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Karl Gebauer: Mobbing in der Schule

Rezensiert von Dipl. Sozialpädagogin Monika Hirsch-Sprätz, 23.05.2008

Cover Karl Gebauer: Mobbing in der Schule ISBN 978-3-407-22902-1

Karl Gebauer: Mobbing in der Schule. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2007. 160 Seiten. ISBN 978-3-407-22902-1. D: 12,90 EUR, A: 13,30 EUR, CH: 23,60 sFr.
Reihe: Beltz-Taschenbuch - 902 - Ratgeber.

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Thema und Hintergrund

Mobbingprozesse sind sehr vielschichtig und verlaufen im Schulbereich häufig verdeckt. Anlass und Ort ist jeweils die konkrete Situation. Mobbing ist ein uraltes Phänomen. Es kann jeden treffen, beginnt schon im familiären Umfeld, wird über den Kindergarten im Klassenzimmer fortgeführt, wirkt in die Berufswelt hinein und weitet sich unbearbeitet zum sozialen und gesellschaftlichen Phänomen aus.

Durch die Darstellung der emotionalen und biographischen Verstrickungen von Opfern, Tätern und Mitläufern beschreibt der Autor die Herausforderungen an die im pädagogischen Raum Tätigen: ErzieherInnen, SozialpädagogInnen und LehrerInnen. Gleichzeitig verweist Karl Gebauer auf deren hohe Verantwortung bei Mobbing nicht untätig zu bleiben und beschreibt Beispiele konstruktiver Erziehungsarbeit. Er plädiert dafür, Mobbing zum Thema für die ErzieherInnen- und LehrerInnenausbildung zu machen.

Erkenntnisse für den Erwerb von psychosozialer und emotionaler Kompetenz und als Grundlage erfolgreicher Klärung von Konflikt- und Mobbingsituationen ergeben sich aus der Säuglings-, Bindungs-, Emotions- und Hirnforschung, der Konflikt- und Schulforschung.

Karl Gebauers Ansatz beruht nicht darauf, sich mit der Problembeschreibung zufrieden zu geben oder die Schuldfrage zu stellen. Er bezieht sich vielmehr darauf, Mobbingsituationen als Chance für neue Einsichten im Umgang mit ihnen zu begreifen und sie zum Lernfeld psychosozialer Prozesse zu machen. (für SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern-diesen, sich wiederholenden Zusatz bitte weglassen!)

Autor

Karl Gebauer schreibt auf dem Hintergrund langjähriger Erfahrungen mit Eltern und LehrerInnen im Schulbereich, war viele Jahre selbst als Schulleiter tätig, arbeitet seit über 30 Jahren in der LehrerInnen- und ErzieherInnenfortbildung. Neben Seminaren und Vorträgen publiziert er zu aktuellen Themen der Erziehung und zum Thema Mobbing.

Zielgruppen

Zielgruppen sind Eltern, ErzieherInnen, SozialpädagogInnen, LehrerInnen und alle, die mehr über die Hintergründe von und die Handlungsschritte bei Mobbingfällen unter Kindern verstehen wollen. Letztlich alle diejenigen, die ihre eigenen Unsicherheiten, Erfahrungen, Hilflosigkeiten beim Thema genauer ansehen möchten.

Aufbau und Inhalt

Das Buch beginnt mit der Inhaltsangabe, einem Dank des Autors und einem von ihm verfassten Vorwort. Danach wird der Leser durch sechs Kapitel geführt, die mit einer Schlussbemerkung und dem Literaturverzeichnis enden, worunter sich auch einige Werke des Autors befinden.

