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Michael Borg-Laufs: Störungsübergreifendes Diagnostik-System für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

Rezensiert von Dr. Alexander Tewes, 25.12.2007

Cover Michael Borg-Laufs: Störungsübergreifendes Diagnostik-System für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ISBN 978-3-87159-908-8

Michael Borg-Laufs: Störungsübergreifendes Diagnostik-System für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. (SDS-KJ). dgvt-Verlag (Tübingen) 2006. 131 Seiten. ISBN 978-3-87159-908-8. 24,80 EUR.
Reihe: KiJu - Band 8.

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Autor

Prof. Dr. Michael Borg-Laufs, Dipl.-Psych., ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und Psychologischer Psychotherapeut. Er ist Inhaber des Lehrstuhls "Theorie und Praxis psychosozialer Arbeit mit Kindern" an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Außerdem arbeitet er als Fachleiter Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie am Ausbildungszentrum Krefeld der DGVT sowie in weiteren Tätigkeiten als Dozent und Supervisor in der Psychotherapieausbildung. Fach- und berufspolitisches Engagement zeigt er in verschiedenen Gremien - unter anderem als Sprecher der Fachgruppe Kinder und Jugendliche der DGVT. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Kindeswohlsicherung, Psychologische Grundbedürfnisse bei Kindern, Diagnostik, sowie Kinder- und Jugendlichentherapie.

Thema und Entstehungshintergrund

  • Wie erfasse ich welche Daten?
  • Ist meine Auswahl hypothesenorientiert?
  • Ist sie erschöpfend?
  • Oder ist sie gar zu umfangreich?
  • Welche Konsequenzen ziehe ich aus den erhobenen Daten für meine Therapieplanung und -durchführung?

Viele Fragen, die es im Rahmen des therapeutischen Prozesses in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie zu klären gilt. Michael Borg-Laufs legt "in manualisierter Form eine Anleitung für Diagnostik und Therapieplanung in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie" (Klappentext) vor. Ziel des Manuals ist nicht die Erleichterung der Klassifikation des Störungsbildes - diese setzt der Autor bei ausgebildeten Therapeuten als erlernt voraus - sondern vielmehr eine Diagnostik, die versucht, den Menschen und sein Umfeld in all seiner Komplexität möglichst übersichtlich und strukturiert zu erfassen und die es ermöglicht, die hieraus relevanten therapeutischen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Aufbau

Im Manual wird das komplexe Thema in drei thematischen Bereichen abgearbeitet:

  1. Nach einer Einführung in die Problematik werden die Methoden der Datenerhebung erläutert.
  2. Anschließend werden die dem Manual zugrunde liegenden Analyseebenen beschrieben.
  3. Abschließend wird auf die Konsequenzen für die Therapieplanung eingegangen.

Einführung & Methoden

In der Einführung beschreibt der Autor zuerst den Entstehungshintergrund des Manuals im Hinblick auf die Problematik der einzelfallorientierten Diagnostik. Auf einer verhaltenstherapeutischen Basis entwickelt, integriere das Manual viele Dimensionen, die auch für andere Therapieschulen relevant seien. Folglich solle es im Sinne der Psychologischen Therapie nach Grawe schulenübergreifend einsetzbar sein. Des Weiteren wird auf die Mängel rein symptom- bzw. störungsbildspezifischen therapeutischen Vorgehens mittels vorgegebener Manuale eingegangen: Da diese dem Individuum, seinem Umfeld und seinen persönlichen Lernerfahrungen nicht Rechnung trügen, könnten diese Manuale nur in Einzelfällen erfolgreich angewendet werden. Dennoch würden solche Manuale in der Praxis häufig zum Einsatz kommen. Zum einen aus Unsicherheit, beispielsweise bei Berufsanfängern, zum anderen aufgrund des "inneren Schweinehundes", der die meisten Menschen dazu bringe, "sich mit einem ungefähren Bild der Zusammenhänge zu begnügen" (Caspar 1996, zit. nach Borg-Laufs, S. 9). In logischer Konsequenz sei das Ziel des entwickelten Diagnostik-Systems, ein Vorgehen zu ermöglichen, "welches sich durch eine komplexe Urteilsbildung aufgrund unterschiedlicher Daten auszeichnet, dabei aber stets das Verhältnis von Aufwand und Ertrag wahrt" (S. 10).

