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Marie Luise Conen, Gianfranco Cecchin: Wie kann ich Ihnen helfen, mich wieder loszuwerden?

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 30.12.2007

Cover Marie Luise Conen, Gianfranco Cecchin: Wie kann ich Ihnen helfen, mich wieder loszuwerden? ISBN 978-3-89670-512-9

Marie Luise Conen, Gianfranco Cecchin: Wie kann ich Ihnen helfen, mich wieder loszuwerden? Therapie und Beratung in Zwangskontexten. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2007. 288 Seiten. ISBN 978-3-89670-512-9. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.
Reihe: Systemische Therapie.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-89670-690-4 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema

Conen und Cecchin beschäftigten sich über 15 Jahre mit der Thematik unfreiwilliger Klienten in Zwangskontexten. Im vorliegenden Band zeigen sie, dass Unfreiwilligkeit kein Hindernis für eine konstruktive Zusammenarbeit in Beratung und Therapie sein muss. Neben theoretischen Bezugspunkten und methodischen Überlegungen bieten die Autoren Standpunkte und Konzepte für den Umgang mit unmotivierten Klienten an. In Beiträgen zur Rolle des Therapeuten in Zwangskontexten, unterschiedliche Interventionsformen und Hinweise auf spezifische Arbeitsfelder (Jugendhilfe, Psychiatrie, Strafvollzug, Drogenrehabilitation) erfolgt unter systemischer Sichtweise eine Annäherung an "unmotivierte Klienten". Ansatzpunkt für die Arbeit mit hard-to-reach-groups ist neben der Motivationsarbeit die konsequente Nutzung des Zwangskontextes als Ressource und therapeutisches Mittel.

Autorin und Autor

M.-L. Conen (Dipl. Psych. und Dipl. Päd.) leitet das Context-Institut für systemische Therapie und Beratung Berlin. Arbeitsschwerpunkte sind die Bereiche systemische Beratung und Therapie, insbesondere Familientherapie. Langjährige Vorstandsarbeit in der "Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie - DAF). Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. "Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden. Aufsuchende Familientherapie", vgl. die Rezension.

G. Cecchin (1932-2004) war Mitbegründer und bedeutender Pionier der Mailänder Schule der systemischen Therapie. Schwerpunkt seiner Arbeit war seine Aufbauarabeit der Familientherapie am Mailänder "Centro di Terapie della Famiglia". Zahlreiche Publikationen, u. a. "Paradoxon und Gegenparadoxon".

Entstehungshintergrund

Grundlage des Buches war eine Fachtagung "Praxis in Zwangskontexten" des Berliner Kontext-Instituts.

Aufbau

Der Band nähert sich aus systemischer Sichtweise dem Phänomen "Arbeit mit unfreiwilligen/unmotivierten Klienten". Dadurch soll Fachkräften Anregungen für ihre Arbeit in Zwangskontexten gegeben werden. Das Buch ist in drei Abschnitte unterteilt:

  1. M.-L. Conen befasst sich im ersten Abschnitt mit Grundfragen in der Arbeit mit "Unfreiwilligen" (Norm und Abweichung, Funktion von Sozialarbeit, soziale Kontrolle, ethische Aspekte) und beschreibt ausführlich Möglichkeiten der Auflösung der Zwangsdilemmata für Psychologen und Sozialarbeiter in ihren widersprüchlichen Aufgaben zwischen Hilfe und Kontrolle. Das Konzept der "Detriangulation und Kontextualisierung" ermöglicht die Arbeit jenseits oft unfruchtbarer "Motivationsarbeit", welches in Anwendung in spezifischen Zwangskontexten vorgestellt wird.
  2. Im zweiten Abschnitt beschäftigt sich G. Cecchin mit der Beziehungsgestaltung von Therapeut und Klient im Zwangskontext. Die Überlegungen zur Rolle des Therapeuten, der Umgang mit widersprüchlichen Arbeitsaufträgen und die Betonung der Klientenressourcen werden an Beispielen aus der Familientherapie und Jugendhilfe illustriert.
  3. Der dritte Abschnitt widmet sich dem Arbeitsbereich Suchttherapie. R. Klein (Dipl. Sozialpäd., Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in freier Praxis) beschäftigt sich mit dem Phänomen der Ohnmacht in Behandlungssituationen mit (leugnenden) Alkoholabhängigen. Anhand eines knappen Fallbeispiels werden die aus Sicht der Systemtheorie am Prozess des süchtigen Trinkens beteiligten Systemebenen beschrieben und Ansatzpunkte für konstruktive Interventionen vorgestellt.