  1. Dieses Kapitel beschreibt konkrete Erscheinungsformen des Mobbing aus Elternsicht. Die Eltern werden aufgefordert, auf Signale von Kindern zu achten und Gespräche mit den Lehrkräften und der Schulleitung zu führen. Es wird auf die komplexen inneren Muster von Mobbern und Mitläufern verwiesen, die auf der äußeren Handlungsebene häufig verdeckt ablaufen.
  2. Mobbing wird hier als Prozess beschrieben, an dem mehrere Personen in unterschiedlichen Funktionen (Mobber, Mitläufer, Zuschauer, Opfer) beteiligt sind. Alle am Prozess Beteiligten benötigen Hilfe und Anregungen, um ihr Tun zu durchschauen. Durch klärende Gespräche und Erfahrungen der Wiedergutmachung können wichtige Erfahrungen für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit gewonnen werden. Es wird auch auf eine Sonderform des Mobbing hingewiesen, wenn Opfer (ohne es zu wollen) MitschülerInnen zu Mobbinghandlungen herausfordern. Hintergund hier wird vom Autor die unsichere Bindungserfahrung aus der frühen Kindheit genannt.
  3. Prävention durch Stärkung des Selbstwertgefühles ist hier das Thema. Eltern können Mobbing vorbeugen, indem sie sich um eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder bemühen. Hierzu werden Erkenntnisse der Säuglings- und Bindungsforschung hinzugezogen und zu Ergebnissen der modernen Hirnforschung in Beziehung gesetzt.
  4. Im vierten Kapitel findet die Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen, die Adoleszenz, besondere Beachtung. Verunsicherungen entstehen durch die vielfältigen körperlichen und seelischen Veränderungsprozesse in dieser Zeit. Mobbingprozesse können ein Ausdruck dieser Verunsicherung sein. Durch Machtausübung über MitschülerInnen wird versucht, sich wieder ein Gefühl von Sicherheit zu verschaffen, wobei es sich um eine vorübergehende Pseudosicherheit handelt. Diese Entwicklungssackgasse muss von Schulseite ernst genommen werden.
  5. Thema hier ist die Herausforderung an die Pädagogik, sich mit der aus der PISA-Debatte entstandenen, einseitigen Betonung der kognitiven Entwicklung und Leistungsanforderung an Kinder auseinanderzusetzen. Mobbing wird hier als eine Reaktionsform verstanden, mit den unangenehmen Ergebnissen im Leistungsbereich fertig zu werden. Bildungsziel sollte neben der inhaltlichen und methodischen Leistungsanforderung emotionaler Kompetenz und die Beziehungssicherheit zwischen LehrerInnen und SchülerInnen sein. Karl Gebauer betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit eigener Affektarbeit unter dem Lehrpersonal als eine wichtige Voraussetzung für die konstruktive Bearbeitung von Mobbing an Schulen.  
  6. Kapitel 6 beschreibt, was LehrerInnen tun können, um Mobbingstrukturen zu erkennen, mit der eigenen Hilflosigkeit umzugehen und sie über erfolgreiche pädagogische Handlungsschritte in Teamarbeit zu verändern bzw. aufzulösen. Als Arbeitsmodell dient dem Autor das "Bühnenkonzept", das die Ebene der Gefühle mit einbezieht. Dabei werden aktuelle Mobbingfälle in der Schule bearbeitet. Der Klassenraum oder Pausenhof ist die "äußere Bühne", das emotionale Erleben der Lehrkräfte die "innere Bühne". Im Verlauf geht es um moderierte Gesprächsrunden zwischen Klassen- und Fachlehrern, die einer bestimmten Methodik und kontinuierlichen Bearbeitung folgen und helfen sollen, hinter die Kulissen der Mobbinginszenierungen zu sehen. Mit einer Auflistung emotionalen Lehrerverhaltens als Grundlage für konstruktive Erziehungsarbeit im Team, endet das Kapitel.

Diskussion

Karl Gebauer vertritt den Standpunkt, dass eine erfolgreiche Bearbeitung des Mobbingprozesses nur möglich ist, wenn wir über die äußere Bühne (Klassenraum, Pausenhof) die innere Welt (Gefühle) der Akteure kennen lernen, Interesse an ihren Gefühlen signalisieren und vertrauensvolle Beziehungsangebote machen, die sich mit der Deutung und Lösung der konflikthaften Situation befassen. Falsche Situationsbeurteilungen durch Erzieher- und LehrerInnen, mangelhaftes Deutungswissen, Desinteresse, Nichtstun aus Hilflosigkeit und mangelnde Konsequenzen bilden ein Vakuum, das von Mobbenden für den Ausbau ihrer eigenen Machtstrukturen genutzt wird. Die irritierten Reaktionen von Opfern, die in der Regel kein Erklärungsmuster für das haben, was ihnen angetan wird, verstärken das Mobbing, machen den Mobbenden Mut. Verunsicherungen durch Probleme im Elternhaus (Trennung/Scheidung, Gewalt, Arbeitslosigkeit, Süchte) oder die Erfahrung mangelnder emotionaler Bindung an eine Bezugsperson führen zu Ohnmachtserfahrungen, die später in Allmachtsphantasien umschlagen können und aus Opfern Täter machen. In der Adoleszenz, dem Entwicklungszeitraum für das Selbstwertgefühl und die Orientierung hin in eine neue, eigene Welt, kehrt sich die unsichere Bindungserfahrung um. Über Gewalt- und Machterfahrungen erleben diese Jugendlichen vorübergehend Stärke und emotionale Sicherheit, auch in einer Gruppe.

