Margit Stein: Soziale Beziehungen und Lebenszufriedenheit im Alter [...]
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 14.05.2008
Margit Stein: Soziale Beziehungen und Lebenszufriedenheit im Alter in Abhängigkeit von der Lebenswelt. Ein Vergleich von Frauen aus Einrichtungen des betreuten Wohnens und von alleinlebenden Frauen.
Shaker Verlag
(Aachen) 2007.
163 Seiten.
ISBN 978-3-8322-6254-9.
D: 48,80 EUR,
A: 48,80 EUR,
CH: 97,60 sFr.
Reihe: Berichte aus der Pädagogik.
Thema
Betreutes Wohnen für Senioren ist in Deutschland noch ein recht neues Angebot im Bereich Wohnen, vergleicht man es mit den Verhältnissen in anderen Ländern. Während zum Beispiel in England, den Niederlanden und in den USA Formen eines betreuten Wohnens bereits in der 50er und 60er Jahren etabliert wurden, entwickelte sich das Betreute Wohnen in Deutschland flächendeckend erst zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Betreutes Wohnen kann in Deutschland als "Nachfolgekonzept" des klassischen Altenheims für rüstige und nur teilweise hilfebedürftige Senioren aufgefasst werden, das spätestens nach Einführung der Pflegeversicherung keine Existenzberechtigung auch hinsichtlich öffentlicher Förderung mehr besaß.
Von der Versorgungslogik her betrachtet, handelt es sich beim Betreuten Wohnen für ältere Menschen um eine so genannte "Zwischenwohnform" – zwischen Privathaushalt und Heimbereich. Betreutes Wohnen oder auch Wohnen mit Service beschränkt sich somit nicht nur auf altengerechte Wohnungen, meist werden noch unterschiedliche Dienste wie Notrufanlage, hauswirtschaftliche Dienstleistungen wie Reinigung und Wäschedienst, aber auch verschiedene Mahlzeitenangebote offeriert, die teils einzeln abgerechnet werden oder aber mit einer monatlichen Pauschale abgegolten werden. Auch Pflegeleistungen von ambulanten oder stationären Anbietern werden in der Mehrzahl der Einrichtungen in unterschiedlicher Leistungsdichte angeboten. Für die Geselligkeit und die Kontaktpflege stehen in den meisten Einrichtungen des Betreuten Wohnens Gemeinschaftsräume zur Verfügung.
Da das Versorgungs- und Wohnangebot Betreutes Wohnen im Alter in Deutschland bisher nicht gesetzlich und damit allgemein verbindlich definiert wurde, hat man zur Orientierung eine so genannte Deutsche Industrie Norm (DIN 77800) für dieses Angebot kodifiziert.
Bei der Klientel des Betreuten Wohnens handelt es sich überwiegend um betagte und hoch betagte ledige bzw. verwitwete Frauen.
Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um eine empirische Erhebung über Aspekte der Lebenswelt älterer allein lebender Frauen mit dem Schwerpunkt eines Vergleiches Betreutes Wohnen und Wohnen in einem Privathaushalt in einer altersgemischten Nachbarschaft.
Inhalt
Im ersten theoretischen Teil der Untersuchung wird der bisherige Stand der Forschung bezüglich des Gegenstandsbereiches Lebenswelt älterer Menschen dargestellt, wobei die traditionellen Wohnmöglichkeiten wie das Leben im Altenheim oder in der Drei-Generationen-Familie ebenso wie neuere Wohnformen wie das Betreute Wohnen für diese Personengruppe eingehend beschrieben werden. Die Autorin unterscheidet hierbei altersheterogene und altershomogene Wohnumwelten und verweist auf den Forschungsstand, dass in modernen Gesellschaften des Westens die soziale Eingebundenheit eher in altershomogenen Umwelten realisiert werden kann, da in diesem Umfeld das Ausmaß an gegenseitiger Akzeptanz und sozialer Nähe aufgrund gemeinsamer generationsspezifischer Verhaltensweisen und Einstellungen höher liegt. In diesem Zusammenhang stellt sie auch den Forschungsstand über die Sozialbeziehungen älterer Menschen dar: die Beziehungen zu den Kindern, den anderen Verwandten, Freunden, Bekannten und Nachbarn und die Beziehungen zu Mitbewohnern in betreuten Wohnanlagen.