Abschnitt 1: Wie kann ich Ihnen helfen mich wieder loszuwerden? Systemisches Arbeiten in Zwangskontexten.

M.-L. Conen nähert sich der Thematik über eine Literaturrecherche zur Thematik "Anderssein". Gesellschaftstheoretische Aspekte (Foucault) und soziale Prozesse (Beckers labeling-approach), psychoanalytische Erklärungsmodelle, situationsbezogene Theorien (Lewin) und Theorien sozialer Kontrolle werden kurz umrissen um darzustellen, dass individuelle Abweichung, die Gegenstand der Behandlung und Kontrolle wird, nur bedingt "individuelle Problemlagen" darstellen, immer auch Ausdruck sozial und gesellschaftlich verankerter Macht- und Ressourcenverhältnisse sind. Die Funktion von Sozialarbeit ist - so Conen - damit, dass sie als Machtfilter dient, wodurch bestehende gesellschaftliche Ordnungsstrukturen aufrechterhalten werden sollen. Dadurch ist grundsätzlich ein Zwangskontext beschrieben, in dem Sozialarbeit "Normalisierungsprozesse" initiieren soll um einen Zustand herzustellen, der den allgemeinen Ordnungs- und Wertvorstellungen entspricht. Conen kritisiert Ansätze der Sozialarbeit, die ohne Berücksichtigung der gesellschaftlichen Verhältnisse Exklusionsprozesse beschleunigen, etwa wenn mit großem Aufwand diagnostische Anstrengungen unternommen werden um dann schließlich individuelle Anspruchsvoraussetzungen für Hilfemaßnahmen auszuschließen. Hier greift die Analyse Conens zur gegenwärtigen Bestrebung in der Sozialarbeit um verlässliche Diagnosemethoden im psycho-sozialen Feld zur kurz: das mehrdimensionale Problemverständnis in der Sozialarbeit bezieht sich auf individuelle und gesellschaftliche Bedingungen von Problemlagen und bezieht den Diagnoseprozess als Quelle problemgenerierender Effekte mit ein. Auf diese Ansätze innovativer (klinischer) Sozialarbeit geht die Autorin jedoch nicht ein. Conen betont, dass die Sozialarbeit auf die negativen Auswirkungen sozialer Kontrolle zu schauen habe. Dies geschieht durch die Vermittlung von Informationen, Ressourcen und Einflussmöglichkeiten. Das längst durchgesetzte Prinzip ressourcenorientierter Selbstbefähigung (Empowerment) findet in Conens Funktionsbeschreibung und Analyse der Sozialarbeit leider keine Erwähnung.

