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Benno Biermann: Soziologische Grundlagen der Sozialen Arbeit

Rezensiert von Gesa Bertels, 22.10.2007

Cover Benno Biermann: Soziologische Grundlagen der Sozialen Arbeit ISBN 978-3-8252-2879-8

Benno Biermann: Soziologische Grundlagen der Sozialen Arbeit. UTB (Stuttgart) 2007. 222 Seiten. ISBN 978-3-8252-2879-8. D: 16,90 EUR, A: 17,40 EUR, CH: 30,10 sFr.
Reihe: UTB M (Medium-Format).

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Thema

Die Positionierung der Soziologie und der Sozialen Arbeit zueinander hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verschoben. Die Soziologie ist längst kein Grundlagenfach der Sozialen Arbeit mehr, weshalb der Titel der Neuerscheinung von Benno Biermann, "Soziologische Grundlagen der Sozialen Arbeit" etwas irreführend sein kann. Dabei ist der Grundgedanke des Autors, nicht die Soziale Arbeit an die Soziologie, sondern vielmehr die Soziologie an die Soziale Arbeit heranzuführen (S. 197), sicherlich begrüßenswert. Will die Soziologie im Kontext des Studiums von angehenden Sozialarbeitern und -pädagogen nicht zur bloßen "akademischen Pflichtübung" (S. 9) verkommen, so erscheint ein Verständnis der beiden Disziplinen als gleichberechtigte Referenzwissenschaften, die gegenseitig von einander profitieren, sich befruchten oder auch kritisch hinterfragen können, notwendig und sinnvoll zu sein.

Den Beitrag, den die Soziologie für die Soziale Arbeit zu leisten vermag, sieht Biermann insbesondere darin, die Reflexion des sozialarbeiterischen beruflichen Handelns mit dem soziologischen Blickwinkel um eine wichtige Perspektive zu ergänzen, um so eine Steigerung der professionellen Selbstkontrolle zu erreichen. Diese Annahme macht bereits deutlich, wer bei Biermann im Fokus der soziologischen Betrachtung steht: nicht etwa die Klienten oder die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern die Sozialarbeiter selbst. Beim Lesen seines Buches stößt man wiederholt auf diese Perspektive.

Autor

Der Autor, Prof. Dr. Benno Biermann, Diplom-Volkswirt, Dr. sc. pol., war von 1972 bis 2004 Professor für Soziologie am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster. Im selben Verlag ist von ihm erschienen: "Soziologie. Studienbuch für soziale Berufe" (5. Aufl. 2006).

Zum Inhalt

  1. Im ersten Kapitel werden zentrale Begrifflichkeiten wie Soziales Handeln, Soziale Arbeit und Soziologie auf der Grundlage von Weber, Durkheim und auch Parsons definiert und voneinander abgegrenzt. "Soziales Handeln", verstanden als Handeln, dass sich an anderen orientiert, wird dabei als eine Kombination der beiden Handlungsformen Hilfe und Erziehung typologisiert.
  2. In einem zweiten Abschnitt wird das begriffliche Gegensatzpaar Konformität und Abweichung eingeführt, indem Werte und Normen, sowie soziale Kontrollmechanismen und Sanktionen erklärt werden und ein kurzer Einblick in die Theorien abweichenden Verhaltens gegeben wird.
  3. Das dritte Kapitel widmet sich der Rollentheorie. Soziales Handeln findet demnach in sozialen Strukturen statt, die Position und Status der Handelnden beeinflussen. Dabei hat eine Person in der Regel mehrere Rollen zugleich inne, und ist gleichzeitig in mehreren Rollengefügen bzw. Institutionen positioniert, wodurch es zu unterschiedlichen Konflikten kommen kann. Beim kompetenten Umgang mit diesen Konflikten helfen zum einen die Fähigkeit zur Rollendistanz sowie das Erkennen von Rollenambivalenzen.
  4. Im vierten Kapitel geht der Autor auf die Professionalisierung der Sozialen Arbeit ein, die mit einer zunehmenden Verwissenschaftlichung einherging. Diese Professionalisierung verlangt einerseits die Bereitschaft, sich mit Theorien auseinanderzusetzen, aber auch das grundlegende Verständnis, was Theorien, Hypothesen, Definitionen und Taxonomien voneinander unterscheidet, um angemessen mit ihnen umgehen zu können. Hinzu kommt die Fähigkeit, wissenschaftliche Aussagen und persönliche Wertüberzeugungen als solche zu trennen und entsprechend zu kennzeichnen. Anhand des Hempel-Oppenheim-Schemas wird der Zusammenhang von Erklärungen und Prognosen erläutert, und auch auf das Technologiedefizit im Sozialwesen hingewiesen.
  5. Im sich anschließenden fünften Kapitel, einem der kürzesten, wird im Sinne von Max Weber nach legitimen und illegitimen sozialen Einflüssen, d.h. nach Entstehungsformen und Auswirkungen von Macht und Autorität in Hilfeprozessen gefragt.
  6. Im folgenden sechsten Abschnitt wird der Fokus noch stärker auf soziale Gruppen und Organisationen, insbesondere auf die Teamarbeit in sozialen Einrichtungen gelegt. Dazu werden soziale Gruppen und Organisationen zunächst definiert, die Netzwerke sozialer Positionen auf den vier Strukturebenen der Aufgaben- und Arbeitsteilung, Autorität, Kommunikation und Emotionalität betrachtet, und auf ihre Vorteile sowie auf persönliche und strukturelle Bedingungen eingegangen.
  7. Im siebten Kapitel rückt das Gesellschaftsbild der Sozialen Arbeit in den Blick. Klassische Konzepte sozialer Ungleichheit werden vorgestellt, ein Einblick in die Milieu-Forschung (Sinus-Studien, Habitus-Konzept nach Bourdieu) gegeben, der Armutsbegriff als Ressourcenkonzept oder Lebenslagenansatz diskutiert und der Begriff der Statusdiskrepanz an mehren Beispielen erläutert. In einer Art Ausblick wird abschließend auf mögliche Zusammenhänge von sozialer Arbeit und soziologischer Theorie eingegangen.

