Angelika Henschel, Rolf Krüger et al. (Hrsg.): Jugendhilfe und Schule
Rezensiert von Dr. Martin R. Textor, 15.08.2008

Angelika Henschel, Rolf Krüger, Christof Schmitt, Waldemar Stange (Hrsg.): Jugendhilfe und Schule. Handbuch für eine gelingende Kooperation. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2008. 780 Seiten. ISBN 978-3-531-15289-9. 59,90 EUR.
Überblick
Dieses von den Leitern des Forschungs- und Entwicklungsprojekts "NetzwerG" der Leuphana Universität Lüneburg herausgegebene Handbuch lässt keine Frage zur Thematik "Jugendhilfe und Schule" offen. Auf 780 eng bedruckten und eher selten durch Abbildungen und Tabellen aufgelockerten Seiten werden alle relevanten Aspekte umfassend und detailreich behandelt. Dabei werden ganz unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt, denn an dem Handbuch haben 68 Autorinnen und Autoren mitgearbeitet. Neben so bekannten Professor/innen wie Hans Thiersch, Herbert Bassarak, Maria Bitzan, Wilfried Bos, Christopf Butterwegge u.a. wurden auch Lehrer/innen, Jugendpfleger/innen, Schulsozialarbeiter/innen, Sozialpädadog/innen und Referent/innen von Verbänden und Institutionen als Beiträger gewonnen. Sie verfassten 63 Kapitel, die folgendermaßen zugeordnet wurden:
- Teil A – Grundlagen (14 Kapitel)
- Teil B – Ausgewählte Problemstellungen (11 Kapitel)
- Teil C – Praxis gestalten
I. Kooperation politisch und strukturell gestalten (6 Kapitel)
II. Instrumente der Kooperation und Qualitätssicherung (15 Kapitel)
III. Best Practice (16 Kapitel)
Dazu kommen ein Vorwort, ein Einführungskapitel und eine Auflistung der Autor/innen mit kurzen Angaben zur Person. Auf ein Stichwort- und Namensregister wurde leider verzichtet.
Das Vorwort
"Ausgangspunkt für die Vorlage dieses Buches bildet das im Jahr 2000 vom Land Niedersachsen aufgelegte Präventions- und Integrationsprogramm (PRINT), das unter anderem dazu diente, abweichendem Verhalten von Mädchen und Jungen durch eine verbesserte Kooperation von Schule und Jugendhilfe entgegenzuwirken. Das Forschungs- und Entwicklungsteam NetzwerG der Leuphana Universität Lüneburg wurde im Rahmen des Programms beauftragt, für den Zeitraum von 2000 – 2006 ein Weiterbildungscurriculum zu entwickeln und Fortbildungen durchzuführen, die sich an Lehrkräfte und in der Sozialen Arbeit Tätige richteten … Die im Rahmen der Fortbildungen bearbeiteten Themen sowie die in Fachtagungen behandelten Fragestellungen, die mit einer verbesserten Kooperation von Schule und Jugendhilfe einhergehen können, möchten wir durch dieses Handbuch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen" (S. 11) – so leiten Angelika Henschel, Rolf Krüger, Christof Schmitt und Waldemar Stange ihr Handbuch ein und verdeutlichen zugleich den großen Praxisbezug.
Das Einführungskapitel
Im ersten Beitrag befassen sich Rolf Krüger und Waldemar Stange mit der Kooperationsstruktur von Schule und Jugendhilfe. Sie unterscheiden verschiedene Aufgabenbereiche der Zusammenarbeit, skizzieren die rechtlichen Grundlagen, listen die Zielgruppen auf und beschreiben verschiedene Kooperationsformen vor Ort.
A. Grundlagen
In Teil A wird der Bildungsbegriff von einer sozialpädagogischen Perspektive aus diskutiert, werden die in den letzten Jahren erarbeiteten Bildungsstandards kritisch reflektiert (z.B. wegen der Verengung des Bildungsbegriffs) und stattdessen umfassende Kompetenzmodelle proklamiert, werden notwendige Konsequenzen aus den Ergebnissen der PISA- und IGLU-Studien für den Elementar-, Primar- und Sekundarbereich gezogen, werden unterschiedliche Qualitätsmodelle für Schulen skizziert, wird die Ganztagsschule als Regelschule gefordert und die Geschlechtergerechtigkeit in der Schule thematisiert. Nach diesen eher "schullastigen" Kapiteln wird dann stärker die Jugendhilfe fokussiert:
- die unterschiedlichen pädagogischen Stile in Schule und Jugendarbeit
- die (rechtlichen, institutionellen) Strukturen, Maßnahmen und Verfahren der Jugendhilfe
- die Geschichte, Organisation, Aufgaben und Zielgruppen der Schulsozialarbeit
- die schulbezogene Jugendhilfe
- präventive und systemtheoretische Aspekte der Schulsozialarbeit
- Geschlechtergerechtigkeit in Kindertageseinrichtungen, Jugendarbeit und Erziehungshilfe
- psychologische Grundlagen der Entstehung von Gewalt und deren Prävention
- unterschiedliche Präventionskonzepte (die kritisch diskutiert werden)
Immer wieder wird Bezug genommen auf die strukturelle Benachteiligung von Kindern aus unteren sozialen Schichten und aus Migrantenfamilien im Schulsystem, auf die zu niedrigen Abiturientenquoten, die zunehmende Armut und ähnliche Problemlagen.