Im empirischen Teil der Arbeit werden die Ergebnisse der Befragung expliziert. 43 Frauen wurden befragt: Frauen aus betreuten Wohnanlagen (n = 16 mit Kindern, Durchschnittsalter 75 Jahre, n = 13 ohne lebende Kinder, Durchschnittsalter 77 Jahre) und allein lebende Frauen in Privathaushalten (n = 14 mit lebenden Kindern, Durchschnittsalter 78 Jahre). Im Mittelpunkt der Befragung standen u. a. die sozialen Beziehungen zu den Kindern, Angehörigen und Freunden. Aber auch nach der Teilnahme an Vereinstätigkeit und Altennachmittagen, der Partizipation an den Angeboten innerhalb der betreuten Wohnanlage und das Ausmaß der Beziehungen zu den Mitbewohnern wurde gefragt. Zusätzlich galt es einen Fragebogen zur Lebenszufriedenheit im höheren Lebensalter nach Kempe und Closs zu beantworten.
Die Ergebnisse der Befragungen bestätigten die bisherigen Untersuchungen zu diesem Themenbereich:
- im betreuten Wohnanlagen wurde eine höhere Lebenszufriedenheit festgestellt
- die soziale Eingebundenheit ist in betreuten Wohnanlagen höher
- die Kontakte zu Kindern, Verwandten und Freunden werden durch den Einzug ins Betreute Wohnen nicht beeinträchtigt.
Es zeigt sich somit, dass im höheren Lebensalter die räumliche Nähe zu Personen derselben Generation eine psychosoziale Stabilisierung bewirken kann, wenn die Prinzipien der Homogenität bezüglich sozialen Status und auch Familienstand Berücksichtigung finden.
Diskussion
Informationen zu Zeit, Ort und Anlass der Befragung fehlen in der Publikation, die für die Darstellung einer Untersuchung in der Regel von Bedeutung sind. So wird nicht bekannt gegeben, wo und wann die Befragung durchgeführt wurde. Und auch der Anlass der Untersuchung wird nicht preisgegeben: Handelt es sich um eine Qualifizierungsarbeit (Diplomarbeit, Dissertation u. a.) oder um eine Auftragsarbeit für einen Verband oder eine öffentliche Einrichtung? Und auch über die Autorin werden keine Hinweise über ihre berufliche Qualifikation und ihren Tätigkeitsschwerpunkt bekannt gegeben.
Fazit
Sieht man von dieser Zurückhaltung in der Darstellung eigentlich selbstverständlicher Daten einmal ab, so kann konstatiert werden, dass hier eine solide Erhebung vorliegt, die den Gegenstandsbereich der sozialen Beziehungen und der Lebenszufriedenheit älterer Frauen in betreuten Wohnanlagen angemessen erfasst und analysiert hat. Besonders hervorzuheben ist der Tatbestand, dass eine sehr fundierte Aufarbeitung des Standes der Forschung zu dieser Themenstellung geleistet wurde. An dieser vorliegenden Untersuchung kann man exemplarisch verdeutlichen, dass empirische Arbeiten nur dann eine wissenschaftliche Bedeutung erlangen können, wenn Fragestellung, Vorgehensweise, Analyse und Interpretation strikt im Rahmen des aktuellen Forschungsstandes entwickelt werden.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 14.05.2008 zu:
Margit Stein: Soziale Beziehungen und Lebenszufriedenheit im Alter in Abhängigkeit von der Lebenswelt. Ein Vergleich von Frauen aus Einrichtungen des betreuten Wohnens und von alleinlebenden Frauen. Shaker Verlag
(Aachen) 2007.
ISBN 978-3-8322-6254-9.
Reihe: Berichte aus der Pädagogik.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/5212.php, Datum des Zugriffs 10.10.2024.
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