Jochen Krautz: Ware Bildung. Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie
Rezensiert von Prof. Dr. Dirk Plickat, 23.10.2007

Jochen Krautz: Ware Bildung. Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie.
Hugendubel
(8280 Kreuzlingen) 2007.
192 Seiten.
ISBN 978-3-7205-3015-6.
D: 19,95 EUR,
A: 20,60 EUR,
CH: 36,00 sFr.
Reihe: Diederichs.
Eine Streitschrift
Jochen Krautz (Jg. 1966, als promovierter Kunstpädagoge an der Bergischen Universität Wuppertal tätig und Mitglied im Forum Kritische Pädagogik) hat eine ausgesprochen provokante und zugleich im pädagogischen Sinne unterhaltende Streitschrift gegen den laufenden neoliberalen Umbau des Bildungssystems vorgelegt. Entschieden wird eine Rückbesinnung auf die demokratische Bildungsidee eingefordert und hierfür der dogmatische Mainstream aktueller ökonomisch-utulitaristischer Ideologien und Strategien einer Vivisektion unterzogen. Häretischen Traditionen des Humanismus und der Aufklärung folgend, schreibt Jochen Krautz so klar, verständlich und in vielen Passagen auch kurzweilig, dass die Lektüre seines Reiseberichtes durch die neoliberale Bildungsmoderne für pädagogisches Fachpublikum ebenso wie für interessierte Laien selbst noch nach aufreibenden Tagesgeschäften möglich ist. Wie jede Streitschrift, so zeigt diese Darstellung ohne Zweifel stärkere und schwächere Passagen. Letztlich sind es wohl aber eben auch diese Brüche mit ihren anklingenden Idealismen, welche die Lektüre lohnend machen, da sie zum kritischen Nachdenken anregen und Vergewisserungen abfordern. Eine "runde" Abhandlung kann nicht dazu anstiften, was Absicht ist, ein öffentlicher und verständlicher Diskurs mit Folgenabschätzungen der Ökonomisierung von Bildung. Dies beinhaltet Rückbesinnungen auf die Verletzlichkeit von Pädagogik, menschliche Nähe, Wahrhaftigkeit, die Grenzen von Schule, von Erziehung und Bildung sowie die Schutzverantwortung des Staates als Grundlage einer zivilgesellschaftlichen Bürgschaft, damit ein Verbürgen aller für die demokratische Entwicklung zumindest in Ansätzen gelingen kann.
Inhalt
In leicht nachvollziehbaren sowie mit Beispielen veranschaulichten Schritten führt dieser pädagogische Reisebericht, mit Zügen Jean Paulschen Humors, durch die Landschaft der Gewächse, Klone und Auswüchse neoliberaler Reformen. Artengrenzen sind in den neuen Schöpfungen längst übersprungen. Deutlich arbeitet Jochen Krautz seine Position heraus, nach der das globale Monopoly im Bildungswesen demokratische Gestaltungsräume beschneidet, in seiner Substanz aus kaum mehr als propagandistischen Chiffren, Charaden und Moriskentänzen zu bestehen scheint, sich auf neue Formen einer inquisitorischen Allianz stützt sowie letztlich für die Mehrheit der Bevölkerung nur Folgekosten und neue Abhängigkeiten statt sozialer und ökonomischer Selbstbestimmungsfähigkeit bietet.
Als Orientierungshilfe zur Einschätzung der Streitschrift von Jochen Krautz sei hier ein klimatisches Stimmungskolorit jüngerer deutscher Bildungsgeschichte gewagt. Mit der Durchsetzung neoliberaler Politik im Bildungswesen ging eine Phase der Sprachlosigkeit sog. kritischer Konzepte einher. Manche der "alten" Kritiker wechselten, wohl nicht nur altersbedingt, in einen schweigenden Ruhestand, andere zeigten sich gegenüber der vorher von ihnen vehement befehdeten sog. "kapitalistischer Ausbeutung" ausgesprochen moderat, wieder andere vorausschauende Mahner sahen sich überrollt und schließlich bleibt zu vermerken, dass sich eben auch kritische Geister nicht selten für Verlockungen empfänglich zeigen. Es schien, als sei in neoliberalen Zeiten kein Platz mehr kritische Reflexivität, als böten die modern times keinen Raum für die alte Frage um die menschliche Dimension gesellschaftlicher Entwicklung, obwohl sich die Auseinandersetzung um diese Kardinalprobleme vorher scheinbar zu einem Markenzeichen des akademischen Diskurses in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften entwickelt hatte. Und da schon von den etablierten "Alten" kaum noch eine hörbare Kritik an der Ökonomisierung von Bildung zu vernehmen war, trauten sich in einem Klima der Angst und der Unsicherheit akademischer Arbeitsplätze bislang nur wenige der Jüngeren ihre Fragen und Zweifel offen auszusprechen. Heinrich Heines Bonmot, nachdem die Deutschen, das Denken gern den Denkmälern überlassen, weist heute gewisse Passungen zur neuen