Thomas Friedrich-Hett (Hrsg.): Positives Altern (Beratung und Therapie)
Rezensiert von Prof. Dr. Hans Goldbrunner, 28.03.2008

Thomas Friedrich-Hett (Hrsg.): Positives Altern. Neue Perspektiven für Beratung und Therapie älterer Menschen.
transcript
(Bielefeld) 2007.
226 Seiten.
ISBN 978-3-89942-799-8.
25,80 EUR.
CH: 43,00 sFr.
Reihe: DiskurSys - Band 3.
Thema
Die Bereitschaft von Psychotherapeuten und Beratern, ihr Angebot für Senioren zu öffnen, nimmt seit einigen Jahren in erfreulichem Ausmaß zu. Das spiegelt sich auch in der wachsenden Anzahl an Publikationen zu diesem Thema. Der von Thomas Friedrich-Hett herausgegebene Sammelband ist ein Beispiel dafür. Er stellt eine Art Werkstattbericht dar, in dem verschiedene Ansätze aus unterschiedlichen Praxisfeldern der Beratung älterer Menschen dargestellt werden. Das ganze wird mit einem systemisch-konstruktivistischen Modell der Beratung außerhalb des psychotherapeutischen Sektors verknüpft. Die Verbreitung dieses Ansatzes ist das Anliegen der von Klaus G. Geissler herausgegebenen Schriftenreihe DiskurSys, in dem der vorliegende Band erschienen ist.
Aufbau und Inhalt
Thomas Friedrich-Hett konzipiert zunächst in einem grundsätzlichen Beitrag einen theoretischen Bezugsrahmen für die Beratung und Therapie älterer Menschen, der sich schwerpunktmäßig auf die Gruppe der "jungen" Alten konzentriert. Das Alter sei vor allem ein Ergebnis sozialer Konstruktionen, wobei in der heutigen Wahrnehmung eine defizitäre (negative) Sicht dominiere. Für die therapeutische Arbeit hält der Autor jedoch eine positive Sicht des Alterns für angemessener, auch wenn biologische Abbauprozesse und soziale Ausgrenzungen nicht geleugnet werden. Als Beleg für das positive Altersbild referiert er eine Vielzahl von isolierten Forschungsergebnissen, welche die negative Sicht widerlegen sollen. Das vorgelegte Therapieverständnis wird als systemisch, kollaborativ und postmodern markiert. Die systemische Einbindung des sozialen Umfeldes wie des biografischen Hintergrundes bleibt allerdings weitgehend imaginär, zumindest wenn man die anschließenden Praxisberichte einbezieht. Die wertschätzende Haltung wird um die Dimension der Neugier (in einem positiven Sinn) erweitert, die den Therapeuten dazu verleitet, die Position des wissenden Fachmanns zu verlassen und sich in einem partnerschaftlichen Dialog für die Lebensentwürfe des Ratsuchenden zu interessieren, nicht ohne darauf Wert zu legen, dass in postmoderner Manier neue Perspektiven und Lebensbilder konstruiert werden, so dass für die Zukunft mehr Alternativen zur Entscheidung verfügbar sind, was als "Vielstimmigkeit" umschrieben wird. Neben dieser ressourcenorientierten Haltung enthält der Beitrag viele beherzigenswerte, aus der Praxis gewonnene Details, etwa die Forderung nach Verzicht auf eine überheblich wirkende, für Senioren unverständliche Fachsprache, die sorgfältige Auftragsklärung oder der warnende Hinweis auf altersspezifische "Stolpersteine".
In sechs kürzeren Praxisbeispielen mit Werkstattcharakter aus dem stationären und ambulanten Bereich werden Einblicke in ausgewählte Arbeitsfelder gewährt, in denen Berater Erfahrungen gesammelt haben und hier ihre pionierhaften Ansätze zur Diskussion stellen:
- Thomas Friedrich-Hett u.a. arbeiten mit Medien aus der Theaterwelt und Sensitivity-Training,
- Michael Vogt berichtet über Partnerschaftsberatung von Senioren im Rahmen der Eheberatung,
- Marco Pulver referiert über ein Projekt der Beratung von schwulen Senioren,
- Ulrich Meindl und Adelheid Schraml-Meindl haben ein Konzept mit Empowerment-Coaching für die nachberufliche Phase entwickelt,
- Renate Rubin wagt sich an poesie- und bibliotherapeutische Schreibgruppenarbeit mit Hochaltrigen und
- Ilona Klaus versucht mit Hilfe einer feministisch-theologischen Perspektive das Selbstwertgefühl alter Frauen zu verbessern.
