Roswitha Weck: Einfach Alltag - Personenzentrierte Pflege in der Praxis
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 14.05.2008

Roswitha Weck: Einfach Alltag - Personenzentrierte Pflege in der Praxis.
Mabuse-Verlag GmbH
(Frankfurt am Main) 2007.
ISBN 978-3-938304-82-2.
59,00 EUR.
Demenz Support Stuttgart (Hrsg.). DVD.
Zur Thematik der DVD
Die Pflege Demenzkranker in stationären Einrichtungen der Altenhilfe ist mittlerweile ein weites Feld. Viele Ansätze und Modelle sind in der Diskussion und werden teilweise in den Pflegealltag implementiert, wobei gegenwärtig die so genannten "personenzentrierten Ansätze" (Validation, Mäeutik und die Konzepte von Erwin Böhm und Tom Kitwood) die Szene dominieren. Charakteristisch für diese Modelle sind die Fundierung mittels Ableitung aus teils divergenten Konzepten, das Fehlen des Nachweises der hirnpathologischen Korrelate und vor allem der fehlende Nachweis der Wirksamkeit und Effizienz dieser Vorgehensweisen. Empirisch fundiertes Forschen ist diesen Ansätzen nicht innewohnend. Da die Pflege und Betreuung Demenzkranker gegenwärtig sich noch in einer vorwissenschaftlichen Phase befindet, ist es nicht weiter verwunderlich, dass in Fachkreisen eine weitreichende Permissivität gemäß der Devise "Anything goes!" vorherrscht. Für die Pflegenden vor Ort in den Einrichtungen ist jedoch diese Theoriegestützte Unverbindlichkeit ein großes Manko, da ihnen hierdurch die Verhaltenssicherheit im Umgang mit den Demenzkranken genommen wird.
Mit dem vorliegenden Film soll die Umsetzung des so genannten personenzentrierten Ansatzes nach Tom Kitwood in der alltäglichen und damit unspektakulären Praxis gezeigt werden. Gefilmt wurde in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft in Berlin-Pankow, die von acht demenzkranken Personen (Alzheimer Demenz, vaskuläre Demenz und Korsakoff-Syndrom) bewohnt wird. Ständig sind zwei Betreuungsmitarbeiter und zusätzlich ein Mitarbeiter des FSJ anwesend.
Inhalt
Die Filmszenen haben insgesamt eine Dauer von ungefähr 37 Minuten. Die einzelnen Szenen haben durchschnittliche eine Dauer von ca. 2 – 3 Minuten. Neben den Filmaufnahmen meist aus dem öffentlichen Bereich der Wohngemeinschaft werden kurze Kommentierungen der Mitarbeiter eingefügt. Folgende Szenen aus der Wohngemeinschaft werden u. a. gezeigt:
- Mahlzeitenvorbereitung (Kartoffeln aufsetzen, Pudding kochen)
- Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme
- Frühstücken
- Kuchen essen und Kaffee trinken
- Abräumen des Esstisches
- gemeinsames Singen am Tisch
- Mundharmonikaspiel einer Bewohnerin und das Tanzen und Klopfen im Takt dazu
- Bügeln mit Hilfestellung
- Geschirrtuch falten
- Versuch des technisches Zeichnens mit Unterstützung und Gespräch
- Einzelbetreuung im Bewohnerzimmer mit biografischer Ausrichtung (gemeinsam Fotos anschauen)
- Holzarbeiten als Gruppenarbeit (Sägen, Hämmern u. a.)
- Entsorgung von Altpapier auf dem Hof
- gemeinsamer Spaziergang
- gemeinsame Teilnahme an der Einweihung eines Brunnens auf dem Gelände der Einrichtung
- Bewohnerverhalten wie stereotype Putzbewegungen und das ständige Hin- und Herwandern am Handlauf des Flures
Diskussion
Die vorliegende DVD soll dem Anspruch nach zu einer "wertschätzenden Kultur der Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Demenz" beitragen. Die Dokumentation richtet sich u. a. an beruflich Pflegende, pflegende Angehörige, Entscheidungsträger in Einrichtungen und sozialpolitisch Verantwortliche, um ihnen Einblicke in die so genannte "personenzentrierte Pflege" zu vermitteln.
Bei dem Rezensenten entsteht bei der Betrachtung des Filmes jedoch der Eindruck, dass in dieser Wohngemeinschaft keine vorbildliche Demenzpflege und Demenzbetreuung praktiziert wird. Und auch das räumliche und soziale Milieu wirkt nicht anheimelnd und Geborgenheit vermittelnd. Eine Gemeinschaftlichkeit in Gestalt einer personalen Eingebundenheit mit Tagesstrukturierenden Elementen ist nicht zu erkennen. Folgende Punkte entsprechen nicht den gängigen Erwartungen an ein demenzspezifisches Milieu:
- im Hintergrund läuft laut Radiomusik
- lautstark wird ein Kreuzworträtsel gelöst
- mit lautem Getöse (Hämmern) werden Holzarbeiten durchgeführt
- das Mobiliar und die Tische wirken unpersönlich wie in einer Kantine
- Auch die Kommunikation mit den Demenzkranken wirkt unbeholfen und teils gewollt. Zu viele Fragen werden gestellt, zu unsicher wirkt der Umgang mit den Demenzkranken.
Es muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass die Erkenntnisse über die Demenzpflege und die Gestaltung demenzspezifischer Raum- und Milieustrukturen in letzter Zeit u. a. auch aufgrund der zunehmenden Verzahnung dieser Praxisbereiche mit dem neurobiologischen und auch neuropathologischen Wissen über das Verhalten Demenzkranker und Nicht-Demenzkranker ständig wachsen. Bei dieser Wissensakkumulation sind für die Praxis der Demenzpflege und Milieugestaltung in den Einrichtungen die Effektivität und Effizienz die entscheidenden Parameter zur Beurteilung allen Handelns und Begegnens. Der augenblicklich empirisch erworbene Wissensstand wird in diesen Alltagsszenen der Wohngemeinschaft nicht sichtbar.
Fazit
Die vorliegende Dokumentation zeigt Szenen der Demenzpflege und der Demenzbetreuung in einer Form, die noch vieler Nacharbeit und Verbesserung nach dem augenblicklichen Stand der Erkenntnisse bedarf. Da diesen Aufnahmen keine neuen Impulse und Perspektiven zu entnehmen sind, kann man getrost auf die Aufarbeitung dieses Materials verzichten.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 14.05.2008 zu:
Roswitha Weck: Einfach Alltag - Personenzentrierte Pflege in der Praxis. Mabuse-Verlag GmbH
(Frankfurt am Main) 2007.
ISBN 978-3-938304-82-2.
Demenz Support Stuttgart (Hrsg.). DVD.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/5502.php, Datum des Zugriffs 24.09.2023.
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