B. Ausgewählte Problemstellungen
In Teil B wird zunächst auf das Mobbing in Schulen eingegangen (Dimensionen, Häufigkeit, Präventions- und Interventionsprogramme). Dann werden die Jugendgewalt (männlich!), die Gewalt im Geschlechterverhältnis und die häusliche Gewalt behandelt und daraus die Forderung nach einer geschlechtsbewussten Gewaltprävention abgeleitet. Ein anderes Thema ist die Kinderarmut (Umfang, Erscheinungsformen, Ursachen, Folgen und Konsequenzen für Schule und Jugendhilfe). Weitere Kapitel behandeln die Themen Rechtsextremismus, Schuldistanzierung, mangelnde Aufstiegschancen für junge Männer mit Migrationshintergrund, Schulschwänzen und geschlechtsspezifische Benachteiligungen (zum einen hinsichtlich der Schulleistung und zum anderen bezüglich der Berufswahl), wobei die Probleme immer mit Bezug auf Schule und Jugendhilfe bzw. deren Kooperation diskutiert werden. In zwei anderen Kapiteln wird noch speziell auf die Genderdebatte sowie auf die Kinder- und Jugendpartizipation in Deutschland eingegangen.
C. I. Kooperation politisch und strukturell gestalten
Im ersten Themenbereich von Teil C wird zunächst das bereits erwähnte Programm PRINT vorgestellt und als ein Beispiel für eine positiv verlaufende Kooperation zwischen Niedersächsischem Sozial- und Kultusministerium beschrieben. Dann werden die Ergebnisse der Evaluation dieses Landesprogramms skizziert. Ferner wird das Konzept der dort praktizierten Weiterbildung von Lehrkräften und Sozialpädagog/innen in sog. Tandemkursen expliziert. Nach diesen drei Kapiteln zu PRINT wird die Jugendsozialarbeit an Berliner Hauptschulen unter besonderer Berücksichtigung des Übergangs von der Schule in den Beruf präsentiert. Anschließend geht es um das Förderprogramm "Kooperation Jugendarbeit – Schule" des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, dessen Ziele, Rahmenbedingungen und Nutzen. Danach werden innovative Konzepte aus den Niederlanden vorgestellt, insbesondere die Schulbegleitungsdienste.
C. II. Instrumente der Kooperation und Qualitätssicherung
Im zweiten Themenbereich werden zunächst Vereinbarungen als Grundlage für eine gelingende Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe beschrieben (inkl. eines Mustervertrages). Dann werden Rolle, Funktionen und Phasen des Projektmanagements skizziert, gefolgt von einer Darstellung der mit einer Konzeptionsentwicklung verbundenen Zielfindungsprozesse (inkl. eines Gliederungsvorschlags). Da die Sozialraum- und Lebensweltanalyse die Grundlage für eine Konzeption liefern kann, wird anschließend dieses Verfahren Schritt für Schritt erläutert, wobei auch unterschiedliche Methoden erwähnt werden. In den weiteren Kapiteln werden folgende Themen behandelt:
- Bildung von Netzwerken
- Gründung eines eingetragenen Vereins als freier Träger der Jugendhilfe (inkl. Muster einer Vereinssatzung)
- Finanzierung von Kooperationsprojekten (Leistungsgesetze, Sonderprogramme, Mitgliedsbeiträge, Stiftungsmittel, Geldauflagen der Strafjustiz u.v.a.m.)
- Partizipation von Kindern und Jugendlichen (mit Anregungen aus Skandinavien)
- Öffentlichkeitsarbeit
- die Methode "Visualisierung in Partizipationsprozessen"
- Probleme des Datentransfers zwischen Jugendhilfe und Schule (Datenschutz, Schweigepflicht)
- zivilrechtliche Haftungsrisiken
- kollegiale Beratung (Ziele, Rollen, Phasen, Probleme usw.)
- das Recht der materiellen Grundsicherung (SGB II, HLU)
Schließlich werden Evaluationsformen und -methoden für das Feld "Jugendhilfe und Schule" skizziert.
C. III. Best Practice
Im dritten Themenbereich von Teil C werden in vergleichsweise kurzen Beiträgen erfolgreich verlaufende Projekte vorgestellt, und zwar weitgehend nach demselben Schema (Präventionsdimensionen, tabellarische Kurzübersicht, Ausgangslage, Zielsetzung, Vorgehensweise/Bausteine, Ergebnisse, förderliche und hinderliche Bedingungen, Material). Bei den Projekten geht es z.B. um die Mitgestaltung der Schule durch Schüler/innen, die Konfliktlotsenausbildung, eine "Wohlfühlwoche" an einer Hauptschule, eine Aktionswoche über die an der Schule vertretenen Kulturen (von älteren Schüler/innen für die jüngeren vorbereitet und gestaltet), den Erwerb von seitens der Ausbildungsbetriebe geforderten Lernkompetenzen, die angeleitete Erprobung von Computerspielen durch Eltern, das Hinterfragen von geschlechtsspezifischen Haltungen, die Gründung eines Klassenrats, die Unterstützung bei der Berufswahl, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus/dem Rechtsextremismus bzw. dem Rassismus, Angebote von Jugendverbänden an Schulen, die Beeinflussung von Schüler/innen, die häufig zu spät zum Unterricht kommen, durch speziell geschulte Klassenkameraden, die Gründung eines Präventionsforums sowie um die Schaffung einer Möglichkeit für Schulverweigerer, ihre Schulpflicht an außerschulischen Lernstandorten zu erfüllen.
Fazit
Dieses Handbuch ist unverzichtbar für Verwaltungskräfte, Lehrer/innen und Sozialpädagog/innen, die Projekte zur Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule planen oder in diesen aktiv sind. Es ist aber auch hervorragend geeignet für die Ausbildung von Studierenden im Fachbereich "Soziale Arbeit".
Rezension von
Dr. Martin R. Textor
Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF)
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