Conen entwirft in ihrem Beitrag vor dem Hintergrund einer gesellschaftskritischen Haltung ein Bild sozialer Arbeit, in dem professionelle Helfer im Falle von Zwangsbehandlungen eindeutig Vertreter des Staates sind, für die eine Dienstleistung durchführt und erbracht wird. Ziel ist es Menschen dazu zu bewegen, sich anders zu verhalten, als sie sich sonst verhalten würden. Auch wenn sich psychosozial Tätige dieser Zuschreibung oft entziehen (wollen), erfüllen sie wichtige Aufgaben sozialer Kontrolle, welche von Conen als grundsätzlich "notwendiges und wichtiges Element jeder Kultur" eingestuft werden. Die Chance professioneller  psychosozialer Interventionen liegt darin, Devianz nicht nur unter dem Risikogesichtspunkt (für die Gesellschaft) zu sehen, sondern die Entstehungsbedingungen  der Devianz zu benennen und in die Intervention mit einzubeziehen. Soziale Kontrolle und (individuelle) Hilfe sind so eng miteinander verzahnt. Ist dieser Mechanismus nicht bewusst, stellen "Kolonisation und Paternalismus", die Schaffung von "Klientenverhältnissen", die Therapeutisierung ganzer gesellschaftlicher Gruppen, sowie  Probleme direkter oder indirekter Machtausübung in der Helfer-Klientbeziehung problematische Folgen der psychosozialen Arbeit dar. Da individuelle Leidenszustände (Devianz, psychische Probleme) also immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Problemlagen sind, kommt es auf Seiten der Betroffenen zu eigenen Sichtweisen und Einschätzungen, die sich von der Definition durch gesellschaftliche Institutionen oft unterscheiden. Begriffe wie "mangelnde Krankheitseinsicht", oder "Problemverleugnung" verweisen auf das (vermeintliche) Unvermögen der Betroffenen, die "realen Verhältnisse" anzuerkennen und sich entsprechend anzupassen. Professionelle psychosoziale Hilfe setzt an diesen unterschiedlichen Problemdefinitionen an, dabei ist die unmittelbare Wahrnehmung des Problems (durch den Betroffenen) der Ansatzpunkt für die Arbeit. Eine Motivationsquelle kann dabei der Wunsch der Klienten sein, die -zwangsmäßig - verordnete Hilfe (die eben auch Kontrolle und Zwang ausübt) wieder loszuwerden. Aspekte der Problemdefinition und Definitionsmacht, der Umgang mit fehlender Motivation und die Notwendigkeit mit "nicht motivierten Patienten" trotzdem zu arbeiten, führen in Conens Beitrag zu einer zentralen Grundhaltung, die -nach Conen - unabdingbar für gelingende Beratung und Therapie im Zwangskontext sind: die Akzeptanz der Selbstwahrnehmung der Klienten (die sich oft von der Fremdwahrnehmung unterscheidet) und der Glaube daran dass "Menschen … sich verändern können … und Veränderungen … positiv sein können". Diese beiden "Grundpfeiler der Berufsmotivation" wirken auf den ersten Blick erstaunlich einfach, fast naiv. Conen versteht es jedoch, die Bedeutung dieser Grundlagen in unterschiedlichen Facetten der Arbeit auszuformulieren. Dabei werden Aussagen zur Nutzung des Zwangskontextes auf  den einen oder anderen Leser provozierend wirken, etwa indem Conen formuliert "Indem man Klienten die Grenzen ihrer Autonomie erfahren lässt und ihnen Alternativen aufzeigt, kann bei ihnen ein Gefühl von Autonomie bestehen bleiben" (S. 75).

Die Beschreibung des (straf)rechtlichen Kontextes therapeutischer und beratender Arbeit gerät im ersten Abschnitt leider zu kurz. Conen führt aus, dass eine Jahrzehnte lange Ablehnung der Psychotherapeuten zur Arbeit im Zwangskontext dazu geführt haben, dass die (gerichtliche) Anordnung therapeutischer Hilfen nicht als brauchbarer Weg der Rehabilitation betrachtet wurde und folglich weitgehend unterblieb. Betrachtet man die Praxis (strafbewährter) Therapieweisungen in der Drogenrehabilitation ("Therapie statt Strafe"), die zunehmende Professionalisierung forensischer Kriminaltherapie in den letzten 15 Jahren (mit der Einrichtung sozialtherapeutischer Anstalten zur Behandlung von Sexualstraftätern), oder die jüngste Änderung im Bereich der Führungsaufsicht (wo ambulante Therapie- und Beratungsleistungen explizit in den Kanon strafbewährter Leistungen aufgenommen wurden), erscheint die Analyse und Beschreibung Conens schlichtweg falsch. Auch die Deutung, dass eine Änderung der Haltung gegenüber therapeutischer Arbeit im Zwangskontext allein auf die -sicher richtigen und bedeutungsvollen- Beiträge der Systemischen Therapie zurückgehen (S. 79), überzeichnen die Relevanz des hier referierten Ansatzes. Immerhin weist Conen selbst auf die umfangreiche publizistische Tätigkeit zu dieser Thematik hin, auch wenn hier relevante Ansätze und Forschungsergebnisse (z. B. Kähler, 2005, Rezension) unbeachtet bleiben.

