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Marcus Waselewski: Herausforderung Demenz

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 17.12.2002

Cover Marcus Waselewski: Herausforderung Demenz ISBN 978-3-87706-708-6

Marcus Waselewski: Herausforderung Demenz. Die Pflege zwischen Anspruch und Alltagsbedingungen. Schlütersche Fachmedien GmbH (Hannover) 2002. 80 Seiten. ISBN 978-3-87706-708-6. 13,90 EUR. CH: 24,90 sFr.

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Zur Thematik und Vorgeschichte des Buches

Die zunehmende Lebenserwartung in modernen Gesellschaften besitzt auch Schattenseiten in Gestalt der Zunahme chronischer und zugleich altersbedingter Krankheiten. Demenzen, besonders die vom Alzheimer Typ, nehmen hierbei eine zentrale Stellung ein, denn sie führen u. a. zur völligen Hilflosigkeit und damit Abhängigkeit der Erkrankten. Aufgrund der umfangreichen erforderlichen Versorgungsleistungen vor allen Dingen in der Pflege und Betreuung gelten Demenzen als die teuerste Krankheitsgruppe im höheren Lebensalter. Ein sozialpolitisch und volkswirtschaftlich äußerst brisanter Problemkomplex, sind doch hierbei u. a. die Systeme der Sozialversicherung, die öffentlichen Ausgaben und auch die Eigenleistungen der Betroffenen und ihrer Angehörigen involviert. In diesem Kontext sind Bestandsaufnahmen, Perspektiven und Lösungsansätze gefragt, die sich der zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft und der damit verbundenen Kosten und Finanzierung annehmen.

Der Autor Marcus Waselewski, Diplom-Gesundheitswirt, arbeitet als Heimleiter eines Altenpflegeheimes und als Referent einer freigemeinnützigen Trägergesellschaft in Magdeburg.

Inhalt

Das Buch ist in 3 Kapitel unterteilt.

Im ersten Kapitel "Die heutigen Bedingungen der Altenpflege" werden u. a. die Themen demographische Entwicklung und die Auswirkungen auf die Pflegebedürftigkeit, die politisch gesetzten Rahmenbedingungen (Pflegeversicherung, Qualitätssicherung u. a.), Formen der Demenzen (Primäre und sekundäre Demenzen) und Ideen und Konzepte Tom Kitwoods zur Genese der Demenzen und ihrer Betreuung dargestellt.

Kapitel 2 "Bedürfnisse demenziell Erkrankter und Ansätze für die Entwicklung eines Pflegeleitbildes" befasst sich im relativ knappen Umfang mit dem Bedürfnismodell von Maslow ("Bedürfnispyramide"), den "Elementen des Person-Seins", "Aspekten des Menschseins" und den "Grundbedürfnissen des Menschen". Hierbei handelt es sich um Ideenkonstrukte, die überwiegend auf Ausführungen von Kitwood, Maslow und Martin Buber basieren.

Das 3. Kapitel "Praktische Ansätze in der Pflege Demenzkranker" besteht u. a. aus einer Darstellung neuerer Konzepte in der stationären Altenhilfe: "Hausgemeinschaften", ein modifiziertes Wohngruppenkonzept mit Schwerpunktverlagerung auf die hauswirtschaftliche Versorgung, "Snoezelen", ein sensorisches Stimulierungskonzept, das aus der Behindertenarbeit kommend in letzter Zeit Eingang in die stationäre Altenhilfe fand und am Schluss Angehörigen- und Biographiearbeit.

Kritische Würdigung

Der Autor führt u. a. aus: "Die Pflegewelt schreit nach Veränderung." Und die professionelle Pflege erfordert ein "Umdenken" des bisherigen Wirkens. Dieses Ansinnen ist legitim, doch in der Regel setzt dieses Vorgehen eine Analyse der bestehenden Verhältnisse mit dem Nachweis unzureichender Leistungsqualitäten voraus. Diese Bestandsaufnahme ist uns der Autor schuldig geblieben. Wir wissen also gar nicht so recht, warum in der Altenpflege und besonders in der Demenzversorgung "Veränderung" und "Umdenken" auf der Tagesordnung stehen sollen.

Ebenso versäumt der Autor argumentativ den Nachweis zu erbringen, warum die von ihm propagierten Modelle, u. a. der Kitwoodsche Ansatz, die Hausgemeinschaften und das Snoezelen, nun die neuen Kernelemente oder Perspektiven in der Demenzpflege sein sollen.

Der Rezensent beurteilt diese Modelle als äußerst fragwürdig, unausgegoren und teils auch gefährlich. Wenn Kitwood die Kausalität zwischen den neuropathologischen Abbauprozessen im Hirnbereich mit den demenzspezifischen Krankheitssymptomen leugnet, dann liegt hier ein bewusstes Ausscheren aus dem Erkenntnisverbund der bisherigen Forschung vor, der schon stark an Esoterik erinnert. Bei dem Hausgemeinschafts-Konzept werden alle bisherigen Erfahrungen und Erkenntnisse aus der stationären Demenzpflege regelrecht auf den Kopf gestellt. Suboptimale Versorgungsstrukturen werden als Innovation offeriert, die bereits in Schweden als Konzeption gescheitert sind. Und bei dem Snoezelen handelt es sich um ein Vorgehen, dass bei den Betroffenen teils zur Steigerung der Verwirrung und Überforderung beitragen kann.

Der Rezensent möchte an dieser Stelle auf den Widerspruch hinweisen, dass in der Altenpflege gegenwärtig fast nur noch im Kontext von Qualität, Qualitätssicherung etc. argumentiert wird, dass aber auf der anderen Seite fast jedwede Interventionsform völlig ungeprüft im Heimbereich angewendet werden darf. Auch in der Altenpflege sollten wie in der pharmakologischen Forschung strenge Regeln bei der Überprüfung therapeutischer Ansätze mitsamt der Nachweise der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen Eingang finden.

Fazit

Es bleibt das Fazit zu ziehen, dass die vorliegende Veröffentlichung keinen Beitrag zu der "Herausforderung Demenz" auf den verschiedenen Ebenen der Pflege, Versorgungsforschung und Sozialpolitik zu leisten vermag.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Es gibt 227 Rezensionen von Sven Lind.

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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 17.12.2002 zu: Marcus Waselewski: Herausforderung Demenz. Die Pflege zwischen Anspruch und Alltagsbedingungen. Schlütersche Fachmedien GmbH (Hannover) 2002. ISBN 978-3-87706-708-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/558.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.


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