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Bettina Schmidt, Petra Kolip (Hrsg.): Gesundheitsförderung im aktivierenden Sozialstaat

Rezensiert von PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke, 03.03.2008

Cover Bettina Schmidt, Petra Kolip (Hrsg.): Gesundheitsförderung im aktivierenden Sozialstaat ISBN 978-3-7799-1567-6

Bettina Schmidt, Petra Kolip (Hrsg.): Gesundheitsförderung im aktivierenden Sozialstaat. Präventionskonzepte zwischen Public Health, Eigenverantwortung und Sozialer Arbeit. Juventa Verlag (Weinheim) 2007. 280 Seiten. ISBN 978-3-7799-1567-6. 24,00 EUR. CH: 42,10 sFr.
Reihe: Grundlagentexte Gesundheitswissenschaften.

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Herausgeberinnen

  • Dr. P. H. Bettina Schmidt ist Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Gesundheitsförderung, Gesundheitspolitik und Suchtprävention.
  • Dr. phil. Petra Kolip ist Professorin am Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften der Universität Bremen und geschäftsführende Direktorin des Instituts für Public Health und Pflegeforschung (IPP). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Präventionsforschung und Gender-Gesundheitsforschung.

Thema

Wenige Dokumente haben Gesundheitswissenschaften und Public Health wohl so nachhaltig geprägt wie die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung der WHO, die im November 1986 auf der First International Conference on Health Promotion "The Move Towards a New Public Health" in der namensgebenden kanadischen Hauptstadt beschlossen worden war. Mit ihren fünf Maßnahmenfeldern "Eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik entwickeln", "Gesund­heits­förderliche Lebenswelten schaffen", "Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen unter­stüt­zen", "Per­sön­liche Kompetenzen entwickeln" und "Die Gesundheitsdienste neuorientieren" war die Charta ein fast leidenschaftliches Plädoyer für mehr Intersektoralität, Verhältnisprävention, Partizipation und Gesundheitskompetenz (und damit Empowerment) sowie eine Priorisierung von primordialen vor primären vor sekundären vor tertiären Interventionen. Sie setzte damit auf der First International Conference on Primary Health Care in Alma Ata 1978 begonnene Entwicklungen fort und wurde in ihrem bahnbrechenden Charakter weder von Adelaide 1988, Sundsvall 1991, Jakarta 1997 und Mexico 2000 noch von Bangkok 2005 über­troffen, wie auch die Herausgeberinnen des vorliegenden Bandes konstatieren (S. 10).

Ein Spezifikum der Charta war wohl politisch gewollt: Sie enthält an keiner Stelle die Begriffe disease und sickness und nur an einer einzigen den Begriff illness: "Enabling people to learn throughout life, to prepare themselves for all of its stages and to cope with chronic illness and injuries is essential" (http://www.euro.who.int/AboutWHO/Policy/20010827_2 [Zugriff am 09.02.08]). Obwohl ich persönlich für diese Beschränkung aus historischen Gründen Verständnis habe, bin ich inzwischen der Ansicht, dass sie dazu beigetragen hat und beiträgt, den Ansatz der Charta aus krankheitsorientierten Disziplinen und Bereichen (z. B. der Medizin) systematisch (wiewohl ungewollt) herauszuhalten. An diesem Punkt folge ich persönlich vielmehr der Argumentation von Rolf Rosenbrock (z. B. Bundesgesundheitsblatt 2001; 44: 753-762), in der Krankheitsprävention (Senkung von Belastungen) und Gesundheitsförderung (Stärkung von Ressourcen) unter Primärprävention fallen (wiewohl m. E. die Unterscheidung von Belastungen ≈ Risikofaktoren und Ressourcen ≈ Schutzfaktoren ebenfalls nicht durchzuhalten ist, was aber noch eine andere Baustelle ist). Inwieweit dereinst eine tragfähige und verwendbare Definition von positiver Gesundheit vorgelegt werden wird, die die Rede von "Gesundheitsförderung" in der Tat sinnvoll machen würde, sprengt hier den Rahmen und sei daher offen gelassen.

