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Andreas Lober: Fantasy-Reiche und Zukunfts-Ökonomie. SL & Co. Virtuelle Welten werden real

Rezensiert von Dr. Stefan Anderssohn, 26.11.2007

Cover Andreas Lober: Fantasy-Reiche und Zukunfts-Ökonomie. SL & Co. Virtuelle Welten werden real ISBN 978-3-936931-47-1

Andreas Lober: Fantasy-Reiche und Zukunfts-Ökonomie. SL & Co. Virtuelle Welten werden real. Heise Zeitschriften Verlag (Hannover) 2007. 168 Seiten. ISBN 978-3-936931-47-1. D: 16,00 EUR, A: 16,50 EUR, CH: 28,00 sFr.
Reihe: Telepolis.

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Thema

Wüssten Sie, was ein "Chinafarmer" ist? So viel sei verraten: kein asiatischer Landwirt. Sondern jemand, der berufsmäßig virtuelle Gegenstände in Online-Games erspielt, um sie für reales Geld weiter zu verkaufen. Alles das ist möglich im Internet.

Und spätestens seit seriöse Nachrichtenmagazine über das Chinafarmer-Phänomen in Fernost berichtet haben, ist vielen klar geworden, dass es sich - abgesehen von den haarsträubenden Arbeitsbedingungen - dabei um einen ganz lukrativen Wirtschaftszweig handelt.

Insofern trifft der Titel des Buches von Lober zu: Virtuelle Welten, in denen Spieler in die Rollen von Fantasiecharakteren schlüpfen, um Abenteuer zu bestreiten oder als relativ "lebensechte" Figuren soziale Kontakte mit anderen digitalen Identitäten pflegen, haben sich bereits jetzt zu realen Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens entwickelt. Nicht nur, was das Ökonomische angeht. Auch soziologische, psychologische und rechtliche Aspekte spielen hier mit hinein.

Dieser interessanten Thematik widmet Andreas Lober ein Buch und stellt damit auf anschauliche Weise eine Entwicklung dar, die sich für die meisten Leser/innen in dieser Vielfalt wohl selten so erschließt.

Autor

Dr. Andreas Lober, Jahrgang 1971, ist Rechtsanwalt und zurzeit bei einer großen Frankfurter Anwaltskanzlei beschäftigt. Neben einem seiner Tätigkeitsschwerpunkte, dem Internet-Recht, ist Lober auch als Chefredakteur eines Online-Spielemagazins tätig. Interviews und Artikel zum Thema Recht und virtuelle Welten sind vom Autor bei Spiegel Online und in der FAZ erschienen.

Gerechterweise sind jedoch an dieser Stelle auch die 12 Mitautorinnen und -autoren zu nennen, die den mengenmäßig größten Teil des Textes verfasst haben. Allen voran der Computerspielejournalist Tobias Schmitz mit sechs ganz unterschiedlichen Beiträgen.

Insofern liegt mit dieser Veröffentlichung eher ein Sammelband bzw. ein interdisziplinäres Gemeinschaftswerk vor, was aber nicht zum Nachteil gereicht.

Aufbau und Inhalt

Lober selbst schreibt in der so genannten "Leseanleitung" seines Buches, dass es aufgrund der Vielzahl von Mitautoren und Aspekte eher den Eindruck eines Kaleidoskops vermittle, das kaum von vorne bis hinten gelesen werde. Vielmehr geht der Autor davon aus, dass es zum Springen, ganz in Hypertext-Manier, einlade. Ich muss sagen, dass ich das Buch von vorne bis hinten mit Interesse gelesen habe. Das geht durchaus und fällt aufgrund der weitgehend kompatiblen Stile der Autoren auch leicht. Dazu kommt eine klare Struktur der Themen:

Das dritte Kapitel, "Geschichtliche Entwicklung", beginnt mit der Darstellung der historischen Entwicklung von MMORPGs seit 1970. MMORPGs, die "Massive Multiplayer Online Role-Playing Games" und die so genannten sozialen Welten sind die virtuellen Räume, um die es im Buch geht. Der Unterschied zwischen MMORPGs und den sozialen Welten ist im Grunde die Zielgerichtetheit der Online-Rollenspiele mit ihrem Abenteuercharakter, wohingegen in sozialen Welten wie Second Life die Offenheit im Vordergrund steht. Allerdings bilden MMORPGs den Schwerpunkt dieses Kapitels, zumal sie als Katalysatoren in der Entwicklung und Nutzung virtueller Welten fungiert haben.
Die Autoren Schmitz und Lober verstehen es dabei, einen Bogen herzustellen zwischen der Betrachtung spielerischer Eigenarten einerseits und den Firmen und ihren Motiven andererseits. Damit erden sie dieses exotische Thema und führen es auf das zurück, was es ja unbestreitbar auch ist: ein reales Geschäft.

