Wilhelm S. Schmitt: Klassifikation der Betreuungsintensität in der Bewährungshilfe. Die Evaluierung des Kategorienmodells
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 11.10.2007

Wilhelm S. Schmitt: Klassifikation der Betreuungsintensität in der Bewährungshilfe. Die Evaluierung des Kategorienmodells.
DBH-Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht
(Köln) 2007.
165 Seiten.
ISBN 978-3-924570-14-9.
12,00 EUR.
DBH-Materialien Band 56. Zu bestellen auch bei: DBH-Fachverband, 50858 Köln, Aachener Str. 1064 oder über Email: kontakt@dbh-online.de.
Thema
"Vor allem die Bewährungshilfe sieht sich intern und extern dem Druck ausgesetzt, ihre Leistungsfähigkeit nachzuweisen. Wurde dies herkömmlich oft und gern mit dem Kriterium der Fallzahlen unternommen, ist nun das Bestreben nach realitätsgerechten Urteilsmaßen für die Arbeit der Bewährungshilfe zu beobachten.
Die vorliegende Arbeit hat, ausgehend von der Erfahrung, dass nicht jeder Proband den gleichen Betreuungsaufwand benötigt, den Versuch unternommen, die Betreuungsintensität zu klassifizieren. Das daraus entstandene Kategorienmodell beruht auf zwei variablen Größen, der Veränderungsbereitschaft bei Probanden und der Kompetenz zur Fallbearbeitung bei Bewährungshelfern.
Es hat in Baden-Württemberg zum Teil schon verbindlichen, aber reduzierten Eingang ins praktische Handeln gefunden." (Klappentext)
Autor
Wilhelm S. Schmitt ist geschäftsführender Bewährungshelfer in Pforzheim. Die vorgelegte Evaluationsstudie ist die überarbeitete Fassung einer Diplomarbeit, die der Autor im Rahmen eines Aufbaustudienganges 2006 verfasst hat.
Inhalt
- In Kapitel 1 wird sehr kurz die Fragestellung der Untersuchung erläutert.
- Kapitel 2 referiert den Untersuchungsgegenstand: Neben den rechtlichen und sachlichen Grundlagen der Bewährungshilfe wird vor allem das der Untersuchung zugrundeliegende Kategorienmodell erläutert. Dabei macht der Autor vor allem deutlich, warum er mit seinem Kategorienmodell eine Alternative zur herkömmlichen Messung der Arbeitsbelastung über Fallzahlen erkennen kann. Das wichtigste Instrument ist die Einteilung in "sieben Betreuungskategorien", die aus der Praxiserfahrung entwickelt wurden und die wichtigsten Betreuungssituationen abzubilden für sich in Anspruch nehmen. Die Einteilung in eine Kategorie geschieht durch eine "Problemlagenanalyse" in einer "Falleinschätzungsphase". Jeder der Betreuungskategorien wird ein Zeitwert beigemessen, so dass der Autor je nach Fallkonstellation zu einer realistischen Bewertung der Arbeitsbelastung des Bewährungshelfers kommt.
- Kapitel 3 benennt die Gründe für die Untersuchung: Der Autor führt aus, dass im Kategorienmodell die "Veränderungsbereitschaft beim Probanden und Fallbearbeitungskompetenz von Bewährungshelfern" zentrale Parameter sind und es deshalb notwendig sei, die diesen beiden Parametern zugrundeliegenden Variablen empirisch zu untersuchen.
- Im folgenden Kapitel 4 werden bestehende Modelle und Theorien zu den Untersuchungsthemen "Veränderungsbereitschaft beim Probanden und Fallbearbeitungskompetenz von Bewährungshelfern" vorgestellt: Zum Thema "Veränderungsbereitschaft" werden kriminologische, prognostische Kriterienkataloge, klinisch-ideographische Methoden und Modelle aus der Forensik ausführlich referiert. Besonders geht der Autor hier auch auf vorliegende Modelle aus der Sozialen Arbeit ein. Zum zweiten Thema "Fallbearbeitungskompetenz" werden Kompetenzprofile, Kompetenzmodelle (Life Model) und andere Ansätze angeführt.