Der von Bettina Schmidt und Petra Kolip herausgebende Band greift die Diskussion um die Ottawa-Charta nunmehr "vor dem Hintergrund der aktuellen Sozialstaatsentwicklung und der Umsteuerung im Gesundheitswesen" (S. 13) auf. Dieser Hintergrund wird u. a. so beschrieben: "Gesundheit wird in individualisierender Sichtweise betrachtet und es werden Systeme befördert, die auf Selbstverantwortung und privates Risikomanagement setzen" (S. 10f.). In diesem Zusammenhang soll der Band einen "umfassenden Überblick über den gegenwärtigen Kenntnisstand zur Gesundheitsförderung" (S. 13) geben, "zentrale Entwicklungslinien" (ebd.) aufzuzeigen, "theoretische und konzeptionelle Grundlagen" (ebd.) darstellen und "wirksame Methoden" (ebd.) beschreiben. Das erkenntnisleitende Interesse wird dabei explizit benannt: "Der Auszehrung des Gesundheitswesens und der Aushöhlung der Gesundheitsförderung gilt es energisch entgegenzutreten, das vorliegende Werk soll hierzu einen Beitrag leisten" (ebd.).

Aufbau …

Der Band gliedert sich drei Kapitel

  1. "Gesundheitsförderung - Der konzeptionelle Anspruch",
  2. "Die präventive Wirklichkeit" und
  3. "Gesundheitsförderung - Soziale Inklusion wider das gesundheitliche Dilemma")

mit insgesamt 18 Beiträgen.

… und Inhalt

  • Die Herausgeberinnen führen unter dem Titel "Gesundheit fordern - oder fördern?" in das Thema ein und geben einen Überblick über die weiteren Beiträge.
  • Kordula Marzinzik gibt einige Einblicke in die epidemiologische Datenlage in Deutschland, wobei sie als Schwerpunkte die Bereiche Lebenserwartung, Todesursachen und Risikofaktoren sowie Soziale Lage und Gesundheit behandelt.
  • Thomas Altgeld und Petra Kolip nehmen den Faden der Ottawa-Charta wieder auf und erörtern die sich aus heute ihr ergebenden Herausforderungen für wirksame Gesundheitsförderung, wobei sie in ihrem Ausblick speziell auf die Adressierung schwer erreichbarer Zielgruppen, Geschlechtergerechtigkeit, Sozialraumorientierung und Integration verschiedener Gesundheitsförderung und Präventionsaktivitäten sowie Fragen von Messbarkeit und Wirksamkeitsnachweis eingehen.
  • Wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven kommen im Beitrag von Dieter Ahrens zum Tragen, der die Probleme von Ökonomisierung und Gesundheitsförderung ausgehend von einer Kapitalismuskritik des US-Ökonomen John Kenneth Galbraith diskutiert.
  • Das erste Kapitel abschließend stellt Norbert Schmacke die Evaluation von Gesundheitsförderung als "Mission Impossible?" (man beachte das Fragezeichen) dar, wobei er im Nachwort eine "nahezu unmögliche Aufgabe" (S. 65; meine Hervorhebung) konstatiert - allerdings nicht aufgrund spezifischer Methodenprobleme, sondern ihrer Stellung im gesellschaftlichen Raum.
  • Heinz-Jürgen Dahme und Norbert Wohlfahrt skizzieren kritisch die aktivierende und sozialinvestive Sozial- und Gesundheitspolitik seit der zweiten Legislaturperiode der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder als Ausdruck eines neuen Sozialstaatsverständnisses, das zwar auf Eigenverantwortung und bürgerschaftliches Engagement setze - jedoch im Grunde eine "emanzipatorische Semantik" (S. 77) darstelle, die nur auf den ersten Blick anschlussfähig an die Ottawa-Charta sei (auch da Gesundheitspolitik nicht länger bedarfsgerechter Versorgung als Maxime folge, sondern vor allem langfristigen Entlastungseffekten für staatliches Engagement).
  • In den nächsten zwei Kapiteln konstatiert und beschreibt Bettina Schmidt den gesellschaftspolitischen Dreischritt "Von der Gesundheitsförderung zur Gesundheitsforderung" und "Von der Gesundheitsforderung zur Selbstoptimierung". Angesichts der Mythen vom unbezahlbaren Gesundheitswesen und von der Überversorgung mit unnötigen Leistungen sowie den damit assoziierten Schuldzuweisungen und gesundheitspolitischen Strategien bestehe die Gefahr, dass "nicht die Anzahl der eigenverantwortlichen selbstermächtigten Subjekte, sondern die Zahl fremdbestimmter überforderter Objekte zunimmt" (S. 91).
  • Dabei sei diese Überforderung auch dadurch bedingt, dass gerade für Menschen mit geringen Lebenschancen der Weg vom gesundheitsrelevanten Sollen über das Wollen zum Können vielfach steinig, wenn nicht gar versperrt sei, was über soziale Distinktion zur Selektion und Exklusion führe.
  • Uwe H. Bittlingmayer und Ullrich Bauer diskutieren die These der Individualisierung gesellschaftlicher Verhältnisse und ihrer Public Health-Adaption vor dem Hintergrund der Milieutheorie von Pierre Bourdieu und ziehen Schlussfolgerungen für die Praxis der Gesundheitsförderung.
  • Alf Trojan geht unter dem Stichwort Medikalisierung der Pathologisierung verbreiteter Probleme, Kommerzialisierung des Medizinbetriebs, Individualisierung von Risiken und Privatisierung von Präventionskosten nach, wobei er auch auf die Unterscheidung von Bevölkerungs- und Hochrisikostrategie von Sir Geoffrey Rose Bezug nimmt.
  • Dieses Kapitel abschließend beleuchtet Michael Buestrich Gesundheitsförderung im Zusammenhang mit Arbeit(slosigkeit) und prekärer Beschäftigung.