Wertvoll sind die Ausführungen zur Funktion und Arbeit mit dem Widerstand der Klienten im Zwangskontext. Widerstand erfährt hier zunächst eine positive Konnotation und wird als Autonomiebestreben der unter Zwang stehenden Klientel aufgefasst. Das Dilemma des Therapeuten sich zwischen Fremddeutung (z. B. Gericht: Verurteilung wegen Sexualdelinquenz) und Selbstdeutung des Klienten ("Ich bin unschuldig") festlegen zu müssen, wird durch einen synthetischen Ansatz ("Wie sind Sie in dieses Dilemma geraten, dass Sie vor einem Richter stehen und einer Straftat beschuldigt werden?") stimmig aufgelöst. Allerdings ist dieser Ansatz kein Verdienst systemischer Therapie, sondern findet sich etwa schon in der Arbeit mit Borderlinepatienten im dialektisch-behavioralen Ansatz M. Linehans.

Ausführlich widmet sich Conen der Rolle des Klienten und des Helfers (Therapeuten, Berater) in Zwangssituationen, deren mögliche Konflikte und Implikationen. Diese Beschreibung führt zum Kernstück des eigentlich systemischen Behandlungsansatzes, der mit den Begriffen Detriangulation und Kontextualiserung umschrieben ist. Detriangulation bedeutet in diesem Zusammenhang die aktive Selbstdefinition des Helfers als "Teil des Problems", der also nicht als Externer Hilfsangebote initiiert, sondern "im System", als "Teil des Systems" tätig wird. Kontextualisierung meint die konsequente Einbeziehung anderer Interaktionssysteme, die im konkreten Fall beteiligt sind. Die Rolle des Helfers ist die des "Gleichen unter Gleichen", d. h. es wird keine qua Expertentum begründete "One-up-Position" eingenommen. Destruktive Prozesse und Aktionen  werden beeinflusst, wenn nötig blockiert. Als Technik wird die Arbeit mit "zirkulären Fragen" vorgestellt, eine Interventionsform welche fremdbestimmte Aufträge (z. B. Weisung des Gerichts) auf unterschiedlichen Ebenen (Umfeld des Betroffenen, Zukunft, Veränderungswille) aufgreift und "auflöst".

Der Beitrag Conens endet mit Beispielen aus unterschiedlichen Zwangskontexten in denen professionelle Berater und Therapeuten tätig sind. Dabei geraten die Analysen der jeweiligen Arbeitsfelder (z. B. "Arbeitsagenturen", S. 156 oder "Aidsberatung", S. 157) zu kurz. Um dem Anspruch des Buches gerecht zu werden, hätten hier Beiträge von Experten aus den jeweiligen Arbeitsgebieten die notwendige Vertiefung gebracht. So hängen die vorgestellten Arbeitsgebiete teilweise in der Luft, die Beschreibung der jeweiligen Zwangsmechanismen und wie damit professionell und konstruktiv umgegangen werden kann unterbleibt.

Abschnitt 2: Therapie und Klient im Zwangskontext

Im zweiten Abschnitt beschreibt Cecchin vertiefend Rollenaspekte von Professionellen und Klienten in Zwangskontexten. Sein Augenmerk liegt dabei auch auf ethischen Fragestellungen, wie etwa der Würde des Klienten, dessen Entscheidungsfreiheit, trotz Zwangsrahmen Hilfeangebote anzunehmen oder eben auch abzulehnen und dafür die Verantwortung zu tragen. Ansatzpunkt für gelingende Kooperation im Zwangskontext ist für Cecchin die Fokussierung auf Familiengeschichten, die historische Entwicklung, wie Familien oder deren Angehörige in Schwierigkeiten geraten sind, welche Muster dabei zutage treten. Anhand eines komplexen Fallbeispiels aus der ambulanten Jugendhilfe werden auf Grundlage einer umfassenden Fallanalyse Interventionsformen und Beispieldialoge vorgestellt. Cecchin versteht es, die komplexen Zwangsaspekte (Drogenkonsum der Jugendlichen, Impulsdurchbrüche, Schulschwänzen) als Entwicklungsaufgabe des 15jährigen Mädchens (Lösung aus der problembehafteten Herkunftsfamilie, Übernahme von Verantwortung, Distanzierung vom gewalttätigen Partner der Mutter) zu deuten. An zwei weiteren Beispielen werden die Methodik und einzelne Techniken systemischer Beratung im Zwangskontext verdeutlicht. Grundlage dafür sind Transkripte zweier Life-Konsultations einer Weiterbildungsgruppe in einem systemischen Weiterbildungsinstitut, die Cecchin mit Mitarbeiterinnen der Familienhilfe und deren Klienten geführt hat. Anhand einzelner, sehr ausführlicher Gesprächssequenzen werden die einzelnen methodischen Vorgehensweisen (Suche nach der Familiengeschichte und -geschichten, Einbeziehung aller Prozessbeteiligter, positive Konnotation, Benennung unterschiedlicher Aufträge, Selbstbestimmung der Klienten, Benennung der Rollenkonflikte, Klientenaktivierende Problemlösungsstrategien) erläutert und jeweils in einen kurzen theoretischen Zusammenhang gesetzt. Dadurch ergibt sich ein genauer Einblick in die systemische Arbeitsweise Cecchins, dessen Theorie und konkrete Intervention. Diese Art der Theorievermittlung hat zweifelsohne einen hohen Lerneffekt, in Verbindung mit den eher theoretischen Aspekten des ersten Abschnitts erfüllt das Buch damit fast Lehrbuchcharakter.