- Auf Basis dieser Ausführungen erfolgt im 5. Kapitel die sehr ausführliche Darstellung der Anlage der Untersuchung. Grundlage seiner sozialwissenschaftlichen Untersuchung ist ein qualitativer Ansatz, ausgewählt wird die Methode der Gruppendiskussion. Besonders widmet sich der Autor der Frage der Auswahl der zu interviewenden Gruppe und ist sich dabei sehr wohl der Problematik bewusst, die entsteht, wenn die Untersuchung an der eigenen Dienststelle durchgeführt werden soll, noch dazu wenn der Forscher selbst der Chef der untersuchten Gruppe ist.
- Kapitel 6 widmet sich der Auswertung der Untersuchung: Neben der Begründung für die Methodenauswahl wird hier das Ergebnis der empirischen Untersuchung mittels zusammenfassender Inhaltsanalyse der Gruppendiskussion dargestellt. Der Autor erforscht zentrale Kategorien seiner beiden Untersuchungsgegenstände. So ermittelt er zum Thema "Veränderungsbereitschaft" Kategorien, anhand derer man bei seinen Klienten sinnvollerweise die Motivation zur Veränderung überprüfen kann (z.B. Problemwahrnehmung des Klienten oder Selbstwirksamkeitserwartung), so dass der Autor sagen kann: "Es ist gelungen, induktiv aus dem Material der Gruppendiskussion Bewertungskriterien für Veränderungsbereitschaft bei Probanden zu finden." (S. 89). Das gleiche positive Ergebnis kann der Autor bezüglich seines zweiten Themas nicht vorlegen. Er konstatiert: "Während das Material zum Bewertungskriterium Veränderungsbereitschaft umfassend war, fehlte es beim Bewertungskriterium Fallbearbeitungskompetenz von Bewährungshelfern sowohl in der Breite [...] als auch in der Tiefe [...] an entsprechenden Aussagen der Teilnehmer." (S. 101).
- In den letzten Kapiteln 7 und 8 (Zusammenfassung und Ergebnis bzw. Ausblick) fasst der Autor die wichtigsten Ergebnisse des Buches und der empirischen Studie im Überblick zusammen und überprüft methodisch-kritisch die Aussagekraft seiner Ergebnisse.
Zielgruppen
Das Buch wendet sich wohl in erster Linie an Studierende und Fachkräfte der Sozialen Arbeit innerhalb des Justizsystems, insbesondere aber sicher an Berufskollegen des Autors.
Diskussion
Der Autor legt entgegen dem Untertitel der Arbeit keine eigentliche Evaluierung des von ihm entwickelten Kategorienmodells vor, sondern beschränkt seinen Fokus auf zwei Fragestellungen: Veränderungsbereitschaft und Kompetenz zur Fallbearbeitung. Die diesen beiden Fragestellungen gewidmete Untersuchung wird vom Autor in methodisch akkurater Weise durchgeführt. Die Ergebnisse zur Motivation und Motivierbarkeit von Klienten, wie sie insbesondere im ersten Teil der Fragestellung zu finden sind, sind durch einen hervorragend beschriebenen Forschungsprozess besonders für die Praxis in Zwangskontexten überaus ertragreich.
Zwei Einschränkungen zu diesem positiven Urteil sind jedoch zu machen:
- Da ist zum einen die vom Autor selbst eingeräumte Doppelrolle von Wissenschaftler und Praktiker, in seinem Fall sogar Vorgesetzter. Man muss dem Autor zugute halten, dass er einiges tut, um die Auswirkungen dieser Problematik zu minimieren. Insbesondere die äußerst gewissenhafte Dokumentation seines Vorgehens macht diese methodische Schwäche wett.
