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Stephan Stomporowski: "Pädagogik im Zwischenraum" (Berufsbildung)

Rezensiert von Prof. Dr. Dirk Plickat, 12.05.2008

Cover Stephan Stomporowski: "Pädagogik im Zwischenraum" (Berufsbildung) ISBN 978-3-933436-84-9

Stephan Stomporowski: "Pädagogik im Zwischenraum". Acht Studien zur beruflichen Bildung Benachteiligter an berufsbildenden Schulen. Eusl Verlagsgesellschaft mbH (Paderborn) 2007. 357 Seiten. ISBN 978-3-933436-84-9. 39,00 EUR.

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Thema

In der Druckfassung seiner Dissertation (Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg, 2007) bietet Stephan Stomporowski kritisch-konstruktive Analysen zur Leistungsbilanz der immer wieder gern naiv optimistisch von Berufspädagogen und Berufsbildungspolitik bemühten Integrationsproklamationen deutscher Berufsschule. Im Zentrum steht die seit den Anfängen der Berufschule bis heute fortgeschriebene und sozial selektive Auslagerung Benachteiligter in "Übergangssysteme" – eben einer "Pädagogik im Zwischenraum".

Erste Zugänge

Die kleine Schrifttype, die akribisch fundierte und detailreiche Aussagenführung sowie eine konsequent strategisch ausgerichtete Diktion erfordern eine aktive und sorgfältige Lektüre, bei der schnell hervortritt, mit welcher Sicherheit Stephan Stomporowski quer zum berufspädagogischen Mainstream navigiert. Entfaltet wird weitaus mehr als "nur" eine Landkarte des Dschungels deutscher Fördermodelle. Im Gegensatz zu der Vielzahl an Darstellungen zum Feld der schulischen Jugendberufshilfe, in denen missionarisch hervorgehoben wird, das etwas für Benachteiligte getan wird, wagt der Verfasser die Frage, was denn konkret angeboten wird. Seine Studien begründen massive Zweifel an der sozialen und ökonomischen Anschlussfähigkeit der Förderangebote von Berufsschule ebenso, wie auch eine durch Fakten fundierte Skepsis an proklamierten Selbstverständnissen deutscher Berufspädagogik.

Aufbau und Inhalt

  • Nach einem Vorwort mit ersten Einordnungshilfen von Martin Kipp, des Doktorvaters und ausgewiesenen Experten historischer Berufsbildungsforschung,  bietet Stephan Stomporowski Orientierungen, die weit über den üblichen "Gang durch die Darstellung" mit der Koppelung an Fragenstellung und methodologische Ausrichtungen hinausreichen. Scheinbar kleinschrittig werden weitgehend ausgeblendete Strukturdefizite von Berufspädagogik und berufspädagogischer Forschung zu einer Kardinalkritik an dominierenden berufs- und wirtschaftspädagogischer Leitmotiven gebündelt, die sich in selektiven, öfter sogar sozial-ständischen Strukturen manifestieren, nicht selten ihren Zusammenhalt über Pygmalion-Effekte erfahren und faktisch keinerlei belegbare Inklusionsleistungen für die historisch konstanten Kohorten der Benachteiligten bieten. Wenngleich sprachlich ausgesprochen moderat vorgetragen, erschüttert diese Kritik die sakrale Tempelarchitektur deutscher Berufspädagogik soweit, dass Stephan Stomporowski seiner berufspädagogischen Leserschaft didaktisierend in besonders stark strukturierten Einzelstudien mit jeweiligem Kurzfazit ausweist, dass das berufspädagogische Haus des Lernens im Hinblick auf die Benachteiligtenförderung seit Generationen durch Planungs- und Bauschäden nur noch eine brüchige Fassade volkstümlichen Geschmacks bietet, deren Unterhalt und Pflege kontraproduktiv Mittel bindet.
  • In seiner ersten Studie, "Die Berufsschule", bietet der Verfasser eine Übersicht über die Strukturdimensionen von Benachteiligung, die ihre Wurzeln im deutschen berufspädagogischen Denken haben.
  • Seine zweite Studie, "Die Genese der Begriffe", nutzt Stephan Stomporowski um anhand von historisch-kritischen Rückblicken auf "Ungelernte, Jungarbeiter und Benachteiligte" auszuweisen, dass eine optimistisch-naive und ideologische Fixierung auf den Berufsbegriff zu oft nicht eingestandene Distinktionsbedürfnisse provoziert, die in Ausgrenzungen münden, welche aber durch Chiffren kaschiert werden und so zu einer Perpetuierung der Ausgrenzung durch scheinbare Integrationsinstrumente führen.
  • In der dritten Studie, "Die Benachteiligten", werden die Vorhaltungen von Defizitsyndromen bei den Benachteiligten als Folge eines berufspädagogischen Festhaltens an "Normalbiografien" verhandelt.
  • Die vierte Studie, "Der Schüleranteil", dient Präzisierungen und bietet einordnende Dokumentierungen für Ausgrenzungen als Wirkung von berufspädagogischen Integrationsleistungen.
  • Die letzten vier Studien zentrieren auf die heutige Berufsschule, indem die Angebote Bundesländer vergleichend betrachtet, die berufsbildende Schulformenvielfalt in Deutschland, die Lehrpläne sowie schließlich die Berufsschullehrerbildung in die kritischen Verhandlungen einbezogen werden.
  • In den Schlussteilen wird die Spezifik des "Zwischenraums" einordnend bilanziert, an Grenzlinien fehlender sozialer Akzeptanz und wenig entwickelter kritischer Reflexivität in der Berufspädagogik verortet sowie schließlich als "Einbahnstraße in die berufliche Chancenlosigkeit" ausgewiesen, die konsequente Strukturreformen erfordert.   