Abschnitt 3: Von ohnmächtigen Helfern und berauschten Sehnsüchten - Gedanken zum systemischen Verständnis süchtigen Trinkens

Im dritten Abschnitt geht R. Klein auf die systemische Sichtweise der Suchtkrankenbehandlung ein. Die süchtige Verarbeitung von Drogen und Alkohol geschieht in dieser Auffassung auf drei Systemebenen: dem psychischen System (kognitiv-emotionale Suchtmittelverarbeitung), dem biologischen System (chemisch-physikalische Verarbeitungungsprozesse) und dem sozialen System (Verarbeitung durch Kommunikationsprozesse). Entsprechend setzt systemische Therapie an allen drei Ebenen an, impliziert auf die Person bezogene und auf das soziale System gerichtete Interventionen, die im Beitrag kurz dargestellt und anhand von knappen Fallbeispielen erläutert werden. Die explizite Benennung von Zwangsmerkmalen in der Suchttherapie unterbleibt in Kleins Beitrag, wodurch die Chance die hier impliziten Zwangsmechanismen und -rituale zu benennen und -konstruktiv- in die therapeutische Arbeit einzubeziehen nicht vollständig genutzt wurde.

Zielgruppe

Der Band wendet sich an Praktiker die in Beratung und Therapie in Zwangskontexten tätig sind. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem Bereich der ambulanten Jugend- und Familienhilfe. Durch die Benennung grundsätzlicher Mechanismen in Zwangskontexten werden sicher auch professionell Tätige anderer Arbeitsbereiche von der Lektüre profitieren. Durch die Verwendung zahlreicher und ausführlicher Fallbeispiele die sehr gut nachvollziehbar in Zusammenhang mit der referierten Theorie gestellt werden, ergibt sich eine sehr gute Lesbarkeit des Buches, wodurch auch der Einsatz in Ausbildungszusammenhängen möglich sein wird.

Fazit

Das Buch ermöglicht einen umfassenden Einblick in die 15jährige Entwicklungsarbeit zur systemischen Beratung und Therapie in Zwangskontexten. Für alle Arbeitsbereiche in Beratung und Therapie die in Zwangskontexten stattfinden und für die gesamte Sozialarbeit, die sich generell mit dem Doppelauftrag von Hilfe und Kontrolle konfrontiert sieht, sind so wertvolle Hinweise zur Arbeitshaltung, zur konstruktiven Nutzung der Rahmenbedingungen und zu konkreten Interventionen versammelt. Allerdings fehlen im Einführungskapitel, das sich kritisch mit der Funktion der Sozialarbeit beschäftigt Hinweise auf innovative Ansätze die seit Jahren unter den Begriffen "Klinische Sozialarbeit" oder "Empowerment" diskutiert und angewendet werden. Das Buch sollte dennoch als Grundlagenliteratur in der Ausbildung für soziale Berufe Verwendung finden. Für Praktiker die sich in ihrer Arbeit zwischen Motivationsarbeit und eigenem Ausgebrannt sein sehen, bietet das Buch wertvolle Hinweise zur Überwindung  eigener Ohnmachtszustände und Selbstwirksamkeitskrisen.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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ISSN 2190-9245