Die theoretischen Ausführungen werden durch Fallvignetten illustriert. Kommentierte Literaturempfehlungen zur weiteren Vertiefung der Thematiken runden die Ausführungen ab.
Diskussion – Einschätzung
Für die theoretische Diskussion erweist sich das richtungweisende Kapitel von Friedrich-Hett als besonders aufschlussreich. Der Autor knüpft an die positive-aging-Bewegung an, die sich als kämpferische Gegenbewegung zur Überwindung einer pathologisierend-defizitären Sicht des Alterns definiert. Die Verknüpfung mit ressourcenorientierten therapeutischen Modellen und sozial-konstruktionistischen Ideen über das Alter eröffnet nicht nur neuartige Ausblicke auf das Alter an sich, sondern erweitert vor allem das therapeutische Handlungsspektrum beträchtlich, was mit Blick auf die zunehmenden Altersbeschränkungen unverzichtbar ist. In der therapeutischen Praxis erweist es sich meist schwierig, Zugang zu verschütteten Stärken zu finden und die vorhandenen Möglichkeiten zur Lösung der akuten Probleme zu aktivieren. Die aufgezeigten technischen Instrumente können einen Beitrag leisten, diese Schwierigkeiten zu überwinden Der theoretische Rahmen und die praktischen Beispiele werden von Praktikern sicher dankbar aufgenommen.
Dennoch ist auch nach den Grenzen dieses doch sehr spezifischen Ansatzes zu fragen, dessen Wert in der Überwindung der praktischen Einseitigkeiten der defizitären Sicht des Alters liegt. Die Konzentration auf das Positive erschwert den Blick auf das, was nicht mehr möglich ist. Wenn Deissler in seinem Vorwort von einer "Tugend des philosophierenden Lebenswandels" als Grundzug der Behandlung älterer Menschen spricht, die eine positive Bewertung der Alternsprozesse ermöglichen soll, weist er unbemerkt auf einen Schwachpunkt hin, wenn er die Aufgabe der Beratung in der "Bewältigung von Detailproblemen" sieht: So wichtig Umdeutungen und Ressourcenaktivierung im einzelnen sind, sie werden problematisch, wenn von den brennenden Fragen des unübersehbaren Verlustes, der Trennung und des Abschieds abgelenkt wird. In der Tat sind vor allem im theoretischen Kapitel die Aussagen über die emotionale Verarbeitung von Defiziten dürftig, auch wenn die zahlreichen aktivierenden Techniken auf den ersten Blick darüber hinwegtäuschen.
Einen gelungenen Ausgleich stellen die pragmatischen Praxisbeiträge her, die das zu Grunde liegende Rahmenkonzept übersteigen, da sie auch der emotionalen Verarbeitung des Altersabbaus Rechnung tragen. Es handelt sich um authentische Darstellungen, in denen auch die praktischen Schwierigkeiten und institutionellen Begrenzungen ungefiltert angesprochen werden, ohne in eine resignierende therapeutische Routine zu verfallen. Sie erlauben einen differenzierten Blick auf Altersprobleme, zeigen aber auch unkonventionelle Lösungswege auf, die Praktiker sicher ermutigen, eigene Wege auszuprobieren.
Fazit
Es handelt es sich insgesamt um einen wichtigen Beitrag zur Belebung und Bereicherung der beraterischen und therapeutischen Angebote für Senioren. Die Stärke liegt darin, die noch vorhandenen, häufig übersehenen Fähigkeiten älterer Menschen zur Problembewältigung effizient zu nutzen. Er ist Praktikern sehr zu empfehlen, die für ressourcenorientiertes Vorgehen empfänglich sind, sich aber auch bewusst machen, wo die Grenzen dieses Ansatzes liegen.
Rezension von
Prof. Dr. Hans Goldbrunner
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