Ferner werden Browser-Games behandelt und das Thema "Zeitbudget". Hier aber nicht mit dem ermahnenden Hinweis, dass im Allgemeinen zu viel und zu lange gespielt werde, sondern vom Marketing-Standpunkt aus: Nämlich wie selbst Spieler mit einem knappen Zeitbudget an ein für sie reizvolles Spiel gebunden werden können.
Ein Ausflug in die exzessive Online-Spiel-Kultur Südkoreas, außergewöhnliche "Geschäftsmodelle" virtueller Identitäten und die Darstellung unterschiedlicher sozialer Welten machen dieses Kapitel komplett.

Das vierte Kapitel "Faszination und Gefahr" beginnt mit einer Darstellung der literarischen Quellen zur Idee virtueller Welten. Dieser hoch interessante Ansatz macht nicht nur Lust aufs Lesen. Er zeigt auch die Interdependenzen zwischen dem Science-Fiction-Genre und den bereits realisierten virtuellen Welten.
Wenn das Thema "Faszination und Gefahr" lautet, dann kann man stark vermuten, dass hier auch die psychologischen Auswirkungen der Nutzung virtueller Welten diskutiert werden. Zwar ist der folgende Beitrag des Psychiaters und Medienpsychologen ter Wildt in der Sache, aber nicht in den Schlussfolgerungen vorhersehbar. Der Autor sieht die Problematik der so genannten pathologischen Internetnutzung nicht im Medium selbst begründet, sondern als Symptom anderer Störungen. Allerdings unter dem Vorbehalt weiterer technischer Entwicklungen, die der Autor ansatzweise zu skizzieren vermag.
Von einer Gefährdung ganz anderer Art berichtet Thomas Richter: Aus seiner Erfahrung als Online-Rollenspieler beschreibt er, wie Betrugsdelikte unter Spielern realisiert werden. Dabei geht es in der Regel um das Entwenden virtueller Gegenstände, das in der Regel nicht juristisch geahndet wird. Einerseits erschreckend, andererseits aber auch interessant zu sehen, wie Gutgläubigkeit und Lücken im System von manchen Menschen dreist ausgenutzt werden. Man ist fast versucht zu sagen: "Wie im richtigen Leben."
Eine Art Grenzgänger ist der Beitrag des Medienwissenschaftlers Wolf Siebert. Unter dem Titel "Grenzerfahrungen" setzt sich der Autor mit den wahrnehmungspsychologischen Fundamenten und technischen Spielarten der digitalen Welten auseinander. Der Autor erreicht dabei ein hohes philosophisches Abstraktionsniveau, ohne dabei abgehoben zu wirken.

Das fünfte Kapitel unter der Überschrift "Blick zurück nach vorn" besteht aus zwei ausführlichen Interviews, die Andreas Lober mit dem Schöpfer der ersten virtuellen Welt und dem Rechtsexperten der Betreiberfirma von Second Life geführt hat. Hier sprechen zwei Insider über die mögliche Weiterentwicklung virtueller Welten, insbesondere was Design, Kompatibilität, Rechtsverstöße und virtuelle Ökonomie betrifft.
Sollten Sie das Buch bis hierhin gelesen, aber noch nie eine virtuelle Welt betreten haben, macht das nichts. Sozusagen als Fotoalbum für alle "Daheimgebliebenen" werden sodann auf acht hochwertigen Farbdruckseiten Szenen aus gängigen Online-Rollenspielen und sozialen Welten wiedergegeben. Die Bilder ermöglichen einen abwechslungsreichen, rein optischen Vergleich der unterschiedlichen Systeme.