Zielgruppe

Als Zielgruppen des Buches benennt der Verlag Studierende der Sozialen Arbeit, Sozialpädagogik und verwandter Studiengänge des Sozialwesens, insb. Bachelor- und Diplomstudiengängen an Fachhochschulen sowie Lehrende in den gleichen Studiengängen. Zutreffender ist die Aussage des Autors selber, dass eine Einführung in die Soziologie ihren Platz am ehesten in einem berufsqualifizierenden Bachelor-Studiengang habe (S. 10).

Fazit

In der Gesamtschau betrachtet liegt die Stärke des Buchs sicher in seiner Verständlichkeit. Biermann gelingt, was jedes gute "Lehrbuch", das sich dieses Etikett verdienen will, einlösen sollte. Einem einführenden Grundlagentext angemessen erscheinen zum einen die mehrheitlich anschaulichen Darstellungen, insbesondere aber die gut verständliche Sprache, die zudem auf die konsequente Erklärung von Fremd- und Fachwörtern achtet (Bsp.: "In der Wissenschaft werden die Wörter, in denen die Begriffe ausgedrückt werden, auch 'Termini' (Einzahl 'Terminus') genannt, und ein System von wissenschaftlichen Ausdrücken heißt 'Terminologie'."). Durch die Vielfalt der Themen und soziologischen Schlüsselbegriffe, die angesprochen werden, entsteht ein sehr umfassender Eindruck. Jedoch bleibt durch diese Vielfältigkeit zugleich auch einiges thematisch an der Oberfläche und manche Begrifflichkeiten in ihrer Verkürzung unscharf. Die Anordnung der Kapitel erscheint teils etwas wahllos (insbesondere die Positionierung des vierten Kapitels). Positiv hervorzuheben ist aber, dass Biermann seine Aussage, die Grundbegriffe der soziologischen Theorie könnten als Hypothesen und Fragen an das reale und soziale Leben verstanden und verwendet werden (S. 70), in seiner Veröffentlichung auch selbst konsequent anwendet. So wird z.B. das Rollenkonzept als Beobachtungsraster für die sozialarbeiterische Berufsrolle genutzt (S. 71), oder auch die Funktion und Stellung sozialer Berufe im System sozialer Ungleichheit angesprochen (S. 172ff.). Diese Anwendung der Soziologie als Reflexionsebene für die Ausbildung und Praxis Sozialer Arbeit findet sich in allen Kapiteln seiner Einführung wieder. Sie verdeutlicht in Ansätzen die Anschlussfähigkeit der Soziologie an die Soziale Arbeit sowie den wertvollen Nutzen, der daraus gezogen werden kann, wenn die Möglichkeiten nutzbarer Synergieeffekte auch sicherlich noch weit über die hier angesprochenen hinausgehen.

Rezension von
Gesa Bertels
Soziologin (M.A.) und Diplom-Sozialpädagogin (FH), wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut (DJI), München
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Es gibt 19 Rezensionen von Gesa Bertels.

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Zitiervorschlag
Gesa Bertels. Rezension vom 22.10.2007 zu: Benno Biermann: Soziologische Grundlagen der Sozialen Arbeit. UTB (Stuttgart) 2007. ISBN 978-3-8252-2879-8. Reihe: UTB M (Medium-Format). In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/5284.php, Datum des Zugriffs 05.11.2024.


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