Im Folgenden definiert der Autor sechs therapieplanungsrelevante Bedingungsanalysen:

  1. Funktionale Bedingungsanalyse
  2. Ressourcenanalyse
  3. Systemanalyse
  4. Störungsbildanalyse
  5. Beziehungsanalyse
  6. Motivationsanalyse

Diese lieferten sämtliche für den Therapieplanungsprozess relevanten Informationen. Aus diesen Bedingungsanalysen entwickelt Michael Borg-Laufs anschließend sein Modell der Fallkonzeptionierung (SDS-KJ). Dieses beschreibt auf insgesamt fünf aufeinander aufbauenden Ebenen

  1. die diagnostischen Vorgehensweisen (inkl. der zu verwendenden Materialien), danach
  2. die Analyseebene 1 (Kognitionsanalyse / Verhaltensanalyse / Analyse psychologischer Grundbedürfnisse / ICD-10 Achsen 2-5),
  3. die Analyseebene 2 (Organismusvariable),
  4. die Analyseebene 3 (SORCK / ICD-10 Achse 1 / Motivationsanalyse / Beziehungsanalyse / Ressourcenanalyse / Systemanalyse) und abschließend den
  5. Therapieplan (Zielerklärung / Therapieplanung / Erfolgskontrolle).

Anschließend werden sämtliche Methoden der Datengewinnung im Sinne des SDS-KJs erschöpfend erläutert. Die Exploration gelte es hypothesengeleitet durchzuführen. Sie sei die "mächtigste Informationsquelle der psychotherapeutischen Diagnostik" (S. 19) und demzufolge sorgfältig durchzuführen. Um dies zu gewährleisten hat Michael Borg-Laufs einen Explorations-Kurzprotokoll-Bogen entwickelt, der zu jeder Sitzung verwendet werden kann und der übersichtlich auf einer Din-A-4 Seite Platz findet. Die Verhaltensbeobachtung, vor allem im verhaltenstherapeutischen Setting unverzichtbar, solle systematisch erfolgen. Auch in diesem Fall wird ein Beobachtungsprotokollbogen vorgestellt. Abschließend wird eine Auswahl störungsübergreifend relevanter psychologischer Testverfahren nominell vorgestellt. Diese dürften jedoch lediglich hypothesenoriententiert zum Einsatz kommen. Ein "Testen um des Testens willen" sei weder im Sinne des Patienten, noch des diagnostischen Prozesses.

Analyseebenen 1 bis 3

Im Rahmen der Analyseebene 1 werden die ersten fünf Module erläutert:

  1. Kognitionen
  2. Verhalten
  3. Psychologische Grundbedürfnisse
  4. Achsen 2 bis 4 der multiaxialen ICD-10
  5. Achse 5 der ICD-10

Diese Module sollen die Grundlage für alle weiteren Analyseschritte bilden. Auf der folgenden Analyseebene 2 wird die so genannte "Organismusvariable" beschrieben. Hierbei handelt es sich um die überdauernden, dem Individuum innewohnenden Strukturen, die sein spezifisches Handeln erklären können. Mit Hilfe der vorgestellten Plananalyse kann vom spezifischen Verhalten in Situationen auf die übergeordneten Pläne und Ziele geschlossen werden.

Auf der  Analyseebene 3 werden dann "alle bisher gesammelten Informationen verdichtet und noch zusätzliche Informationen hinzugefügt" (S. 71). Die auf dieser Ebene im Rahmen der

  • Funktionalen Verhaltensanalyse (SORCK),
  • der Ressourcenanalyse,
  • der Beziehungsanalyse,
  • der Motivationsanalyse,
  • der Systemanalyse und
  • der Störungsbildanalyse

erhobenen Informationen enthalten laut Manual "alle Informationen ..., die für die Therapieplanung in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie notwenig und hinreichend sind" (S. 71, Hervorhebung v. Verf.).

Zu allen Analyseebenen wird erläutert, wie und womit (mittels eigens entwickelter Frage- und Protokollbögen) die relevanten Daten erhoben werden können und inwiefern die gewonnenen Informationen im therapeutischen Prozess Einfluss auf das weitere diagnostische Vorgehen haben. Sämtliche Arbeitsmaterialen sind dem Manual sowohl im Text, als auch im Anhang und digital auf einer CD-Rom beigefügt.

Therapieplanung

Der Frage, inwiefern von den zuvor erhobenen diagnostischen Befunden zu einer schlüssigen Fallkonzeption gefunden werden kann, geht der abschließende Teil des Manuals nach. Hierbei hebt der Autor erneut hervor wie wichtig es ist, umfassend und doch ökonomisch zu arbeiten: "Diagnostik soll durch Komplexitätsreduktion dazu führen, dass die komplexe Lebenssituation und das komplexe intrapsychische Geschehen des Patienten eine neue Struktur bekommen, so dass sie therapeutisch handhabbar weerden [sic!], sie soll eben nicht die Komplexität des menschlichen Lebens komplett erfassen oder ihr gar noch Weiteres hinzufügen" (S. 97). In logischer Konsequenz wird eine vierseitige Materialie zur Therapieplanung vorgestellt, in die sämtliche zuvor erhobenen Daten einfließen können. Anhand von Tabellen werden die jeweils in Frage kommenden therapeutischen Konsequenzen übersichtlich dargestellt. Wie diese dann im Einzelnen umzusetzen sind, sollte im Rahmen der Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erlernt worden sein. Gegebenenfalls gelte es, Defizite im Rahmen von Weiterbildungen selbstverantwortlich zu beheben. Letzten Endes sei auch eine Überweisung in Erwägung zu ziehen.