Monumentalarchitektur neoliberaler Bildungsfassaden auf. Hinter vorgehaltener Hand wird in Kreisen des pädagogischen Nachwuchses zwar schon länger über die Schuldenfalle Studiengebühren, Arbeitsverdichtung, verordnetes Mimikry und Entdemokratisierung geklagt, von Propaganda, inquisitorischen Zügen sowie dogmatischen Inszenierungen mit Heischethemen gemunkelt und davon berichtet, wie schnell kritische Äußerungen gegenüber dem aktuellen Leittrend junge pädagogische und akademische Karrieren vorzeitig beenden können. Eine zweite Welle des Rückzuges in die Privatsphäre (Habermas) kennzeichnete die kritische Auseinandersetzung mit deutscher Schul- und Hochschulpolitik, da nach TIMSS und PISA funktionale Optimierungsstrategien die Bildungsdebatten dominierten. Fragen, beispielsweise zur historischen und aktuellen Bedeutung der Universität für die demokratische Entwicklung in Deutschland, blieben kleinen Zirkeln der pädagogischen Professionsforschung sowie sog. "Sozialromantikern" und "übrig gebliebenen Alt-Linken" vorbehalten, die sich, so die typischen Vorhaltungen, "praxisfern" nur an den Auswüchsen abarbeiten würden, die zwangsläufig mit jedem gesellschaftlichen Umbau einhergingen. Nicht wenige der jüngeren und älteren Kolleginnen und Kollegen, denen zumindest einige Züge dieses Stimmungsbildes vertraut scheinen, dürften in der Streitschrift von Jochen Krautz Stoffe und Anlässe für notwendige, aber bisher zu oft ausgesetzte Diskussionen finden. Angesichts der weit reichenden und facettenreich illustrierten Vorhaltungen gegenüber den politischen und ökonomischen Akteuren werden konfrontative Reaktionen sicherlich zu erwarten sein. Auch wenn über die Reaktion gegenwärtig nur spekuliert werden kann, und die Streitschrift mit ihrer Ausrichtung und der Auswahl ihrer Belege zum insistierenden Nachfassen provoziert, ein Recycling "alt-linken" Gedankengutes wird dem Verfasser nicht vorzuhalten sein.
Ebenso wie in ihrer Sprache so ist auch der Aufbau der Studie klar und leicht verständlich. Lateinische Einschübe, mit denen sich der Verfasser zu Traditionen des humanistischen und aufgeklärten Abendlandes bekennt, sind sämtlich übersetzt und kontextuell eingebettet. Ausgangspunkt ist eine rückbesinnende Klärung des Bildungsbegriffs und der Funktionen von Schule und Hochschule mit Anlehnungen an die Klassik, besonders Humboldt, die durch ihre Unbequemlichkeit und durch politisch opportunere Verkürzungen historisch mehrfache Entwertungen erfuhr. Eben dieser Verfall mit der inflationären Trivialisierung der Ideen von Humanismus, Aufklärung und Menschwerdung wird als ursächlich für die weitläufigen Erosionen in der Interdependenz von Erziehung und Bildung benannt und kennzeichnet nach Jochen Krautz eine angeschlagene und wenig ertragreiche Bildungslandschaft, in der Populismen und Pädagogenschelte von Brigaden konzeptionsloser Politiker aller Parteien vorangetrieben und mit einer Demontage demokratischer Grundprinzipien nach ökonomischen Diktat einhergehen. In den folgenden, ausgesprochen unterhaltsam, weil eben nicht ausgewogen geschriebenen Abschnitten werden "PISA und andere Katastrophen" sowie "Schlagworte und Blindgänger der Bildungsökonomie" an- und durch gelegentliche Verkürzungen auch erregend verhandelt, bevor "Bildung als Ware" eingehender problematisiert, "Die Bildungsverkäufer: Von Bertelsmann bis WTO" als Akteure ausgewiesen und im "Ausblick: Was tun?" Ansätze einer demokratischen Bildungsstrategie benannt werden. Als pikantes Detail sei angemerkt, dass Auslieferung und Kontenführung im Vertrieb dieser Streitschrift durch eben die Konzerngruppe erfolgt, die im Zentrum der Kritik steht. Geld stinkt nicht, würde wohl Jochen Krautz hierzu mit Bezug zum lateinischen Original anmerken, evtl. sogar mit einem mehrdeutigen Hinweis auf die Ökonomisierung unverzichtbarer öffentlicher Bedürfnisse in einer Republik.
Rezension von
Prof. Dr. Dirk Plickat
Ostfalia, Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbuettel, Campus Suderburg, Fakultät Handel und Soziale Arbeit, Forschungs- und Lehrfeld: Bildung und Beschäftigung. Nach langjähriger pädagogischer Praxis in Jugendhilfe und Schule als Erziehungswissenschaftler in Hochschule in Schnittfeldern von Schule, Kinder- und Jugendhilfe sowie beruflicher Bildung (auch historisch und vergleichend) tätig
Website
Mailformular
Es gibt 31 Rezensionen von Dirk Plickat.