Die Beiträge des letzten Kapitels widmen sich möglichen (Aus-)Wegen aus der Situation sozial ungerecht bewerteter Verteilung von Krankheitslast und dem "gesundheitlichen Dilemma des diametral entgegenlaufenden gesundheitlichen Bedarfs und Angebots in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen", wie es die Herausgeberinnen formulieren (S. 17).

  • Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Verknüpfung von Gesundheitswissenschaften und Sozialer Arbeit, wie schon der einführende Beitrag von Dieter Ahrens und Kordula Marzinzik,
  • der Beitrag von Hans Günther Homfeldt und Sandra Steigleder zu Gestaltungsmöglichkeiten von Sozialer Arbeit zwischen aktivierendem Sozialstaat und zivilgesellschaftlicher Entwicklung sowie
  • der Beitrag von Günter Zurhorst zur Klinischen Sozialarbeit als Instrument zur Reduktion gesundheitlicher Ungleichheit im Gesundheitswesen zeigen.
  • Danach erweitert Raimund Geene die Perspektive um Möglichkeiten der Soziallagen- und Sozialraumorientierung (Stichwort Setting-Ansatz) sowie
  • Kordula Marzinzik um "parteiliches Case-Management", bezüglich dessen sie vor allem auf Erleichterungen des Zugangs zu Versorgungsleistungen, dezidiert dialogische Planung von Zielen und Wegen im Rahmen von Beratungen und die Professionalisierung anwaltschaftlichen Handelns eingeht.
  • Im vorletzten Beitrag nimmt Suitbert Cechura ausführlich den "Empowerment"-Begriff auf, wobei er ihn nicht als zentrales Konzept der Gesundheitsförderungsbewegung, sondern eigenständigen Ansatz einführt. Seine Kernargumente sind wohl, dass die "(Wieder-)Entdeckung des selbstverantwortlichen Individuums" (S. 211) letztlich den Blick auf die Grundursachen von Krankheit (also im Sinne der Ursachen von Ursachen, z. B. die Ursache von Armut als der Ursache von Krankheit) verstelle und sie sich durch eine (mein Begriff) unangemessene Psychologisierung auszeichne (z. B. durch die salutogenetische Diktion des Kohärenzsinns, die wenig danach frage, ob die Welt kohärent sei).
  • Schließlich überträgt Ernst-Ulrich Huster den insbesondere aus der Gender-Forschung bekannten Gedanken des Mainstreaming auf den Gesundheitsbereich und fordert, durch "Gesundheitsmainstreaming" als "gesellschaftspolitisches Frühwarnsystem" (S. 224) Gefährdungen im sozialen Produktions- und Dienstleistungsprozess sowie Optionen zu identifizieren, wie "im Zusammenspiel aller Akteure sozial bedingte Selektionsfilter auf allen Stufen des Gesundheitswesens minimiert werden" können (S. 222f.).