Emotionale Sicherheit entsteht über Beziehungssicherheit. Karl Gebauer ist überzeugt, dass Prävention von Gewalt und Mobbing nur über die Erfahrung der Selbstwirksamkeit und Bedeutsamkeit der eigenen Person, den Aufbau innerer Wertvorstellungen und die Stärkung des Selbstwertgefühles erreicht werden kann. Dazu müssen die Emotionen der Kinder/Jugendlichen Beachtung bei den Erwachsenen finden, gerade auch in Konfliktsituationen. Die individuelle und soziale Situation des Kindes/Jugendlichen zu kennen, ist der Schlüssel für erfolgreiche Klärungssituationen. LehrerInnen müssen sich im Umgang mit Mobbingsituationen die Zeit nehmen, für SchülerInnen den Erfahrungsraum so zu gestalten, dass unter Anleitung und Unterstützung erlebbar wird, wie Mobbingsituationen selbstständig gelöst werden können.

Der Autor appelliert deshalb wiederholt neben der inhaltlichen und methodischen, an die emotionale und psychosoziale Kompetenz der Erziehungs- und Bildungsverantwortlichen. Dazu stellt der Autor im Buch sein pädagogisches Konzept vor, welches eine "Zweispurpädagogik" über differenzierten Unterricht zulässt, heißt, es wird mit der "Inhaltsspur" (normaler Unterricht) und der "Klärungsspur" (Klärung von Problemen) parallel in einer Unterrichtsstunde gearbeitet. Die Unterstützung des Lehrers führt zu Dankbarkeit und Erleichterung bei den SchülerInnen, die wiederum die Grundlage von Vertrauen bilden. Vertrauen jedoch ist ein elementarer Bestandteil von emotional tragenden Beziehungen.

Eine Lehrkraft alleine kann Mobbingsituationen nicht bewältigen, es benötigt die Bildung von Lehrerteams, die methodisch orientiert und kontinuierlich an der Konfliktlösung arbeiten. Im Sinne von Professionalität müssen LehrerInnen im Zusammenhang mit einer Konfliktklärung ihr eigenes Verhalten und ihre eigenen Emotionen betrachten.

Fazit

Wohltuend ist der Ansatz von Karl Gebauer, der sich am Kind/Jugendlichen und seinen Nöten orientiert. Keine Schuldzuweisungen oder Verurteilungen sind einseitig in Richtung Schüler feststellbar. Umso mehr weist er auf Handlungsmöglichkeiten für Eltern hin und nimmt die eigenen LehrerkollegInnen ins Visier. Als Mann der Praxis, mit langjähriger Erziehungserfahrung und Beratungsarbeit von Pädagogenteams, wird seine Kompetenz über klare Arbeitsschritte auch auf der lösungsorientierten Handlungsebene sichtbar.

Trotz vieler Wiederholung beim Hinweis auf die Hinzuziehung wissenschaftlicher Hintergründe aus der Säuglings-, Bindungs- und Hirnforschung, wie auch aus Emotions-, Schul- und Konfliktforschung bannt Karl Gebauer mit seinem Ratgeber den Leser. Er zieht einen Spannungsbogen von theoretischen Hintergründen zum Thema Mobbing, über die Wissenschaftstheorien, weiter zu Fallbeispielen und Inszenierungen aus der Schulpraxis, hin zu konkreten Arbeits- und Handlungsschritten auf der pädagogischen Ebene.

Ein sehr empfehlenswerter Ratgeber für alle PädagogInnen und diejenigen, die die Not und Bedürfnisse von Kindern/Jugendlichen verstehen möchten, die sich hinter Gewalt- und Mobbingsituationen verbergen.

Rezension von
Dipl. Sozialpädagogin Monika Hirsch-Sprätz
Supervisorin, Mediatorin und Leiterin der Mobbingberatung Berlin-Brandenburg. Arbeitsschwerpunkte: Information, Beratung, Training, Moderation, Konfliktmanagement, Mediation, Kooperation mit interdisziplinärem Experten-Netzwerk. Face-to-Face- und Online-Beratung. Bereiche: Schule, Ausbildung und Arbeitswelt.
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Es gibt 25 Rezensionen von Monika Hirsch-Sprätz.

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Zitiervorschlag
Monika Hirsch-Sprätz. Rezension vom 23.05.2008 zu: Karl Gebauer: Mobbing in der Schule. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2007. ISBN 978-3-407-22902-1. Reihe: Beltz-Taschenbuch - 902 - Ratgeber. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/5610.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.


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