Diskussion

Auf einen möglichen Kritikpunkt geht der Autor auf Seite 71 des Manuals ein: Auf den ersten Blick erscheinen die zu erhebenden Daten nahezu abschreckend umfangreich. Dennoch gibt er zu bedenken, dass hypothesen- und therapieplanungsorientiert vorgegangen werden soll. Ergo sollten zwar alle Analyseebenen durchlaufen, jedoch nicht zwingend sämtliche Informationsquellen "nach dem Gießkannenprinzip" genutzt werden. Um eine hinreichende Erfassung der spezifischen Problematik zu ermöglichen, könnten "alle notwendigen Daten i.d.R. innerhalb der fünf probatorischen Sitzungen, die in der ambulanten Kassenpsychotherapie üblich sind, erhoben werden" (Hervorhebungen v. Verf.). Insofern ist das beschriebene Vorgehen schlüssig und übersichtlich. Konkrete therapeutische Methoden werden im Manual genannt. Des Weiteren werden im Anhang zahlreiche Quellen zum vertiefenden Literaturstudium genannt.

Einziger Kritikpunkt an dem ansonsten rundum gelungenen Werk ist das Erscheinungsbild: Sowohl das Layout als auch die diversen Rechtschreibfehler sorgen für ungewollte Auflockerung der Lektüre. Hier würde man dem Verlag einen (besseren?) Lektor wünschen.

Als besondere Beilage ist noch die beigefügte DVD/CD zu erwähnen. Auf der CD wurden sämtliche Materialien als PDF Dateien abgespeichert. Dies vereinfacht deren Einsatz im Praxisalltag erheblich. Zudem ist der DVD ein Kurzvortrag des Autors als Film beigefügt, auf dem er seine humoristischen Qualitäten eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Zielgruppe

Das SDS-KJ ist vor allem eine Unterstützung zur Planung kinder- und jugendpsychotherapeutischer Interventionen und somit vor allem an Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gerichtet. Leicht modifiziert sei es nach Angabe des Autoren jedoch ebenfalls in der Jugendhilfe bei der Hilfeplanung einsetzbar. Auf die konkreten Modifikationen wird jedoch nicht näher eingegangen.

Wie bereits einleitend erwähnt, ist das Manual grundsätzlich schulenübergreifend konzipiert worden. Die verhaltenstherapeutische Handschrift des Autors ist jedoch evident und wird eventuell Anhänger vor allem traditionell analytischer Schulen eher abschrecken. Dies wäre bedauernswert, da es im Interesse eines jeden Therapeuten sein sollte, strukturiert, qualitätsgesichert und patientenzentriert zu arbeiten.

Für Berufsanfänger bietet das Werk eine hervorragende Stütze, sich im Wust der zu erhebenden Daten zurechtzufinden und bei der Therapieplanung den Überblick zu behalten. Darüber hinaus kann es jedoch auch bei erfahrenen Therapeuten, die Vieles des angesprochenen (hoffentlich) bereits in ihre tägliche Arbeit aufgenommen haben, gute Dienste leisten. Rein intuitives Arbeiten, mal mehr, mal weniger erfolgreich, kann so standardisiert und doch individualisiert gewährleistet werden. Im ambulanten Setting, bzw. im niedergelassenen Bereich, ist das Manual sehr hilfreich. Im stationären Setting kann es, je nach Rahmenbedingung, ebenso gewinnbringend eingesetzt werden. So sollte es bei einer längeren stationären Therapie in der vorgestellten Form und im Rahmen eines eher kurzfristigen kriseninterventorischen Aufenthalts zur Diagnostik und weiteren Behandlungsempfehlung genutzt werden.

Fazit

Bei dem störungsübergreifenden Diagnostik-System für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (SDS-KJ) handelt es sich um eine Arbeitsmaterialie, die den in diesem Berufsfeld Tätigen eine enorme Unterstützung sein kann. Es ist übersichtlich gestaltet, schlüssig und gut lesbar. Einziger Kritikpunkt ist die schwache Umsetzung seitens des Verlages. Diese Mängel sollten in der dem Werk zu wünschenden zweiten Auflage behoben werden. Ansonsten bleibt festzuhalten, dass Michael Borg-Laufs tatsächlich das Undenkbare gelingt: Die Bekämpfung der manualisierten "Breitbandtherapie" mittels eines Manuals zur individuellen Therapieplanung. Bemerkenswert und uneingeschränkt empfehlenswert!

Rezension von
Dr. Alexander Tewes
Instituts- und Ausbildungsleiter LAKIJU-VT (Lüneburger Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichen-Verhaltenstherapie), Psychiatrische Klinik Lüneburg gemeinnützige GmbH im Verbund der Gesundheitsholding Lüneburg
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Es gibt 104 Rezensionen von Alexander Tewes.

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ISSN 2190-9245