Diskussion

Formal ist der Band textdominiert (keine Tabellen, zwei Abbildungen) und folgt im Übrigen den Vorgaben der Verlagsreihe. Wie die Herausgeberinnen stammen auch die meisten anderen Autoren in ihrer Hauptanbindung entweder aus dem Universitäts- oder aus dem Fachhochschulbereich, ergänzt durch zwei Autoren, die vor allem im Praxisbereich verortet sind (Altgeld von der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e. V. und Akademie für Sozialmedizin Hannover e. V. sowie Geene vom Gesundheit Berlin e. V.). Damit stellt der Band eine beachtenswerte Kooperation von Bereichen dar, deren Know-how ja nicht immer in solcherlei integrierten und integrierenden Art und Weise zusammengeführt wird.

Inhaltlich ist der Band geprägt von dem bereits oben erwähnten Erkenntnis leitenden Interesse (also wider Auszehrung des Gesundheitswesens und Aushöhlung der Gesundheitsförderung); für in der Gesundheitspsychologie bewanderte Leser mag der Hinweis instruktiv sein, dass sich viele der Beiträge in Ansatz und Diktion ähnlich lesen wie manche Texte der critical health psychology. Gesundheitliche Ungleichheit nach sozialen Kriterien und die damit verbundenen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Friktionen und Dilemmata werden ausführlich und unter verschiedenen Blickwinkeln beschrieben, analysiert und angeprangert; zentrale Stichworte sind Individualisierung, Ökonomisierung, Medikalisierung und die Forderung nach (vs. Förderung von) Gesundheit vor allem seitens (sozial-)staatlicher Präventionsakteure. Es ist ein Band wider den Status quo und die Gewöhnung an ihn, in dem kompetent und engagiert Argumentationen gegen den Abbau öffentlicher Zuständigkeiten für Gesundheit kompiliert werden. Ich möchte allerdings meinen Eindruck nicht verhehlen, dass dabei zuweilen doch über das Ziel hinaus geschossen wird, und dies an zwei Beispielen verdeutlichen.

