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Peter Sommerfeld, Matthias Hüttemann (Hrsg.): Evidenzbasierte Soziale Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Susanne Gerull, 18.02.2008

Cover Peter Sommerfeld, Matthias Hüttemann (Hrsg.): Evidenzbasierte Soziale Arbeit ISBN 978-3-8340-0328-7

Peter Sommerfeld, Matthias Hüttemann (Hrsg.): Evidenzbasierte Soziale Arbeit. Nutzung von Forschung in der Praxis. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2007. 217 Seiten. ISBN 978-3-8340-0328-7. 18,00 EUR. CH: 31,60 sFr.
Reihe: Grundlagen der Sozialen Arbeit - 17.

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Thema

Seit einiger Zeit wird verstärkt die Frage nach der Wissensbasis Sozialer Arbeit und dem Verhältnis von Wissenschaft und Praxis gestellt. Die evidenzbasierte Praxis (EBP) ist eine der Antworten auf diese Frage. Abgeleitet aus der evidenzbasierten Medizin sollen professionelle Entscheidungen und Interventionen auf Basis von bewiesener Wirksamkeit getroffen werden, wobei die Wirkungsmessung möglichst in einem experimentellen Design mit randomisierten statistischen Verfahren erfolgen soll. Das vorliegende Buch versammelt Aufsätze schweizer, deutscher, britischer und US-amerikanischer WissenschaftlerInnen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Nutzen evidenzbasierter Praxis auseinandersetzen. So sind in dem Buch sowohl BefürworterInnen als auch KritikerInnen von EBP versammelt.

Aufbau und Inhalt

  1. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit den Grundlagen evidenzbasierter Praxis. Er beginnt mit einer Einführung zu EBP von Mullen u. a. an einem konkreten Praxisbeispiel, wobei sich die AutorInnen ausdrücklich für Recherchen nach systematischen Reviews und Metaanalysen aussprechen, um Forschungsergebnisse in der Praxis zu nutzen. Menold befürwortet im nächsten Aufsatz ebenfalls die Beschränkung auf vollstandardisierte Messverfahren und erklärt u. a. die Unterschiede von Wirkung und Wirksamkeit, Netto- und Bruttowirkungen sowie interner und externer Validität als Gütekriterium empirischer Forschung. Das Kapitel schließt mit einem Artikel der beiden Herausgeber Sommerfeld und Hüttemann, die sich für ein Modell der kooperativen Wissensproduktion aussprechen, das als Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit unter Berücksichtigung der NutzerInnen fungieren kann. Sie setzen sich dabei kritisch mit der Übertragung der Evidenzhierarchie der Medizin auf die Soziale Arbeit auseinander und verstehen EBP als "Ergänzungsverhältnis und nicht (…) ein Entweder-Oder" (S. 52).
  2. Im zweiten Kapitel liegt der Schwerpunkt auf dem Thema evidenzbasierter Praxis und Professionalität. Cloos/Thole begreifen EBP als neuen Versuch, wissenschaftliche Erkenntnisse in die sozialarbeiterische Praxis zu transferieren. Sie stellen heraus, dass es weniger darum geht, was wirkt, sondern vielmehr "was wirkt für wen, unter welchen Bedingungen?" (S. 60). Dabei kritisieren sie, dass Evidenzbasierung eine Orientierung an harten Fakten suggeriert, letztlich aber immer standort- und methodenabhängig ist. Wendt geht in seinem Beitrag noch darüber hinaus, wenn er feststellt, dass auch in der Medizin sogenannte "weiche Faktoren" eine Rolle spielen, die dort jedoch nicht überprüft werden. Wichtig im sozialarbeiterischen Handeln sei auch gar nicht, wie der Erfolg zustande käme, sondern dass das Handeln "zweckmäßig und überprüfbar zielführend" war (S. 82).
  3. Nachfolgend wird evidenzbasierte Praxis in speziellen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit vorgestellt. Während Kindler sich am Beispiel Kindeswohlgefährdung für eine stärkere Orientierung an empirischer Evidenz ausspricht, stellen Nideröst u. a. eine forschungsbasierte Interventionsentwicklung zur HIV/Aids-Prävention vor.
  4. Das vierte Kapitel legt den Fokus auf den Kompetenzerwerb zur Forschungsnutzung in der Ausbildung. Howard u. a. berichten von den Erfahrungen aus den USA, wo EBP trotz einer Flut von Publikationen kaum Auswirkungen auf die Soziale Arbeit hat und geben Empfehlungen, wie die Hochschulen die Ausbildung in EBP optimieren können. Im zweiten Beitrag bezeichnen Forrer-Kasteel u. a. EBP als Alternative zur "autoritätsbasierten Praxis" (S. 149), setzen sich aber auch kritisch mit der Einschränkung des Forschungsverständnisses im Rahmen von EBP auf hypothesenprüfende Verfahren auseinander. Multifaktorielle Zusammenhänge würden damit ausgeklammert. Wie Hüttemann und Sommerfeld treten sie für eine Praxisoptimierung durch kooperative Wissensbildung ein.
  5. Im letzten Part des Buches finden wir zwei Aufsätze zu Forschung, Politik und öffentlichem Interesse an EBP. Heiner u. a. fragen nach den Handlungsspielräumen von Auftragsforschung und stellen fest, dass Evaluationen fast immer summativ und nur sehr selten formativ im Sinne von Begleitforschung sind. Da die Wirkung von Programmen und Projekten immer kontextabhängig sei, plädieren sie für Vielfalt statt der Festlegung auf den sogenannten Goldstandard, der im Rahmen von EBP an empirische Forschung gelegt wird. Fisher u. a. stellen mit Blick auf Großbritannien fest: "Menschen, deren längerfristige Entwicklungen zum Teil von den Entscheidungen der Sozialen Dienste abhängen, sollten ein Recht auf bestmöglich informierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Praxis haben" (S. 191). Dabei unterstreichen sie die Notwendigkeit einer Partizipation der NutzerInnen Sozialer Arbeit bei der Generierung von Wissen durch Forschung.

Einschätzung und Fazit

Die Herausgeber haben es sich nicht einfach gemacht. Sie propagieren evidenzbasierte Soziale Arbeit weder als neues Wundermittel zur Wissengenerierung und damit Optimierung der Praxis durch vermeintlich objektive statistische Verfahren, noch kritisieren sie EBP als reine Modeerscheinung. In dem Sammelband nehmen WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Ländern sowie Blickwinkeln Stellung und diskutieren dabei durchaus kontrovers den Nutzen und die Beschränkungen von EBP. So war es lt. Klappentext auch gar kein Anliegen einen Konsens herzustellen, sondern den Fachdiskurs über eine wissenschaftlich fundierte Praxis anzuregen und weiterzuentwickeln. Dies ist ihnen in hervorragender Weise gelungen, denn zum Schluss des Buches können sich ForscherInnen und PraktikerInnen nicht mehr die Frage stellen, ob Forschung in der Praxis sinnvoll ist, sondern lediglich wie dabei zu verfahren ist. Auch angesichts zahlreicher neuer praxisforschungsbasierter Masterstudiengänge in der Sozialen Arbeit sollte dieses Buch viele interessierte LeserInnen finden.

Rezension von
Prof. Dr. Susanne Gerull
Professorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit mit den Schwerpunkten Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit und niedrigschwellige Sozialarbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin
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Es gibt 11 Rezensionen von Susanne Gerull.

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ISSN 2190-9245