Einschätzungen und Einordnungen

Dem Verfasser gelingt es, schrittweise seine fundamentale Kritik gewohnter und hierbei zu selten kritisch reflektierter berufspädagogischer Motive und Instrumente so zu entfalten, dass, scheinbar moderat, Denkmäler und Altäre geschliffen werden. Detailreich sprechen viele Ausführungen von Stephan Stomporowski für die alte These von Blankertz, nach der die Reformresistenz und der Strukturkonservatismus deutscher Berufspädagogik Erbfolge ihrer eigenen professiongeschichtlichen Arrivierung sind. Im Zuge ihrer gentryfication distanzierte sich das berufspädagogische Lehrpersonal von den "Benachteiligten", da diese als Abweichler vom sozialromantisch überhöhten Konstrukt der "Normalbiografie" keine berufspädagogisch attraktiven Profilierungsmöglichkeiten boten. Aufstieg durch Anpassung und Leistung sowie Sinnstiftung durch den Beruf werden so beispielsweise als bis heute berufspädagogisch probate Figuren eines im Kern volkstümlichen, statuts- und habitusorientierten Denkens entlarvt, welches eine seit Generationen brüchige Berufspädagogik und Berufsbildungspolitik flankiert, die ihrem Funktionärs-, Lehr- und Hochschullehrpersonal, nicht jedoch den Benachteiligten Chancen eröffnet: Bourdieu berufspädagogisch im Klafki-Mantel und Blankertz historisch-kritisch sowie auf aktueller empirischer Grundlage von der jüngeren Vergangenheit bis in die Gegenwart fortschreibend. Diese kritische Ausrichtung von Stephan Stomporowski dürfte in weiten Teilen der berufspädagogischen Leserschaft auf Widerstände stoßen; wobei es denen, die seine Kritik nicht teilen, sehr schwer fallen dürfte, seiner prägnanten und fundierten Aussagenführung eine argumentative und faktisch belegte Gegenposition entgegen zu halten.

Fazit

Zu wünschen bleibt, dass diese überfällige Grundlagenstudie auf breiter Ebene zu kritischen Auseinandersetzungen mit der Strukturfrage auch in den berufsbildenden Feldern des Bildungswesens beiträgt. Ausblickend bleibt zu hoffen, dass Stephan Stomporowski wegen seiner Kritik an berufspädagogischen Dogmen nicht Opfer einer "berufspädagogischen Reichsacht" wird.

Rezension von
Prof. Dr. Dirk Plickat
Ostfalia, Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbuettel, Campus Suderburg, Fakultät Handel und Soziale Arbeit, Forschungs- und Lehrfeld: Bildung und Beschäftigung. Nach langjähriger pädagogischer Praxis in Jugendhilfe und Schule als Erziehungswissenschaftler in Hochschule in Schnittfeldern von Schule, Kinder- und Jugendhilfe sowie beruflicher Bildung (auch historisch und vergleichend) tätig
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Es gibt 31 Rezensionen von Dirk Plickat.

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Zitiervorschlag
Dirk Plickat. Rezension vom 12.05.2008 zu: Stephan Stomporowski: "Pädagogik im Zwischenraum". Acht Studien zur beruflichen Bildung Benachteiligter an berufsbildenden Schulen. Eusl Verlagsgesellschaft mbH (Paderborn) 2007. ISBN 978-3-933436-84-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/5374.php, Datum des Zugriffs 09.12.2024.


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