  1. So spricht Schmidt von "intrinsischer Gesundheitsmotivation" als einem "unsichtbaren Disziplinierungsinstrument, mit dem soziale Kontrolle ausgeübt werden kann für einen gesellschaftskonformen sozialverträglichen und marktförmigen Lebensstil" (S. 97). Das finde ich allerdings nun doch ein starkes Stück! Hier wird vor allem denen, die zwei Probleme haben - ungünstige soziale und sozioökonomische Verhältnisse und Defizite in ihrer intrinsischen Gesundheitsmotivation - schlicht ein Bereich ihrer spezifischen und prekären psychosozialen Lage per Umdeutung als quasi ferngesteuerte psychische Realität wegdefiniert. Dies finde ich zutiefst fragwürdig, denn: bei aller Abhängigkeit des Menschen von seiner sozialen Umwelt ist er nichtsdestotrotz in existenzieller Weise für sich und sich selbst verantwortlich - und dies ist eine Verantwortung, die ihm nicht abgenommen werden kann, und die sich meiner festen Überzeugung nach auch niemand grundsätzlich abnehmen lassen möchte. Mit anderen, einen bekannten WHO-Slogan paraphrasierenden Worten: Health policy should make the healthier choice the easier choice - but the choice has to be made! Ich denke, dass es in diesem Zusammenhang Ziel führend wäre, das Verhältnis von Verhältnis- und Verhaltensprävention hinreichend komplex zu konzipieren, genauer gesagt zwischen ihren "Reinformen" vs. verhaltensbasierter Verhältnisprävention vs. verhältnisbasierter Verhaltensprävention zu unterscheiden. Wenn auch sprachlich etwas sperrig, sind diese Unterscheidungen aus meiner Sicht aus zwei Gründen zentral. Zum Einen helfen sie, reduktionistische Varianten von Verhaltensprävention zu vermeiden, die ohne Änderung von Verhältnissen auskommen möchten, und zum Anderen immunisieren sie gegen Diskreditierungen von Verhaltensprävention, die nicht danach fragen, ob gesundes Verhalten dabei zumindest nicht auch durch die Änderung von Verhältnissen zu erreichen versucht wird (Näheres s. von Lengerke T, Manz R. Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung: Klassifikationen und eine dimensionale Systematik. In: T. von Lengerke, Hrsg. Public Health-Psychologie: Individuum und Bevölkerung zwischen Verhältnissen und Verhalten. Weinheim: Juventa; 2007. p. 19-31).
  2. Das zweite Beispiel bezieht sich auf den Beitrag von Bittlingmayer und Bauer, die auf S. 105 den Abschnitt mit dem Titel "Prävention zur Mündigkeit?" mit der Gleichsetzung "Prävention ist Individualvorbeugung…" beginnen. Nein, eben nicht (nur), sondern vor allem im Sinne von Public(!) Health "Bevölkerungsvorbeugung", und der Punkt ist, dass die Ursachen von Fällen andere sein können als die Ursachen von Inzidenzen, wie Sharon Schwartz und Ana V. Diez-Roux so überzeugend argumentiert haben (Schwartz S, Diez-Roux AV. Causes of incidence and causes of cases - a Durkheimian perspective on Rose. Int J Epidemiol 2001;30:435-439). Und da (un)gesunde Verhaltensweisen nicht nur Merkmale von Individuen, sondern auch von Populationen sind (nämlich im Sinne von Verhaltensinzidenzen und -prävalenzen), trifft das Argument, die These der Individualisierung von gesellschaftlichen Verhältnissen habe in die Gesundheitswissenschaften und dort insbesondere in die verhaltensorientierten Ansätze in unterkomplexer Form Eingang gefunden, auch nicht den "Ansatz Verhaltensprävention". Viel eher trifft sie aus meiner Sicht die epidemische Konfundierung der beiden Dimensionen "Individuum - Bevölkerung" und "Verhalten - Verhältnisse", an der die Gesundheitswissenschaften m. E. mindestens ebenso stark kranken wie an "reiner" Verhaltensprävention ohne Bezug auf Verhältnisse.

Fazit

Es ist dies aus meiner Sicht ein den (Sozial-)Staat forderndes und das Nachdenken über ihn förderndes Buch. Mich hat es von meiner kritischen Haltung gegenüber dem Begriff der "Gesundheitsförderung" nicht kuriert, die allerdings im Vergleich zu den ebenfalls durchaus kritischen Beiträgen in diesem Band ohnehin eher am Begriff der "Gesundheit" ansetzt und weniger an der (vermeintlichen oder realen) Fokussierung auf "reine" Verhaltensprävention. Obschon ich mir zuweilen eine gewisse Systematisierung der Argumentationen im Sinne des Konzepts der "verhältnispräventiven Verhaltensprävention" (und umgekehrt) gewünscht hätte, ist das Buch jedem zu empfehlen, der das eigene kritische Denken zur gegenwärtigen Gesundheits- und Sozialpolitik und -praxis schärfen und/oder auffrischen will!

Rezension von
PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke
Stv. Leiter der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie der Medizinischen Hochschule Hannover
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Es gibt 13 Rezensionen von Thomas von Lengerke.

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ISSN 2190-9245