basis, die im Rahmen der meisten arbeitsmarktpolitischen Projekte naturgemäß eher nicht unterstellt werden kann.

Ähnliches gilt für eine Zukunftsperspektive im Rahmen einer Übertragung bzw. Verallgemeinerung des Projekts und seiner Weiterentwicklung von einem Modellvorhaben zu einem arbeitsmarktpolitischen Regelangebot. Auch hierfür bedarf es neben dem ausgewiesenen Sachverstand beim Projekträger eines Arrangements für eine integrierte Beschäftigungsförderung im ökologischen Landbau, vor allem eines entsprechend ausgestatteten Hofes mit funktionierender Verarbeitungs- und Vertriebsstruktur. Auch diese infrastrukturellen und personellen Rahmenbedingungen müssten deshalb entweder als gegeben unterstellt werden oder durch eine entsprechende Anschubfinanzierung im Zuge einer vorgeschalteten Projektentwicklungsphase vorab zur Verfügung gestellt werden.

Zwei mögliche Schlußfolgerungen leiten sich daraus ab: Die Gegner einer öffentlich geförderten Beschäftigung mögen sich hinsichtlich der anfangs angeführten Einwände wieder einmal bestätigt sehen und die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen der Arbeitsförderung im Zweiten Arbeitsmarkt grundsätzlich bezweifeln. Man kann die Ergebnisse aber auch zum Anlass nehmen, sich endgültig von der Illusion zu verabschieden, insbesondere schwer vermittelbarer Arbeitssuchende wieder in einen Ersten Arbeitsmarkt integrieren zu wollen, der sie einfach nicht mehr braucht.

Aus beiden Betrachtungen ergibt sich zwangsläufig die grundsätzliche Frage, was unter arbeitsmarkt- bzw. sozialpolitischen Gesichtspunkten stattdessen überhaupt noch mit dem Klientel der "mehrfach vermittlungsgehemmten Langzeitarbeitslosen" anzufangen ist? Eine offene Frage, deren Nichtbeantwortung man der vorliegenden Studie nicht zum Vorwurf machen kann, weil sie über ihr erklärtes Untersuchungsziel hinausweist.

Rezension von
Prof. Dr. Michael Buestrich
Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum
Website

Es gibt 35 Rezensionen von Michael Buestrich.

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ISSN 2190-9245