Im sechsten und letzten Kapitel setzen sich eine Reihe von Autorinnen und Autoren mit "Recht und Wirtschaft" in der virtuellen Welt auseinander. Dabei sind diese Themen keineswegs randständig. So ist es wichtig, beim Design virtueller Welten auch auf eine ausgewogene Ökonomie zu achten. Gerade dann, wenn es um den Zusammenhang von virtuellen und realen Zahlungsmitteln geht, etwa beim Erwerb virtueller Gegenstände (ein Wirtschaftszweig, der sich ganz real im Wachstum befindet) oder der Liquidierung angehäuften virtuellen Geldvermögens. Andersherum kann die Freiheit virtueller Welten auch ökonomische Zwänge und Gesetze außer Kraft setzten und neue soziale Gestaltungsspielräume schaffen. Virtualität als Grenzregion zwischen Realität und Fiktion erweist sich darüber hinaus aber auch unter juristischen Gesichtspunkten als spannendes Neuland, das in vier gehaltvollen Beiträgen unter den Aspekten Eigentumsrecht, Haftung und Strafrecht betrachtet wird. Es ist anzunehmen, dass die Rechtssprechung in Zukunft mit interessanten "virtuellen Fällen" auseinanderzusetzen hat.

Ein Glossar der wichtigsten Fachausdrücke beschließt das Buch. Was nach meiner Ansicht bei dieser speziellen Thematik auch sehr angebracht ist.

Zielgruppe

Die Veröffentlichung richtet sich an alle Leser/innen, die sich für die Hintergründe und die sozialen, rechtlichen und psychologischen Auswirkungen virtueller Welten des Internet interessieren. Ob sie nun versierte Spieler/innen sind oder diese Welten nur aus zweiter Hand kennen, ist dabei eher sekundär.

Diskussion

Ich habe das Buch mit Interesse gelesen. Nicht als Online-Spieler, sondern mit dem Blick für gesellschaftliche Entwicklungen. Die Autoren schaffen es, das Phänomen "virtuelle Welten" anschaulich und auf einem angemessenen Niveau darzustellen. Dabei atmet das Buch eine Authentizität, und man merkt es den Autoren überwiegend an, dass sie ihre Texte mit gewissem Herzblut, Praxiserfahrung und Detailverliebtheit verfasst haben. In der Vielfalt der Themen wirkt das Buch damit wie die Momentaufnahme eines lebendigen Prozesses: des Lebens in der virtuellen Welt.

Über eines muss man sich als Leser/in jedoch vorher im Klaren sein: Es geht hier nicht um das Für und Wider virtueller Welten, um wohl begründete Argumente, diese Entwicklung zu stoppen oder zu fördern. Dies kommt den Autoren scheinbar gar nicht in den Sinn und zeugt damit auf der anderen Seite auch von einem gewissen Selbstbewusstsein. Von daher möchte ich den einleitenden Worten von Andreas Lober durchaus recht geben: Egal, ob man diese Entwicklung aufmerksam mitverfolgt oder belächelt - man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass mit den virtuellen Welten eine neue Epoche der Mediennutzung beginnt, die viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beeinflussen wird.

Was ich mir deswegen gewünscht hätte, wäre eine systemkritischere Betrachtung des Phänomens der Virtualisierung überhaupt: So zum Beispiel in einer vertiefenden Betrachtung des Zusammenhangs von virtuell und real ausgeübter Gewalt. Zweitens in der Frage, ob und wie virtuelle Interaktionen die sozialen Kontakte und Freundeskreise wohl auf Dauer verändern werden.

Des Weiteren wäre für mich ein Einblick in das Potential virtueller Welten über den Aspekt des Spielens hinaus interessant gewesen: Zum Beispiel im Rahmen des E-Learnings: So haben bereits Universitäten Online-Dependenzen in Second Life eingerichtet. Oder: Wie könnte psychologische Online-Beratung und Coaching in so einer virtuellen Welt aussehen?

Insgesamt bietet das Buch aber einen fundierten, praxisbezogenen und leicht lesbaren Überblick über viele Facetten der Nutzung digitaler Welten. Lehrbuch will es nicht sein, doch ist es eine empfehlenswerte Ergänzung zu den theoretischen Lehrwerken über computervermittelte Interaktion.

Fazit

Diese Veröffentlichung leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die vielfältigen Auswirkungen virtueller Welten im Spannungsfeld technischer und gesellschaftlicher Entwicklungen wahrzunehmen und zu reflektieren.

Rezension von
Dr. Stefan Anderssohn
Sonderschullehrer an einer Internatsschule für Körperbehinderte. In der Aus- und Fortbildung tätig.
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Es gibt 47 Rezensionen von Stefan Anderssohn.

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Zitiervorschlag
Stefan Anderssohn. Rezension vom 26.11.2007 zu: Andreas Lober: Fantasy-Reiche und Zukunfts-Ökonomie. SL & Co. Virtuelle Welten werden real. Heise Zeitschriften Verlag (Hannover) 2007. ISBN 978-3-936931-47-1. Reihe: Telepolis. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/5237.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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