- Die zweite Einschränkung liegt in der Auswahl des Untersuchungsgegenstandes. Wie schon erwähnt handelt es sich nicht um die Evaluierung des Kategorienmodells, sondern zwei spezieller Fragestellungen daraus. Während die Frage der "Veränderungsbereitschaft" hervorragend theoretisch begründet und gut operationalisiert ist, zeigt sich beim zweiten Thema "Fallbearbeitungskomeptenz" eine begriffliche und damit einhergehend forschungspraktische Schwierigkeit. Spätestens seit in allen neuen Studiengängen mit dem Begriff "Kompetenz" inflationär umgegangen wird, wird deutlich, wie unscharf der "Kompetenzbegriff" ist. Die vom Autor zur theoretischen Begründung herangezogenen Modelle reichen von sehr allgemeinen Kompetenzmodellen (z.B. ein an Herriger/Kähler orientiertes "Kompetenzprofil") bis hin zu (wohl nicht als Kompetenzmodell gedachte) Handlungsanleitungen in konkreten Handlungssituationen (z.B. Germain/Gittermans Empfehlung: "Sprechen Sie mit einer angenehmen Stimme"). Mit einem so weiten Kompetenzbegriff lässt sich nur sehr schwer eine konkrete und sinnvoll zu beantwortende Forschungsfrage entwickeln. Die daraus vorgelegten Fragestellungen an die Kollegen innerhalb der Gruppendiskussion bleiben dann auch eher vage ("Welche speziellen Kompetenzen muss ein Bewährungshelfer haben, um überhaupt mit Klienten in Zwangskontexten arbeiten zu können?"). Dass sich daraus kaum kategorisierbare und schon gar keine neuen Erkenntnisse ableiten lassen, erscheint fast zwangsläufig.
Es zeichnet den Autor aus, dass er sehr selbstkritisch und ausführlich das Scheitern eines Forschungsteils zugibt und nicht verschleiert, dass entgegen seinen Erwartungen die Konturen der "Kompetenz zur Fallbearbeitung" unklar geblieben sind. Hier zeigt sich die intellektuelle Redlichkeit, die man sich öfter wünschen würde. Außer diesen, wie gesagt, vom Autor nicht beschönigten Schwächen ist die Studie insbesondere aus zwei Gründen höchst interessant:
- Es handelt sich beim Kategorienmodell um ein Modell, das aus der Praxis kommt und für die Praxis entwickelt wurde. Durch die jetzt vorgelegte wissenschaftliche (Selbst-) Evaluation von Teilbereichen wird das Modell durch Praktiker selber verbessert und kommt damit der für heutige Professionalität unabdingbaren "evidence based practice" einen Schritt näher.
- Das Kategorienmodell selber hat weit über die vom Autor untersuchten Fragestellungen hinaus erhebliches innovatives Potenzial. Es ist mit Sicherheit eines der interessantesten Modelle der Bewährungshilfe in Deutschland. Das Buch macht es bekannt und schenkt ihm die Aufmerksamkeit, die es verdient.
Fazit
Das Buch darf als Pflichtlektüre für jeden Bewährungshelfer gelten. Das sehr breite Wissen um wissenschaftliche Grundlagen des Arbeitsfeldes und die methodische Genauigkeit in der Durchführung der empirischen Untersuchung kann zudem allen als einführende Lektüre dienen, die sich in das Arbeitsfeld "Bewährungshilfe" oder die Methoden qualitativer Sozialforschung einarbeiten wollen. Unter den oben genannten Einschränkungen ist der Werbetext des Buches nur zu unterstreichen: "Das Modell enthält nicht nur in sich erhebliches Entwicklungspotenzial, vor allem für die Phase der Falleinschätzung, sondern auch modellhafte Züge über die Bewährungshilfe hinaus. Insofern empfiehlt sich das Buch für Praktiker, sich statt mit Fallzahldebatten besser mit den Ergebnissen des Kategorienmodells zu beschäftigen."
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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