Eric Gujer: Schluss mit der Heuchelei. Deutschland ist eine Großmacht
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 21.11.2007
Eric Gujer: Schluss mit der Heuchelei. Deutschland ist eine Großmacht. Edition Körber (Hamburg) 2007. 105 Seiten. ISBN 978-3-89684-130-8. 10,00 EUR.
Deutsche Großmacht - wie denn, wo denn, was denn?
Der Essay des langjährigen Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung, des Schweizer Journalisten Eric Gujer, ist kein nationalistisches und imperiales Säbel- und Machtgerassel; das vorweg für diejenigen, die in dem etwas reißerischen Titel nationale Morgenluft wittern möchten. Es ist ein engagierter und zugleich kritischer Blick von Außen auf das Innere des gesellschaftlichen Gefüges in Deutschland. Da steckt ein Stück "Wie wir geworden sind, was wir sind" darin, genau so wie ein Einspruch gegen die "deutsche Larmoyanz". Und weil es der Blick eines Beobachters und Analysten ist, eines Nicht-Deutschen zudem, deshalb verdienen die Gedanken Aufmerksamkeit. Sie verführen nicht, das ist meines Erachtens das Entscheidende, zu Größenwahn und Höherwertigkeitsvorstellungen, sondern zum politischen und gesellschaftlichen Nachdenken.
Inhalt
Betrachten wir die zunehmende und bedenkliche Politikverdrossenheit, andererseits die durchaus eruptiv ausbrechende Euphorie, wenn es um "deutsche Erfolge", etwa im Sport geht, dann lässt sich diagnostizieren: "Ein wenig mehr Gelassenheit täte der Diskussion gut - und ein wenig mehr Ehrlichkeit". In der Bundesrepublik Deutschland gäbe es, so der Autor, kein ausgeprägtes und strategisches Bewusstsein, "dass eine weltweit agierende Wirtschaftsmacht wie Deutschland seit dem Ende der alten Ost-West-Ordnung internationale Politik nicht einfach anderen überlassen kann". Dass die Diskrepanz gesellschaftlich fundiert ist, zeigt eine Allensbach-Umfrage vom Januar 2007: Nur rund 30 Prozent der Befragten seien der Ansicht, dass die Bundesrepublik international mehr Verantwortung übernehmen solle. Mehr als die Hälfte jedenfalls wären der Meinung, Deutschland solle sich eher zurückhalten. Der Außenpolitik wirft Gujer vor, sie agiere nach dem Motto von Trial und Error. Dadurch aber wirke sie unglaubwürdig und erzeuge selbst bei wohlmeinenden Freunden in der Welt das Bild von der "ängstlichen Großmacht". Deutschland müsse in dem, was es mache, nicht "besser" sein als seine europäischen Nachbarn. Ein Umdenken empfiehlt der Autor auch grundsätzlich: "Macht bedeutet nicht automatisch Missbrauch". Damit plädiert er allerdings und gerade nicht für Großmannssucht und dominante Machtausübung, sondern für eine realistische Einschätzung der neuen Machtverhältnisse in einer globalisierten Welt. Das gilt für eine europäische Politik, für eine (neue) Ostpolitik, für Afghanistan und anderswo. "Konstanz und Beharrlichkeit", das seien die Formeln für eine verlässliche Friedens-, als Machtpolitik. Der Verteidigungspolitik und damit der Bundeswehr, stellt er die Markierung "bedingt einsatzbereit" aus; vor allem, wenn es um die auch in der Bevölkerung umstrittenen Auslandseinsätze handelt. Dabei plädiert er dafür, die überholten Vorstellungen vom Gegensatz zwischen "Zivilmacht" und "militärischer Macht" aufzugeben, sondern sich bewusst zu machen, dass sich "robuster Militäreinsatz und glaubwürdige Entwicklungszusammenarbeit" nicht ausschließen, sondern zusammen gehören: "Ein Mindestmaß an Sicherheit und öffentlicher Ordnung bildet die Grundlage, ohne die eine langfristig angelegte Aufbauhilfe nicht gelingen kann".
Auch wenn der Analyst keine Patentrezepte parat hat, wie Deutschland als eine vor allem wirtschaftlich bedeutsame Macht sich im Konzert der internationalen Verflechtungen positionieren sollte, rät er doch dazu, das "Schubladendenken" im politischen Handeln aufzugeben und Außenpolitik und Sicherheitspolitik als "vernetzte Sicherheit" zu betrachten, bei der "die traditionelle Unterscheidung von Außen-, Wirtschafts- und Innenpolitik verschwimmt". Ins Stammbuch der Skeptiker und Bedenkenträger schreibt er den durchaus für deutsche Ohren ungewöhnlichen Satz: "Deutschland zählt zu den Gewinnern der Globalisierung". Ob dabei der eben in der deutschen, europäischen und Weltgeschichte durch die vielfältigen hässlichen Wirklichkeiten belastete Begriff "Großmacht" als Argumentation und Überzeugungshilfe dient, ist allerdings eine Frage, die der Rezensent stellt.
Fazit
Alles in allem: Wenn der Herausgeber der Reihe "Standpunkte", Roger de Weck, in seinem Vorwort darauf hinweist, dass sein Gastland Deutschland Eric Gujer für die ehrliche Analyse und "unbequeme Abschiedsgabe" dankbar sein könne, dann verweist das auf die im gesellschaftlichen und internationalen politischen Diskurs immer noch ungewohnte Form, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen und sie zur Diskussion zu stellen. Das ist dem Autor mit seinem Essay gelungen.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 21.11.2007 zu:
Eric Gujer: Schluss mit der Heuchelei. Deutschland ist eine Großmacht. Edition Körber
(Hamburg) 2007.
ISBN 978-3-89684-130-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/5440.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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